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Zitiert durch:
BVerfGE 101, 312 - Versäumnisurteil
BVerfGE 93, 37 - Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein
BVerfGE 59, 360 - Schülerberater
BVerfGE 49, 148 - Ermessen bei Revisionsannahme
BVerfGE 47, 327 - Hessisches Universitätsgesetz
BVerfGE 35, 65 - VwGO-Ausführungsgesetz II
BVerfGE 33, 52 - Zensur
BVerfGE 27, 297 - Wiedergutmachung Staatsprüfung
BVerfGE 20, 162 - Spiegel
BVerfGE 12, 45 - Kriegsdienstverweigerung I
BVerfGE 11, 139 - Kostenrechtsnovelle
BVerfGE 10, 264 - Gerichtskostenvorschuß


Zitiert selbst:
BVerfGE 8, 28 - Besoldungsrecht
BVerfGE 7, 171 - Dieselsubventionierung
BVerfGE 2, 380 - Haftentschädigung
BVerfGE 2, 266 - Notaufnahme
BVerfGE 2, 181 - Besatzungsanordnungen


I.
1. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat auf Grund des A ...
2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte im Jahre 1954 bei ...
3. Das Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß seine ...
4. Der Bundesminister des Innern hält die Vorlage für z ...
5. Da niemand dem Verfahren beigetreten ist, kann ohne mündl ...
II.
III.
1. Das Oberverwaltungsgericht bittet um verfassungsrechtliche Pr& ...
2. Das Oberverwaltungsgericht legt § 18 Abs. 3 VGG so aus, d ...
3. Indessen ist die Interpretation der Bestimmung durch das Oberv ...
4. Nur bei dieser einschränkenden Auslegung kann § 18 A ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.02.2023, durch: A. Tschentscher, Marcel Schröer
BVerfGE 9, 194 (194)§ 18 Abs. 3 des Rheinland-Pfälzischen Landesgesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit ("Wahlklage") schließt die verwaltungsgerichtliche Klage gegen den Beschwerdebescheid der höheren Verwaltungsbehörde nicht aus und ist deshalb mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar.
 
 
Beschluß
 
des Ersten Senats vom 17. März 1959
 
-- 1 BvL 5/57 --  
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 18 Abs. 3BVerfGE 9, 194 (194) BVerfGE 9, 194 (195)des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 14. April 1950 (GVBl. I S. 103) - auf Antrag des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz -.
 
Entscheidungsformel:
 
§ 18 Abs. 3 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 14. April 1950 (GVBl. I S. 103) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
 
 
Gründe:
 
I.
 
1. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat auf Grund des Art. 100 Abs. 1 GG mit Beschluß vom 10. Januar 1957 ein in der Berufungsinstanz anhängiges Verwaltungsstreitverfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber erbeten, ob § 18 Abs. 3 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 14. April 1950 -- GVBl. I S. 103 -- (im folgenden: VGG) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
§ 18 VGG lautet:
    "Rechtsbehelfe gegen Anordnungen oder Verfügungen unterer Verwaltungsbehörden
    (1) Gegen Anordnungen oder Verfügungen eines Landrates (Oberbürgermeisters) ist Einspruch bei dem Kreisrechtsausschuß (Stadtrechtsausschuß) zulässig.
    (2) Gegen Anordnungen oder Verfügungen einer dem Landrat nachgeordneten Behörde ist Verwaltungsbeschwerde bei dem Kreisrechtsausschuß zulässig.
    (3) Gegen die Entscheidung des Kreisrechtsausschusses (Stadtrechtsausschusses) nach Abs. 1 und 2 kann wahlweise Verwaltungsbeschwerde an den zuständigen Regierungspräsidenten oder Klage im Verwaltungsstreitverfahren erhoben werden. Der eine Rechtsbehelf schließt den andern aus.
    (4) Gegen Anordnungen oder Verfügungen der sonstigen unteren Verwaltungsbehörden ist zunächst Verwaltungsbeschwerde bei derBVerfGE 9, 194 (195) BVerfGE 9, 194 (196)nächsthöheren Verwaltungsbehörde einzulegen. Gegen ihre Entscheidung ist wahlweise weitere Verwaltungsbeschwerde oder Klage im Verwaltungsstreitverfahren zulässig. Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend."
2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte im Jahre 1954 beim Landratsamt die Erteilung einer Baugenehmigung beantragt. Der Antrag wurde abgelehnt. Nach erfolglosem Einspruch wandte sich der Kläger am 23. Mai 1955 auf Grund des § 18 Abs. 3 VGG mit der Verwaltungsbeschwerde an die Bezirksregierung. Die Beschwerde wurde am 12. August 1955 zurückgewiesen, der Beschwerdebescheid am 19. August 1955 zugestellt.
Am 22. August 1955 erhob der Kläger verwaltungsgerichtliche Klage auf Grund des § 21 Abs. 3 VGG; danach ist innerhalb eines Monats Klage im Verwaltungsstreitverfahren gegeben, wenn "auf einen Einspruch oder eine Verwaltungsbeschwerde innerhalb einer Frist von zwei Monaten ein abschließender Bescheid nicht ergangen" ist. Das Bezirksverwaltungsgericht wies die Klage als unzulässig mit der Begründung ab, die Beschwerdeentscheidung der Bezirksregierung sei noch vor Klageerhebung ergangen, dem Kläger stehe somit die "Untätigkeitsklage" des § 21 Abs. 3 VGG nicht mehr zu Gebote. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.
3. Das Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß seine Entscheidung davon abhänge, ob § 18 Abs. 3 VGG mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Bei Gültigkeit dieser Vorschrift sei die Berufung unbegründet, bei ihrer Ungültigkeit sei sie begründet. Die in § 18 Abs. 3 VGG getroffene Regelung (sog. "Wahlklage") verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG; denn auch die einen rechtswidrigen Verwaltungsakt bestätigende Beschwerdeentscheidung sei eine rechtsverletzende Maßnahme der öffentlichen Gewalt und die verwaltungsgerichtliche Anfechtbarkeit der Beschwerdeentscheidung könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, wie es § 18 Abs. 3 VGG bestimme.
4. Der Bundesminister des Innern hält die Vorlage für zulässig, die zur Prüfung gestellte Vorschrift für verfassungsmäßig. FürBVerfGE 9, 194 (196) BVerfGE 9, 194 (197)die Landesregierung Rheinland-Pfalz hat sich das Ministerium der Justiz im wesentlichen ebenso geäußert.
5. Da niemand dem Verfahren beigetreten ist, kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
 
Die Vorlage ist zulässig, weil es nach der nicht offensichtlich unhaltbaren Ansicht des vorlegenden Gerichts für dessen Entscheidung auf die Gültigkeit der Vorschrift ankommt (BVerfGE 2, 181 [190 ff.]; 2, 380 [389]; 7, 171 [175]). Die Zulässigkeit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die verwaltungsgerichtliche Klage eine sog. Untätigkeitsklage (§ 21 Abs. 3 VGG) ist und eingewandt werden könnte, diese Klage sei auf jeden Fall unzulässig, da die Bezirksregierung noch vor Klageerhebung entschieden habe. Das Oberverwaltungsgericht nimmt offenbar an, die Anfechtungsklage richte sich in Wirklichkeit gegen den Beschwerdebescheid der Bezirksregierung. Diese Auslegung ist im Hinblick auf die Formulierung der Klageanträge vertretbar; von ihr ist daher auszugehen.
 
§ 18 Abs. 3 VGG ist bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Das Oberverwaltungsgericht bittet um verfassungsrechtliche Prüfung des "§ 18 Abs. 3 VGG". Aus der Begründung des Vorlagebeschlusses ergibt sich, daß das Gericht die Bestimmung nur insoweit für verfassungswidrig hält, als nach ihrem Satz 2 (in Verbindung mit dem Wort "wahlweise" in Satz 1) durch Erhebung der Verwaltungsbeschwerde auch die verwaltungsgerichtliche Klage gegen den Beschwerdebescheid der Verwaltungsbehörde ausgeschlossen wird.
2. Das Oberverwaltungsgericht legt § 18 Abs. 3 VGG so aus, daß die Wahl der Verwaltungsbeschwerde die Klage im Verwaltungsstreitverfahren endgültig und für die ganze Dauer desBVerfGE 9, 194 (197) BVerfGE 9, 194 (198)Verfahrens ausschließe. Wäre diese Auslegung, die auch in der Literatur allgemein vertreten wird (vgl. etwa Maunz/Dürig, Erl. zu Art. 19 Abs. 4 GG, Rand-Nr. 15), unabweisbar, so wäre die Bestimmung in der Tat mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Wählt der durch den ursprünglichen Verwaltungsakt Beschwerte den Rechtsbehelf der Verwaltungsbeschwerde, so ergeht darauf ein Bescheid der höheren Verwaltungsbehörde, also ein neuer Akt der öffentlichen Gewalt, und zwar der Exekutive. Ist der Beschwerdeführer durch diesen Akt "in seinen Rechten verletzt", so steht ihm nach dem klaren Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg (zu den Verwaltungsgerichten) offen. Dabei ist es, wie das Oberverwaltungsgericht mit Recht annimmt, unerheblich, ob der Beschwerdebescheid eine neue Beschwer enthält oder ob er den ursprünglichen Verwaltungsakt lediglich bestätigt, indem er die Beschwerde zurückweist; denn auch die einen rechtswidrigen Verwaltungsakt nur bestätigende Verwaltungsentscheidung verletzt die Rechte des Beschwerdeführers eben dadurch, daß sie der Beschwer nicht abhilft, vielmehr den beschwerenden Akt formell rechtskräftig werden läßt. Das genügt nach Art. 19 Abs. 4 GG, um den Betroffenen zur Beschreitung des Rechtswegs zu legitimieren. Eine neue Beschwer zu fordern (so etwa Bettermann, DÖV 1958 S. 165 und "Die Grundrechte" Bd. III [1959] S. 813), rechtfertigt weder der Wortlaut noch der Sinn der Verfassungsbestimmung; es wäre auch praktisch unzweckmäßig, weil vorauszusehen ist, daß sich in vielen Fällen unfruchtbarer Streit darüber ergeben würde, ob -- bei abweichender Begründung durch die Beschwerdebehörde -- eine neue Beschwer vorliege.
Eine landesrechtliche Bestimmung, die hier den Weg zu den Verwaltungsgerichten ausschließen wollte, enthielte somit eine Beschränkung des bundesverfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtswegs gegen alle rechtsverletzenden Akte der vollziehenden Gewalt.
Diesem Ergebnis kann man nicht dadurch ausweichen, daß man in der Wahl der Verwaltungsbeschwerde einen (zulässigen)BVerfGE 9, 194 (198) BVerfGE 9, 194 (199)Verzicht auf die verwaltungsgerichtliche Klage sieht. Das läßt sich für die Anfechtung des ursprünglichen Verwaltungsakts vertreten, wie noch darzulegen ist, nicht aber für die Anfechtung der Beschwerdeentscheidung. Es ist nicht angängig, von Gesetzes wegen einen Verzicht auf die gerichtliche Anfechtung einer Verwaltungsentscheidung zu unterstellen, die noch gar nicht ergangen ist und deren Inhalt nicht vorausgesehen werden kann.
3. Indessen ist die Interpretation der Bestimmung durch das Oberverwaltungsgericht nicht zwingend. Es ist unbedenklich, wenn § 18 Abs. 3 VGG dem durch einen Verwaltungsakt Betroffenen zunächst "wahlweise" den Weg zur höheren Verwaltungsbehörde und zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Denn neben dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsweg erhält er damit noch einen zusätzlichen Rechtsbehelf, der den Rechtsweg weder beschränkt noch auch nur verzögert. Unbedenklich ist es aber auch noch, wenn weiter bestimmt ist, daß die Wahl der Verwaltungsbeschwerde den in diesem Zeitpunkt gegebenen Rechtsbehelf der verwaltungsgerichtlichen Klage ausschließt. Denn unstreitig kann der Beschwerte auf die Anfechtung des Verwaltungsakts beim Verwaltungsgericht verzichten -- sei es, daß er die Anfechtungsfrist verstreichen läßt oder aber schon während des Laufs der Frist ausdrücklich den Verzicht erklärt. Dann muß es aber auch zulässig sein, der Erhebung der Verwaltungsbeschwerde von Gesetzes wegen die Wirkung eines Verzichts beizulegen. Voraussetzung ist nur, daß der Betroffene sich über diese Wirkung der Beschwerdeerhebung klar ist; darauf aber muß er in der Beschwerdebelehrung hingewiesen werden (§ 35 VGG), wie dies auch hier geschehen ist. Der Ausschluß des Weges zu den Verwaltungsgerichten beschränkt sich jedoch auf dieses Verfahrensstadium; der Beschwerte verliert nur das ihm in diesem Augenblick zur Verfügung stehende Angriffsmittel. Insoweit besteht kein Widerspruch mit Art. 19 Abs. 4 GG; denn die Gewährleistung des Rechtswegs schließt nicht aus, daß seine Beschreitung in den Prozeßordnungen von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen (z. B. ordnungsmäßige VerBVerfGE 9, 194 (199)BVerfGE 9, 194 (200)tretung, Einhaltung von Fristen und dgl.) abhängig gemacht wird, also etwa auch davon, daß auf ein Rechtsmittel nicht rechtswirksam verzichtet ist.
4. Nur bei dieser einschränkenden Auslegung kann § 18 Abs. 3 VGG gegenüber dem Grundgesetz Bestand haben. Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut vereinbar und beläßt der Bestimmung einen vernünftigen, dem erkennbaren Gesetzeszweck jedenfalls nicht zuwiderlaufenden Sinn (vgl. BVerfGE 8, 38 [41]); denn sie beseitigt die "Zweigleisigkeit" wenigstens bei der Anfechtung des ursprünglichen Verwaltungsakts und verhindert so Rechtsunklarheit und nutzlose Doppelarbeit. Deshalb ist dieser Auslegung der Vorzug zu geben und von ihr aus die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung zu würdigen. Es kommt nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende Auslegung des Oberverwaltungsgerichts eher entsprochen hätte; es liegt hier anders als bei der Entscheidung vom 11. Juni 1958 (BVerfGE 8, 28), wo der "aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte eindeutig zu folgernde Wille des Gesetzes" für eine verfassungskonforme Auslegung keinen Raum ließ, so daß diese "dem klaren Gesetzeswortlaut einen geradezu entgegengesetzten Sinn" gegeben hätte; vielmehr kann auch hier "von der Absicht des Gesetzgebers das Maximum dessen aufrechterhalten (werden), was nach der Verfassung aufrechterhalten werden konnte", und es ist unerheblich, ob die Absichten des Gesetzgebers etwa hierüber hinausgingen (a.a.O. S. 33, 34; vgl. auch BVerfGE 2, 266 [282]).
Die Entscheidung entspricht der vom Bundesfinanzhof zu § 450 AO vertretenen Auffassung (Entscheidung vom 7. April 1954 -- BStBl. 54 III 165; vgl. auch die Entscheidung des Großen Senats vom 10. Februar 1958 -- BStBl. 58 III 198).BVerfGE 9, 194 (200)