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Informationen zum Dokument  BVerfGE 42, 1 - Sicherungsverwahrung  Materielle Begründung
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Zitiert durch:
BVerfGE 109, 133 - Langfristige Sicherheitsverwahrung

Zitiert selbst:
BVerfGE 41, 246 - Baader-Meinhof
BVerfGE 36, 264 - Untersuchungshaft
BVerfGE 20, 144 - Untersuchungshaft
BVerfGE 20, 45 - Kommando 1005
BVerfGE 19, 342 - Wencker
BVerfGE 10, 302 - Vormundschaft

A. - I.
II.
1. Der Beschwerdeführer war 1971 zu einer Freiheitsstrafe vo ...
2. Nach Eingang des Gutachtens wurde der Beschwerdeführer du ...
III.
1. Mit der am 31. Juli 1975 eingegangenen Verfassungsbeschwerde g ...
2. Nachdem der Beschwerdeführer bedingt entlassen ist, beant ...
IV.
1. Der Bundesminister der Justiz, der für die Bundesregierun ...
2. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat von der  ...
B. - I.
II.
1. Es ist verfassungsgemäß, die Bestimmungen der § ...
2. Bestehen hiernach gegen den Vollzug der Sicherungsverwahrung a ...
III.
1. Grundlage für die Entziehung der persönlichen Freihe ...
2. Eine andere Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB ist im ü ...
3. Schließlich vermag auch die Ansicht der Mehrheit, da&szl ...
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Djamila Strößner, A. Tschentscher  
BVerfGE 42, 1 (1)Es verletzt nicht das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG), §§ 66, 67c Abs. 1 StGB dahin auszulegen, daß der Vollzug der im Strafurteil angeordneten Sicherungsverwahrung auch dann zulässig ist, wenn die Strafvollstreckungskammer über die Erforderlichkeit des Maßregelvollzuges bei Strafende noch nicht entschieden, aber mit der ihr obliegenden Prüfung begonnen hat und dieses Prüfungsverfahren ohne vermeidbare Verzögerungen binnen angemessener Frist zum Abschluß bringt.  
 
Beschluß
 
des Zweites Senats vom 9. März 1976  
- 2 BvR 618/75 -  
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Helmut L.... - Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Silvia Oster, Dortmund 1, Bornstraße 68 - gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Juli 1975 - 4 Ws 277/75  
Entscheidungsformel:  
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.  
 
Gründe
 
Das vorliegende Verfahren betrifft die Frage, ob ein zu Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung Verurteilter nach Verbüßung der Strafe unterzubringen oder auf freien Fuß zu setzen ist, wenn bei Strafende eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Erforderlichkeit der Unterbringung noch aussteht.
1
 
A. - I.
 
Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) vomBVerfGE 42, 1 (1) BVerfGE 42, 1 (2)25. Juni 1969 (BGBl I S. 645) mit Wirkung ab 1. April 1970 und durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4. Juli 1969 (BGBl I S. 717) mit Wirkung ab 1. Januar 1975 (BGBl 1973 I S. 909) geändert worden. Die Neuregelung sieht unter anderem vor, daß am Ende der Strafzeit die Erforderlichkeit des Maßregelvollzuges gerichtlich zu überprüfen ist (§ 42g Abs. 1 StGB in der Fassung des 1. StrRG, § 67c Abs. 1 StGB in der Fassung des 2. StrRG).
2
§ 67c Abs. 1 StGB lautet:
3
    Wird eine Freiheitsstrafe vor einer zugleich angeordneten Unterbringung vollzogen, so prüft das Gericht vor dem Ende des Vollzugs der Strafe, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist das nicht der Fall, so setzt es die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
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Während die Anordnung der Sicherungsverwahrung dem erkennenden Gericht obliegt (§ 66 StGB), ist für Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB die Strafvollstreckungskammer zuständig (§§ 78a Abs. 1 Satz 2 GVG, 463 StPO).
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II.  
1. Der Beschwerdeführer war 1971 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Gleichzeitig hatte das Gericht Sicherungsverwahrung angeordnet. Strafende war der 23. Juni 1975. Im Anschluß daran wurde mit dem Vollzug der Sicherungsverwahrung begonnen.
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Am 6. Mai 1975 hatte die Strafvollstreckungskammer das Prüfungsverfahren nach § 67c Abs. 1 StGB eingeleitet. In dem zur mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers bestimmten Termin vom 19. Juni 1975 beschloß sie, ein psychologisches Gutachten darüber einzuholen, ob von dem Verurteilten im Falle seiner Entlassung weitere Straftaten zu erwarten seien. Daraufhin rügte der Verurteilte mit der Beschwerde, daß die KammerBVerfGE 42, 1 (2) BVerfGE 42, 1 (3)die Vollstreckung der Unterbringung nicht zur Bewährung ausgesetzt hatte.
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Durch Beschluß vom 16. Juli 1975 verwarf das Oberlandesgericht Hamm diese Beschwerde. In den Gründen führte es aus: Der Vollzug der durch rechtskräftiges Urteil angeordneten Sicherungsverwahrung sei nicht schon deshalb unzulässig, weil die Kammer vor Strafende noch keine Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB getroffen habe. Von einem Freiheitsentzug ohne gesetzliche Grundlage könne ebensowenig die Rede sein wie im vergleichbaren Falle des Haftprüfungsverfahrens (§§ 121, 122 StPO), in dem eine verspätete Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht nach überwiegender Meinung die Anordnung weiterer Haftfortdauer nicht ausschließe. Zwar habe die Rechtsprechung mehrfach betont, die Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB müsse so rechtzeitig stattfinden, daß vor dem Ende des Strafvollzuges eine rechtskräftige Entscheidung vorliegen könne. Damit sei jedoch nur zum Ausdruck gebracht, daß die Prüfung nicht zu früh angestellt werden dürfe, weil die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten im wesentlichen von seiner Entwicklung im Strafvollzug abhänge. Lediglich mit Rücksicht darauf, daß die Prüfung eine gewisse Zeit brauche, müsse sie schon vor dem Ende des Strafvollzuges beginnen. Im vorliegenden Falle komme es nicht darauf an, ob die Strafvollstreckungskammer rechtzeitig hätte entscheiden können, ganz abgesehen davon, daß sie die Sache zügig bearbeitet habe. Wenn sie sich im Termin vom 19. Juni 1975 noch kein abschließendes Bild habe machen können, so sei es nicht zu beanstanden, daß sie eine weitere Begutachtung angeordnet habe.
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2. Nach Eingang des Gutachtens wurde der Beschwerdeführer durch Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 16. Oktober 1975 zum 12. November 1975 bedingt aus der Sicherungsverwahrung entlassen und unter Führungsaufsicht gestellt, da er nunmehr eine ausreichende Gewähr dafür biete, ein Leben in Freiheit zu führen, ohne erneut straffällig zu werden.BVerfGE 42, 1 (3)
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BVerfGE 42, 1 (4)III.  
1. Mit der am 31. Juli 1975 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts macht der Beschwerdeführer geltend:
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Es verletze ihn in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), daß seit dem 24. Juni 1975 die Sicherungsverwahrung vollzogen werde, obgleich die Strafvollstreckungskammer zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB getroffen hatte. Das beruhe im übrigen darauf, daß sie mit der ihr obliegenden Prüfung zu spät begonnen habe und das anschließende Verfahren grundlos verzögert worden sei. Dem Vollzug der Sicherungsverwahrung fehle somit die gesetzliche Grundlage. Eine "stillschweigende Vollstreckung" der Maßregel ließen die Gesetze nicht zu; damit würde das Rechtsstaatsprinzip verleugnet und der Willkür Vorschub geleistet.
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2. Nachdem der Beschwerdeführer bedingt entlassen ist, beantragt er nunmehr festzustellen, daß der Vollzug der Sicherungsverwahrung ohne vorausgegangenen Beschluß der Strafvollstreckungskammer sein Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) verletzt habe.
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IV.  
1. Der Bundesminister der Justiz, der für die Bundesregierung Stellung genommen hat, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet:
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Die Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB sei umstritten. Der Gesetzgeber habe die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht mehr - wie noch das frühere Recht - von einer auf den Zeitpunkt des Strafendes bezogenen Gefährlichkeitsprognose abhängig gemacht. Er sei davon ausgegangen, daß eine solche, lange im voraus zu stellende Prognose die Gerichte überfordere. Deshalb komme es für die Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB allein darauf an, ob der Täter zur Zeit der UrteilsfällungBVerfGE 42, 1 (4) BVerfGE 42, 1 (5)für die Allgemeinheit gefährlich sei. Hieraus könnte geschlossen werden, daß die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung sich nicht mehr allein auf die - unter Umständen Jahre zurückliegende - Entscheidung des erkennenden Gerichts stützen lasse, sondern eine zusätzliche Prüfung der Strafvollstreckungskammer voraussetze. Dies würde bedeuten, daß der zu Sicherungsverwahrung Verurteilte nach Verbüßung der Strafe sofort freizulassen wäre, wenn die Vollstreckungskammer ihre Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB nicht rechtzeitig abgeschlossen hätte.
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Gegen diese Folgerung sprächen jedoch gewichtige Gründe. Würde im Fall einer nicht rechtzeitigen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer das auf Sicherungsverwahrung lautende Urteil "stillschweigend seine Wirksamkeit verlieren", so hinge die Vollstreckung der Maßregel gegebenenfalls von Umständen ab, auf die das Gericht keinen Einfluß habe. Auch sei zu bezweifeln, ob es dem Sinn der Maßregel entspräche, einen Schwerverbrecher, bei dem nach Lage der Dinge der Vollzug der Sicherungsverwahrung zu erwarten sei, allein deshalb auf freien Fuß zu setzen, weil die Strafvollstreckungskammer nicht rechtzeitig entschieden habe.
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Da die Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB durch das Oberlandesgericht mit guten Gründen vertreten werden könne, fehle es der Freiheitsentziehung nicht an einer gesetzlichen Grundlage. Ob verfassungsrechtliche Bedenken dann geltend zu machen wären, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung ganz unterbleibe oder grundlos verzögert werde, bedürfe keiner Entscheidung; denn ein solcher Fall liege nicht vor.
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2. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat von der ihm gegebenen Gelegenheit, sich zur Verfassungsbeschwerde zu äußern, keinen Gebrauch gemacht.
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B. - I.
 
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
18
Das Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts besteht fort. Zwar kommt eine AufBVerfGE 42, 1 (5)BVerfGE 42, 1 (6)hebung der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht mehr in Frage, da der Beschwerdeführer sein Ziel, aus der Sicherungsverwahrung entlassen zu werden, inzwischen erreicht hat. Gleichwohl verbleibt ihm aber ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, ob der Vollzug der Sicherungsverwahrung verfassungsgemäß war. Denn es würde der Bedeutung des Schutzes der persönlichen Freiheit, wie ihn das Grundgesetz garantiert, nicht entsprechen, wenn das Recht auf gerichtliche Klärung einer behaupteten Freiheitsverletzung bei Wiedergewährung der Freiheit ohne weiteres entfiele (BVerfGE 10, 302 [308]).
19
II.  
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
20
Die angegriffene Entscheidung und der Vollzug der Sicherungsverwahrung verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten, insbesondere nicht in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 und 2 GG).
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1. Es ist verfassungsgemäß, die Bestimmungen der §§ 66, 67c Abs. 1 StGB dahin auszulegen, daß der Vollzug der im Strafurteil angeordneten Sicherungsverwahrung auch dann zulässig ist, wenn die Strafvollstreckungskammer bei Strafende die Prüfung der Erforderlichkeit des Maßregelvollzuges zwar begonnen, aber noch nicht mit einer Entscheidung zum Abschluß gebracht hat. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Zeit zwischen dem Strafende und der Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB beruht auch in diesem Falle auf einem förmlichen Gesetz (Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 Satz 1 GG) und einer richterlichen Entscheidung (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Denn Grundlage dieses Freiheitsentzuges ist die gemäß § 66 StGB getroffene Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil des erkennenden Gerichts. Diese Grundlage reicht aus, um den Vollzug der Sicherungsverwahrung bis zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vor der Verfassung zu rechtfertigen.
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a) Aus der Betrachtung des Verhältnisses, das zwischen derBVerfGE 42, 1 (6) BVerfGE 42, 1 (7)Anordnung der Maßregel im Strafurteil (§ 66 StGB) und der dem Vollstreckungsgericht obliegenden Prüfung (§ 67c Abs. 1 StGB) besteht, ergibt sich nichts Gegenteiliges.
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Allerdings ist es der erklärte Zweck der in den §§ 66, 67c Abs. 1 StGB getroffenen Regelung, das erkennende Gericht der Schwierigkeit zu entheben, bereits im Zeitpunkt der Urteilsfällung prognostizieren zu müssen, ob am Ende eines - womöglich langjährigen - Strafvollzuges der Verurteilte für die Allgemeinheit noch so gefährlich sein wird, daß anschließende Sicherungsverwahrung erforderlich ist. Dieser Gedanke hatte bereits in einem frühen Stadium der Bemühungen um eine Strafrechtsreform zu dem Vorschlag geführt, bei Strafende eine besondere gerichtliche Prüfung einzuschalten, die - unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug - ein zeitnahes und darum verläßliches Urteil darüber erlaubt, ob von dem Verurteilten jetzt noch eine Gefahr ausgeht, die den Vollzug der Sicherungsverwahrung gebietet. Dieser Vorschlag - 1955 in der Großen Strafrechtskommission von Sieverts entwickelt (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 3. Band, 32. Sitzung, S. 160 und 363) - fand als § 105 Abs. 3 StGB Eingang in die Strafgesetzbuchentwürfe von 1960 und 1962 (E 1960, BTDrucks III/2150; E 1962, BTDrucks IV/650, S. 28, 236 f) und wurde dann mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts in § 42g Abs. 1 StGB und später mit dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts in § 67c Abs. 1 StGB geltendes Recht (vgl. BTDrucks V/4094, S. 18, 23; BTDrucks V/4095 S. 33). Seither wird allgemein angenommen, daß sich die bei Anordnung der Sicherungsverwahrung zu stellende Gefährlichkeitsprognose (§ 42e Abs. 1 Nr. 3 StGB, § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nicht mehr - wie früher - auf das Ende des Strafvollzuges ("Entlassungsprognose"), sondern auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung beziehtR (Dreher, StGB, 36 Aufl, § 67c Anm 2 A; Schönke-Schröder, StGB, 18. Aufl, § 67c Anm 1; BGH NJW 1976, S. 300; für § 42g Abs. 1 StGB bereits: Lang-Hinrichsen, LK,BVerfGE 42, 1 (7)BVerfGE 42, 1 (8) 9. Aufl, § 42g RdNr. 3; Schröder JZ 1970, S. 92 [93 f.]; Horstkotte JZ 1970, S. 152 [156]).
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Daraus folgt jedoch keineswegs zwingend, daß diese Gefährlichkeitsprognose, die für jede Anordnung der Sicherungsverwahrung Voraussetzung ist (§ 66 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB), nach der Urteilsfällung sogleich wieder gegenstandslos würde, ihre Gültigkeit also im Zeitpunkt des Strafendes ohne weiteres verloren hätte und darum den Vollzug der Sicherungsverwahrung bis zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht rechtfertigen könnte. Vielmehr sprechen gute Gründe dafür, das Verhältnis zwischen der Anordnung der Maßregel im Strafurteil und der nach § 67c Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung dahin zu bestimmen, daß die Gefährlichkeitsprognose des erkennenden Gerichts - ungeachtet des Zeitpunkts, für den sie gestellt ist - solange maßgebend bleibt, bis die Strafvollstreckungskammer unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten während des Strafvollzuges darüber entschieden hat, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Bei diesem Verständnis der gesetzlichen Regelung steht die dem Strafurteil zugrundeliegende Gefährlichkeitsprognose gewissermaßen unter der "auflösenden Bedingung" einer abweichenden Beurteilung durch das Vollstreckungsgericht, dem die Möglichkeit eingeräumt ist, die bei Urteilsfällung gestellte Prognose aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung nachträglich zu revidieren (in diese Richtung weisen bereits Äußerungen von Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl, § 68 I D 4 und Petters-Preisendanz, StGB, 29. Aufl, § 67c Anm 1). Diese Auslegung, bei der die Vollstreckung der Maßregel noch vor dem Abschluß des in § 67c Abs. 1 StGB normierten Prüfungsverfahrens sowohl auf Gesetz als auch auf richterlicher Entscheidung beruht, ist nicht nur vertretbar, sondern liegt darüber hinaus nahe. Dies zeigt sich schon daran, daß andernfalls kaum zu verstehen wäre, wieso das Gesetz im Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB nicht die Sicherungsverwahrung als solche, sondern nur ihren Vollzug zurBVerfGE 42, 1 (8)BVerfGE 42, 1 (9) Disposition des Vollstreckungsgerichts stellt: dieses Gericht kann lediglich die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung aussetzen; die Befugnis, die Sicherungsverwahrung selbst für erledigt zu erklären, hat es in diesem Verfahren nicht (so schon die Begründung zu § 105 Abs. 3 des E 1962, BTDrucks IV/650, S. 237).
25
b) Auch für sich gesehen begründet § 67c Abs. 1 StGB keine gesetzliche Pflicht, den Verurteilten auf freien Fuß zu setzen, falls die Strafvollstreckungskammer die ihr obliegende Entscheidung bei Strafende noch nicht getroffen hat (so auch: Dreher, StGB, 36. Auf, § 67c, Anm 2 A; Pohlmann, Rechtspfleger 1970, S. 265 [271]; ders, StVollstrO, 5. Aufl, § 44, Anm I 1b; aA: Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl, § 42g RdNr. 7 und offenbar auch Maetzel NJW 1970, S. 1263).
26
Nach dem Gesetzeswortlaut "prüft das Gericht vor dem Ende des Vollzugs der Strafe", ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Diese Formulierung läßt ohne Schwierigkeiten die Auslegung zu, daß die in Rede stehende Prüfung zwar vor dem Ende des Strafvollzuges begonnen haben muß, nicht aber stets schon abgeschlossen zu sein braucht. Darüber hinaus ist der Bestimmung auch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte und des Gesetzeszwecks nicht zu entnehmen, daß eine verspätete Prüfung in jedem Falle zur Freilassung des Verurteilten führen soll. Mit Recht hat der Bundesjustizminister ausgeführt, es sei zu bezweifeln, ob es dem Sinn der Sicherungsverwahrung entspräche, müßte ein für die Allgemeinheit gefährlicher Hangtäter allein deshalb auf freien Fuß gesetzt werden, weil das Gericht nicht rechtzeitig darüber entscheiden konnte, ob das Risiko der Entlassung in die Freiheit verantwortet werden kann. Von Gewicht ist auch der Hinweis des Oberlandesgerichts, daß nach überwiegender Meinung (vgl. Dünnebier in: Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl, § 121 Anm 10 mit Nachweisen) - im Haftprüfungsverfahren (§§ 121, 122 StPO) eine verspätete Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht keine Pflicht zur Haftentlassung begründe und derBVerfGE 42, 1 (9) BVerfGE 42, 1 (10)Anordnung weiterer Haftfortdauer nicht entgegenstehe. Denn wenn selbst der Untersuchungsgefangene, für den die Unschuldsvermutung streitet (vgl. BVerfGE 19, 342 [347]; 20, 45 [49]; 20, 144 [147]; 34, 369 [379]; 34, 384 [395 f.]), in solchem Falle den Freiheitsentzug hinnehmen muß, dann leuchtet nicht ein, wieso bei vergleichbarer Sachlage der bereits rechtskräftig zu Sicherungsverwahrung Verurteilte vom Vollzug dieser Maßregel verschont bleiben soll.
27
Schließlich kommt noch hinzu, daß die vom Oberlandesgericht vertretene Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB Unzuträglichkeiten vermeidet. Wäre der Verurteilte freizulassen, wenn bei Strafende noch keine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorliegt, dann ließe sich der Zeitpunkt, in dem die Prüfung beginnen muß, nur schwer in sachgerechter Weise bestimmen. Würde die Prüfung schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eingeleitet, so fehlte der Strafvollstreckungskammer ein Teil der Entscheidungsgrundlage, weil sie nicht zuverlässig beurteilen könnte, ob die Strafe, von der ein nicht unbeträchtlicher Teil noch gar nicht verbüßt ist, auf den Verurteilten derart gewirkt hat, daß sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung erübrigt. Rückte die Strafvollstreckungskammer jedoch ihre Prüfung sehr nahe an das Ende des Strafvollzuges heran, so geriete sie in Gefahr, die Entscheidung aus verfahrenstechnischen Gründen nicht mehr rechtzeitig treffen zu können. Aus der Sicht des Verurteilten würde dies einen verstärkten Anreiz zur Verfahrensverzögerung bedeuten, während das Gericht sich zunehmend der Versuchung ausgesetzt sähe, unter Hintanstellung sachlicher Erwägungen auf jeden Fall zeitgerecht zu entscheiden. Ein derartiger "Wettlauf", dessen Ausgang nicht selten von Zufällen abhängen würde, wäre mit den Interessen einer geordneten Strafrechtspflege (vgl. dazu: BVerfGE 41, 246 [250]; 39, 156 [163] mit weiteren Nachweisen) schwerlich vereinbar.
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2. Bestehen hiernach gegen den Vollzug der Sicherungsverwahrung auch vor Abschluß des in § 67c Abs. 1 StGB vorgeBVerfGE 42, 1 (10)BVerfGE 42, 1 (11)sehenen Prüfungsverfahrens grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, so verletzt doch andererseits eine solche Unterbringung den Verurteilten dann in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit, wenn die Strafvollstreckungskammer entweder bei Strafende mit der ihr obliegenden Prüfung ohne vertretbaren Grund noch nicht begonnen hat oder aber trotz rechtzeitig eingeleiteter Prüfung die Entscheidung infolge vermeidbarer Fehler oder Verzögerungen nicht binnen angemessener Frist zu treffen vermag. Denn auch insoweit gilt das Beschleunigungsgebot, wie es vom Bundesverfassungsgericht bereits für das Verfahren in Haftsachen entwickelt und in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden ist (BVerfGE 36, 264 [273] mit Nachweisen). Dafür, daß es hier verletzt wäre, bietet der vorliegende Fall jedoch keinen Anhaltspunkt. Die Strafvollstreckungskammer hatte die vorgeschriebene Prüfung am 6. Mai 1975, also etwa anderthalb Monate vor dem Strafende, eingeleitet und ohne vermeidbare Verzögerungen zum Abschluß gebracht. Daß gegen den Beschwerdeführer in der Zeit zwischen dem Strafende und seiner bedingten Entlassung durch das Vollstreckungsgericht die Sicherungsverwahrung vollzogen wurde, ist daher von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
29
III.  
Diese Entscheidung ist mit sechs gegen zwei Stimmen ergangen.
30
Zeidler Geiger Rinck Wand Hirsch Rottmann Niebler Steinberger  
 
Abweichende Meinung des Richters Hirsch zu dem Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9.März 1976 -2 BvR 618/75-.
 
Der vorstehenden Mehrheitsmeinung vermag ich mich nicht anzuschließen.BVerfGE 42, 1 (11)
31
BVerfGE 42, 1 (12)Der angegriffene Beschluß und der Vollzug der Sicherungsverwahrung seit dem 24. Juni 1975 verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG). Das Verfassungsgebot vorgängiger richterlicher Entscheidung in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG läßt eine Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB nur dahingehend zu, daß das Prüfungsverfahren vor Beginn der Vollstreckung der freiheitsentziehenden Maßregel erfolgen, dh so rechtzeitig vorbereitet und eingeleitet werden muß, daß es vor dem Ende des Vollzuges der Strafe zu einer abschließenden Entscheidung führt.
32
1. Grundlage für die Entziehung der persönlichen Freiheit ist das Vorliegen eines formellen Gesetzes (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG) und eine vorherige richterliche Entscheidung (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Jede zwangsweise Unterbringung ohne diese Voraussetzungen ist ein verfassungswidriger Eingriff in die Freiheit der PersonL (BVerfGE 22, 180 [218 f.]; vgl. Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz Bd II, 1973, Art. 104 Erl 19, 23, 26).
33
In der Konkretisierung dieser Voraussetzungen im einfachen Recht ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei (vgl. BVerfGE 9, 89 [95 f.]). Er ist allerdings verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß die jeweiligen Verfahrensnormen dem in Art. 104 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Kernbestand an rechtsstaatlichen Garantien Rechnung tragen und nicht weniger gewähren, als in diesem Kernbestand von Verfassungs wegen enthalten ist.
34
a) Die Mehrheitsmeinung läßt eine verfassungskonforme Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB am Maßstab des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG vermissen.
35
Durch das 1. und 2. Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1969 (BGBl I 645) und vom 4. Juli 1969 (BGBl 1969 I 717; 1973 I 909) hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 1975 für die Anordnung und die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ein zweistufiges Verfahren eingeführt. Nach dem früheren Recht wurde die Sicherungsverwahrung aufgrund derBVerfGE 42, 1 (12) BVerfGE 42, 1 (13)Anordnung des Richters im Strafurteil vollstreckt, die auf einer auf das Strafende abgestellten Gefährlichkeitsprognose beruhte (§ 42e StGB aF). Nach den neuen Bestimmungen ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung einerseits dadurch erleichtert worden, daß sie aufgrund einer auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellten Gefährlichkeitsprognose ausgesprochen wird (§ 66 StGB;L vgl. BGH NJW 1971, S. 1416; Dreher, StGB, 36. Aufl, 1976, § 67c Anm 2 A; Horstkotte JZ 1970, S. 152 ff, 156; Schröder JZ 1970, S. 92 ff, 93); andererseits sind die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung erschwert worden, da sie das "äußerste Mittel der Kriminalpolitik" (Drucks V/4094 S. 23) und die "einschneidendste Maßregel" auch im geltenden Strafrecht und damit eine Maßnahme mit Ausnahmecharakter darstellt (Roxin-Stree-Zipf-Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 1974, S. 94). Der Vollzug ist nunmehr an ein besonderes Verfahren geknüpft: Das Vollstreckungsgericht hat am Ende des Vollzuges der Strafe zu prüfen, ob die dauernde Einschließung des Verurteilten erforderlich ist (§ 67c Abs. 1 StGB), wobei die Gefährlichkeitsprognose auf das Strafende abgestellt ist, um die Wirkung der Strafe auf den Verurteilten festzustellen.
36
Hat sich der Gesetzgeber angesichts der Schwere des Eingriffs, die die dauernde Einschließung des Verurteilten bedeutet, für ein solches zweistufiges Verfahren entschieden, folgt daraus, daß die Vorschriften der §§ 66 und 67c Abs. 1 StGB im Lichte des durch sie beschränkten Grundrechts der persönlichen Freiheit zu sehen sind. Prüfungsnorm für den Vollzug der Sicherungsverwahrung ist daher nicht mehr § 66 StGB, sondern die Spezialbestimmung des § 67c Abs. 1 StGB. Nur die Entscheidung der Vollstreckungskammer über den Vollzug der Sicherungsverwahrung gemäß § 67c Abs. 1 StGB ist demzufolge die in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehene richterliche Entscheidung. Daß diese Entscheidung grundsätzlich nur vor Beginn der Unterbringung in der SicherungsverwahrungBVerfGE 42, 1 (13) BVerfGE 42, 1 (14)erfolgen kann, geht sowohl aus dem Wortlaut wie aus dem Sinn des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG klar hervorL (vgl. BVerfGE 10, 302 [323]; 22, 311 [317]; Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O., Erl 23, 26, 34 ff). Daraus folgt, daß eine Vollstreckung der Sicherungsverwahrung solange unzulässig ist, als eine solche Entscheidung des Vollstreckungsgerichts noch nicht ergangen ist.
37
Es ist daher nicht zulässig, dieses Ergebnis dadurch zu umgehen, indem man wie die Mehrheitsmeinung als Grundlage für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Anordnung der Maßregel im Strafurteil ansieht, wenn eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts bei Strafende noch nicht vorliegt. Dies kommt einem Rückfall in den alten bis zum Inkrafttreten des 1. und 2. Strafrechtsreformgesetzes geltenden Rechtszustand gleich (§ 42e StGB aF), der in den §§ 66, 67c Abs. 1 StGB ausdrücklich neu gestaltet worden ist. Die Mehrheitsmeinung konstruiert aus der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Strafurteil gewissermaßen einen Hilfs- oder Auffangtatbestand für den Vollzug der Sicherungsverwahrung, wenn das Vollstreckungsgericht seine Prüfung nicht rechtzeitig abgeschlossen hat, ein Ergebnis, das der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 67c Abs. 1 StGB gerade ausgeschlossen hat. Ebensowenig ist es angängig, die Anordnung im Strafurteil als fortwirkend unter der "auflösenden Bedingung" einer abweichenden Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht anzusehen. Die Anordnung der Maßregel im Strafurteil ist nach geltendem Recht für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung lediglich materiellrechtliche Voraussetzung ohne konstitutive Wirkung; konstitutive Wirkung für die Vollstreckung hat nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers ausschließlich die vorherige Entscheidung des Vollstreckungsgerichts.
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b) Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument der Mehrheitsmeinung, ihre Ansicht werde auch dadurch gestützt, daß das Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB dem Vollstreckungsgericht nur die Befugnis zuerkenne, die Vollstreckung zur BeBVerfGE 42, 1 (14)BVerfGE 42, 1 (15)währung auszusetzen, nicht aber sie für erledigt zu erklären. Denn dieses Argument betrifft Fragen, auf die es in dem vorliegenden Verfahren gar nicht ankommt. Bei den Beratungen zur Strafrechtsreform war nämlich umstritten gewesen, ob im Falle einer positiven Prognose auf den Vollzug der Sicherungsverwahrung endgültig verzichtet werden könne oder ob lediglich ihre Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen sei. Der Gesetzgeber hat sich für die Aussetzung zur Bewährung entschieden, weil die Einwirkung auf den Verurteilten allein mit den Mitteln des Strafvollzuges noch kein abschließendes Urteil darüber erlaubt, ob auf den Vollzug der Maßregel endgültig verzichtet werden kann (so schon die Amtliche Begründung zu § 105 Abs. 3 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches 1962, Drucks IV/650, S. 237, in: Materialien zum Entwurf eines Strafgesetzbuches - E 1962 - Bd 2; Bundesratsvorlage zum Entwurf 1962, Drucks 200/62, S. 237). Im vorliegenden Fall geht es aber umgekehrt um die Frage, wie zu verfahren ist, wenn es an einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts (am Ende des Vollzuges der Strafe) fehlt. Der Verurteilte ist in diesem Falle vorläufig auf freien Fuß zu setzen. Dies bedeutet keineswegs eine - stillschweigende - "Erledigungserklärung", sondern ist notwendige Folge in den Fällen, in denen das Vollstreckungsgericht nicht rechtzeitig entscheidet, weil dann die erforderliche richterliche Entscheidung für die weitere Einschließung des Verurteilten nicht vorliegt. Auch in diesem Fall gilt die Regelung des § 67c Abs. 1 StGB: Fällt die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts negativ aus, ordnet es die Unterbringung des (vorläufig auf freien Fuß gesetzten) Verurteilten an.
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2. Eine andere Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB ist im übrigen auch nach einfachem Recht nicht möglich.
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Der Begriff der "Prüfung" im Sinne dieser Vorschrift bedeutet "Entscheidung". Dies folgt bereits aus Wortlaut und Sinngehalt des Wortes "prüfen" (vgl. Trübners Deutsches Wörterbuch, 5. Band, Berlin 1954, 217 f; vgl. auch J. undBVerfGE 42, 1 (15)BVerfGE 42, 1 (16) W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 7. Bd, 1. Lieferung, Leipzig 1881, S. 2182 Ziff 1 und 4), aber auch aus Sinn und Zweck des Gesetzes. Daraus ergibt sich zweierlei:
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a) Die Entscheidungskompetenz umfaßt sowohl den positiven wie den negativen Fall. Dies ist eine so selbstverständliche Folgerung, daß der Gesetzgeber auf eine explicite Regelung verzichten konnte. Sie ergibt sich im übrigen auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Schon in den zu § 105 Abs. 3 des Regierungsentwurfs eines Strafgesetzbuches 1962 gegebenen amtlichen Erläuterungen wurde ausgeführt, daß das Gericht entweder die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung bei positiver Prognose aussetze oder aber die Überweisung in den Vollzug anordne, wenn der Zweck der Maßregel und das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit dies erforderten (24. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Materialien, a.a.O., Bd 4, 465; vgl. auch Grünwald, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd 76, 1964, 660 ff, 661). Auch in den Beratungen zu § 42g StGB aF, der mit § 67c Abs. 1 StGB inhaltsgleich ist, wurde ausgeführt, daß aus § 42g StGB "klar (hervorgehe), daß am Ende des Vollzuges der Strafe über die Einweisung in die Sicherungsverwahrung zu entscheiden" sei (132. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform am 6. Februar 1969, Materialien zur Strafrechtsreform, Bd 4, 2735).
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b) Aus der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts folgt ferner, daß die abschließende Entscheidung vor dem Ende des Vollzuges der Strafe erfolgen muß. Die Ansicht der Mehrheit, daß man den Begriff der "Prüfung" auch dahingehend auslegen könne, daß die Prüfung lediglich vor Ende des Vollzuges der Strafe eingeleitet, nicht aber stets schon abgeschlossen sein muß, vermag nicht zu überzeugen. Wenn Prüfung notwendig Entscheidung bedeutet und der Gesetzgeber dieses Verfahren aus guten Gründen an das Ende der Strafverbüßung angesiedelt hat, ist eine solche Auslegung nicht möglich. Fehl geht insbesondere die von der Mehrheitsmeinung herangezogeneBVerfGE 42, 1 (16) BVerfGE 42, 1 (17)Analogie zum Haftprüfungsverfahren (§§ 121, 122 StPO), bei dem nach überwiegender Meinung eine verspätete Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht keine Pflicht zur Haftentlassung begründet und einer Anordnung weiterer Haftfortdauer nicht entgegenstehtR (Kleinknecht, StPO, 32. Aufl, § 121, Erl 4; ders, MDR 1965, S. 781 ff, 787; ders, JZ 1965, S. 113 ff, 119; Dünnebier JZ 1966, S. 251; OLG Karlsruhe, NJW 1973, S. 1659; OLG Frankfurt/Main, 3. Strafsenat, NJW 1967, S. 2170 gegen 1. Strafsenat NJW 1965, S. 1731; OLG Braunschweig NJW 1966, S. 790; OLG Hamm NJW 1965, S. 2312; aA OLG Frankfurt NJW 1965, S. 1731 und OLG Schleswig NJW 1965, S. 2119 f; Mehling, NJW 1966, S. 142). Eine vergleichbare Sachlage ist hier schon deswegen nicht gegeben, weil es nicht um die Frage der verspäteten Aktenvorlage geht, sondern darum, daß zwar die Akten vor Fristablauf vorgelegt wurden, das zuständige Gericht aber nicht rechtzeitig entschieden hat. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Untersuchungshaft eine ausdrückliche Regelung in § 121 Abs. 3 Satz 1 StPO getroffen, während für einen solchen Fall im Recht der Sicherungsverwahrung keine Regelung vorgesehen ist. Ob im übrigen die genannte Praxis der Oberlandesgerichte, nach der es zulässig sein soll, daß die Untersuchungshaft fortdauert, auch wenn die Akten erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist (§ 121 Abs. 1 StPO) vorgelegt werden, verfassungsgerecht ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls können aus dieser Praxis keine Schlüsse auf die Zulässigkeit der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall gezogen werden.
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Das Erfordernis rechtzeitiger Entscheidung über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung kommt auch in der Vorschrift des § 67e StGB zum Ausdruck. Danach kann das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist (Abs. 1). Hierfür sind bestimmte Fristen festgesetzt (Abs. 2). Die Fristen laufen "von Beginn derBVerfGE 42, 1 (17) BVerfGE 42, 1 (18)Unterbringung an. Lehnt das Gericht die Aussetzung ab, so beginnen die Fristen mit der Entscheidung von neuem" (Abs. 4). Daran wird deutlich, daß der Sinn solcher Prüfungsverfahren nur der sein kann, rechtzeitig zu dem von dem Gesetzgeber normierten Zeitpunkt eine abschließende Entscheidung zu treffen. Daß dies vom Gesetzgeber so gewollt ist, ergibt sich im übrigen auch aus der Entstehungsgeschichte des § 67c Abs. 1 StGB. Schon in der Amtlichen Begründung zu § 105 Abs. 3 des Regierungsentwurfs eines Strafgesetzbuches 1962 ist aufgeführt, daß das Vollstreckungsgericht die Prüfung rechtzeitig vor dem Ende des Vollzuges der Strafe vorzunehmen hat (Drucks IV/650, 237, in: Materialien, a.a.O.). Dieser Grundgedanke hat sich auch in Schrifttum (Horstkotte JZ 1970, S. 153 ff, 156; Schröder JZ 1970, S. 92 ff, 94; Schönke-Schröder StGB, 18. Aufl, 1976, § 67c, RdNr. 5; Lang-Hinrichsen, Leipziger Kommentar, 9. Aufl, 1974, § 42 f aF, Rdnrn 3, 5, 7; aA Pohlmann, Rechtspfleger 1970, S. 265 ff, 271 f) und Rechtsprechung durchgesetzt. § 67c Abs. 1 StGB ist von den Oberlandesgerichten bisher dahingehend ausgelegt worden, daß die Prüfung einerseits verhältnismäßig kurzfristig vor dem Ende des Vollzuges der Strafe vorzunehmen sei, um die Wirkung der Strafe auf den Verurteilten festzustellen, gleichwohl aber so rechtzeitig - allenfalls wenige Monate vor Strafende - erfolgen müsse, daß noch ein rechtskräftiger Abschluß des Prüfungsverfahrens (vgl. §§ 463 Abs. 2, 454 Abs. 2 StPO) möglich istR (OLG Düsseldorf NJW 1974, S. 198 mit Anm Maetzel NJW 1974, S. 614; OLG Hamm JMBlNRW 1971, S. 91 und GA 1972, S. 373; OLG Hamburg MDR 1975, S. 70; OLG Karlsruhe MDR 1975, S. 1040; vgl. BGH NJW 1971, S. 1416).
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3. Schließlich vermag auch die Ansicht der Mehrheit, daß von der hier vertretenen Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB Unzuträglichkeiten in der Praxis zu befürchten seien, nicht zu überzeugen. Es ist nicht einzusehen, warum sich der Zeitpunkt, in dem die Prüfung einzuleiten ist, schwieriger bestimmen lassenBVerfGE 42, 1 (18) BVerfGE 42, 1 (19)sollte als in anderen Fällen fristgebundener Prüfungsverfahren. Die genannte Rechtsprechung der Oberlandesgerichte enthält ausreichende Kriterien, wann eine solche Prüfung sachgerecht anzusetzen ist.
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Auch die Befürchtung der Mehrheitsmeinung, es könnte zu einem "Wettlauf" zwischen Gericht und Verurteilten kommen, wenn der Zeitpunkt des Strafendes als Ausschlußfrist für eine Entscheidung gälte, ist abgesehen davon, daß es sich dabei um rechtspolitische Überlegungen handelt, nicht überzeugend. Der von den Oberlandesgerichten genannte mehrmonatige Zeitraum vor Strafende bietet genügend Spielraum, um das Verfahren mit der notwendigen Beschleunigung (vgl. §§ 72, 77 StPO) durchzuführen. Eine falsche Planung darf nicht dazu führen, den Betroffenen nach Strafverbüßung weiterhin festzuhalten, um die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts abzuwarten.
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Schließlich ist das Argument der Mehrheitsmeinung, es sei zu befürchten, daß Hangtäter, bei denen der Maßregelvollzug zu erwarten sei, allein deshalb auf freien Fuß zu setzen seien, weil eine rechtzeitige Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nicht vorliege, nicht überzeugend. Die Zahl der denkbaren Fälle dürfte ohnehin nur gering sein, da die Zahl der Sicherungsverwahrten stark zurückgegangen ist (Stand 28.2.1974: 377). Daraus folgt, daß die Zahl der Prüfungsfälle hinsichtlich der Erstvollstreckung der Sicherungsverwahrung nicht so hoch ist, als daß sie nicht rechtzeitig abgeschlossen werden könnten. Es ist unzulässig, aus der Möglichkeit der nicht rechtzeitigen Prüfung, die nur auf falscher Fristberechnung beruhen kann, auf die rechtliche Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung ohne die erforderliche richterliche Anordnung zu schließen. Dieser Grundsatz gilt auch für zu Sicherungsverwahrung verurteilte Täter, bei denen erst die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer eine Klärung erbringen kann, ob die Voraussetzungen des § 66 StGB auch nach der Strafverbüßung noch gegeben sind. Das heißt, erst diese gerichtliche EntBVerfGE 42, 1 (19)BVerfGE 42, 1 (20)scheidung vermag festzustellen, ob der Verurteilte auch jetzt noch als ein gefährlicher Hangtäter anzusehen ist, dessen Verwahrung zum Schutze der Allgemeinheit notwendig ist.
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In der vorliegenden Sache war somit die Einleitung des Prüfungsverfahrens durch die Strafvollstreckungskammer erst am 6. Mai 1975, also nur etwa eineinhalb Monate vor Strafende, bedenklich. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung seit dem 24. Juni 1975 bis zu der verspätet - erst am 27. Oktober 1975 - ausgesprochenen bedingten Entlassung des Beschwerdeführers zum 12. November 1975 hatte zur Folge, daß er mehrere Monate zu Unrecht seiner Freiheit beraubt worden ist. Dies ist von Verfassungs wegen zu beanstanden, weil damit die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt worden sind.
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HirschBVerfGE 42, 1 (20)  
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