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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1991 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen K. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
1. Art. 269 und Art. 270 BStP; Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde. |
2. Art. 63 ff. und Art. 70 ff. StGB, Art. 6 Ziff. 1 EMRK. |
Verletzung des Beschleunigungsgebotes im Strafverfahren; Sanktionsmöglichkeiten (z.B. Herabsetzung der Strafe, Verzicht auf Strafe, Verfahrenseinstellung). Verpflichtung des Richters, die Verletzung im Urteil ausdrücklich festzuhalten und darzulegen, wie und in welchem Ausmass er diesen Umstand berücksichtigt hat (E. 3 und 4). | |
Sachverhalt | |
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt dagegen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Auflage, dass auf die Anklage einzutreten sei. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht, da das Kassationsgericht - im Gegensatz zum Obergericht - die massgebenden Verfahrensvorschriften der Art. 70, 71 und 72 StGB nicht angewendet habe; es könne nicht Aufgabe des Richters sein, jedes Bundesgesetz auf seine Übereinstimmung mit der EMRK zu überprüfen. Die Vorinstanz ging in der Tat davon aus, es gehe letztlich um die materiellrechtliche Frage, in welchem Ausmass sich die Verfahrensverzögerung auf die weitere Verfolgung des staatlichen Strafanspruchs auswirke und gegebenenfalls den staatlichen Strafanspruch "zum Untergang bringen" könne.
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Im Ergebnis hat die Vorinstanz die Strafbestimmungen des eidgenössischen Rechts, deren Verletzung dem Beschwerdegegner angelastet wird, nicht angewendet mit der Begründung, unter den konkreten Umständen ergebe sich die Pflicht zur Verfahrenseinstellung aus höherrangigem Recht. Damit steht die Anwendung bzw. Nichtanwendung von Bundesrecht zur Diskussion. Die Frage, ob eine kantonale Instanz eine bundesrechtliche Strafbestimmung zu Recht nicht angewendet hat, weil eine Verurteilung mit der EMRK nicht zu vereinbaren wäre, kann daher mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde aufgeworfen werden (vgl. BGE 114 IV 119 E. bb). Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.
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Der Endzeitpunkt, auf welchen es für die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommen soll, ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die letzte Entscheidung in der Sache; insbesondere sollen auch alle Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen, einschliesslich Rückweisungen und Kassationen, mitberücksichtigt werden (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 314 mit Hinweisen). Ob dies in dieser allgemeinen Form zutreffend ist, erscheint fraglich (vgl. MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. zur abweichenden deutschen Praxis, wonach nur die Verfahrensdauer bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in Betracht gezogen wird und insbesondere Verfassungsbeschwerden die relevante Verfahrensdauer nicht verlängern).
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Nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe gibt es keine bestimmte Zeitgrenzen, deren Überschreitung ohne weiteres eine ![]() | 10 |
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Die EMRK selbst sieht eine eigenständige Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes ebenfalls nicht vor. Mit der Individualbeschwerde kann der Betroffene nur die deklaratorische Feststellung einer Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und die Festsetzung einer Entschädigung erwirken (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 327). Zu Recht wird jedoch angenommen, dass die Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht folgenlos bleiben soll.
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Die Schweiz ist jedenfalls zur Wiedergutmachung im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten verpflichtet (vgl. MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 328). Wie dargelegt, bestehen jedoch in dieser Hinsicht, beschränkt man sich auf die ausdrücklich geregelten Rechtsfolgen, bundesrechtlich keine ausreichenden Sanktionsmöglichkeiten, soweit nicht im Einzelfall zufolge Eintritts der absoluten Verjährung das Verfahren ohnehin einzustellen ist oder ![]() | 13 |
b) Es stellt sich deshalb die Frage, ob aufgrund der EMRK von Bundesrechts wegen in freier Rechtsfindung praeter legem weitere Sanktionsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist zu vermuten, dass der eidgenössische Gesetzgeber staatsvertragliche Verpflichtungen beachten wollte, es sei denn, er habe einen Widerspruch zum internationalen Recht bewusst in Kauf genommen (BGE 99 Ib 39 ff.; bestätigt in BGE 112 II 13, BGE 116 IV 268 E. 3cc). Hinzu kommt, dass sich die Eidgenossenschaft gemäss Art. 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (SR 0.111) nicht auf ihr innerstaatliches Recht als Rechtfertigung einer Vertragsverletzung berufen darf (BGE 116 IV 269 mit Hinweisen).
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Mit der Ratifikation der europäischen Menschenrechtskonvention ist die Schweiz die Verpflichtung eingegangen, primär eine überlange Verfahrensdauer zu vermeiden und sekundär im Falle einer Verletzung dieser Pflicht die dem Betroffenen entstandenen Nachteile soweit wie möglich auszugleichen. Es ist nicht anzunehmen, dass der eidgenössische Gesetzgeber sich in Widerspruch zu diesen Pflichten stellen wollte. Soweit also im Einzelfall einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht dadurch Rechnung getragen werden kann, dass das Verfahren wegen Verjährung eingestellt oder die Strafe wegen des Zeitablaufes gemildert wird, ist es prinzipiell zulässig, aus der EMRK ergänzende Rechtsgrundsätze herzuleiten.
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c) Nach Auffassung der europäischen Menschenrechtskommission ist ein Recht auf Verfahrenseinstellung aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht grundsätzlich auszuschliessen, doch kommt es, wenn überhaupt, nur in ganz aussergewöhnlichen Fällen in Betracht (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 329; ebenso das deutsche Bundesverfassungsgericht, EuGRZ 1984, S. 94). MIEHSLER/VOGLER stellen die Rechtslage wie folgt dar: In Fällen, in denen das Ausmass der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiege und in denen die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten (beispielsweise mit Untersuchungshaft von längerer Dauer) verbunden gewesen sei, könne aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden. Ein solches komme jedoch erst dann in Betracht, wenn in Anwendung und Auslegung des Straf- und Strafverfahrensrechts ![]() | 17 |
d) Zusammenfassend sind bei einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes folgende Sanktionen möglich:
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- Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung im Rahmen der Strafzumessung,
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- Einstellung des Verfahrens zufolge eingetretener Verjährung,
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- Schuldigsprechung des Täters unter gleichzeitigem Verzicht auf Strafe sowie
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- Verfahrenseinstellung (als ultima ratio in extremen Fällen).
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Überdies ist der Richter verpflichtet, die Verletzung des Beschleunigungsgebotes in seinem Urteil ausdrücklich festzuhalten und gegebenenfalls darzulegen, in welchem Ausmass er diesen Umstand berücksichtigt hat.
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e) Nach dem Gesagten erscheint die Auffassung der Vorinstanz, in extremen Fällen komme als Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes nur noch die Verfahrenseinstellung in Betracht, nicht als bundesrechtswidrig. Allerdings kann diese Möglichkeit nur als ultima ratio in Erwägung gezogen werden. Nur wenn dargelegt und begründet wird, weshalb der Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht auch auf dem Wege der Strafzumessung oder gegebenenfalls dadurch Rechnung getragen werden kann, dass der Betroffene zwar schuldig gesprochen, von Strafe aber Umgang genommen wird, darf von der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung Gebrauch gemacht werden.
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Bei der Frage nach der Sanktion einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist überdies folgenden Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Zu berücksichtigen ist einerseits, wie schwer der Beschuldigte durch die Verfahrensverzögerung getroffen wurde, andererseits, wie gravierend die ihm vorgeworfenen Straftaten sind und welche Strafe ausgesprochen werden müsste, wenn keine ![]() | 25 |
f) Im Lichte dieser Grundsätze erweist sich die angefochtene Entscheidung als bundesrechtswidrig. Sie betont zwar, dass die Sanktion der Verfahrenseinstellung nur als ultima ratio in Betracht komme, ohne jedoch zu begründen, weshalb eine weniger weitgehende Sanktion im vorliegenden Fall zum Ausgleich der erlittenen Unbill nicht ausreicht. Ebenso geht sie nicht darauf ein, ob und inwieweit Geschädigteninteressen auf dem Spiel stehen. Sie legt auch nicht über abstrakte Erwägungen hinausgehend dar, dass und inwieweit der Beschwerdegegner durch die Verfahrensverzögerung konkret betroffen wurde. Die Vorinstanz geht schliesslich nicht darauf ein, dass nach Auffassung des Obergerichtes für die Straftaten des Beschwerdegegners an sich eine mehrjährige Zuchthausstrafe hätte ausgesprochen werden müssen.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zu prüfen erlauben, ob im vorliegenden Fall eine Verfahrenseinstellung als Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes angezeigt war. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb gutzuheissen und das Urteil des Kassationsgerichtes aufzuheben.
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