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Informationen zum Dokument  BGE 129 III 250  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 3.4
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42. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A.P. gegen M.P. sowie Obergericht des Kantons Zürich (Berufung)
 
 
5C.158/2002 vom 19. Dezember 2002
 
 
Regeste
 
Scheidung iranischer Staatsangehöriger in der Schweiz; Zuteilung der elterlichen Sorge über das gemeinsame Kind; anwendbares Recht; Ordre public; Art. 11 Abs. 1 BV; Art. 8 Abs. 3 und 4 des Niederlassungsabkommens vom 25. April 1934 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Kaiserreich Persien; Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes.  
Bestehen nach dem anwendbaren iranischen Recht keine Bedenken gegen die Zuteilung der elterlichen Sorge an den Vater, so gilt es zu prüfen, ob die Zuteilung mit dem Ordre public der Schweiz vereinbar ist. Dabei kann eine Ordre-public-Widrigkeit nicht einfach damit verneint werden, dass die Übertragung der elterlichen Sorge an den Vater das Kindeswohl nicht gefährden würde. Die Vereinbarkeit mit dem Ordre public verlangt vielmehr, dass ein Kind jenem Elternteil zugewiesen wird, bei dem seine Entwicklung voraussichtlich mehr gefördert wird bzw. bei dem es in der Entfaltung seiner Persönlichkeit am meisten unterstützt wird. Die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater verstösst im Ergebnis gegen den Ordre public, sofern nicht auch eine umfassende Beurteilung auf Grund des Kindeswohls die Übertragung nahe legt (E. 3.4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 129 III, 250 (251)A.P. und M.P., beide iranische Staatsangehörige, heirateten am 10. Mai 1996 in der Schweiz. Beide Eheleute wuchsen im Iran auf; der Ehemann, A.P., lebt seit rund 25 Jahren in der Schweiz, wo er über die Niederlassungsbewilligung verfügt. Die Ehefrau, M.P., kam Anfang 1996 in die Schweiz. Aus der Ehe ging der Sohn K., geb. 4. Dezember 1996, hervor. Am 4. August 1997 zog die Ehefrau aus der ehelichen Wohnung aus. Seither leben die Eheleute getrennt.
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Mit Urteil vom 30. November 2000 wies das Bezirksgericht Bülach die Scheidungsklage der Ehefrau (nachfolgend: Klägerin) ab und schied die Ehe der Parteien in Gutheissung der Widerklage des Ehemannes (nachfolgend: Beklagter); es stellte den Sohn unter die elterliche Sorge der Klägerin. Auf Appellation des Beklagten bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 27. Mai 2002 das bezirksgerichtliche Urteil mit Bezug auf die Übertragung der elterlichen Sorge an die Klägerin. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, auf die Nebenfolgen der Scheidung sei grundsätzlich iranisches Recht anwendbar. In der Schweiz gelte aber der Vorrang des Kindeswohls in einem umfassenderen Sinne: Angestrebt sei eine altersgerechte Entfaltungsmöglichkeit des Kindes in BGE 129 III, 250 (252)geistig-psychischer, körperlicher und sozialer Hinsicht; diesem umfassend verstandenen Kindeswohl komme Ordre-public-Charakter zu. Werde in Beachtung des Ordre public von einer gleichberechtigten Stellung beider Elternteile und einem umfassend verstandenen Kindeswohl ausgegangen, so sei das Kindeswohl im vorliegenden Fall besser gewahrt, wenn die elterliche Sorge der Klägerin zugewiesen werde.
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Mit eidgenössischer Berufung beantragt der Beklagte, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die elterliche Sorge ihm zu übertragen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen Entscheid.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 3
 
3.1 Die Parteien sind iranische Staatsangehörige. Deshalb gelangt das Niederlassungsabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Kaiserreich Persien vom 25. April 1934 (SR 0.142.114.362; nachfolgend: Abkommen) zur Anwendung. Gemäss dessen Art. 8 Abs. 3 bleiben in Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht die Angehörigen jedes der hohen vertragschliessenden Teile im Gebiete des anderen Teils den Vorschriften ihrer Heimatgesetzgebung unterworfen (Satz 1); von der Anwendung dieser Gesetze kann nur in besonderen Fällen und insofern abgewichen werden, als dies allgemein gegenüber jedem anderen fremden Staat geschieht (Satz 2). Damit ist der Ordre public angesprochen, wie er sich für die Schweiz heute aus Art. 17 IPRG ergibt (BGE 85 II 153 E. 7 S. 167 f.). Gemäss Art. 8 Abs. 4 des Abkommens umfasst das Personen-, Familien- und Erbrecht, d.h. das Personalstatut, folgende Materien: die Ehe, das eheliche Güterrecht, die Ehescheidung, die Trennung, die Mitgift, die Vaterschaft, die Abstammung, die Annahme an Kindes Statt, die Handlungsfähigkeit, die Volljährigkeit, die Vormundschaft und die Beiratschaft, die Entmündigung, (...), ferner alle andern Angelegenheiten des Familienrechts mit Einschluss aller den Personenstand betreffenden Fragen. Aufgrund dieser weiten Umschreibung ist vorliegend das iranische Heimatrecht für die Regelung des Sorgerechts massgebend. Daran ändert auch das Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA; SR 0.211.231.01) nichts, welches die Bestimmungen anderer Übereinkünfte unberührt BGE 129 III, 250 (253)lässt, an welche die Vertragsstaaten im Zeitpunkt seines Inkrafttretens gebunden sind (Art. 18 Abs. 2 MSA).
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3.2 Das iranische Familienrecht sieht für die Angehörigen der verschiedenen anerkannten Religionsgemeinschaften unterschiedliche Regelungen vor (vgl. Art. 12 und 13 der iranischen Verfassung, abgedruckt bei: BERGMANN/FERID, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 15). Für die familienrechtlichen Beziehungen der Schiiten, zu denen die Parteien gehören, ist das Zivilgesetzbuch massgebend (BERGMANN/FERID, a.a.O., Iran, S. 6). Nach Art. 1180 des iranischen Zivilgesetzbuches (IZGB) steht das minderjährige Kind unter dem "walayat" seines Vaters und der männlichen Vorfahren desselben. Sobald das Kind volljährig und verständig ist, scheidet es aus dem "walayat" aus (Art. 1193 IZGB). Das "walayat" entspricht in etwa der elterlichen Gewalt (BERGMANN/FERID, a.a.O., Iran, S. 30 Fn. 50). Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Erziehungsgewalt und der Vermögenssorge (STAUDINGER/HENRICH, Kommentar zum BGB, 13. Aufl., 1994, S. 492, Rz. 298 zu Art. 19 EGBGB). Der Mutter kommt nach Art. 1169 IZGB das Recht der Sorge für die Person der Kinder während der ersten zwei Jahre nach der Geburt zu (Satz 1). Nach dieser Zeit gebührt die Sorge dem Vater, mit Ausnahme der weiblichen Kinder, über welche der Mutter bis zur Erreichung des Alters von sieben Jahren die Sorge zusteht (Satz 2). Bei diesem Recht der "hazanat", welches im arabischen Raum als "hadana" bekannt ist, handelt es sich um einen Teilausschnitt des Personensorgerechts, welcher die Erziehungsgewalt, die Sorge für die Gesundheit sowie sonstige Massnahmen der Betreuung des Minderjährigen erfasst (STAUDINGER/HENRICH, a.a.O., S. 491, Rz. 298 zu Art. 19 EGBGB). Während das "walayat" somit unabhängig vom Alter dem Vater zusteht, obliegt die Personensorge ("hazanat") bei Knaben bis zum zweiten Altersjahr und bei Mädchen bis zum siebten Altersjahr der Mutter, danach dem Vater. Von dieser Ordnung kann gemäss Art. 1173 IZGB abgewichen werden, wenn die körperliche Gesundheit oder die moralische Erziehung des Kindes durch Vernachlässigung des Sorgerechts oder durch unmoralisches Verhalten des Vaters oder der Mutter, unter deren Sorge es steht, gefährdet ist; diesfalls kann das Gericht jede Entscheidung treffen, die es zum Schutze des Kindes für erforderlich hält. Das Gesetz vom 12. Februar 1975 über den Schutz der Familie ermöglichte gemäss Art. 12 im Falle der Unmöglichkeit des ehelichen Zusammenlebens noch in allgemeiner Weise und ohne spezielle Einschränkungen, Entscheidungen über die Erziehung der Kinder zu treffen BGE 129 III, 250 (254)(vgl. BERGMANN/FERID, a.a.O., Iran, S. 36b). Doch soll dieses Gesetz im Zuge der politischen Umwälzungen ab 1979 ausser Kraft getreten sein, wie verschiedene, von deutschen Gerichten eingeholte Rechtsgutachten ergeben haben (Oberlandesgericht Bremen, FamRZ 1992, S. 344; Oberlandesgericht Zweibrücken, FamRZ 2001, S. 921, mit Hinweisen).
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3.3 Das Obergericht hält in tatsächlicher Hinsicht dafür, der Beklagte verfüge über eine kindergerechte Infrastruktur. In der Zeit zwischen August 1998 und dem 28. Juli 2000 hätten sich Vater und Sohn jedoch kaum gesehen. Der Wiederaufbau der Beziehung sei indes im Rahmen eines vollständig begleiteten Besuchsrechts erfolgt. Das Besuchsrecht sei vom Beklagten regelmässig ausgeübt worden, und es werde ihm von der Beiständin sowie dem Besuchsbegleiter - zumindest für die Periode der begleiteten Ausübung des Besuchsrechts - ein kindgerechtes Verhalten attestiert. Für die Zeit danach (ab Juli 2001) behaupte die Klägerin neu, dass das Kind vom Beklagten misshandelt werde, was dieser bestreite und was Gegenstand eines Strafverfahrens sei. Das Kind befinde sich in einem guten Gesundheitszustand und pflege zu beiden Parteien eine gute Beziehung; dies gelte jedenfalls für den Zeitraum, in welchem die Besuche begleitet stattgefunden hätten. Nicht bestritten sei die klägerische Darstellung, dass die Betreuung des ersten Sohnes des Beklagten aus erster Ehe primär durch die damalige Ehefrau erfolgt sei, wobei die Ehe lediglich drei Jahre gedauert habe; die Erziehungserfahrung des Beklagten aus erster Ehe sei in diesem Lichte zu würdigen. Auf Seiten der Klägerin stehe fest, dass sie den ehelichen Sohn seit seiner Geburt betreue, wobei sie zwischenzeitlich eine Teilzeitstelle angenommen habe und der Sohn den Kindergarten besuche. Der Beklagte sei derzeit arbeitslos und auf Stellensuche; wenn er wieder eine Stelle antrete, so wäre auch er auf Drittbetreuung des Kindes angewiesen. Mit Bezug auf die Betreuungsmöglichkeiten seien die Verhältnisse somit in etwa ähnlich. Inwieweit die Parteien bereit seien, einen guten und unbelasteten Kontakt zum jeweils anderen Elternteil zu gewähren und zu fördern, sei ungewiss. Insbesondere aus der Befragung anlässlich der Berufungsverhandlung ergebe sich, dass dies durch die nach wie vor sehr belastete Beziehung zwischen den Parteien beidseitig erschwert sei. Erheblich belastet werde die Beziehung überdies durch das im Dezember 2001 eingeleitete Strafverfahren, in welchem dem Beklagten sexuelle Handlungen mit dem Sohn vorgeworfen würden. Aus den von der Klägerin eingeleiteten früheren Strafverfahren, die beide eingestellt worden seien, BGE 129 III, 250 (255)könne nur insoweit etwas abgeleitet werden, als sich daraus ergebe, dass die Beziehung zwischen den Parteien noch immer von einer Angst- und Bedrohungsatmosphäre geprägt sei, wovon auch das neue Strafverfahren zeuge, dessen Ausgang offen sei. Nichts zu Lasten der Klägerin ergebe sich daraus, dass sie sich in psychotherapeutischer Behandlung befinde, zumal auch der Beklagte hieraus nichts zu Ungunsten des Kindes ableite. Dasselbe gelte für die angebliche Beziehung der Klägerin zu einem Freund.
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Erwägung 3.4
 
3.4.1 Legt man die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts der rechtlichen Beurteilung zugrunde, so lässt sich nicht sagen, der Beklagte verfüge nicht über die Voraussetzungen, seinen Sohn zu betreuen. Aufgrund des Alters des Knaben, der demnächst sechs Jahre alt sein wird, steht nach dem Gesagten (E. 3.2) die Personensorge ("hazanat") dem Vater zu. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die körperliche Gesundheit oder die moralische Erziehung des Kindes durch Vernachlässigung des Sorgerechts oder durch unmoralisches Verhalten des Vaters gefährdet wäre, was eine Kindesschutzmassnahme gemäss Art. 1173 IZGB angezeigt erscheinen lassen könnte. Dennoch fragt sich, ob eine Zuweisung der elterlichen Sorge an den Beklagten mit dem Ordre public der Schweiz vereinbar ist.
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3.4.2 Der materielle Ordre public greift dann ein, wenn die Anwendung des fremden Rechts zu einem Ergebnis führt, welches das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt und grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet (BGE 117 II 494 E. 7 S. 501; 119 II 264 E. 3b S. 266). In der Schweiz gilt der Vorrang des Kindeswohls in einem umfassenden Sinne. Angestrebt wird namentlich eine altersgerechte Entfaltungsmöglichkeit des Kindes in geistig-psychischer, körperlicher und sozialer Hinsicht, wobei in Beachtung aller konkreten Umstände nach der für das Kind bestmöglichen Lösung zu suchen ist (BGE 115 II 206 E. 4a; BGE 117 II 353 E. 3 S. 354 f.; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., 2000, Rz. 11.62). Mit Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung, gemäss deren Art. 11 Abs. 1 Kinder und Jugendliche Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung haben, erhielt das Kindeswohl Verfassungsrang (KÄLIN, Grundrechte im Kulturkonflikt, 2000, S. 208). Auch das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK; SR 0.107) verlangt, dass der Entscheid über den Aufenthaltsort des Kindes bei getrennt lebenden BGE 129 III, 250 (256)Eltern am Wohl des Kindes auszurichten ist (Art. 9 Abs. 1 KRK) und dass das Kindeswohl bei allen die Kinder betreffenden Entscheiden ein vorrangiger Gesichtspunkt zu sein hat (Art. 3 Abs. 1 KRK). Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung des Gebotes der Gleichbehandlung von Ehemann und Ehefrau würde es zu kurz greifen, eine Ordre-public-Widrigkeit einfach damit zu verneinen, dass die Zuteilung der elterlichen Sorge an den Beklagten das Kindeswohl nicht gefährden würde. Die Vereinbarkeit mit dem Ordre public verlangt vielmehr, dass ein Kind jenem Elternteil zugewiesen wird, bei dem seine Entwicklung voraussichtlich mehr gefördert wird bzw. bei dem es in der Entfaltung sei8ner Persönlichkeit am meisten unterstützt wird (siehe auch: STAUDINGER/HENRICH, a.a.O., S. 494, Rz. 307).
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Die Übertragung des Sorgerechts auf den Beklagten verstösst nach dem Gesagten (E. 3.4.2) im Ergebnis gegen den Ordre public, sofern nicht auch eine umfassende Beurteilung auf Grund des Kindeswohls die Übertragung nahe legt. Dies gilt es nachfolgend zu prüfen.
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