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Informationen zum Dokument  BGE 110 II 315  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die angefochtene Verfügung betrifft ein Patentgesuch, das ...
2. Das Amt ist verpflichtet, für jedes Patentgesuch und Pate ...
3. Gemäss Art. 90 Abs. 1 PatV dürfen vor der Bekanntmac ...
4. Aus dem Wortlaut des Art. 90 Abs. 3 PatV, wonach das Aktenheft ...
5. Das Amt stützt seine Weigerung vor allem darauf, es k&oum ...
6. Dass eine Einsichtnahme während des Verfahrens ausgeschlo ...
7. Das streitige Akteneinsichtsrecht Dritter rechtfertigt sich au ...
8. Der Hinweis des Amts auf die Möglichkeit des Einspruchs,  ...
9. Die Beschwerde erweist sich demnach als begründet. Die an ...
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63. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Oktober 1984 i.S. Isler gegen Bundesamt für geistiges Eigentum (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Patentrecht. Akteneinsicht eines am Einspruchsverfahren nicht beteiligten Dritten; Art. 90 Abs. 3 PatV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 110 II, 315 (315)A.- Das Patentanwalts-Büro Isler & Schmid, Zürich, ersuchte am 15. Januar 1982 das Bundesamt für geistiges Eigentum (Amt) um Akteneinsicht in das am 15. September 1980 mit der Nummer 619'107 G bekanntgemachte Patentgesuch K.K. Daini Seikosha und bat das Amt, ihm Kopien ab Publikationsdatum zuzustellen. Das Büro war am Patenterteilungsverfahren nicht beteiligt. Gegen die Erteilung des Patents hatten die Ebauches S.A., die SSIH und die Micrometal Einspruch erhoben.
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Am 21. Januar 1982 teilte der Vorsitzende der Einspruchsabteilung II den Gesuchstellern mit, das Einspruchsverfahren sei noch nicht abgeschlossen, weshalb nur die in Art. 90 Abs. 1 PatV genannten Personen Einsicht in die nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs eingereichten Akten nehmen könnten. Solange sich das Patentanwaltsbüro nicht über die Zustimmung der Parteien im BGE 110 II, 315 (316)Sinn von Art. 90 Abs. 1 lit. c PatV ausweise, könne ihm keine Einsicht gewährt werden.
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Auf ein weiteres Schreiben der Gesuchsteller erliess der Vorsitzende der Einspruchsabteilung II am 11. Februar 1982 eine Verfügung, in der er seine Auffassung bestätigte und das Gesuch um Akteneinsicht abwies. Die von den Gesuchstellern dagegen erhobene Beschwerde hiess die Beschwerdekammer am 22. März 1983 dahin gut, dass sie die angefochtene Verfügung aufhob und das Begehren um Akteneinsicht dem Amt zum Entscheid überwies. Der Vorsitzende der Einspruchsabteilung sei nicht befugt, über ein Akteneinsichtsgesuch eines am Einspruchsverfahren nicht beteiligten Dritten zu befinden. Dafür sei ausschliesslich das Amt zuständig.
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Mit Verfügung vom 21. Oktober 1983 wies das Amt das Gesuch um Akteneinsicht ab, soweit es Akten des Einspruchsverfahrens betreffe.
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B.- Fritz Isler hat gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, sie aufzuheben und das Amt anzuweisen, ihm Einsicht in die vollständigen Akten des Patentgesuchs einschliesslich der im Einspruchsverfahren angefallenen Akten zu gewähren.
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Das Amt schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Nach dem angefochtenen Entscheid erstreckt sich das Gesuch um Akteneinsicht nicht auf die Akten des Beschwerdeverfahrens vor der Beschwerdekammer. Der Beschwerdeführer widerspricht dem nicht, vielmehr deckt sich damit sein Antrag, die Vorinstanz habe ihm Einsicht in die vollständigen Akten des Patentgesuchs einschliesslich der im Einspruchsverfahren angefallenen Akten zu gewähren. Die Frage der Einsicht in die Akten des Beschwerdeverfahrens bildet somit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Ob sie erstinstanzlich nicht vom Amt, sondern vom Präsidenten der Beschwerdekammer zu beurteilen wäre, wie die Vorinstanz BGE 110 II, 315 (317)im angefochtenen Entscheid annimmt, hat das Bundesgericht bei dieser Sachlage nicht zu prüfen.
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Nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs im Vorprüfungsverfahren oder nach der Patenterteilung im Verfahren ohne Vorprüfung steht hingegen das Aktenheft jedermann zur Einsichtnahme offen (Art. 90 Abs. 3 PatV). Der Beschwerdeführer beruft sich auf diese Bestimmung. Das Amt meint, er könne gestützt darauf bloss die bis zur Erhebung des Einspruchs anfallenden Akten einsehen, die Einspruchsakten aber erst nach dem rechtskräftigen Entscheid über den Einspruch. Ein solcher liegt noch nicht vor, da gegen den Einspruchsentscheid Beschwerde erhoben worden und diese noch bei der Beschwerdekammer hängig ist.
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4. Aus dem Wortlaut des Art. 90 Abs. 3 PatV, wonach das Aktenheft nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs "jedermann zur Einsicht offensteht", ergibt sich die vom Amt vertretene Einschränkung der Akteneinsicht nicht. Sinn und Zweck der Bestimmung sprechen für eine wörtliche Auslegung. Das Amt stellt sich zu Unrecht auf den Standpunkt, die Akteneinsicht diene einzig dazu, den Einsprechern den Einspruch zu ermöglichen. Durch die Offenlegung soll ebenso ermöglicht werden, dass sich Dritte frühzeitig auf ein zu erwartendes Schutzrecht einstellen können. Der Beschwerdeführer unterstreicht zu Recht das grosse Interesse der Konkurrenz, den Schutzumfang der endgültig zur BGE 110 II, 315 (318)Patenterteilung gelangenden Ansprüche möglichst frühzeitig abschätzen zu können. Das ist mit Rücksicht auf Investitionen für die technische Entwicklungsarbeit geboten, aber auch im Hinblick auf die zu gewärtigenden zivilrechtlichen Ansprüche des Patentbewerbers, da nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch des Art. 72 PatG besteht und Schadenersatz geschuldet ist (Art. 73 Abs. 4 PatG).
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Für die Beurteilung der Tragweite des betroffenen Patents sind die Einspruchsakten, namentlich die Einsprüche mit den Einspruchsgründen und der Erklärung, in welchem Umfang gegen die Erteilung des Patents Einspruch erhoben werde (Art. 73 PatV), sowie die Stellungnahmen des Patentbewerbers (Art. 78 PatV) und die zugehörigen Unterlagen unter Umständen nicht weniger bedeutsam als die Gesuchsakten. Den Interessen der Drittpersonen ist daher nicht Genüge getan, wenn das Aktenheft bloss die Tatsache erkennen lässt, dass Einspruch erhoben worden ist, wie das Amt in anderem Zusammenhang geltend macht. Da es Monate und - namentlich wenn noch Beschwerde erhoben wird - Jahre dauern kann, bis ein rechtskräftiger Entscheid vorliegt, würden diese Interessen zu sehr beeinträchtigt, sofern im Sinn des Amts mit der Einsichtnahme bis dahin zugewartet werden müsste.
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5. Das Amt stützt seine Weigerung vor allem darauf, es könne nicht in ein hängiges Einspruchsverfahren eingreifen, weil dieses in der Hand des Vorsitzenden der Einspruchsabteilung liege. Nach dem Entscheid der Beschwerdekammer vom 22. März 1983 ist jener Vorsitzende nur für die Beurteilung des Akteneinsichtsgesuchs eines am Einspruchsverfahren Beteiligten zuständig; der Entscheid über das Gesuch eines Dritten fällt hingegen in die umfassende Zuständigkeit des Amtes. Das Amt hat dieser Betrachtungsweise ausdrücklich zugestimmt. Es kann nicht auf dem Umweg über die materielle Frage der Akteneinsicht im Ergebnis auf die Zuständigkeitsfrage zurückkommen. Da ferner die Einspruchsabteilungen Bestandteile des Amtes bilden (Art. 88 Abs. 1 PatG), kann dieses sie ohne weiteres anweisen, die Akteneinsicht zu gewähren.
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6. Dass eine Einsichtnahme während des Verfahrens ausgeschlossen sei, schliesst das Amt noch daraus, dass die Verhandlungen vor den Einspruchsabteilungen und den Beschwerdekammern nicht öffentlich sind (Art. 80 Abs. 5, Art. 87 PatV). Die für die BGE 110 II, 315 (319)Drittinteressen angestellten Überlegungen bedingen folgerichtig auch die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung, wie das etwa im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens (SR 0.232.142.2) vorgesehen worden ist. Das ist aber nicht zwingend geboten; praktische Überlegungen rechtfertigen in dieser Beziehung eine Beschränkung.
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Im übrigen sind Verhandlungen vor einer Verwaltungsbehörde, wie sie die Einspruchsabteilung darstellt, grundsätzlich nicht öffentlich; die besondere Erwähnung dieses Umstands in Art. 80 Abs. 5 PatV erscheint daher nur bei einer grundsätzlichen Öffnung der Akten für Dritte als sinnvoll.
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7. Das streitige Akteneinsichtsrecht Dritter rechtfertigt sich aus dem Patentrecht, nicht aus dem Verwaltungsverfahren. Das Amt kann deshalb aus einem Vergleich mit der Ordnung des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren nichts zugunsten seiner Auffassung ableiten. Aufschlussreich ist dagegen ein Vergleich mit den entsprechenden patentrechtlichen Bestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens und des deutschen Patentgesetzes, auf welche auch der Beschwerdeführer verweist. Die schweizerische Regelung des Akteneinsichtsrechts ist anlässlich der Neufassung der Patentverordnung von 1977 revidiert worden. Wieweit dabei eine Angleichung an das Europäische Patentübereinkommen herbeigeführt werden wollte, ist aus der Entstehungsgeschichte nicht bekannt und ergibt sich aus den rudimentären Angaben in den Akten nicht. Das schliesst nicht aus, die Regelung des Europäischen Patentübereinkommens als Auslegungshilfe beizuziehen. Sowohl das Europäische Patentübereinkommen wie das deutsche Patentgesetz erstrecken das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich auch auf die Einspruchs- und Beschwerdeakten (Art. 128 Abs. 4 EPUe; Regel 93 der Ausführungsordnung zum EPUe, SR 0.232.142.21; § 31 deutsches PatG, für die Einsichtnahme in hängige Verfahren vgl. Kommentar BENKARD, 7. Aufl., zu § 31 dt. PatG, besonders N. 12 u. 14).
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9. Die Beschwerde erweist sich demnach als begründet. Die angefochtene Verfügung ist deshalb aufzuheben und das Amt BGE 110 II, 315 (320)anzuweisen, dem Beschwerdeführer Einsicht in die Einspruchsakten zu gewähren. Gegebenenfalls wird es die Beschwerdekammer ersuchen müssen, ihm die Akten zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen.
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