VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 134 I 159  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 1
2. Die Vorinstanz hat nach Eingang der Honorarrechnung des G. am  ...
3. Bei dem vom kantonalen Gericht erteilten Gutachtensauftrag han ...
Erwägung 4
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
17. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. G. gegen Helsana Versicherungen AG, betreffend S. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
9C_84/2008 vom 8. Mai 2008
 
 
Art. 82 lit. a und Art. 89 Abs. 1 BGG; Beschwerdelegitimation.
 
 
Art. 29 Abs. 2 BV.
 
 
Art. 9 BV; Art. 364 und 398 OR; § 9 der Zürcher Entschädigungsverordnung der obersten Gerichte.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 134 I, 159 (160)In einem Streit um die Kostenübernahme für eine Zahnbehandlung durch die Krankenkasse ordnet das kantonale Gericht eine Begutachtung an. Der Gutachter stellt eine Honorarrechnung über den Betrag von Fr. 29'366.40.
1
Das Gericht kürzt das Honorar des Gutachters auf Fr. 11'780.-. Der Gutachter G. erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Zusprechung des vollen in Rechnung gestellten Honorars.
2
 
Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1 Der angefochtene Entscheid ist ein kantonal letztinstanzliches Endurteil, gegen das die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht zulässig ist (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Die in der Hauptsache gegebene Beschwerde ist auch bezüglich aller Nebenpunkte des Urteils zulässig, namentlich hinsichtlich Kostenentscheiden, soweit dafür keine besonderen Verfahrenswege vorgeschrieben sind (BGE 134 V 138 E. 3 S. 143 f.; Urteile 6B_300/2007 vom 13. November 2007, E. 1.1 und 1.2; 5A_218/2007 vom 7. August 2007, E. 2.1). Das gilt auch für den Entscheid über die Höhe des Gutachterhonorars (ALFRED BÜHLER, Gerichtsgutachter und -gutachten im Zivilprozess, in: Marianne Heer/Christian Schöbi [Hrsg.], Gericht und Expertise, Bern 2005, S. 11 ff., S. 109 Fn. 374 und S. 112), jedenfalls solange dafür kein anderer gerichtlicher Rechtsschutz besteht (vgl. BGE 114 Ia 461 E. 2c S. 464 f.). Die Vorinstanz hat die Höhe des Gutachterhonorars in ihren Entscheid aufgenommen. Dieses Vorgehen entspricht § 11 der hier einschlägigen kantonalen Verordnung der obersten kantonalen Gerichte über die Entschädigung der Zeugen und Zeuginnen, Auskunftspersonen und Sachverständigen vom 11. Juni 2002 (Entschädigungsverordnung der obersten Gerichte, EntschV/ZH; Zürcher Gesetzessammlung [LS] 211.12), wonach die Entschädigungen durch das mit der Sache befasste Gericht oder die zuständigen Richter und Richterinnen festgesetzt werden, unter Vorbehalt allfällig zur Verfügung stehender Rechtsmittel. Es ist nicht ersichtlich, dass ein kantonales Rechtsmittel gegen den Entscheid ergriffen werden könnte. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht ist daher zulässig.
3
BGE 134 I, 159 (161)1.2 Streitig ist einzig die Höhe der Entschädigung an den Gutachter. Die Parteien des Ausgangsverfahrens haben den Entscheid nicht angefochten, so dass die Auflage der Gutachtenskosten an die Beschwerdegegnerin im Grundsatz nicht streitig ist. Es ist daher nicht zu beurteilen, ob diese Kostenauflage mit Art. 61 lit. a ATSG (SR 830.1) vereinbar ist. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, hätte der Gutachter gegenüber dem Gericht Anspruch auf ein Honorar.
4
5
6
7
8
2.1.1 Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör richtet sich in erster Linie nach dem einschlägigen Verfahrensrecht, subsidiär nach den Mindestgarantien gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Nach § 10 BGE 134 I, 159 (162)Abs. 2 der EntschV/ZH sind vor dem Entscheid über die Herabsetzung eines Gutachterhonorars die Parteien anzuhören, wenn das Verfahren für diese kostenpflichtig ist. Eine Anhörung des Gutachters ist in dem vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) kantonalen Recht nicht vorgeschrieben. In Bezug auf die Festsetzung von Anwaltshonoraren existiert aufgrund von Art. 29 Abs. 2 BV unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf Begründung, namentlich wenn das Gericht den Rechtsvertreter zur Einreichung einer Kostennote aufgefordert hat und die Parteientschädigung abweichend von der Kostennote auf einen bestimmten, nicht der üblichen, praxisgemäss gewährten Entschädigung entsprechenden Betrag festsetzt (RKUV 2005 Nr. U 547 S. 221, E. 3.2, U 85/04; SVR 2002 AlV Nr. 3 S. 5, E. 3a, C 130/99; Urteil 1P.284/2002 vom 9. August 2002, E. 2.4.1). Hingegen besteht nach der Praxis des Bundesgerichts mangels anderslautender kantonaler Vorschrift kein verfassungsmässiger Anspruch, von der entscheidenden Behörde zur beabsichtigten Honorarkürzung angehört zu werden (Urteile 1P.564/2000 vom 11. Dezember 2000, E. 3b; 1P.340/1999 vom 27. August 1999, E. 1b; vgl. auch Urteil 5P.187/2004 vom 22. Juli 2004, E. 2.3). Ob diese Rechtsprechung auch für Gutachterhonorare gilt, kann offenbleiben: Der Beschwerdeführer hat nämlich im Hauptantrag seiner Beschwerde ein reformatorisches Begehren in der Sache gestellt und nur eventualiter die Rückweisung an die Vorinstanz beantragt. Er wünscht somit in erster Linie, dass das Bundesgericht ungeachtet der gerügten Gehörsverletzung in der Sache selber entscheidet. Dies ist vorliegend aufgrund der Aktenlage möglich (vgl. E. 4.5 und 4.6).
9
2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe eine Rechtsverweigerung begangen, indem sie entgegen seiner Aufforderung keine anfechtbare Verfügung zur Herabsetzung des Honorars erlassen habe. Indessen hat der Beschwerdeführer von der Vorinstanz nicht primär eine separate Verfügung verlangt, sondern um Zustellung des Dispositivs ersucht und nur ausgeführt, andernfalls gehe er davon aus, es werde eine separate Verfügung erlassen. Dem Ersuchen um Zustellung des Dispositivs ist das Gericht nachgekommen, weshalb kein Anlass bestand, eine separate Verfügung zu erlassen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern eine separate Verfügung dem Beschwerdeführer zum Vorteil gereicht hätte, wäre doch diese mangels eines kantonalen Rechtsmittels ebenfalls (nur) beim Bundesgericht anfechtbar gewesen.
10
BGE 134 I, 159 (163)3. Bei dem vom kantonalen Gericht erteilten Gutachtensauftrag handelt es sich nicht um einen privatrechtlichen Auftrag, sondern um ein Rechtsverhältnis des kantonalen öffentlichen Rechts (vgl. Urteil 1P.58/2004 vom 15. November 2004, E. 2.2, publ. in: ZBl 107/2006 S. 309; RKUV 1985 Nr. K 646 S. 235, E. 5a, K 79/77; BÜHLER, a.a.O., S.17; BJÖRN BETTEX, L'expertise judiciaire, Bern 2006, S. 273 f.). Mit Recht hat daher die Vorinstanz die Honorierung aufgrund des massgebenden kantonalen Rechts (EntschV/ZH) beurteilt. Dessen Anwendung prüft das Bundesgericht nur auf Willkür hin (Art. 95 lit. a BGG). Mangels präziser Bestimmungen im kantonalen Recht ist das Bundesprivatrecht als subsidiäres kantonales Ersatzrecht anwendbar (BÜHLER, a.a.O., S. 17), wobei je nach Art des Gutachtens Werkvertrags- oder Auftragsrecht massgebend ist (BGE 127 III 328).
11
 
Erwägung 4
 
12
13
14
BGE 134 I, 159 (164)4.4 Der Gutachter ist verpflichtet, die Begutachtung sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Auftraggebers in guten Treuen zu wahren (Art. 364 Abs. 1 sowie Art. 398 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 321a Abs. 1 OR; Art. 398 Abs. 2 OR). Ist ein Kostenrahmen vereinbart worden, so hat der Gutachter das Gericht darauf hinzuweisen, wenn erkennbar ist, dass dieser Rahmen voraussichtlich nicht eingehalten werden kann (BÜHLER, a.a.O., S. 89). Ist für das Gutachten mit einem erheblichen Aufwand zu rechnen, ist der Auftrag in der Regel auf Grund eines Kostenvoranschlags zu erteilen (§ 9 Abs. 3 EntschV/ZH). Ist ein solcher nicht erstellt worden, für den Gutachter aber ersichtlich, dass der Aufwand erheblich sein wird, hat er aufgrund seiner Treue- und Sorgfaltspflicht das Gericht darauf hinzuweisen. Auch wenn kein Kostenvoranschlag eingeholt und kein Kostenrahmen vereinbart wurde, ist nicht die Vergütung jeglichen Aufwandes geschuldet, sondern nur des objektiv gerechtfertigten Aufwandes, der bei sorgfältigem und zweckmässigem Vorgehen genügt hätte (BGE 117 II 282 E. 4c S. 284 f.; BGE 101 II 109 E. 2 S. 111 f.; BGE 96 II 58 E. 1 S. 61; BÜHLER, a.a.O., S. 75; WALTER FELLMANN, Berner Kommentar, N. 451 zu Art. 394 OR; PETER GAUCH, Der Werkvertrag, 4. Aufl., Zürich 1996, S. 271 Rz. 964 f.). Auch hier ist der Gutachter zur Anzeige verpflichtet, wenn für ihn ersichtlich ist, dass ein offensichtliches Missverhältnis zwischen den Kosten des Gutachtens und der Bedeutung der Streitsache oder ihrem Streitwert besteht (BÜHLER, a.a.O., S. 89).
15
4.5 Der Beschwerdeführer konnte den ihm zur Verfügung gestellten Akten entnehmen, dass der Streit um eine Kariesbehandlung im Betrag von Fr. 626.20 ging. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Ausgang des Prozesses auch präjudizielle Bedeutung für künftige Kariesbehandlungen haben kann und der effektive Interessenwert daher auf ein Mehrfaches dieses Betrags zu veranschlagen ist, so steht doch der geltend gemachte Aufwand von fast Fr. 30'000.- für die Begutachtung in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Interessenwert. Dem Beschwerdeführer musste ohne weiteres klar sein, dass das Gericht für die Beurteilung eines solchen Falles nicht ein Gutachten für diesen Betrag anordnen würde. Die selbstverständlichste Sorgfalts- und Treuepflicht hätte geboten, dass der Gutachter, als er den ungefähren Aufwand abschätzen konnte, mit dem Gericht Rücksprache genommen hätte, um abzuklären, ob wirklich eine Beantwortung in der BGE 134 I, 159 (165)vorgesehenen Tiefe erforderlich sei. Dass der Beschwerdeführer dieser Informationspflicht nicht nachgekommen ist, führt dazu, dass das Gericht den geltend gemachten Aufwand auf einen angemessenen Betrag reduzieren durfte.
16
4.6 Der zugesprochene Betrag erscheint auch nicht als willkürlich oder unverhältnismässig tief. Der Beschwerdeführer hat in seinem Begleitschreiben vom 2. November 2007 zur Honorarrechnung selber ausgeführt, das Gutachten wäre nicht nötig gewesen, wenn die Helsana den Fall seriös beurteilt hätte, wozu als wesentlichstes Element eine klinische Untersuchung gehört hätte; ein Blick auf die Zahnstellung der Patientin hätte ausgereicht, um die Bedeutung der massiven Frontzahnstufe feststellen zu können, welche wesentlich dazu beitrage, dass eine Mundhygiene massiv erschwert oder verunmöglicht werde. Wenn also entscheidende Fragen bereits mit einer klinischen Untersuchung hätten beantwortet werden können, ist unerfindlich, weshalb der Beschwerdeführer nicht dem Gericht vorgeschlagen hat, anstelle des aufwändigen Gutachtens zunächst die (von der Versicherten beim kantonalen Gericht beschwerdeweise beantragte) wesentlich kostengünstigere Verhandlung mit Demonstration der eingeschränkten Zahnreinigung durchzuführen. Sodann begründete der Beschwerdeführer die Höhe der Kosten mit der Notwendigkeit, die Anamnesedetails zusammenzustellen. In der Tat nimmt die Darstellung der Anamnese im Gutachten rund 13 Seiten ein. Gemäss der Kostenaufstellung hat der Gutachter für "Anamnese, Notizen" und "Zusammenstellung Anamnese" mindestens 55,5 Stunden aufgewendet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Krankengeschichte bereits durch den Rechtsvertreter der Versicherten in der von ihm verfassten kantonalen Beschwerdeschrift eingehend dargestellt und mit Akten dokumentiert worden war. Gemäss den Angaben im Gutachten hat der Beschwerdeführer keine weiteren fallbezogenen Unterlagen verwendet als die ihm vom Gericht zugestellten. Unter diesen Umständen ist nicht nachvollziehbar, dass die erneute Zusammenstellung dieser nicht besonders umfassenden Akten auch nur annähernd einen derart grossen Aufwand verursacht haben soll.
17
18
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).