BVerfGE 55, 349 - Hess-Entscheidung


BVerfGE 55, 349 (349):

Zum Ermessen der Bundesregierung bei der Schutzgewährung gegenüber fremden Staaten.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 16. Dezember 1980 gemäß § 24 BVerfGG
-- 2 BvR 419/80 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Rudolf Hess, Alliierte Haftanstalt Spandau, Wilhelmstraße 23, Berlin 20, gesetzlich vertreten durch seinen Abwesenheitspfleger Wolf-Rüdiger Hess, Grosostraße 17, Gräfeling, - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Alfred Seidl und Dr. Axel Heublein, Neuhauser Straße 3, München 2 - gegen a) das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) vom 21. Dezember 1979 - BGBl. I S. 2308 -, b) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Mai 1979 - I A 615/78 -, c) die Nichtanberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über die Revision gegen das Urteil zu b) durch das Bundesverwaltungsgericht.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
 
Gründe:
 
A. -- I.
1. Der 1894 geborene Beschwerdeführer war seit 1933 "Stellvertreter des Führers der NSDAP" und Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Im Mai 1941 flog er als "Parlamentär aus eigenem Entschluß" nach Großbritannien, um eine Verständigung zum Frieden zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich herbeizuführen. Er wurde dort inhaftiert, im Oktober 1945 von der britischen Regierung nach Nürnberg überstellt und einem Internationalen Militärtribunal als Angeklagter vorgeführt. Dieses Tribunal war von den Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkriegs gemäß Art. 1 des Londoner Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten von

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Amerika, der Französischen Republik, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken vom 8. August 1945, dem weitere 19 Parteien beigetreten waren, gebildet worden (vgl. Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, Vol. I, p. 8 ff. [1947]). Es sollte über diejenigen als Kriegsverbrecher der Achsenmächte beschuldigten Personen urteilen, für deren vorgeworfenes Verhalten ein geographisch bestimmter Tatort nicht vorhanden war (Art. 1 des Abkommens). Organisation, Kompetenzen und Aufgaben des Tribunals waren in dem dem Londoner Abkommen angefügten Statut für das Internationale Militärtribunal (Charter of the International Military Tribunal, a.a.O., p. 10 ff.; im folgenden: Statut) näher festgelegt (Art. 2 des Abkommens).
2. Durch Entscheidung vom 30. September und 1. Oktober 1946 sprach das Tribunal den Beschwerdeführer der Verbrechen gegen den Frieden (Art. 6 Buchst. a des Statuts) für schuldig und verurteilte ihn zu lebenslangem Freiheitsentzug. Von der Anklage der Kriegsverbrechen (Art. 6 Buchst. b des Statuts) und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6 Buchst. c des Statuts) wurde er freigesprochen (vgl. Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, Vol. XXII, p. 411 ff., 527 ff., 588).
3. Zur Vollstreckung der Entscheidungen des Tribunals stellte die Alliierte Kommandantur für Berlin auf Anordnung des Kontrollrates für Deutschland das Gefängnis in Berlin-Spandau als Alliiertes Gefängnis bereit (vgl. Art. 29 des Statuts). Die oberste Exekutivgewalt über das Gefängnis lag zunächst bei der Alliierten Kommandantur. Nach dem Auszug des sowjetischen Vertreters aus der Kommandantur am 1. Juli 1948 blieb die Viermächteverwaltung und -beaufsichtigung des Gefängnisses bestehen, die sowjetischen Behörden nahmen insoweit ihre Stellung weiterhin wahr. Nach wie vor obliegt einer aus vier Direktoren bestehenden Exekutivbehörde der Besatzungsmächte in Berlin die Verwaltung des Gefängnisses.


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Ihre Ausgaben für das Alliierte Gefängnis in Spandau machen die westlichen Besatzungsmächte gegenüber Berlin als Besatzungskosten geltend. Die Ausgaben werden auf der Grundlage der alliierten Haushaltsansätze veranschlagt. Die Bundesrepublik Deutschland übernimmt die Aufwendungen für Besatzungskosten in Berlin gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes (Drittes Überleitungsgesetz) vom 4. Januar 1952 (BGBl. I S. 1) in Verbindung mit Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG und § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 des Ersten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Erstes Überleitungsgesetz) vom 21. August 1951 (BGBl. I S. 779). Die entsprechenden Ausgaben sind jeweils im Bundeshaushaltsplan ausgewiesen. Auszahlungen erfolgen laufend gegen Vorlage von Zahlungsdokumenten der Besatzungsmächte durch das Landesamt für Besatzungslasten in Berlin, dem die Bundesmittel über den Senator für Finanzen in Berlin zur Bewirtschaftung zugewiesen sind.
4. Der Beschwerdeführer wurde im Juli 1947 in das Alliierte Gefängnis in Spandau übergeführt und befindet sich seither dort in Haft. Nach der Entlassung der letzten Mitgefangenen am 1. Oktober 1966 ist der Beschwerdeführer der einzige Insasse des Gefängnisses. Seine Familienangehörigen, sein Prozeßbevollmächtigter und die 1967 gegründete "Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess" haben sich durch zahlreiche Eingaben bislang ohne Erfolg bemüht, seine Freilassung zu erwirken.
a) Eine Beschwerde der Ehefrau des Beschwerdeführers gegen das Vereinigte Königreich bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte wurde für unzulässig erklärt.
Über eine vom Beschwerdeführer im eigenen Namen am 23. Juli 1979 erhobene Beschwerde hat die Kommission -- soweit ersichtlich -- bislang nicht entschieden.
b) Mit Schreiben vom 16. Juli 1979 bat der Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers den Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen, den Fall des Beschwerdeführers der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen

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vorzulegen. Der Generalsekretär ließ mit Schreiben vom 7. November 1979 mitteilen, daß dem Ersuchen nicht entsprochen werden könne; ihm stehe Art. 107 der Satzung der Vereinten Nationen (SVN) vom 26. Juni 1945 entgegen. Die Generalversammlung habe die in dem Statut des Internationalen Militärtribunals anerkannten Grundsätze des internationalen Rechts und das Urteil des Tribunals gebilligt. Die Versammlung befürworte im übrigen ausdrücklich die Bestrafung von Personen, die für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich seien. Hiergegen hat sich der Prozeßbevollmächtigte nochmals mit Schreiben vom 4. August 1980 an den Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen gewandt, dem ein völkerrechtliches Gutachten von Professor Dr. Blumenwitz beigefügt ist.
c) Eingaben des Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers bei den Präsidenten des Rechnungshofs von Berlin und des Bundesrechnungshofs wegen der Übernahme der Kosten für das Alliierte Gefängnis in Spandau wurden unter Hinweis auf die Hoheitsgewalt der Besatzungsmächte abschlägig beschieden. Auf eine entsprechende Klage beim Verwaltungsgericht Berlin teilte das Gericht mit, daß die Alliierte Kommandantur die Ausübung der Gerichtsbarkeit in diesem Fall untersagt habe.
d) Auf Eingaben des Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers beim Bundeskanzler und beim Bundesminister des Auswärtigen teilte dieser ihm mit Schreiben vom 9. März 1979 mit, daß das hohe Alter und die angegriffene Gesundheit des Beschwerdeführers nach Auffassung der Bundesregierung seit langem seine Freilassung rechtfertigten. Der Bundespräsident und die Bundesregierung setzten sich dafür -- ebenso wie die Staats- und Regierungschefs der Drei Mächte -- seit langem ein. Sie würden dies auch weiterhin tun. Allerdings sei darauf hinzuweisen, daß die Drei Mächte Bedenken dagegen hätten, daß die Frage der Rechtmäßigkeit des Urteils des Internationalen Militärgerichtshofs aufgeworfen werde. Sie seien der Auffassung, daß für eine Freilassung des Beschwerdeführers nur hu

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manitäre Gründe in Betracht kämen. Die Bundesregierung teile diese Auffassung.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1980 teilte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts dem Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers mit, die Bundesregierung vertrete die Rechtsauffassung, daß die Verurteilung und Inhaftierung ihren Rechtsgrund in Maßnahmen der Siegermächte hätten, die sich auf Deutschland als Ganzes (im Sinne des Art. 2 Satz 1 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952 [BGBl. 1955 II S. 305] -- Deutschlandvertrag -) bezögen und die der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland folglich entzogen seien. Die Siegermächte könnten sich gegenüber einem Antrag auf Überprüfung ihrer Maßnahmen durch die Organe der Vereinten Nationen nach wie vor auf Art. 107 SVN berufen.
5. a) Im Juni 1977 erhob der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht Köln Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Er begehrte, die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland auszusprechen, bestimmte diplomatische Schritte zu seiner alsbaldigen Freilassung zu unternehmen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 19. Dezember 1977 ab. Eine dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde (1 BvR 70/78) nahm der gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG berufene Ausschuß mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung an. Die Bundesregierung habe überzeugend dargelegt, daß sie in den vergangenen Jahren mehrmals von ihr als geeignet angesehene Schritte zugunsten des Beschwerdeführers unternommen habe. Ein Anspruch auf eine oder bestimmte von ihr zu treffende Maßnahmen stehe dem Beschwerdeführer nicht zu.
b) Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts legte der Beschwerdeführer Berufung ein. Durch Urteil vom 14. Mai 1979 (I A 615/78) wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung zurück; die Revision wurde zugelassen. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Zwar habe

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jeder Deutsche einen Anspruch darauf, daß der Staat ihn gegenüber anderen Staaten schütze. Dieser Anspruch ergebe sich aus der Verfassungstradition, wobei seine rechtliche Begründung im einzelnen dahinstehen könne. Der Bundesrepublik Deutschland stehe bei der Entscheidung, ob und in welcher Weise sie Auslandsschutz gewähren wolle, indes ein weites Ermessen zu. Denn die Schutzgewährung gegenüber dem Ausland könne zugleich die Interessen der Gesamtheit berühren, insbesondere die Beziehungen zu auswärtigen Staaten beeinträchtigen. Der Anspruch auf Auslandsschutz unterliege somit nicht nur der Einschränkung durch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, weil eine völkerrechtswidrige Maßnahme gegenüber dem auswärtigen Staat nicht verlangt werden könne, sondern auch dem weiteren Vorbehalt der Interessen der Allgemeinheit. Die über das Schutzbegehren entscheidende Behörde habe daher die Interessen des schutzsuchenden Deutschen und die Interessen der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Sie könne dabei gegebenenfalls auch erhebliche Verletzungen der Rechte eines Staatsbürgers hinnehmen, um höherwertige Interessen der Allgemeinheit nicht zu gefährden. Andererseits sei sie zur Schutzgewährung verpflichtet, wenn das höherwertige Interesse des Staatsbürgers die auswärtigen Beziehungen des Staates nicht oder nur geringfügig beeinträchtige und sonstige überwiegende Gründe des Gesamtinteresses nicht entgegenstünden. Die insoweit anzustellende politische Beurteilung sei gerichtlich nicht nachprüfbar. Die Gerichte seien darauf beschränkt zu prüfen, ob die zuständige Behörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, ob durch die behördliche Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien, von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei oder die Behörde sich bei der Ausübung des Ermessens irrigerweise in weiterem Umfang für gebunden gehalten habe, als es tatsächlich der Fall sei.


BVerfGE 55, 349 (355):

Nach diesen Grundsätzen sei das Verhalten der Bundesregierung nicht zu beanstanden. Insbesondere verkenne sie nicht den Umfang des ihr eingeräumten Ermessens; sie fühle sich auch nicht zu weitgehend gebunden. Es könne dahinstehen, ob es den Gerichten im Hinblick auf die Vorbehalte der Besatzungsmächte verwehrt sei, über die Rechtswidrigkeit der Verurteilung des Beschwerdeführers und die Fortdauer seiner Inhaftierung zu befinden. Insbesondere brauche der Frage der Einwirkung von zwingendem Völkerrecht auf das Recht der Besatzungsmächte nicht nachgegangen zu werden. Es sei nicht ersichtlich, daß sich die Bundesrepublik Deutschland aus rechtlichen Gründen gehindert gesehen habe, die Rechtmäßigkeit der Verurteilung des Beschwerdeführers und seiner weiteren Inhaftierung zu überprüfen und das Ergebnis dieser Überprüfung bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Aus ihrem Schreiben vom 9. März 1979 ergebe sich vielmehr, daß die Bundesregierung die politischen Aspekte der von ihr zu treffenden Entscheidung für wesentlich gewichtiger halte als die rechtlichen Gesichtspunkte und Bedenken habe, die Frage der Rechtmäßigkeit des Urteils des Internationalen Militärgerichtshofs überhaupt aufzuwerfen. Damit bewege sie sich im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens. Der Beschwerdeführer könne sein Begehren auch nicht damit begründen, daß die bisherigen Schritte der Bundesregierung erfolglos geblieben seien und daher andere Schritte unternommen werden müßten. Auch insoweit habe die Bundesregierung nicht ermessensfehlerhaft entschieden. Sie müsse den möglichen Schaden für die Allgemeinheit abschätzen, der durch spektakuläre Schritte zugunsten des Beschwerdeführers entstehen könnte.
c) Über die gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision hat das Bundesverwaltungsgericht bislang nicht entschieden. Auf Anfrage hat der Vorsitzende des zuständigen Senats dem Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers mitgeteilt, daß mit einer Terminierung "jedenfalls vor den Ferien in diesem Jahr" (1980) nicht mehr zu rechnen sei.


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II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer
    I. das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Mai 1979 aufzuheben und die Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen, durch ihre Organe den Bundespräsidenten den Bundeskanzler den Bundesminister des Auswärtigen den Bundesminister der Justiz
    1. zu erklären und zu veröffentlichen, daß die Fortdauer der bisher 38jährigen Einschließung des im 86. Lebensjahr stehenden Klägers Rudolf Hess, davon in den letzten 13 Jahren in Isolierhaft, gegen zwingendes Völkerrecht und fundamentale Menschenrechte verstößt;
    2. bei den vier Gewahrsamsmächten alle geeigneten offiziellen Schritte zu seiner alsbaldigen Freilassung zu tun, insbesondere bei der Gewahrsmacht Großbritannien, die Rudolf Hess dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg ausgeliefert hat;
    3. insbesondere unverzüglich bei den Vereinten Nationen (UNO) zu beantragen,
    a) daß die Fortdauer der 38jährigen Einschließung des Klägers, davon in den letzten 13 Jahren in Isolierhaft, von der Vollversammlung wegen Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht und fundamentale Menschenrechte mißbilligt und verurteilt wird,
    b) daß die Vollversammlung die vier Gewahrsamsmächte anweist, den Kläger unverzüglich aus der Haft freizulassen;
    4. beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu beantragen, daß die 38jährige Einschließung des Klägers, davon in den letzten 13 Jahren in Isolierhaft, wegen Verstoßes gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mißbilligt und verurteilt wird;
    5. den Fall des Beschwerdeführers dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag mit dem Antrag vorzulegen, festzustellen, daß die Einschließung des Beschwerdeführers mit Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen nicht

    BVerfGE 55, 349 (357):

    gerechtfertigt werden kann und ferner zu beantragen, daß die vier Gewahrsamsmächte, also die Vereinigten Staaten von Amerika, die Republik Frankreich, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, verurteilt werden, den ehemaligen Reichsminister Rudolf Hess unverzüglich aus dem Militärgefängnis in Berlin- Spandau zu entlassen.
    II. der Bundesrepublik Deutschland wird verboten, weiterhin Zahlungen an die vier Gewahrsamsmächte (Vereinigte Staaten von Amerika, Republik Frankreich, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland, Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) für Zwecke der Vollstreckung des Urteils des Internationalen Militärtribunals vom 1. Oktober 1946, insbesondere für die Unterhaltung des Spandau Allied Prison in Berlin zu leisten;
    III. festzustellen, daß das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 vom 21. Dezember 1979 (BGBl. 1979 I, S. 2308) nichtig ist, soweit in ihm Staatsausgaben für die Verwaltung und die Unterhaltung des Alliierten Militärgefängnisses in Berlin-Spandau ausgewiesen sind;
    IV. festzustellen, daß die bisherige Nichtanberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 14. Mai 1979 durch das Bundesverwaltungsgericht gegen das Grundrecht auf gerichtlichen Rechtsschutz verstößt.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Art. 1, 2, 19 Abs. 4, 101, 103 und 104 GG.
1. Er hält seine Verurteilung durch das Internationale Militärtribunal und den Vollzug des gegen ihn ergangenen Spruchs für rechtswidrig. Das Völkerrecht kenne keinen Rechtssatz, wonach ein staatlicher Organträger wegen eines Verbrechens gegen den Frieden persönlich verantwortlich gemacht werden könne. Die Verurteilung stelle somit eine fundamentale Verletzung der Menschenrechte dar; sie verstoße insbesondere auch gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Offenbar habe auch die UdSSR bei

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Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Verfolgung nationaler Ziele durch Anwendung militärischer Gewalt nicht als völkerrechtliches Delikt des einzelnen Organträgers angesehen. Sie selbst habe mit Deutschland am 23. August 1939 einen Nichtangriffspakt mit einem geheimen Zusatzprotokoll über das weitere Schicksal Polens und am 28. September 1939 einen Grenz- und Freundschaftsvertrag mit weiteren geheimen Absprachen abgeschlossen. Die UdSSR sei damit in dem Prozeß vor dem Internationalen Militärgerichtshof Ankläger und Richter auch in eigener Sache gewesen. Es habe deshalb auch schon bald Zweifel an der Legitimität des Gerichtshofs gegeben. Die Ausführungen des Verteidigers des Beschwerdeführers hierzu seien von dem Gerichtshof nicht zugelassen worden. Eine solche Beschränkung der Verteidigung sei in der Rechtsgeschichte einmalig. Das Verfahren vor dem Internationalen Militärgerichtshof sei kein Prozeß, seine Entscheidung kein Urteil im Rechtssinne gewesen. Bei dem Gerichtshof habe es sich um ein Ausnahmegericht gehandelt. Damit sei der Grundgedanke des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Die weitere Vollstreckung des Urteils verstoße wegen des gegenwärtigen Gesundheitszustands des Beschwerdeführers und der Haftbedingungen gegen zwingendes Völkerrecht. Sein Gesundheitszustand sei besorgniserregend; mit seinem baldigen Ableben sei zu rechnen. Eine Operation sei dringend erforderlich. Ein Antrag auf Gewährung einer Strafunterbrechung für die medizinische Behandlung sei abgelehnt worden. Seit 1966 sei der Beschwerdeführer der einzige Häftling des Alliierten Gefängnisses in Spandau. Ihm sei es im übrigen verboten, mit Besuchern über das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs und über das diesem Urteil zugrundeliegende Verfahren zu sprechen. Ihm dürfe kein Schriftstück ausgehändigt werden, das sich auf sein Verfahren beziehe. All dies verstoße gegen seine Menschenrechte, insbesondere auch gegen Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Regeln des Strafvollzugs, insbesondere soweit sie sich unmittelbar auf Gesundheit und Leben des Inhaftierten auswirkten, seien Bestandteil eines inter

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nationalen menschenrechtlichen Mindeststandards, der heute zu den Regeln des allgemeinen universellen Völkerrechts zähle. Kein Mitglied der Vereinten Nationen und keine Signatarmacht der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 könne sich diesem menschenrechtlichen Mindeststandard dadurch entziehen, daß völkerrechtlich die Entscheidung und das weitere Vorgehen von der Zustimmung anderer Staaten abhängig gemacht werde. Der Strafvollzug gegen den Beschwerdeführer könne nicht auf die "Feindstaatenklausel" in Art. 107 SVN gestützt werden, weil diese Bestimmung nur Maßnahmen "in bezug auf Staaten" zulasse. Die Bestrafung von Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach Kriegsende sei zu einer einseitigen Bestrafung der Besiegten durch die Sieger geworden. Dies bedeute eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit und der Gegenseitigkeit im Völkerrecht (tu quoque -- Prinzip). Die Bundesregierung habe sich bei ihren Vorstößen zugunsten des Beschwerdeführers bislang lediglich auf humanitäre Gründe berufen; damit sei eine Freilassung des Beschwerdeführers nicht bewirkt worden. Nunmehr sei die Bundesregierung verpflichtet, gegenüber den Gewahrsamsmächten auch rechtliche Argumente vorzubringen und die Entscheidung des Internationalen Militärgerichtshofs und das ihr zugrundeliegende Verfahren selbst anzugreifen. Die in dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 9. März 1979 geäußerte Rechtsauffassung sei unhaltbar. Sie verletze die der Bundesregierung dem Beschwerdeführer gegenüber obliegende Pflicht zur Gewährung von Auslandsschutz. Durch die Gefangenhaltung des Beschwerdeführers werde Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Reduzierung des behördlichen Ermessens auf die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragten Maßnahmen ergebe sich daraus, daß es um höchste Verfassungsgüter gehe und alle vorangegangenen Schutzmaßnahmen sich als untauglich erwiesen hätten; es könne insoweit nicht allein um eine politische Wertung gehen.


BVerfGE 55, 349 (360):

2. Das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) vom 21. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2308) sei nichtig, soweit in dem Bundeshaushaltsplan Ausgaben für die Verwaltung und die Unterhaltung des Alliierten Gefängnisses in Spandau enthalten sind (vgl. Einzelplan 35, Kapitel 3502, Titel 429 01, 518 03 und 812 02). Die in dem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel dienten einer rechts- und verfassungswidrigen Freiheitsbeschränkung des Beschwerdeführers; damit sei die Ausweisung der Mittel selbst rechts- und verfassungswidrig. Mit der Übernahme der Kosten müsse sich die Bundesrepublik Deutschland (ebenso wie das Land Berlin) die Rechtsfehler zurechnen lassen, mit denen das gegen den Beschwerdeführer verhängte Urteil und dessen Vollstreckung behaftet seien. Sie sei für die unmenschlichen Haftbedingungen verantwortlich.
3. Der Beschwerdeführer hält es für verfassungswidrig, daß das Bundesverwaltungsgericht in dem Verfahren über seine am 15. Mai 1979 eingelegte Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts noch keinen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt habe. Auf die besondere Dringlichkeit des Verfahrens angesichts des hohen Alters und des schlechten Gesundheitszustands des Beschwerdeführers sei das Bundesverwaltungsgericht mehrfach nachdrücklich hingewiesen worden. Die Sachbehandlung durch das Revisionsgericht komme in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falles einer Rechtsverweigerung gleich. Der zu entscheidende Fall sei in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht einfach gelagert.
4. Zur weiteren Begründung seiner Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer eine Reihe von Dokumenten zu seiner Verurteilung und seiner Inhaftierung und zu den damit zusammenhängenden völkerrechtlichen Fragen vorgelegt.
III.
Namens der Bundesregierung hat sich der Bundesminister des Auswärtigen geäußert.


BVerfGE 55, 349 (361):

Die Bundesregierung bezieht sich auf ihre Stellungnahme vom 22. Mai 1980 in der Sache 1 BvR 70/78. Die seinerzeit dargelegten rechtlichen und tatsächlichen Gründe gälten auch für die vorliegende Verfassungsbeschwerde. Es bestehe keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Die Bundesregierung lasse dabei dahinstehen, ob für die neuerliche Verfassungsbeschwerde die Voraussetzung für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehe. Sie weise in Ergänzung der seinerzeitigen Stellungnahme darauf hin, daß sie auch seither alle geeigneten Schritte zur Freilassung des Beschwerdeführers bei den Vier Mächten unternommen habe; sie werde dies auch weiterhin tun. Über die bereits vorgetragenen Bemühungen hinaus habe die Bundesregierung in der Zwischenzeit verschiedene Initiativen ergriffen. Im Januar 1979 habe sich der Bundesminister der Justiz bei einem Besuch seines sowjetischen Amtskollegen für die Freilassung eingesetzt. Im März 1979 habe der Bundespräsident in einem Schreiben an die vier Staatsoberhäupter der Gewahrsamsmächte um die Freilassung aus humanitären Gründen nachgesucht. Im Oktober 1979 habe der Bundesminister des Auswärtigen dieselbe Bitte in einem Schreiben an seinen sowjetischen Amtskollegen geäußert. Die drei westlichen Gewahrsamsmächte verschlössen sich der menschlichen Seite des Falles Hess nicht und hätten ihrerseits versucht, die Zustimmung der Sowjetunion zur Freilassung zu erlangen. Angesichts des Viermächte-Abkommens hätten sie sich aber außerstande gesehen, die sofortige Entlassung des Beschwerdeführers gegen den Willen der Sowjetunion zu erwirken. Allein die Sowjetunion widersetze sich den Bemühungen um eine Freilassung hartnäckig mit der Begründung, daß es ein falsches Verständnis von Menschlichkeit sei, den Beschwerdeführer freizulassen, da er bisher keine Reue für die von ihm begangenen Verbrechen gezeigt habe. Ansatzpunkte für eine Veränderung der sowjetischen Haltung seien bislang nicht ersichtlich. Die Bundesregierung werde sich dennoch für eine Freilassung des Beschwerdeführers einsetzen.
 


BVerfGE 55, 349 (362):

B.
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und teilweise unbegründet.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) vom 21. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2308) richtet. Der Beschwerdeführer ist insofern nicht beschwerdebefugt.
1. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz ist grundsätzlich, daß der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch das Gesetz in Grundrechten betroffen ist. Setzt das Gesetz für seinen Vollzug rechtsnotwendig einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Gewalt beeinflußten Vollziehungsakt voraus, so fehlt es an der unmittelbaren Betroffenheit (BVerfGE 1, 97 [101 ff.]; ständige Rechtsprechung).
2. Der Beschwerdeführer ist durch die gemäß § 1 des Haushaltsgesetzes 1980 in dem Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1980 getroffene Feststellung einzelner Ausgaben für Besatzungskosten in Berlin (Einzelplan 35, Kapitel 3502, Titel 429 01, 518 03 und 812 02) nicht unmittelbar in Grundrechten betroffen. Es mag dahinstehen, ob ein Einzelner durch die Feststellung von Ausgaben in dem Haushaltsplan überhaupt jemals unmittelbar in Rechten betroffen sein kann. Ihm gegenüber entfaltet der Haushaltsplan in der Regel keine rechtlichen Wirkungen. Er ermächtigt lediglich die Exekutive, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen (vgl. § 3 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung); Ansprüche oder Verbindlichkeiten werden durch ihn weder begründet noch aufgehoben (§ 3 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung).
Die Bundesrepublik Deutschland ist für den gegen den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsentzug weder in seinem Ursprung noch für seine Fortdauer oder die Art und Weise seines Vollzugs verfassungsrechtlich oder völkerrechtlich verant

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wortlich; sie wirkt an dieser Maßnahme auch nicht in zurechenbarer Weise durch die Übernahme von Besatzungskosten in Berlin mit.
Die Gewahrsamsmächte nehmen ihre im Hinblick auf den Vollzug der gegen den Beschwerdeführer verhängten Maßnahme ausgeübte Gewalt jedenfalls nicht kraft einer von der Bundesrepublik Deutschland abgeleiteten Gewalt wahr. Dementsprechend haben sich auch die Drei Mächte gemäß Art. 2 Satz 1 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952 in der Fassung vom 23. Oktober 1954 (BGBl. 1955 II S. 305) ausdrücklich "die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes" vorbehalten. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt die von dem Tribunal verhängte Maßnahme, deren Vollzug und die insoweit geltend gemachten Besatzungskosten als Folge der Niederlage Deutschlands zwar hin; sie wirkt dadurch aber weder an der Fortdauer des Freiheitsentzugs noch an den Haftbedingungen, denen der Beschwerdeführer ausgesetzt wird, mit. In dieser Hinnahme liegt jedoch keine völkerrechtliche Anerkennung dieser Maßnahme oder ihres Vollzugs. Eine Ablehnung der Übernahme der Kosten für das Alliierte Gefängnis in Spandau durch den Bund würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit insoweit nichts ändern.
Das Bundesverfassungsgericht kann deshalb in diesem Zusammenhang auch nicht über die Frage befinden, ob -- zumal im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die sonstigen Umstände -- die Fortdauer des Freiheitsentzugs gegen völkerrechtliches Besatzungsrecht oder gegen den als zwingendes Völkerrecht verbindlichen menschenrechtlichen Mindeststandard verstößt, wie der Beschwerdeführer ausführt.
3. Soweit das Verhalten von Berliner Organen und Behörden in Rede steht, übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit im Hinblick auf die Vorbehalte der Drei Mächte in

BVerfGE 55, 349 (364):

Art. 2 Satz 1 des Generalvertrags derzeit nicht aus (vgl. BVerf- GE 1, 70 [73]; 2, 181 [201]; 7, 190 [192]; 19, 377 [385]; 20, 257 [266]).
II.
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wendet, ist sie -- ihre Zulässigkeit unterstellt -- unbegründet.
a) Insoweit kann der Beschwerdeführer allerdings nur die aus § 95 BVerfGG ersichtlichen Ziele verfolgen. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG ist das Bundesverfassungsgericht nur befugt, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das zuständige Gericht zurückzuverweisen. Dem Bundesverfassungsgericht ist es hingegen verwehrt, entsprechend den vom Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gestellten Anträgen selbst die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Erklärungen und Handlungen auszusprechen. Dies gilt -- jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang -- auch für den Antrag, der Bundesrepublik Deutschland zu verbieten, weiterhin Zahlungen an die vier Gewahrsamsmächte zu leisten. Die hierauf gerichteten Anträge des Beschwerdeführers sind unstatthaft.
b) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt nicht Grundrechte des Beschwerdeführers.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, daß den Organen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Bundesregierung, von Verfassungs wegen die Pflicht zum Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten obliegt (vgl. BVerfGE 6, 290 [299]; 40, 141 [177 f.]; 41, 126 [182]; OVG Münster, OVGE 17, 106; vgl. zur Schutzpflicht: Geck, ZaöRV 17 [1956/57], S. 476 ff.; Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, 1959; Klein, DÖV 1977, S. 704 ff. m.w.N.). Es ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß der Bundesregierung hinsichtlich der Frage, ob und in welcher Weise sie Auslandsschutz gewährt, ein weites Ermessen zusteht und

BVerfGE 55, 349 (365):

daß die Verwaltungsgerichte folglich darauf beschränkt sind, die Handlungen und Unterlassungen der Bundesregierung auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen. Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach namentlich im außenpolitischen Bereich der Bundesregierung wie allen anderen insoweit zum politischen Handeln berufenen staatlichen Organen allgemein ein breiter Raum politischen Ermessens eingeräumt ist (vgl. BVerfGE 40, 141 [178]).
Die Weite des Ermessens im auswärtigen Bereich hat ihren Grund darin, daß die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden kann, sondern vielfach von Umständen abhängig ist, die sich ihrer Bestimmung entziehen. Um es zu ermöglichen, die jeweiligen politischen Ziele der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des völkerrechtlich und verfassungsrechtlich Zulässigen durchzusetzen, gewährt das Grundgesetz den Organen der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte wie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens.
Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung, derzufolge die Bundesregierung das ihr zustehende Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt habe, die Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers nicht verkannt. Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, daß die Bundesregierung gerade die vom Beschwerdeführer beantragten Maßnahmen zu seinem Schutz ergreift. Die im Berufungsurteil hierzu im einzelnen angestellten Erwägungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Bundesregierung hat in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren und in dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde dargelegt, daß sie bereits wesentliche Schritte unternommen hat, um die Freilassung des Beschwerdeführers, dessen Inhaftierung ihrem Machtbereich entzogen ist, zu erwirken; sie will auch weiterhin entsprechende Vorstöße gegenüber den Gewahrsams

BVerfGE 55, 349 (366):

mächten unternehmen. Dabei ist sie sich der persönlichen Lage des Beschwerdeführers und der Bedeutung der in bezug auf seine Person auf dem Spiel stehenden Verfassungsgüter offensichtlich bewußt; wegen seines hohen Alters und seines Gesundheitszustands hält sie die weitere Inhaftierung nicht für richtig (vgl. ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. W u.a.vom 30. März 1979, BTDrucks. 8/ 2719). Allein aus dem Umstand, daß die bisherigen Schritte der Bundesregierung die Freilassung des Beschwerdeführers nicht haben bewirken können, ergibt sich freilich noch nicht ohne weiteres die verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, nunmehr bestimmte andere Maßnahmen von möglicherweise größerer Tragweite zu ergreifen. Es muß ihrer außenpolitischen Einschätzung und Abwägung überlassen bleiben, inwieweit sie andere Maßnahmen für geeignet und -- gerade auch mit Rücksicht auf die Interessen des Beschwerdeführers selbst wie auf die Belange der Allgemeinheit -- für angebracht hält. Auch von Verfassungs wegen kann es im übrigen nicht beanstandet werden, daß sich die Bundesregierung gegenüber den Gewahrsamsmächten allein auf humanitäre und nicht auch auf rechtliche Gründe für die Freilassung des Beschwerdeführers beruft. Sie geht dabei offensichtlich davon aus, daß die Gewahrsamsmächte und zwar auch die drei westlichen Mächte, nur humanitären Erwägungen zugänglich sind und grundsätzliche Einwände dagegen haben, daß die Frage der Rechtmäßigkeit der Verurteilung und der Inhaftierung des Beschwerdeführers aufgeworfen wird (vgl. insbesondere das Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen an den Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 9. März 1979). Es mag deshalb in der Tat auch dahinstehen, wie diese Frage rechtlich zu beurteilen ist und ob sie von der Bundesregierung zutreffend beurteilt wird. Daß die Haltung der Bundesregierung auf einem offensichtlichen Rechtsirrtum oder willkürlicher Einschätzung der politischen Wirkung rechtlicher Argumente auf die Gewahrsamsmächte oder die Weltöffentlichkeit beruht, läßt sich nicht feststellen.

BVerfGE 55, 349 (367):

Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß sich die Bundesregierung aufgrund besatzungsrechtlicher Vorbehalte grundsätzlich gehindert sähe, sich für die Freilassung des Beschwerdeführers zu verwenden. Das Oberverwaltungsgericht hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß die Bundesregierung die politische Tragweite der von ihr zu treffenden Entscheidung für wesentlich gewichtiger hält als die Wirkung rechtlicher Argumente auf die Haltung der Gewahrsamsmächte. Im Hinblick auf das ihr eingeräumte weite Ermessen begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Bundesregierung die vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren beantragten Schritte bei der Organisation der Vereinten Nationen zu unternehmen nicht für ratsam hält. Ihre Einschätzung, daß solche Schritte nicht erfolgversprechend wären, kann -- gerade auch bei Berücksichtigung der Haltung der Vereinten Nationen selbst -- nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.
Dabei mag dahinstehen, ob die Rechtsauffassung der Bundesregierung zur Anwendbarkeit des Art. 107 SVN auf den vorliegenden Sachverhalt zutreffend ist. Selbst eine nach Auffassung eines deutschen Gerichts völkerrechtlich unzutreffende Rechtsauffassung, von der die Bundesregierung bei Prüfung der Ermessensvoraussetzungen und der Ausübung ihres Ermessens im Bereich des Auslandsschutzes im Einzelfall ausginge, vermöchte nicht schon die Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung zu begründen. Der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung gebricht es weithin an institutionellen Vorkehrungen, etwa einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit (vgl. Art. 36 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs; Waldock, Decline of the optional clause, The British Year Book of International Law, Vol. 32, 1955-56, p. 244 ff.), vermittels deren die Richtigkeit von Rechtsauffassungen im Streitfall verbindlich festgestellt werden könnte. Der Behauptung des eigenen Rechtsstandpunktes durch einen Staat kommt daher auf internationaler Ebene eine sehr viel größere Tragweite zu als in einer innerstaatlichen

BVerfGE 55, 349 (368):

Rechtsordnung, in der Gerichte das Recht auch für den Staat verbindlich feststellen. Angesichts dieser Sachlage ist es für die Wahrung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland von erheblicher Bedeutung, daß sie auf internationaler Ebene mit einer einheitlichen Stimme auftritt, wahrgenommen von den zuständigen Organen der auswärtigen Gewalt. Im Hinblick darauf obliegt den Gerichten größte Zurückhaltung, etwaige völkerrechtlich fehlerhafte Rechtsauffassungen dieser Organe als Ermessensfehler zu bewerten. Dies wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn sich die Einnahme der fraglichen Rechtsauffassung als Willkür gegenüber dem Bürger darstellte, also unter keinem -- auch außenpolitischen -- vernünftigen Gesichtspunkt mehr zu verstehen wäre. Dies ist hier nicht der Fall. Selbst wenn die Rechtsauffassung, die in dem Schreiben des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts vom 30. Juni 1980 insoweit vertreten wird, nicht zuträfe, führte das im vorliegenden Fall nicht dazu, daß das Verhalten der Bundesregierung, die vom Beschwerdeführer begehrten Schritte bei den Vereinten Nationen nicht einzuleiten, als Willkür im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG erschiene. Die Bundesregierung hat erwogen, ob rechtliche Argumente insoweit überhaupt eine Erfolgsaussicht im vorliegenden Fall versprechen, und welche Auswirkungen sich daraus für die Belange des Beschwerdeführers wie der Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten. Es ist nicht Sache der Gerichte, ihre Einschätzung möglicher Wirkungen solcher Schritte auf internationaler Ebene an die Stelle der Einschätzung durch die Organe der auswärtigen Gewalt zu setzen. Daß die Einschätzung seitens der Bundesregierung auch im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer auf dem Spiel stehenden Verfassungsgüter unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt mehr verständlich erschiene, läßt sich nicht feststellen.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im übrigen unbegründet. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht dadurch die Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt, daß es in dem Verfahren der Revision des Beschwerdeführers gegen das Urteil

BVerfGE 55, 349 (369):

des Oberverwaltungsgerichts noch keinen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hat. Das Vorgehen des Bundesverwaltungsgerichts verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Die Entscheidung darüber, wann im einzelnen Verfahren ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt wird, obliegt in erster Linie dem mit der Sache befaßten Gericht im Rahmen des ihm im Hinblick auf die Verfahrensführung durch die einschlägige Prozeßordnung eingeräumten Ermessens. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zuläßt, muß das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen. Dabei darf es freilich das aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht außer acht lassen. Der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle bezüglich des ihn betreffenden Handelns oder Unterlassens der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 40, 272 [275]; ständige Rechtsprechung). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet zumal auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen.
Die Dauer des Revisionsverfahrens des Beschwerdeführers ist -- auch unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten dieses Verfahrens -- derzeit noch nicht unangemessen lang. Der zuständige Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß sich die Terminierung des Verfahrens verzögere, weil der Senat mit Revisionssachen stark überlastet sei; insofern erscheint die bisherige Verfahrensdauer nicht ungewöhnlich. Es ist auch nicht erkennbar, daß die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung aus sachwidrigen Erwägungen bislang unterblieben wäre. Ohnehin steht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, hinsichtlich etwaiger Rechtsbeeinträchtigungen vorläufigen Rechtsschutz zu begehren. Es liegt freilich auf der Hand, daß das mit der ver

BVerfGE 55, 349 (370):

waltungsgerichtlichen Klage verfolgte Anliegen des Beschwerdeführers, sein hohes Alter und sein Gesundheitszustand es als dringend geboten erscheinen lassen, alsbald eine Entscheidung über seine bereits am 15. Mai 1979 eingelegte Revision herbeizuführen. Eine weitere erhebliche, im Hinblick auf Erfordernisse des Verfahrens nicht begründete Verzögerung der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und der Entscheidung über die Revision wäre im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG schwerlich noch angemessen.
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