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Informationen zum Dokument  BGE 107 Ia 126 - Stutz  Materielle Begründung
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BGE 106 Ia 131 - Befristung von Begnadigungsgesuchen
BGE 102 Ia 468 - Buchdruckerei Elgg

Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus folgenden Erwägungen gut:
1. a) Nach Art. 49 Abs. 6 BV hat niemand Steuern zu bezahlen, die ...
2. a) Art. 49 Abs. 6 BV lautet: ...
3. a) Art. 49 Abs. 6 BV untersagt die Besteuerung Andersgläu ...
4. a) Nach Art. 200 Abs. 5 StG haben natürliche Personen, di ...
5. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der angefochtene Entsch ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher  
 
25. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Juni 1981 i.S. Stutz gegen Kanton Glarus und Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Kirchensteuer, Art. 49 Abs. 6 BV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 107 Ia, 126 (127)Nach Art. 198 des glarnerischen Gesetzes über das Steuerwesen vom 10. Mai 1970 (StG) sind die Orts-, Schul-, Fürsorge- und Kirchgemeinden befugt, Steuern zu erheben, soweit der Ertrag der Gemeindegüter und die übrigen Einkünfte sowie die Anteile an der Staatssteuer zur Deckung ihrer Ausgaben nicht ausreichen. Art. 199 StG regelt die Steuerarten, Art. 200 StG den Steuerfuss. Art. 200 Abs. 5 StG bestimmt:
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"Natürliche Personen, welche keiner staatlich anerkannten Kirchgemeinde angehören, sind von der Kirchensteuer befreit, haben aber der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz haben, an die Kosten der bürgerlichen Funktionen die halbe Steuer zu bezahlen."
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Jakob Stutz gehört nach seinen eigenen Angaben keiner der beiden glarnerischen Landeskirchen an, sondern ist Mitglied der Pfingstmission Glarus. Gestützt auf die Steuerveranlagung 1977-78 stellte ihm seine damalige Wohnsitzgemeinde Glarus Rechnung für die halbe Kirchensteuer für das Jahr 1977. Stutz bezahlte nicht und erhob Einsprache. Die Steuerkommission wies die Einsprache ab, worauf Stutz bei der Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus Beschwerde einreichte, die am 24. Oktober 1978 mit folgender Begründung abgewiesen wurde: Die Bundesverfassung verbiete die Erhebung einer Kirchensteuer von "Dissidenten" nicht schlechthin, sondern nur soweit sie speziell für eigentliche Kultuszwecke verwendet werde. Die Kirchensteuern deckten aber z.B. auch die Auslagen für den Unterhalt der kirchlichen Gebäude, die heute vermehrt auch der Öffentlichkeit für Konzerte, Versammlungen und nicht-kirchliche Feiern dienten. Die Landeskirchen leisteten wesentliche Beiträge an Institutionen sozialen Charakters (z.B. an die Evangelische Mittelschule Schiers, an die evangelische Krankenpflegeschule Chur) und führten Veranstaltungen durch, die im Interesse der Allgemeinheit lägen. Bei allen diesen Auslagen handle es sich nicht um Ausgaben für eigentliche Kultuszwecke. Eine exakte Ausscheidung der Kosten für kirchliche und nicht-kirchliche Aufgaben sei praktisch ausgeschlossen. Der Gesetzgeber habe sich daher entschieden, von den sog. Dissidenten einen Betrag in der Höhe der halben Kirchensteuer an die Kosten der bürgerlichen Funktionen der Kirche zu verlangen. Diese Lösung könne nicht als willkürlich bezeichnet werden.
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Gegen diesen Entscheid hat Jakob Stutz gestützt auf Art. 4 und Art. 49 Abs. 6 BV staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Er verlangt unter lit. a seiner Anträge, die Einwohner BGE 107 Ia, 126 (128)des Kantons Glarus, die nicht Angehörige einer der beiden Landeskirchen sind, seien von der Pflicht, die halbe Kirchensteuer zu entrichten, zu befreien. Eventuell sei eine Änderung von Art. 200 Abs. 5 StG von der glarnerischen Landsgemeinde gutheissen zu lassen. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, wenn eine Ausscheidung der Kosten für kirchliche und nicht-kirchliche Aufgaben nicht möglich sei, könne er nicht wissen, ob seine Steuern nicht doch für eigentliche Kultuszwecke verwendet würden. Sollten seine Steuergelder Institutionen sozialen Charakters wie der Evangelischen Mittelschule Schiers zukommen, so würden sie direkt den evangelisch-landeskirchlichen Zwecken dienen, zu deren Unterstützung er nach Art. 49 Abs. 6 BV nicht verpflichtet werden könne.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus folgenden Erwägungen gut:
 
1. a) Nach Art. 49 Abs. 6 BV hat niemand Steuern zu bezahlen, die speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft erhoben werden, der er nicht angehört. Der zweite Satz dieser Bestimmung behält die nähere Ausführung dieses Grundsatzes der Bundesgesetzgebung vor. Ein entsprechendes Bundesgesetz ist bisher nicht in Kraft getreten. Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts ist diese Verfassungsnorm aber unmittelbar anwendbar (BGE 99 Ia 741 /2 E. 1, mit Verweis). Sie steht in engem Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit und schützt daher nur natürliche Personen (BGE 102 Ia 470, E. 2a). Der in Art. 49 Abs. 6 BV verwendete Ausdruck "Religionsgenossenschaft" meint nicht eine bestimmte kirchliche Korporation, sondern die Glaubens- und Konfessionsgemeinschaft, als deren Ausdruck und Glied der besteuernde Verband erscheint (BGE 98 Ia E. 2 407). - Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer weder der evangelischen noch der katholischen Landeskirche angehört. Der angefochtene Entscheid der Steuer-Rekurskommission vom 24. Oktober 1978 verletzt ihn in seinen rechtlichen geschützten Interessen. Er ist daher zur staatsrechtlichen Beschwerde gestützt auf Art. 49 Abs. 6 und Art. 4 BV legitimiert.
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Der Beschwerdeführer behauptet sinngemäss, Art. 200 Abs. 5 StG verletze Art. 49 Abs. 6 und Art. 4 BV. Die Frist zur unmittelbaren Anfechtung des Steuergesetzes des Kantons Glarus ist längst BGE 107 Ia, 126 (129)abgelaufen (Art. 89 OG); nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann jedoch die Verfassungswidrigkeit einer kantonalen Vorschrift auch noch bei der Anfechtung eines gestützt darauf ergangenen Anwendungsaktes geltend gemacht werden. Erweist sich der Vorwurf als begründet, so führt dies freilich nicht zur formellen Aufhebung der Vorschrift; die vorfrageweise Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit hat nur zur Folge, dass die Vorschrift auf den Beschwerdeführer nicht angewendet und der gestützt auf sie ergangene Entscheid aufgehoben wird (BGE 106 Ia 132 E. 1b, mit Verweisen).
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b) Die staatsrechtliche Beschwerde hat - von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen - rein kassatorische Funktion; mit ihr kann nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, nicht aber der Erlass positiver Anordnungen durch das Bundesgericht verlangt werden (BGE 106 Ia 54 E. 1a, mit Verweisen). Aus dem unter lit. a gestellten Antrag und aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich, dass der Beschwerdeführer verlangt, er sei von der streitigen halben Kirchensteuer für das Jahr 1977 zu befreien. Sinngemäss stellt er damit den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils. Auf die weitergehenden Anträge kann hingegen nicht eingetreten werden.
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c) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) muss in der Beschwerdeschrift dargetan werden, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass verletzt worden sind. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur behaupteten Verletzung von Art. 49 Abs. 6 BV sind sehr knapp gehalten. Die Beschwerdeschrift genügt aber den Anforderungen des OG, da Art. 49 Abs. 6 BV das verfassungsmässige Recht klar umschreibt und auf Sachverhalte wie den hier vorliegenden zugeschnitten ist, so dass sich ausführliche Darlegungen erübrigen.
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"Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsatzes ist der Bundesgesetzgebung vorbehalten."
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Der in dieser Bestimmung enthaltene Grundsatz ist eine notwendige Folge der in Art. 49 Abs. 1 BV garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit; Gewissensfreiheit wäre nicht mehr vorhanden, wenn jemand gegen seinen Willen genötigt würde, für Kultuszwecke einer ihm fremden Konfession oder Religionsgenossenschaft BGE 107 Ia, 126 (130)Steuern zu bezahlen (Botschaft des Bundesrates betreffend die Revision der Bundesverfassung vom 17. Juni 1870, BBl 1870 II 690; BGE 102 Ia 470 E. 2a; vgl. auch Bericht der Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bern 1977, S. 39). Die Vorschrift setzt voraus, dass Steuern speziell für eigentliche Kultuszwecke erhoben werden dürfen, und macht dann die Einschränkung, dass niemand gehalten sei, solche Kultussteuern für eine Religionsgenossenschaft zu bezahlen, der er nicht angehört (BGE 102 Ia 470 E. 2).
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b) Mit dem Ausdruck "speziell" wollte der Verfassungsgeber klarstellen, dass Andersgläubige und Konfessionslose die allgemeinen kantonalen Staatssteuern entrichten müssen, auch wenn deren Ertrag zum Teil für die kirchlichen Bedürfnisse verwendet wird (Kultusbudget). Das Bundesgericht hat erst vor wenigen Jahren seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung dieses Begriffs erneut bestätigt und erklärt, der Ausdruck "speziell" verhindere nur, dass Staatssteuern, nicht jedoch Gemeindesteuern gestützt auf Art. 49 Abs. 6 BV angefochten werden könnten (BGE 99 Ia 743 f. E. 3). - Die vom Beschwerdeführer verlangte Steuer wird von den Kirchgemeinden erhoben; es handelt sich eindeutig um eine "spezielle" Steuer.
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3. a) Art. 49 Abs. 6 BV untersagt die Besteuerung Andersgläubiger und Konfessionsloser nur für "eigentliche Kultuszwecke". Hingegen schliesst die Bestimmung nicht aus, dass sie zur Finanzierung anderer Aufgaben einer Religionsgenossenschaft herangezogen werden, die im allgemeinen Interesse liegen; die Steuerpflichtigen werden dadurch nicht in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit beeinträchtigt. Beim Erlass der Bestimmung dachte man in diesem Zusammenhang vor allem an die Begräbnisplätze, an die Kirchenräume, die auch für nicht kirchliche Zwecke wie für politische Versammlungen benutzt werden, an die Kirchglocken und Kirchuhren (Botschaft des Bundesrates, a.a.O. S. 690/1). Wie aus den Revisionsverhandlungen von 1870 hervorgeht, machten sich die Räte aber keine klare Vorstellung über die Bedeutung dieses Ausdrucks (VON REDING-BIBEREGG, Über die Frage der Kultussteuern, Basel 1885, S. 55 ff.).
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b) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Auslegung dieses Begriffs lässt sich nur kasuistisch erfassen. Die Entscheide liegen zudem durchwegs ein halbes bis ein ganzes Jahrhundert zurück. "Eigentliche Kultuszwecke" liegen nach dieser Rechtsprechung z.B. dann vor, wenn die Steuern für folgende BGE 107 Ia, 126 (131)Zwecke erhoben werden: für den Bau und Unterhalt von Kirchen und Pfarrhäusern, soweit nachgewiesen ist, dass sie im ausschliesslichen Eigentum einer Religionsgenossenschaft stehen und dass sie ausschliesslich religiösen Zwecken dienen (BGE 1 S. 86 E. 2; 3 S. 195 E. 3; 6 S. 505 E. 2; 10 S. 324 E. 3; 14 S. 164 E. 2) - dies gilt auch dann, wenn die Kirche in Kriegszeiten als Spital verwendet wird (BGE 3 S. 192 E. 3) oder wenn sie freiwillig für gesellige oder künstlerische Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird (BGE 10 S. 189 E. 3) -, für die Besoldung der Geistlichen und der Kirchendiener (BGE 1 S. 86 E. 4; 3 S. 195; 6 S. 504 E. 2) oder für die Anschaffung kirchlicher Gerätschaften (BGE 6 S. 504 E. 2). Demgegenüber wurde angenommen, keinen "eigentlichen Kultuszwecken" dienten z.B. die von Kirchgemeinden erhobenen Armensteuern (BGE 4 S. 206 f. E. 2), die Steuern für die Erstellung und den Unterhalt des Friedhofs (BGE 3 S. 196 E. 7; 6 S. 505 E. 3; vgl. auch BGE 43 I 183 E. 6 betreffend Bau und Betrieb eines Krematoriums auf Kosten einer staatlichen Körperschaft), die Steuern für die Besoldung des Zivilstandsbeamten (BGE 6 S. 505 E. 3) und die Steuern für den Unterhalt von Kirchturm, Turmuhr und Glocken (BGE 3 S. 196 E. 7; 6 S. 505 E. 3; BGE 24 I 630 E. 2). Dasselbe nahm das Bundesgericht an für die von einer protestantischen Schulgemeinde erhobene Steuer für die öffentliche (protestantische) Schule (BGE 2 S. 188) sowie für den von einer Schulgemeinde erhobenen Teil der Schulsteuer, der für den Religionsunterricht verwendet wird (BGE 39 I 32 ff. E. 4).
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c) Das Bundesgericht fasste seine Rechtsprechung in BGE 24 I 630 E. 2 folgendermassen zusammen: Eine Steuer werde nur dann zu einem eigentlichen Kultuszweck erhoben, "wenn dieselbe ausschliesslich zu einem Kultuszweck verwendet werden soll, nicht aber auch dann, wenn die Steuer in ihrem Zwecke, in der Verwendung, die sie findet, nicht nur religiösen, sondern auch anderen öffentlichen, bürgerlichen oder sozialen Bedürfnissen und Aufgaben dient". Diese Abgrenzung stiess in der Literatur auf Kritik. VON REDING-BIBEREGG (a.a.O., S. 69 ff.) und BURCKHARDT (Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, Bern 1905, S. 503 f.) verlangten, Andersgläubige und Konfessionslose seien aufgrund von Art. 49 Abs. 6 BV immer schon dann von den Steuern zu befreien, wenn der kirchliche Zweck der Ausgabe überwiege. Das Bundesgericht wies in BGE 39 I 32 auf diese Kritik hin, liess aber offen, ob es diesem Abgrenzungskriterium den Vorzug geben wolle, da im konkreten Fall beide Methoden zum BGE 107 Ia, 126 (132)gleichen Ergebnis führten. In den später beurteilten Fällen stellte sich die Frage nicht mehr. Der Kritik VON REDINGS und BURCKHARDTS schloss sich auch FLEINER-GIACOMETTI an (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949, S. 320). Andere Autoren schlagen vor, bei Steuern, die gemischten Zwecken dienen, d.h. sowohl im Interesse der Kirche als auch der Allgemeinheit verwendet werden, sei Andersgläubigen und Konfessionslosen eine "verhältnismässige Steuerbefreiung" zu gewähren (BÜHLMANN, Das Verbot der Kultussteuern, Diss. Zürich 1913, S. 87; LAMPERT, Kirche und Staat in der Schweiz, Freiburg i.Ue. und Leipzig 1938, II. Band, S. 515 f.; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Neuchâtel 1967, Band II, S. 715, No. 2022; PACHE, Les impôts ecclésiastiques, Diss. Lausanne 1981, S. 24). Auf diese Kontroversen braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden, weil die vom Beschwerdeführer verlangte halbe Kirchensteuer keinen gemischten Zwecken dient, sondern ausschliesslich im kirchlichen Interesse verwendet wird, wie nachfolgend zu zeigen ist.
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b) Die Steuererträgnisse der Andersgläubigen und Konfessionslosen werden nicht für einen bestimmten nicht-kirchlichen Zweck verwendet, für den die Aufwendungen in den Jahresrechnungen der Kirchgemeinden gesondert ausgewiesen würden. Eigentliche bürgerliche Aufgaben, wie etwa der Unterhalt eines Friedhofs, die Armenfürsorge oder die Führung der öffentlichen Volksschule sind den glarnerischen Kirchgemeinden nicht übertragen. Diese Aufgaben obliegen den Orts-, Schul- und Fürsorgegemeinden, welche für ihre Zwecke von allen Gemeindeeinwohnern Steuern erheben können (Art. 69 ff. KV, Art. 198 ff. StG). Den Landeskirchen sind nur konfessionelle Angelegenheiten BGE 107 Ia, 126 (133)überlassen (Art. 84 Abs. 1 KV). Aufgabe und Recht ihrer Kirchgemeinden ist es, über die kirchlichen Angelegenheiten zu beschliessen (Art. 85 Abs. 4 KV). Die in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts mehrfach erwähnte Bedeutung des Kirchturms mit Uhr und Glocke für die Allgemeinheit ist mit der allgemeinen Verbreitung der individuellen Uhren, der Massenmedien und des Telefons (Zeitzeichen, Alarm) gering geworden. Dass der Unterhalt der Kirche als eigentlicher Kultuszweck im Sinne von Art. 49 Abs. 6 BV zu betrachten ist, auch wenn sie der Öffentlichkeit für Konzerte, Versammlungen und nicht-kirchliche Feiern zur Verfügung gestellt wird, hat das Bundesgericht bereits in BGE 10 S. 189 E. 3 entschieden.
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Die Steuerverwaltung führt in ihrer Vernehmlassung den Religionsunterricht, der nach dem Schulgesetz von den Lehrbeauftragten der anerkannten Kirchen erteilt wird, als Beispiel für eine der bürgerlichen Aufgaben der Landeskirchen an. Sie stützt sich dabei auf BGE 39 I 30. In diesem die Steuern einer Sekundarschulgemeinde betreffenden Entscheid hatte das Bundesgericht zwar die Besteuerung auch der Andersgläubigen als zulässig betrachtet, aber auch darauf hingewiesen, dass der Geistliche nicht nur als Lehrer handelt, sondern zugleich eine ihm nach der kirchlichen Ordnung obliegende Pflicht erfüllt. Die Abgrenzung wurde kritisiert (MARTI, Glaubens- und Gewissensfreiheit/Kultussteuern, SJK Nr. 1072 Ziff. 3; vgl. auch BÜHLMANN, a.a.O. S. 81). Sie kann jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Besteuerung durch eine Kirchgemeinde übertragen werden, wo die Besoldung des Religionslehrers von dieser und nicht vom Trägergemeinwesen der öffentlichen Volksschule ausgerichtet wird. Indessen kann hier dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen auch die Ausgaben von Kirchgemeinden für den Religionsunterricht bürgerlichen Zwecken dienen können. Denn diese Aufwendungen machen nur einen geringen Teil der Gesamtausgaben der glarnerischen Kirchgemeinden aus. Es geht nicht an, die halbe Kirchensteuer allein aus diesem Grunde als bürgerlichen Zwecken dienende Abgabe zu qualifizieren.
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c) Die Steuer-Rekurskommission und die Steuerverwaltung betonen, die Landeskirchen hätten ihren Aufgabenbereich in neuerer Zeit wesentlich geändert und erweitert, indem sie zahlreiche neue soziale, fürsorgerische und erzieherische Aufgaben übernommen hätten. - Diese Veränderungen hängen damit zusammen, dass sich im Laufe der letzten Jahrzehnte die Lebensbedingungen allgemein BGE 107 Ia, 126 (134)stark gewandelt haben. Zugleich hat sich auch das Selbstverständnis der Kirchen geändert: heute stehen die mitmenschliche-soziale, aber auch die ökumenische Tätigkeit vermehrt im Vordergrund, wie die drei christlichen Landeskirchen des Kantons Luzern in einer 1976 vom Bundesgericht durchgeführten Umfrage in ihrer gemeinsamen Stellungnahme festhielten. Aber auch das Bild der Kirchgemeinde hat sich im Bewusstsein breiter Schichten der Bevölkerung verändert: an die Stelle der Konzeption der territorial begrenzten Gebietskörperschaft ist heute die Auffassung von der persönlichen Mitgliedschaft in einer Religionsgenossenschaft getreten (vgl. BGE 102 Ia 474). Die Kirchen haben auch schon früher soziale, fürsorgerische und erzieherische Aufgaben neben oder in Verbindung mit ihren seelsorgerischen Aufgaben erfüllt, sei es durch ihre Pfarrer, weitere Angestellte oder aktive Gemeindeglieder. Wenn die Kirchgemeinden heute Sozialhelfer, Ehe-, Erziehungs- und Sexualberater mit besonderer Ausbildung beschäftigen und neben Gottesdiensten, Besinnungsveranstaltungen und Einzelbetreuung in den herkömmlichen kirchlichen Formen auch moderne Methoden der Erwachsenenbildung wie Gruppengespräche anwenden, so erfüllen sie im Grunde nur auf andere Weise Aufgaben, die sie sich schon früher stellten. Der Einsatz besonders ausgebildeter und beruflich tätiger Mitarbeiter und die veränderten Methoden erlauben den Kirchen gleichzeitig, den Kontakt mit manchen Religionsangehörigen aufrecht zu erhalten und damit ihren Einfluss in religiösen Belangen zu bewahren.
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Bei den auf neue Art angepackten und ausgeweiteten Aufgaben handelt es sich durchwegs um solche, die keineswegs den Kirchen allein obliegen, sondern teils auch durch Organe des Staates und der Einwohnergemeinden, sodann durch zahlreiche private - gemeinnützige und zum Teil politische - Organisationen erfüllt werden. Von der Art der Aufgaben her ist eine Vielfalt von Angeboten, die einen verschieden (auch religiös und konfessionell) gefärbten besonderen Charakter haben, in der Regel erwünscht. Der Bürger wird mit seinen Bedürfnissen auf die verschiedenen Angebote nicht in gleicher Weise ansprechen. Er hat nicht nur zu den vom Staat und den Einwohnergemeinden für die Erfüllung dieser Aufgaben getätigten Aufwendungen durch seine Steuern beizutragen, sondern ist überdies zur Unterstützung der von verschiedenen Seiten - im Wettbewerb - unternommenen privaten Anstrengungen aufgerufen. Es wäre stossend und würde Art. 49 Abs. 6 BV widersprechen, wenn er durch Steuerleistung an die BGE 107 Ia, 126 (135)Kirchgemeinden einer Landeskirche, der er nicht angehört, auch zur Finanzierung der von ihr übernommenen und naturgemäss im Sinne ihrer Glaubensrichtung erfüllten Aufgaben dieser Art herangezogen werden könnte. Zu berücksichtigen ist schliesslich auch, dass Art. 49 Abs. 6 BV die praktische Bedeutung weitgehend verlieren würde, wenn man der Argumentation der Steuerverwaltung folgte und den Kirchgemeinden die Besteuerung Konfessionsloser und Andersgläubiger für solche nicht näher bestimmte soziale Aufgaben heute erlauben würde.
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