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Informationen zum Dokument  BGer 6B_649/2009  Materielle Begründung
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BGer 6B_649/2009 vom 16.10.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_649/2009
 
Urteil vom 16. Oktober 2009
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Favre, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari,
 
Gerichtsschreiber Keller.
 
Parteien
 
X.________,
 
vertreten durch Fürsprecher Rolf P. Steinegger,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Y.________,
 
vertreten durch Fürsprecher Daniel Weber,
 
Beschwerdegegner 1,
 
Generalprokuratur des Kantons Bern, Postfach 6250, 3001 Bern,
 
Beschwerdegegnerin 2.
 
Gegenstand
 
Amtsmissbrauch,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 26. März 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 8. Juli 2008 sprach die Gerichtspräsidentin des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen X.________ von den Anschuldigungen der einfachen Körperverletzung, der Tätlichkeiten sowie des Amtsmissbrauchs frei. Die Gerichtspräsidentin verfügte ausserdem, die Zivilklage des Privatklägers Y.________zurückzuweisen.
 
B.
 
Gegen dieses Urteil erhob der Privatkläger Y.________Appellation ans Obergericht des Kantons Bern. Dieses sprach X.________ des Amtsmissbrauchs für schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 300.--, zur teilweisen Bezahlung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten sowie zur Übernahme der Parteikosten des Privatklägers.
 
C.
 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht, in der er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs freizusprechen. Zudem seien die Verfahrenskosten des vorangegangenen Verfahrens neu zu verteilen, eventuell die Sache zur Kostenfestsetzung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Entscheid über die Parteientschädigung sei aufzuheben und zu ändern, eventuell die neue Festsetzung der Vorinstanz zu übertragen. Eventualiter sei das Urteil aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
D.
 
Die 1. Strafkammer des Obergerichts sowie die Generalprokuratur des Kantons Bern verzichteten auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Vorinstanz geht von folgendem Sachverhalt aus:
 
Am Abend des 4. Juli 2007 feierten der Beschwerdegegner 1 und seine Schulkollegen auf dem Gurten ihren Schulabschluss. Dabei konsumierten der Beschwerdegegner 1 sowie die übrigen Teilnehmer grössere Mengen Alkohol. Dies führte beim Beschwerdegegner 1 zu Stimmungsschwankungen, die sich unter anderem in aggressivem Verhalten gegenüber den anderen Teilnehmern manifestierten. Er musste sich mehrmals übergeben und wurde mit verschiedenen Verletzungen, insbesondere einer Rissquetschwunde an der Lippe sowie an der linken Augenbraue, von der herbeigerufenen Sanitätspolizei in das Zieglerspital Bern überführt. Er verhielt sich dabei sehr renitent, so dass bei seiner Einweisung mehrere Polizeipatrouillen die Lage beruhigen mussten. Einer dieser Patrouillen gehörte auch der Beschwerdeführer an. Der Beschwerdegegner 1 wurde in einer Koje der Notfallaufnahme des Zieglerspitals, auf dem Rücken und auf seinen Armen liegend, die mittels Handschellen gefesselt waren, ärztlich untersucht. Er beschimpfte und bedrohte den neben ihm sitzenden Beschwerdeführer und spuckte ihn an, wobei er ihn am Hals/Pulloverrand traf. Der Beschwerdeführer wandte den Kopf leicht ab. In diesem Moment holte der Beschwerdegegner mit dem Bein aus und trat ihn gegen den Halsbereich. Hierbei streifte er ihn. Der Beschwerdeführer stand in der Folge auf, packte den Privatkläger mit einer Hand und gab ihm mit der anderen Hand links und rechts insgesamt vier Ohrfeigen.
 
Im vorliegenden Fall ist noch zu beurteilen, ob die Handlung des Beschwerdeführers als Amtsmissbrauch im Sinne von Art. 312 StGB zu werten ist.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Vorinstanz Bundesrecht verletzt habe, indem sie den Sachverhalt unter den Tatbestand des Amtsmissbrauchs subsumiert habe. Er beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach es bei Gewalt und Zwang durch Beamte nur darauf ankomme, ob der Täter seine besonderen Machtbefugnisse ausgenützt habe, indem er die Tat unter dem Mantel seiner amtlichen Tätigkeit begangen und dabei die ihm obliegenden Pflichten verletzt habe. Dabei sei die Handlung objektiv als Ausübung der Macht zu werten, wenn der unzulässige Übergriff dem Täter durch seinen dienstlichen Einsatz und durch die Ausnützung seiner Machtstellung erst ermöglicht wurde. Die Ohrfeigen würden vorliegend gerade nicht als Ausübung von Macht erscheinen, die ihm als Amtsträger kraft seiner Amtsstellung zukomme. Jeder hätte den tobenden, um sich spuckenden Beschwerdegegner 1 ohrfeigen können. Das affektive Ohrfeigen als Reaktion auf die Tritte, das Spucken sowie die Beleidigungen könne nicht als Ausübung einer spezifischen Amtsgewalt erscheinen (Beschwerde, S. 10).
 
2.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Beschwerdeführer den Beschwerdegegner 1 aus einem Affekt heraus geohrfeigt habe, um sich innere Befriedigung zu verschaffen (angefochtenes Urteil, S. 16). Der Beschwerdeführer habe zugegeben, dass er sich nach dem Spucken kurz habe beherrschen müssen. Die Ohrfeigen seien schliesslich eine spontane Reaktion im Sinne eines Zurückschlagens nach einer Kulmination von Provokationen gewesen (angefochtenes Urteil, S. 15). Die Ohrfeigen hätten nicht einem amtlichen Zweck gedient und seien nicht zur Sicherstellung der medizinischen Untersuchung und somit nicht in Erfüllung einer amtlichen Aufgabe erfolgt. Der Beschwerdegegner 1 habe sich - gefesselt - in polizeilicher Obhut befunden, und der Beschwerdeführer sei in seiner Funktion als Polizist im Spital anwesend gewesen. Es wäre einem beliebigen Passanten nicht möglich gewesen, in gleicher Weise gegen den Beschwerdegegner 1 vorzugehen. Die Ohrfeigen seien daher als Ausübung der Macht einzustufen, die dem Angeschuldigten als Amtsträger kraft seiner Amtsstellung zugekommen sei. Die Ohrfeigen seien durch die Ausnützung dieser Machtstellung überhaupt erst ermöglicht worden. Weder objektiv noch subjektiv habe der Beschwerdeführer in Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe gehandelt (angefochtenes Urteil, S. 24 f.).
 
2.3 Gemäss Art. 312 StGB machen sich Mitglieder einer Behörde oder Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen.
 
Amtsmissbrauch ist der zweckentfremdete Einsatz staatlicher Macht. Art. 312 StGB schützt einerseits das Interesse des Staates an zuverlässigen Beamten, welche mit der ihnen anvertrauten Machtposition pflichtbewusst umgehen, und andererseits das Interesse der Bürger, nicht unkontrollierter und willkürlicher staatlicher Machtentfaltung ausgesetzt zu werden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Straftatbestand angesichts der unbestimmt umschriebenen Tathandlung insofern einschränkend auszulegen, als nur derjenige die Amtsgewalt missbraucht, der die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht geschehen dürfte. Allerdings stellt sich nicht nur der einen amtlichen Zweck verfolgende übermässige Zwang objektiv als zweckentfremdeter Einsatz staatlicher Macht dar, sondern ebenso der ohne ein solches Ziel erfolgende sinn- und zwecklose Zwang durch Missbrauch der amtlichen Machtstellung. Das gilt angesichts der in Frage stehenden Rechtsgüter und des gegenüber anderen Verfehlungen gesteigerten Schutzinteresses jedenfalls bei physischer Gewalt oder bei Zwang durch Beamte (BGE 127 IV 209 E. 1b mit Hinweisen).
 
2.4 Wie die Vorinstanz mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Recht ausführt (angefochtenes Urteil, S. 24), kommt es somit bei Gewalt und Zwang durch Beamte nur darauf an, ob der Täter seine besonderen Machtbefugnisse ausgenützt hat, er die Tat gewissermassen unter dem Mantel seiner amtlichen Tätigkeit begangen und dabei die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat. Die Gewaltanwendung bzw. der Zwang müssen als Ausübung der Macht erscheinen, die dem Amtsträger kraft seiner Amtsstellung zukommt (vgl. BGE 127 IV 209 E. 1b mit Hinweisen).
 
2.5 Die Erwägungen der Vorinstanz zur Stellung und Funktion des Beschwerdeführers während des Einsatzes im Zieglerspital sind bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdegegner 1 befand sich aufgrund seines renitenten Verhaltens auch während seiner spitalärztlichen Behandlung in polizeilicher Obhut, indem ihn zeitweise mehrere Polizeibeamte bewachten und beaufsichtigten. Es trifft daher nicht zu, wie der Beschwerdeführer behauptet, dass jeder den tobenden, um sich spuckenden Beschwerdegegner 1 hätte ohrfeigen können und das Ohrfeigen nicht als Ausübung einer spezifischen Amtsgewalt erscheine. In der konkreten Situation in gleicher Weise gegen den Beschwerdegegner 1 vorzugehen, war dem Beschwerdeführer vielmehr nur als Amtsträger kraft seiner Amtsstellung möglich. Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer macht im Sinne eines Eventualstandpunktes im Falle der Bejahung des Amtsmissbrauchs geltend, die Vorinstanz habe eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung vorgenommen. Die Ohrfeigen seien keine Affekthandlung, sondern Ausdruck des Auftrags gewesen, mit geeigneten Mitteln dafür zu sorgen, dass der Beschwerdegegner 1 habe ruhig gestellt werden können. Die Massnahme sei geeignet gewesen, das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen (Beschwerde, S. 11 ff.).
 
3.2 Die Vorinstanz führte aus, dass nicht davon ausgegangen werden könne, der Beschwerdeführer habe die Ohrfeigen ausgeteilt, um den Privatkläger zu beruhigen und ihn der medizinischen Untersuchung zuzuführen. Die Aussage des Beschwerdeführers, die Ohrfeigen seien eine bewusste und rationale Entscheidung im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung gewesen, habe dieser erstmals anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vorgebracht, während seine tatnächsten Ausführungen sowie die Aussagen vor dem Untersuchungsrichter den Eindruck einer spontanen Reaktion auf das Verhalten des Beschwerdegegners 1 erweckt hätten (angefochtenes Urteil, S. 13).
 
3.3 Mit der Beschwerde in Strafsachen kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 133 II 249 E. 1.2.2) oder wenn sie auf einer Verletzung von schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Rüge der offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts prüft das Bundesgericht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nur insoweit, als in der Beschwerde explizit vorgebracht und substantiiert dargelegt wird, inwiefern der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 135 III 232 E. 1.2; 133 II 249 E. 1.4.3; 130 I 258 E. 1.3 mit Hinweisen).
 
3.4 Was der Beschwerdeführer gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz einwendet, erschöpft sich in einer blossen appellatorischen Kritik am angefochtenen Urteil, die für die Begründung einer willkürlichen Feststellung des Sachverhalts nicht genügt. Die Ausführungen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung darzutun. Denn für die Begründung von Willkür genügt praxisgemäss nicht, dass das angefochtene Urteil mit der Darstellung des Beschwerdeführers nicht übereinstimmt oder eine andere Lösung oder Würdigung vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre (BGE 131 IV 100 nicht publ. E. 4.1; BGE 127 I 54 E. 2b mit Hinweisen).
 
Der Beschwerdeführer widerspricht sich mit der hier vorgetragenen Sachverhaltsdarstellung, die Ohrfeigen habe er ausgeteilt, um den Privatkläger zu beruhigen und ihn der medizinischen Untersuchung zuzuführen, im Übrigen selber. An anderer Stelle der Beschwerdeschrift führt er aus, das affektive Ohrfeigen als Reaktion auf die Tritte, das Spucken sowie die Beleidigungen könne nicht als Ausübung einer spezifischen Amtsgewalt erscheinen (Beschwerde, S. 10). Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten.
 
3.5 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, bei ihm habe das Wissen bzw. Inkaufnehmen eines Missbrauchs seiner Amtsgewalt gefehlt. Zudem habe er nicht in der Absicht gehandelt, sich unrechtmässig einen Vorteil zu verschaffen bzw. einem anderen unrechtmässig einen Nachteil zuzufügen. Seine Amtshandlung sei daher rechtmässig gewesen (Beschwerde, S. 16).
 
3.6 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer habe wissentlich und willentlich gehandelt. Da er die Ohrfeigen nicht ausgeteilt habe, um den Beschwerdegegner 1 zu beruhigen und ihn der medizinischen Untersuchung zuzuführen, habe er auch nicht im Glauben handeln können, seine Machtbefugnisse pflichtgemäss auszuüben. Er habe genug von dessen renitenten Verhalten gehabt und ihm zeigen wollen, dass er das nicht mehr tolerieren werde. Damit habe er mindestens in Kauf genommen, seine Amtsgewalt zu missbrauchen. Die Vornahme einer Zwangsmassnahme, um dem Betroffenen einen Denkzettel zu verpassen, gelte zudem als Nachteil, so dass der Beschwerdeführer auch in Nachteilsabsicht gehandelt habe (angefochtenes Urteil, S. 25).
 
3.7 Die Erwägungen der Vorinstanz sind nicht zu beanstanden. Nach deren willkürfreien tatsächlichen Feststellungen sind die Ohrfeigen des Beschwerdeführers als spontane Reaktion im Sinne eines Zurückschlagens nach einer Kulmination von Provokationen zu werten. Sie haben daher nicht auf einem Entscheid rationaler Überlegung zur Sicherstellung der medizinischen Untersuchung gefusst. Der Beschwerdeführer hat vor diesem Hintergrund, wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, mindestens in Kauf genommen, seine Amtsgewalt zu missbrauchen. Ebenso hat die Vorinstanz zutreffend dessen Nachteilsabsicht bejaht. Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
 
4.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Oktober 2009
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Favre Keller
 
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