VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1B_60/2009  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1B_60/2009 vom 01.04.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_60/2009
 
Urteil vom 1. April 2009
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiberin Schoder.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Pfau,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17, Postfach,
 
8026 Zürich.
 
Gegenstand
 
Sicherheitshaft,
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 6. März 2009 des Obergerichts des Kantons Zürich, Anklagekammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Anklageschrift vom 17. November 2008 wirft die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich X.________ versuchte vorsätzliche Tötung vor. Er soll am 5. September 2007, um circa 21.54 Uhr, im Restaurant Y.________ in Zürich ein Hackbeil ergriffen und dieses dem Mitangeklagten A.________ mit den Worten "schneid ihn" bzw. "schlag ihn" übergeben haben, nachdem sich dieser und B.________ im Verlaufe einer verbalen Auseinandersetzung gegenseitig zu stossen begonnen hatten. A.________ habe daraufhin das Hackbeil erhoben und mehrere Male bewusst und gewollt von oben herab in Richtung des Kopfes von B.________ geschlagen, was auch der Angeklagte gewollt, zumindest aber in Kauf genommen habe, da er A.________ weiterhin angefeurt habe. B.________ habe eine Schnittverletzung und einen Bruch der Elle (Abtrennung) im Ellenbogenbereich davongetragen, da er einmal am linken Arm getroffen worden sei, den er schützend über seinen Kopf gehalten habe. Der Angeklagte habe im Rahmen seiner Tatbeteiligung zumindest in Kauf genommen, dass der Geschädigte tödliche Kopfverletzungen hätte erleiden können.
 
Mit Verfügung vom 24. November 2008 ordnete die Präsidentin der Anklagekammer die Sicherheitshaft des Angeklagten an. Ferner forderte sie den Angeklagten auf, seine Rechte nach § 198 und § 198a der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO; LS 321) wahrzunehmen. Nach Einsicht in die Eingabe des Angeklagten vom 23. Januar 2009 liess die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 2. Februar 2009 die Anklage zu und überwies den Angeklagten dem Geschworenengericht des Kantons Zürich zur Beurteilung.
 
Am 2. Februar 2009 ersuchte der Angeklagte persönlich bei der Staatsanwaltschaft IV um Entlassung aus der Sicherheitshaft. Die Stellungnahme des amtlichen Verteidigers, womit am Haftentlassungsgesuch festgehalten wurde, ging am 4. März 2009 bei der Anklagekammer ein. Mit Verfügung vom 6. März 2009 wies der Stellvertreter der Präsidentin der Anklagekammer das Haftentlassungsgesuch wegen Kollusionsgefahr ab.
 
B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ die Aufhebung der Haftverfügung der Anklagekammer und seine unverzügliche Entlassung aus der Sicherheitshaft. Eventualiter sei das Verfahren zur Prüfung von Ersatzmassnahmen und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren.
 
C.
 
Die zuständige Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft IV verzichtet unter Verweis auf ihren Antrag auf Fortsetzung der Sicherheitshaft vom 20. Februar 2009 auf eine ausführliche Vernehmlassung. Die Präsidentin der Anklagekammer verzichtet ebenfalls auf Stellungnahme. Der Beschwerdeführer hat nicht repliziert.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen (Art. 78 ff. BGG) sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist - unter dem Vorbehalt rechtsgenüglich begründeter Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254) - somit einzutreten.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet als erstes den dringenden Tatverdacht der versuchten vorsätzlichen Tötung. Er habe wesentliche Elemente der Anklage bestritten. Dennoch habe die Anklagekammer die Anklage zugelassen und sei auf seine Einwände nicht eingegangen. Selbst für den Fall, dass das Geschworenengericht ihn als schuldig erachten sollte, könnte ihm einzig eine einfache Körperverletzung zur Last gelegt werden. Da er seit dem 7. September 2007 inhaftiert sei, drohe die Gefahr der Überhaft.
 
2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 StPO ist die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und aufgrund bestimmter Anhaltspunkte Kollusionsgefahr ernsthaft zu befürchten ist. Die Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu ersetzen, sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§ 58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO). Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Anordnung und Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft zulässig (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StPO).
 
2.3 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich ohne ausreichenden Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist allein zu prüfen, ob genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer eine Straftat begangen hat und die kantonalen Behörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften (BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146).
 
2.4 Gemäss Anklageschrift vom 17. November 2008 wird dem Beschwerdeführer versuchte vorsätzliche Tötung zur Last gelegt. Aufgrund der Aktenlage ist nicht von vornherein auszuschliessen, dass das in der Sache zuständige Geschworenengericht den Antrag der Staatsanwaltschaft übernehmen könnte. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt (Gewaltbereitschaft seitens des Opfers, Verständigungsschwierigkeiten unter den Beteiligten, Begehung einer einfachen Körperverletzung), reicht jedenfalls nicht aus, den auf die Aussagen des Geschädigten sowie auf diverse Zeugenaussagen gestützten Tatverdacht (vgl. den Antrag der Staatsanwältin auf Fortsetzung der Sicherheitshaft vom 20. Februar 2009) in Frage zu stellen. Die abschliessende Würdigung der ärztlichen Gutachten und die strafrechtliche Würdigung des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verhaltens sind nicht im Haftprüfungsverfahren vorzunehmen, sondern dem Sachgericht zu überlassen. Die Einwände des Beschwerdeführers, die Anklagekammer sei auf seine Vorbringen nicht näher eingegangen und es drohe bei einem Schuldspruch wegen einfacher Körperverletzung die Gefahr der Überhaft, zielen deshalb ebenfalls ins Leere.
 
3.
 
3.1 Des Weitern bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen von Kollusionsgefahr. Er ist sodann der Auffassung, dass mit einer Pass- und Schriftensperre sowie einer Kontaktsperre oder mit einer Meldepflicht einer allfälligen Kollusionsgefahr wirksam begegnet werden könnte.
 
3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verhältnismässigkeit der Einschränkung der persönlichen Freiheit durch strafprozessuale Haft (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK) genügt die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der strafprozessualen Haft zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23). Dazu gehören namentlich das bisherige Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess, seine persönlichen Merkmale, seine Stellung und seine Tatbeiträge im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie seine Beziehungen zu den ihn belastenden Personen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 S. 23).
 
3.3 In der Haftverfügung wird die Kollusionsgefahr folgendermassen begründet: Der Beschwerdeführer (Angeklagte) sei weitgehend ungeständig. Er werde sich zusammen mit dem Mitangeklagten A.________ vor dem Geschworenengericht verantworten müssen. Dieses Verfahren werde nach dem Unmittelbarkeitsprinzip durchgeführt. Die im Untersuchungsverfahren einvernommenen Zeugen und Auskunftspersonen müssten nochmals befragt werden. Vor diesem Hintergrund sei zu befürchten, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Haftentlassung versucht sein könnte, auf die bereits einvernommenen Personen, insbesondere die Belastungszeugen, einzuwirken.
 
3.4 Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was eine Kollusionsgefahr ausschliessen könnte. Selbst wenn der Mitangeklagte A.________ "faktisch gleichlautende Aussagen" gemacht haben sollte, wie der Beschwerdeführer behauptet, so ist eine Beeinflussung keineswegs auszuschliessen, sei dies mit Blick auf einen eventuellen Widerruf bereits erfolgter Aussagen, sei dies mit Blick auf den unmittelbaren Prozess vor dem Geschworenengericht, bei dem eine nochmalige Einvernahme bevorsteht.
 
Bezüglich der weiteren Zeugen beschränkt sich der Beschwerdeführer auf die blosse Behauptung, es liege aus seiner Sicht keine Kollusionsgefahr vor. In diesem Punkt ist die Beschwerde rechtsungenüglich begründet (vgl. E. 1 hiervor). Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern die beantragten Ersatzmassnahmen (Pass- und Schriftensperre, Kontaktsperre, Meldepflicht) in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnten.
 
In Anbetracht der Verfassungsmässigkeit der Fortdauer der Haft wegen Kollusionsgefahr kann, gleich wie in der angefochtenen Haftverfügung, offen bleiben, ob zusätzlich der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben wäre (vgl. dazu aber das in der Sache bereits ergangene Urteil des Bundesgerichts 1B_96/2008 vom 6. Mai 2008 E. 4).
 
4.
 
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist ebenfalls abzuweisen, da der Beschwerdeführer es nicht begründet hat und im Übrigen die gestellten Rechtsbegehren aussichtlos sind (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von CHF 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV und dem Obergericht des Kantons Zürich, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. April 2009
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Féraud Schoder
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).