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Informationen zum Dokument  BGer 2C_763/2008  Materielle Begründung
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BGer 2C_763/2008 vom 26.03.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_763/2008
 
Urteil vom 26. März 2009
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Müller, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Donzallaz,
 
Gerichtsschreiber Winiger.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Gerold Meier,
 
gegen
 
Bundesamt für Migration.
 
Gegenstand
 
Anerkennung der Staatenlosigkeit,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom 9. September 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ wurde 1976 im Irak geboren und lebte nach eigenen Angaben von 1978 bis 1999 im Libanon. Am 5. April 1999 gelangte er in die Schweiz und ersuchte um Asyl. Das Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration) lehnte mit Verfügung vom 20. Februar 2000 sein Asylgesuch ab und die damals zuständige Asylrekurskommission (heute: Bundesverwaltungsgericht) bestätigte am 20. September 2000 diesen Entscheid.
 
Mit Verfügung vom 16. Mai 2001 erteilte die Migrationsbehörde des Kantons Schaffhausen X.________ eine Jahresaufenthaltsbewilligung, da er beim zuständigen Zivilstandesamt den Schweizer Bürger Y.________ (geb. 2000) als sein Kind anerkannt hatte.
 
B.
 
Im Zusammenhang mit einem noch hängigen Gesuch um Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person gelangte X.________ am 17. Februar 2006 an das Bundesamt für Migration und beantragte formell die Anerkennung seiner Staatenlosigkeit. Er brachte vor, obwohl im Irak geboren, habe er nie über einen entsprechenden Ausweis verfügt. Auch im Libanon sei er nie als Staatsangehöriger aufgenommen worden. Das Bundesamt für Migration lehnte mit Verfügung vom 3. April 2006 das Gesuch um Anerkennung der Staatenlosigkeit ab. Es machte unter anderem geltend, als Sohn eines Irakers sei er von Gesetzes wegen irakischer Staatsangehöriger und somit nicht staatenlos.
 
In der Folge wandte sich X.________ am 20. April 2006 mit einem Wiedererwägungsgesuch an das Bundesamt für Migration, welches die Eingabe an das damals zuständige Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) überwies; dieses nahm die Eingabe als Beschwerde entgegen. Am 1. Januar 2007 übernahm das Bundesverwaltungsgericht die Beurteilung des beim Beschwerdedienst des EJPD hängigen Rechtsmittels und wies mit Urteil vom 9. September 2008 die Beschwerde ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. Oktober 2008 beantragt X.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben sowie festzustellen, dass der Beschwerdeführer staatenlos sei. Sodann ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Gerügt wird im Wesentlichen, die Vorinstanz habe "klare Auslegungsfehler" begangen. Sinngemäss wird eine Verletzung der völkerrechtlichen Bestimmungen über die Staatenlosigkeit geltend gemacht.
 
D.
 
Das Bundesamt für Migration beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Ein Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG ist nicht ersichtlich. Gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Dies trifft auf den Beschwerdeführer hinsichtlich einer - allfälligen - Anerkennung seiner Staatenlosigkeit zu, namentlich weil gemäss Art. 31 Abs. 1 und Art. 59 Abs. 2 lit. b AuG (SR 142.20) einer von der Schweiz als staatenlos anerkannten Person ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung resp. auf Reisepapiere eingeräumt wird.
 
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist - da auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind - einzutreten.
 
1.2 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet im Übrigen einzig die Frage, ob der Beschwerdeführer (im Sinne des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen) als Staatenloser anzuerkennen sei, nicht jedoch dessen Aufenthaltsregelung in der Schweiz.
 
1.3 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht - inklusive Bundesverfassungsrecht -, Völkerrecht sowie kantonale verfassungsmässige Rechte (Art. 95 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substantiiert vorzubringen ist (Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.), setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels sich für den Ausgang des Verfahrens als entscheidend erweist (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
1.4 Der Beschwerdegrund der Verletzung von Völkerrecht kann sich nur auf einen Staatsvertrag beziehen, der unmittelbar anwendbar ("self-executing") ist (BGE 133 I 286 E. 3.2 S. 291 mit Hinweisen). Das New Yorker Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (SR 0.142.40; im Folgenden: Staatenlosen-Übereinkommen) enthält sowohl Bestimmungen, die "self-executing"-Charakter haben (und damit unmittelbar anwendbar sind), als auch solche, die noch einer näheren Ausführung bedürfen, weil sie den Gegenstand nur dem Grundsatz nach regeln und den Vertragsstaaten in der Ausgestaltung ein weites Ermessen einräumen (Yvonne Burckhardt-Erne, Die Rechtsstellung der Staatenlosen im Völkerrecht und Schweizerischen Landesrecht, 1977, S. 89 f.). Im vorliegenden Verfahren kann indessen dahingestellt bleiben, ob die vom Beschwerdeführer angerufenen Bestimmungen des Staatenlosen-Übereinkommens unmittelbar anwendbar sind, da die Beschwerde in der Sache selber ohnehin abzuweisen ist.
 
2.
 
2.1 Das von der Schweiz am 3. Juli 1972 ratifizierte Staatenlosen-Übereinkommen definiert in Art. 1 Ziff. 1 den Staatenlosen als "eine Person, die kein Staat aufgrund seiner Gesetzgebung als seinen Angehörigen betrachtet". Dem Staatenlosen gewährt kein Staat diplomatischen Schutz, und kein Staat ist zu seiner Aufnahme verpflichtet. De iure staatenlos ist, wer formell keine Staatsangehörigkeit besitzt. Der de facto Staatenlose hat zwar formell noch eine Staatsangehörigkeit, sein Heimatstaat gewährt ihm aber keinen Schutz mehr, oder er selbst lehnt den Schutz des Heimat-staates ab (Samuel Werenfels, Der Begriff des Flüchtlings im schweizerischen Asylrecht, 1987, S. 128 f.).
 
2.2 Das Staatenlosen-Übereinkommen findet gemäss der erwähnten Begriffsbestimmung von Art. 1 nur auf die de iure Staatenlosen Anwendung (Burckhardt-Erne, a.a.O., S. 19). Es bezweckt die "Gleichbehandlung der Staatenlosen mit den Flüchtlingen, so namentlich in bezug auf die personenrechtliche Stellung, die Abgabe eines Reiseausweises, die Sozialversicherungen und die Unterstützung" (Botschaft vom 11. August 1971 über die Genehmigung des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen, BBl 1971 II 424; vgl. BGE 115 V 4 ff. E. 2b S. 9; Urteil 2A.65/1996 vom 3. Oktober 1996 E. 3b).
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz im Wesentlichen vor, sie habe das Staatenlosen-Abkommen falsch ausgelegt, da es nach dem Abkommen nicht darauf ankomme, ob jemand Staatsangehöriger eines Staates sei, sondern einzig darauf, ob er vom betreffenden Staat als Angehöriger anerkannt werde. Der Beschwerdeführer habe alles Mögliche unternommen, um irakische Ausweispapiere zu erhalten. Er könne nicht beweisen, dass er der Sohn eines Irakers sei, weshalb ihn der irakische Staat nicht als irakischen Staatsbürger anerkenne.
 
3.2 Die Vorbringen des Beschwerdeführers vermögen nicht zu überzeugen. Wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, fallen nach feststehender Rechtsprechung Personen, die ihre Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben haben oder sich ohne triftige Gründe weigern, diese wieder zu erwerben, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten, nicht unter das Staatenlosen-Übereinkommen (Urteile 2C_1/2008 vom 28. Februar 2008 E. 3.2; 2A.153/2005 vom 17. März 2005 E. 2.1; 2A.147/2002 vom 27. Juni 2002 E. 3.1; 2A.545/1998 vom 15. März 1999 E. 2; 2A.65/1996 vom 3. Oktober 1996 E. 3c; vgl. auch Urteil 2A.309/1991 vom 16. März 1992 E. 2). Damit wird verhindert, dass der Status der Staatenlosigkeit den ihm im Übereinkommen zugedachten Auffang- und Schutzcharakter verliert und zu einer Sache der persönlichen Präferenz wird. Es kann nicht Sinn und Zweck des Staatenlosen-Übereinkommens sein, die Staatenlosen gegenüber den Flüchtlingen, deren Status sich nicht nach dem Willen der Betroffenen richtet, besser zu stellen, zumal die Völkergemeinschaft seit langem versucht, die Zahl der Staatenlosen zu reduzieren. Das Staatenlosen-Übereinkommen wurde nicht geschaffen, damit Einzelne nach Belieben eine privilegierte Rechtsstellung erwirken können. Es dient in erster Linie der Hilfe gegenüber Menschen, die ohne ihr Zutun in eine Notlage geraten (Urteile 2C_1/2008 vom 28. Februar 2008 E. 3.2; 2A.78/2000 vom 23. Mai 2000 E. 2b; WERENFELS, a.a.O., S. 130 f.).
 
3.3 Gemäss dem von der Vorinstanz festgestellten und für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt (vgl. E. 1.3) hat sich der Beschwerdeführer gegenüber den schweizerischen Behörden stets als ein im Irak geborener Sohn eines irakischen Vaters ausgegeben. Weiter hat die Vorinstanz festgestellt, dass das heute geltende Gesetz Nr. 26 über die irakische Staatsangehörigkeit vom 7. April 2006 den Erwerb der irakischen Staatsangehörigkeit durch ein Kind eines irakischen Vaters selbst im Fall unbekannter Eltern vorsehe (vgl. auch Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, ISDC's Letter, Juli 2006, Nr. 10, S. 4 f.; BERGMANN/FERID, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Irak, 2006, Vorblatt). Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die irakische Gesetzgebung dem Beschwerdeführer einen Anspruch auf die irakische Staatsbürgerschaft einräumt. Die Vorinstanz hat zu Recht ausgeführt, dass es somit am Beschwerdeführer liege, die nötigen Schritte zur Erlangung eines irakischen Identitäts- sowie Nationalitätenausweises zu unternehmen.
 
3.4 Der Beschwerdeführer zeigt nicht rechtsgenüglich auf, dass er das für ihn Zumutbare unternommen hat, um die irakische Staatsbürgerschaft wieder zu erlangen. Er hat im vorliegenden Verfahren keinerlei Beweismittel ins Recht gelegt, welche seine Bemühungen um Erlangung der irakischen Staatsbürgerschaft konkret dokumentieren würden. Er begnügt sich mit allgemeinen Hinweisen auf nicht beantwortete schriftliche Eingaben oder Telefongespräche. Im Übrigen legt der Beschwerdeführer nicht näher dar, inwiefern der angefochtene Entscheid Bundesrecht oder Völkerrecht verletzen soll.
 
Der vorinstanzliche Schluss, gestützt auf seine Aussagen sowie in Berücksichtigung der massgeblichen irakischen Gesetzesbestimmungen sei der Beschwerdeführer aufgrund seiner Abstammung als irakischer Staatsbürger und nicht als staatenlos zu betrachten, ist somit nicht zu beanstanden. Würden dem Beschwerdeführer in der vorliegenden Situation die mit der Staatenlosigkeit verknüpften Rechte zugestanden, verlöre dieser Rechtsstatus den ihm zugedachten Schutzcharakter und würde sich nach der persönlichen Präferenz des Betroffenen richten. Diese Konsequenz ist aber nicht mit dem Staatenlosen-Übereinkommen zu vereinbaren (vgl. E. 3.2).
 
4.
 
Daraus ergibt sich, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten abzuweisen ist.
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer (Art. 66 Abs. 1 BGG) aufzuerlegen; seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann mangels ernsthafter Erfolgsaussichten der Beschwerde nicht entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG). Der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers wird indessen bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung getragen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. März 2009
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Müller Winiger
 
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