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Informationen zum Dokument  BGer 9C_370/2008  Materielle Begründung
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BGer 9C_370/2008 vom 09.01.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_370/2008
 
Urteil vom 9. Januar 2009
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Borella, Seiler,
 
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.
 
Parteien
 
J.________, Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Gmünder, Bahnhofstrasse 7, 9630 Wattwil,
 
gegen
 
1. T.________, vertreten durch Rechtsanwalt Samuel Mäder, St. Galler Strasse 99, 9200 Gossau,
 
2. IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
 
vom 26. Februar 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügungen vom 18. November 1999 wurde T.________ rückwirkend ab April 1995 eine Invalidenrente, eine Zusatzrente für die seit November 1997 getrennt von ihm lebende Ehefrau J.________ sowie fünf Kinderrenten für die Kinder M.________, C.________, R.________, O.________ und A.________ zugesprochen. Trotz der von ihm am 4. Januar 2000 dagegen erhobenen Beschwerde, mit welcher er die Drittauszahlung rügte, wurden die Rentenleistungen noch im November 1999 an J.________ ausbezahlt. Mit Verfügung vom 29. Oktober 2004 forderte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen von ihr Rentenleistungen von Fr. 68'582.- und von T.________ Fr. 7'572.- zurück, was unter Verrechnung eine Nettorückforderung von Fr. 61'010.- ihr gegenüber ergab. Mit Entscheid vom 4. November 2005 hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Beschwerde des T.________ teilweise gut und wies einen Anspruch vom 1. April 1995 bis 31. Oktober 1997 von J.________ auf Drittauszahlung ab; für November 1997 bis November 1999 wies es die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese für jedes Kind Monat für Monat prüfe, bei welchem Elternteil - der diesfalls auszahlungsberechtigt sei - es gewohnt habe.
 
In der Folge erliess die IV-Stelle unter Berücksichtigung einer Aufstellung der Aufenthaltsorte der Kinder, welche vom Rechtsvertreter von T.________ erstellt und von diesem sowie vom Rechtsvertreter von J.________ im Rahmen des Scheidungsverfahrens vor Kantonsgericht gutgeheissen worden war, am 7. Dezember 2006 eine Rückforderungsverfügung gegenüber J.________ im Betrag von Fr. 38'718.- sowie eine Nachzahlungsverfügung gegenüber T.________ in der Höhe von Fr. 34'134.-, welche sie nach verschiedenen Einwänden von beiden am 27. Dezember 2006, also noch während der Rechtsmittelfrist, durch zwei neue Verfügungen ersetzte (Rückzahlungsforderung gegenüber J.________ neu Fr. 76'263.-, Nachzahlungsanspruch von T.________ neu Fr. 71'679.-).
 
B.
 
Die von J.________ gegen die Rückforderungsverfügung erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 26. Februar 2008 teilweise gut, soweit es darauf eintrat, und verpflichtete J.________, der IV-Stelle Rentenleistungen von Fr. 62'272.- zurückzuzahlen; gleichzeitig wurde der vom Beigeladenen T.________ gestellte Antrag, soweit darauf eingetreten werden konnte, in dem Sinne gutgeheissen, dass die IV-Stelle verpflichtet wurde, ihm Rentenleistungen von Fr. 77'989.- nachzuzahlen.
 
C.
 
J.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Rückforderungsverfügung gegenüber ihr vollumfänglich aufzuheben, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. T.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
 
2.
 
In verfahrensmässiger Hinsicht erwog die Vorinstanz im Wesentlichen, Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bilde nur die Vollstreckung der Rentenzusprache vom 18. November 1999, nicht aber die Rentenberechtigung von T.________. Da sie mit Entscheid vom 4. November 2005 die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurückgewiesen habe, stellten die beiden Verfügungen vom 27. Dezember 2006 nur eine Ergänzung der Rentenverfügungen vom 18. November 1999 durch die Auszahlungsregelung dar. Zudem hätte das T.________, die Beschwerdeführerin und die IV-Stelle betreffende Rechtsverhältnis durch eine einzige Verfügung geregelt werden müssen, weshalb die beiden angefochtenen Verfügungen als eine einzige zu betrachten seien und auch die Nachzahlungsverfügung gegenüber T.________ Gegenstand des Verfahrens bilde. Diese Schlussfolgerungen sind zutreffend, und es werden dagegen auch keine Einwände erhoben, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen.
 
3.
 
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin der IV-Stelle Rentenleistungen in der Höhe von Fr. 62'272.- zurückzuerstatten hat.
 
3.1 Die Vorinstanz kam zum Schluss, entsprechend der streitigen Verfügung vom 27. Dezember 2006 seien der Beschwerdeführerin Zusatz- und Kinderrenten von insgesamt Fr. 76'263.- zu Unrecht ausbezahlt worden (und wäre dieser Betrag grundsätzlich an T.________ auszuzahlen), da aber die Rückforderung der für den Sohn O.________ zwischen Dezember 1999 und Mai 2001 ausbezahlten Rentenleistungen verwirkt sei, reduziere sich die Rückerstattungspflicht um Fr. 13'991.- auf Fr. 62'272.-. Anderseits habe die IV-Stelle mit einer rechtskräftigen Verfügung vom 12. Oktober 2006 Rentenleistungen in der Höhe von Fr. 4'584.- von T.________ zurückgefordert und dies im Einverständnis desselben mit der ihm zustehenden Nachforderung verrechnet, sodass die Nettonachzahlung an ihn entsprechend der angefochtenen Verfügung grundsätzlich Fr. 71'679.- (Fr. 76'263.- abzüglich Fr. 4'584.-) betrage. Da aber die dabei bereits in Abzug gebrachte Rückforderung von zu Unrecht an ihn ausbezahlten Kinderrenten für die Tochter M.________ von Fr. 6'310.- verjährt sei, habe T.________ Anspruch auf eine Nachzahlung von Fr. 77'989.-.
 
Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, das kantonale Gericht habe den Sachverhalt unvollständig und unzutreffend festgestellt und sich vielmehr "auf ein altes Urteil gestützt, das auf falschen Prämissen beruht". Sie bringt dazu im Wesentlichen vor, auf Grund der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit ihres Ehemannes (50 % ab 1991 und 100 % arbeitsunfähig ab 1. Januar 1996) habe sie die Familie zu wesentlichen Teilen selbst unterhalten müssen. Entgegen ihrem Beweisantrag seien jedoch die tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere die Frage, wie viel der Ehemann damals tatsächlich verdienen konnte, nicht abgeklärt worden. Zudem hätten die Sozialbehörden bereits Leistungen im Umfang von rund Fr. 37'500.- zurückgefordert und es habe eine entsprechende Verrechnung mit den Rentenleistungen stattgefunden; insofern werde von ihr nun eine Doppelzahlung verlangt. Schliesslich habe sie sich beim Erhalt der IV-Leistungen im guten Glauben befunden, dass ihr diese Leistungen zustünden. Auch die grosse Härte liege vor, weshalb die Rückforderungsverfügung in ihrer Ausgestaltung - sinngemäss, weil darin der Erlass der Rückerstattungsforderung nicht geprüft wird - Art. 25 ATSG verletze.
 
3.2 Was zunächst den Einwand der ungenügenden Abklärung betrifft, ist festzuhalten, dass mit dem Entscheid der Vorinstanz vom 4. November 2005 nicht nur die Auszahlungsberechtigung für die Periode vom 1. April 1995 bis 31. Oktober 1997 rechtskräftig feststeht und damit eine gerichtliche Überprüfung für diese Zeit ausgeschlossen ist, sondern für die Periode vom 1. November 1997 bis 30. November 1999, für welche die Sache zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückgewiesen wurde, die Voraussetzung für die Auszahlungsberechtigung festgelegt wurde. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, ist gemäss diesem Entscheid für die Auszahlungsberechtigung massgebend, bei welchem Elternteil ein Kind gewohnt hat, da auf Grund der Tatsache, dass keiner der beiden Elternteile dem anderen finanzielle Unterhaltsleistungen ausgerichtet habe, davon auszugehen ist, dass derjenige Elternteil überwiegend für den Unterhalt eines Kindes aufgekommen ist, bei dem dieses Kind gewohnt hat. Die entsprechende Aufstellung der IV-Stelle wurde sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von T.________ als richtig anerkannt. Damit ist der jeweilige Aufenthaltsort der Kinder mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt; weiterer Abklärungsbedarf besteht nicht. Die von der Beschwerdeführerin ins Feld geführten finanziellen Verhältnisse sind nach dem Gesagten für die Auszahlungsberechtigung gerade nicht massgebend. Wenn die Vorinstanz deshalb von weiteren Abklärungen abgesehen hat, ist dies mit Blick auf den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) nicht zu beanstanden.
 
Sodann ist der Vorwurf der Beschwerdeführerin unberechtigt, es werde von ihr eine Doppelzahlung verlangt, da die nachträglich an sie ausbezahlten IV-Leistungen im Umfang von Fr. 37'545.- bereits von der Stadt X.________, welche ihr Sozialhilfe erbracht habe, zurückgefordert worden seien. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin betrifft die Forderung des Sozialamtes X.________, wie die Vorinstanz verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG) festgestellt hat, eine andere Periode als diejenige, für welche Leistungen zurückgefordert wurden. Von einer Doppelzahlung kann also keine Rede sein.
 
Schliesslich sind auch die Ausführungen zum guten Glauben und zur grossen Härte unbehelflich, betreffen diese doch den Erlass der Rückerstattung (Art. 25 Abs. 1 ATSG), welcher erst nach dem rechtskräftigen Feststehen der Rückerstattungsforderung geprüft wird. Ein entsprechendes Gesuch hat die Beschwerdeführerin schon eingereicht; dieses wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rückerstattungsforderung sistiert.
 
4.
 
Gestützt auf Art. 64 Abs. 1 BGG ist die unentgeltliche Rechtspflege (Befreiung von Gerichtskosten und Bezeichnung des Rechtsanwalts Matthias Gmünder als amtlicher Rechtsvertreter) im Verfahren vor Bundesgericht zu gewähren. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist. Die Beschwerdeführerin hat zudem an T.________, der nicht nur Beigeladener, sondern Gegenpartei ist, eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG), wovon sie die ihr gewährte unentgeltliche Rechtspflege nicht befreit (THOMAS GEISER, N 28 zu Art. 64, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Rechtsanwalt Matthias Gmünder, Wattwil, wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.
 
4.
 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner 1 für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 9. Januar 2009
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Meyer Helfenstein Franke
 
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