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Informationen zum Dokument  BGE 41 II 252 - Manilahanf  Materielle Begründung
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Zitiert selbst:

Sachverhalt
A.
B.
Auszug aus den Erwägungen:
Erwägung 1
1. Zwischen den Parteien fand am 13. August 1913 in Wohlen eine B ...
Erwägung 2
2. Mit Recht hat die Vorinstanz den Einwand des Beklagten zur&uum ...
Erwägung 3
3. Der zweite Einwand des Beklagten geht dahin, es habe auch eine ...
Erwägung 4
4. Die vorhandene Unbestimmtheit könnte nur durch die besond ...
Erwägung 5
5. Nach dem Gesagten entbehrt die vorliegende Klage der rechtlich ...
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Amanda Wittwer, Susan Emmenegger  
 
BGE 41 I, 252 (252)Urteil der I. Zivilabteilung
 
vom 1. Mai 1915  
i.S. Dreifuss, Kläger,  
gegen  
Schwegler, Beklagten.  
Kauf. Bedeutung der schriftlichen Fixierung des Geschäfts? Dissens über die Art der Gewichtsberechnung (Original- oder Effektivgewicht im Handel mit Hanf). Art. 212 Abs. 3 OR: Vorbehalt besonderer kaufmännischer Uebungen mit Bezug auf die Bestimmung des Kaufpreises bei mangelnder Festsetzung durch die Parteien; Feststellung des kantonalen Richters, dass eine Uebung nicht bestehe.  
 
Sachverhalt
 
 
A.
 
Mit Urteil vom 12. November 1914 hat das Handelsgericht des Kantons Aargau die Klagebegehren:
1
    "1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass der Beklagte am 13. August 1913 mit den Klägern einen Kaufvertrag um 18,000 Fr. abgeschlossen hat, mit folgendem Inhalt:
2
    Der Beklagte verpflichtet sich, den Klägern 2000 Kg. Hanf in Strangen prima courante Qualität franko Wohlen zum Preise von 9 Fr. gemäss Gewicht in Wohlen, netto 30 Tage, zu liefern, wovon die erste Sendung von zirka 500 Kg. lieferbar im September, die Restanz im Oktober und November 1913.
3
    2. Der Beklagte sei zu verurteilen, den Klägern als Schadenersatz 7000 Fr. zu bezahlen, nebst 5% Zins seit 1. Oktober 1913 von 1750 Fr. und 5% seit 30. November 1913 von 5250 Fr. Feststellung nach richterlichem Ermessen vorbehalten.
4
    3. Es sei den Klägern im Sinne von Ziff. IV 1-2 der Klage ausdrücklich das Mehr- und Nachforderungsrecht vorzubehalten",
5
abgewiesen.BGE 41 I, 252 (252)
6
 
BGE 41 I, 252 (253)B.
 
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt, mit dem Begehren um Aufhebung und um Gutheissung der Klage; eventuell beantragen die Kläger Berücksichtigung ihrer Beweisanträge, insbesondere Durchführung eines Beweisverfahrens über das Zustandekommen des Vertrages und die Höhe des behaupteten Schadens.
7
 
Auszug aus den Erwägungen:
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
8
 
Erwägung 1
 
9
Gleichen Tages schrieb der Beklagte an die Kläger:
10
    "Gemäss unserer heutigen Absprache habe ich Ihnen zu liefern:
11
    2000 Kg. Hanf in Strangen, prima courante Qualität, zum Preise von 9 Fr. netto 30 Tage, franko hier, Originalgewicht. Lieferung: bis zirka 500 Kg. im September, Rest von zirka 1500 Kg. nach Eintreffen im Oktober und November a. c. Zahlung per Anweisung auf 30 Tage netto nach Erhalt der Ware und Faktura."
12
Die Kläger erwiderten sofort, dass das Originalgewicht (von Manila) bei ihnen nicht in Betracht kommen könne, sie müssten wie immer auf das bei der Ablieferung in Wohlen festzustellende Gewicht abstellen, wovon der Beklagte Vormerkung nehmen wolle.
13
In der darauffolgenden Korrespondenz beharrten beide Parteien auf ihrem Standpunkt. Der Beklagte weigerte sich am 18. August 1913 endgültig, den Vertrag so zu halten, wie die Kläger ihn verstanden wissen wollten; gleichzeitig wiederholte er seine Offerte, die indessen von den Klägern mit der Begründung abgelehnt wurde, dass sie nie Hanf zu Originalgewicht kauften.BGE 41 I, 252 (253)
14
BGE 41 I, 252 (254)Am 18. September kamen die Kläger auf die Sache zurück, indem sie den Beklagten um Ablieferung der im September lieferbaren 500 Kg. ersuchten. Der Beklagte antwortete wieder, es sei kein gültiger Vertrag zustandegekommen. Darauf setzte ihm der Vertreter der Kläger mit Zuschrift vom 24. September 1913 eine Frist zur Erfüllung bis Ende des Monates an, ansonst die Kläger ihn wegen Vertragsbruches auf Schadenersatz belangen würden. Da der Beklagte auf seiner Weigerung bestand, reichten die Gebrüder Dreifuss die vorliegende Klage ein, die vom aargauischen Handelsgericht im vollen Umfange abgewiesen wurde.
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Erwägung 2
 
2. Mit Recht hat die Vorinstanz den Einwand des Beklagten zurückgewiesen, dass der Vertrag deshalb nichtig sei, weil eine schriftliche Bestätigung der mündlichen Abrede vorbehalten, die vom Beklagten schriftlich bestätigte Offerte dann aber durch die Kläger ausgeschlagen worden sei. Das Handelsgericht stellt fest, dass ein solcher Vorbehalt nicht bewiesen sei. Der Vorbehalt in dem vom Beklagten behaupteten Sinne würde sich übrigens nicht als Vereinbarung der Anwendung der Schriftform gemäss Art. 16 OR darstellen, sondern als einseitige, sofortige Bindung der Kläger, während die Bindung des Beklagten durch eine spätere schriftliche Erklärung bedingt wäre. Der Beklagte hat aber keinen Grund angegeben, weshalb sein Entschluss hätte auf geschoben werden sollen, während die Kläger gebunden gewesen wären, namentlich nicht etwa, dass ein Dritter sein Einverständnis erklären musste, oder dass Erkundigungen einzuziehen waren, oder ein anderes Ereignis auf seine Entschliessung einzuwirken hatte. Dass die Verbindlichkeit der einen Partei während gewisser Zeit hätte rein potestativ bedingt sein sollen, während die andere schlechthin verpflichtet war, ist denn auch bei Geschäften, die den Preisschwankungen so sehr unterworfen sind, wie das vorliegende, nicht anzunehmen. Es erscheint somit als durchaus plausibel, dass die schriftBGE 41 I, 252 (254)BGE 41 I, 252 (255)liche Fixierung des Geschäfts durch den Beklagten lediglich die Bedeutung der Klarstellung und Beweissicherung haben sollte.
16
 
Erwägung 3
 
3. Der zweite Einwand des Beklagten geht dahin, es habe auch eine mündliche Einigung zwischen den Parteien nicht stattgefunden. Die Vorinstanz hat dieser Auffassung beigestimmt, aber dennoch den Vertrag nicht als absolut nichtig, sondern bloss als wegen Irrtums für den Beklagten unverbindlich erklärt, was rechtsirrtümlich ist. Ist eine Willenseinigung in dem von der Vorinstanz angenommenen Sinne wirklich nicht erfolgt, so bleibt für die Anwendung der Bestimmungen über den Irrtum kein Raum. Der Vertrag ist alsdann überhaupt nicht zustande gekommen. Die Unterscheidung ist im vorliegenden Falle praktisch deshalb von Bedeutung, weil bei Annahme eines Irrtums weiter untersucht werden müsste, ob er ein wesentlicher im Sinne von Art. 24 OR war und ferner, ob nicht die Art. 25 und 26 OR anwendbar wären, die von der Geltendmachung des Irrtums gegen Treu und Glauben und vom fahrlässigen Irrtum handeln. Diese Prüfung entfällt, wenn es an einer übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserung der Parteien gemäss Art. 1 OR fehlt.
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Die Vorinstanz stellt fest, der Beklagte habe gemeint, es handle sich bei der Gewichtsangabe um das Originalgewicht (von Manila), Jakob Dreifuss dagegen um das Effektiv- oder Ablieferungsgewicht (in Wohlen); weder das eine noch das andere sei erwiesenermassen genannt worden. Dieser Eindruck, den die Vorinstanz insbesondere aus der persönlichen Befragung der Parteien gewonnen hat, steht nicht im Widerspruch mit den Akten, noch mit der Erfahrung des Lebens. Denn da der Beklage ganz kurze Zeit nach der Besprechung, am nämlichen Tage, seine Auffassung über das massgebende Gewicht den Klägern mitteilte, ohne dass inzwischen etwas vorgefallen wäre, was eine Willensänderung seinerseits hätte bewirken können, so ist als natürlich anzuBGE 41 I, 252 (255)BGE 41 I, 252 (256)sehen, jene Auffassung habe seinem Vertragswillen entsprochen; Preisschwankungen -- konstatiert die Vorinstanz -- haben ihm in der Zwischenzeit keine bekannt werden können; das zeigt auch die spätere Offerte des Beklagten vom 18. August 1913, die zum gleichen Preise von 9 Fr. per Kilogramm erfolgte und nur deshalb ausgeschlagen wurde, weil die Kläger prinzipiell nicht auf Grund des Originalgewichtes abschliessen wollten. In der Verhandlung vor dem Handelsgericht haben denn auch die Kläger ihre Bestreitung, dass der Beklagte seiner Offerte vom 13. August 1913 das Originalgewicht zugrunde gelegt habe, fallen gelassen und nur in Abrede gestellt, dass er ausdrücklich jenes Wort brauchte.
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Die Parteien waren also über die Art der Gewichtsberechnung und damit über ein grundlegendes Element zur Bestimmung des Kaufpreises uneinig. Nun genügt die Nichtübereinstimmung des inneren Willens freilich nicht, um nach Art. 1 ff. OR den Nichtabschluss eines Vertrages anzunehmen. Allein es fehlt hier auch der -- nur scheinbar vorhandene -- äussere Konsens. Die Art der Gewichtsbestimmung ist in casu ein derart wesentlicher Bestandteil des Vertrages, dass, was nach Aussen erklärt wurde, nicht hinreichend war, um einen rechtsgültigen Kauf zustande zu bringen; dass der Dissens den Parteien selber verborgen war, ist unerheblich. Die Frage, ob das Original- oder das Effektivgewicht des Hanfes für den Kaufpreis massgebend sei, ist kein blosser Nebenpunkt im Sinne von Art. 2 OR, sondern ein solcher, bei dessen bewusster Nichtregelung die Parteien das Geschäft überhaupt nicht abgeschlossen haben würden, also ein wesentlicher Punkt (vergl. Oser, Komm. S. 25, ferner S. 18 ff.; von Tuhr in Zeitschr. f. schw. R., N. F. 15 S. 289 ff.). Die Sache liegt auch nicht so, dass der Inhalt des Vertrages an sich klar und vollständig war, und nur in der Vorstellung des einen Kontrahenten eine unrichtige Auffassung geherrscht hätte. Dann wäre der Beklagte allerdings auf die AnBGE 41 I, 252 (256)BGE 41 I, 252 (257)rufung des Irrtums angewiesen. Allein so wie die gegenseitigen Willensäusserungen der Parteien lauteten, konnte gerade so gut das Gewicht am Versendungsort wie dasjenige am Ort der Ablieferung als massgebend betrachtet werden, zumal da die Käufer wussten, dass es sich um eine Distanzsendung handelte. Auch der Umstand, dass Frankolieferung vereinbart wurde, ändert daran nichts; denn diese Vereinbarung verweist gerade darauf, dass ein Transport stattfand, dass also zwei Orte für die Gewichtsbestimmung in Betracht kamen.
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Erwägung 4
 
4. Die vorhandene Unbestimmtheit könnte nur durch die besonderen kaufmännischen Uebungen gehoben werden, wie sie Art. 212 OR vorbehält, der von der Bestimmung des Kaufpreises mangels Abrede handelt. Das kantonale Urteil enthält aber eine kategorische Feststellung des Inhalts, es bestehe keine Usance, wonach Hanf regelmässig zu Effektivgewicht gehandelt werde; es fänden Abschlüsse mit beiderlei Gewichtsbestimmung (Original- und Effektivgewicht) statt; eine Regel existiere nicht, sodass von einer Vermutung zu Gunsten dieser oder jener Partei nicht gesprochen werden dürfe. Die Kläger fechten diese Feststellung an und berufen sich auf Rechnungen, denen das Effektivgewicht zu Grunde liege; sie versuchen, daraus auf eine Usance zu schliessen. Wenn aber das Handelsgericht auf anderem Wege, auf Grund seiner Fach- und Lokalkenntnisse, zur Ueberzeugung gelangt ist, es bestehe eine solche Usance tatsächlich nicht, so entzieht sich jene Erkenntnis der Ueberprüfung durch das Bundesgericht. Eine derartige Feststellung verstösst nicht gegen Bundesrecht. Sie ist auch nicht aktenwidrig; denn die kantonale Instanz braucht sich ihre Ueberzeugung nicht allein auf Grund der Prozessakten gebildet zu haben. Eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Beweisabnahme über den Bestand von Usancen im Handel mit Hanf ist daher ausgeschlossen. Der Umstand endlich, dass der Beklagte früher meist nach EffektivBGE 41 I, 252 (257)BGE 41 I, 252 (258)gewicht verkauft habe, ist umsoweniger ausschlaggebend, als diese Uebung keine einheitliche war und gerade in neuerer Zeit im Verkehr zwischen dem Beklagten und seinen Abnehmern die Berechnung nach Effektivgewicht fast durchgehends durch die Berechnung nach Originalgewicht ersetzt worden ist.
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Erwägung 5
 
21
 
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
 
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 12. November 1914 bestätigt.BGE 41 I, 252 (258)
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