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Informationen zum Dokument  BGE 130 I 16 - Zuger Zwangsmedikation  Materielle Begründung
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Zitiert durch:
BGE 131 I 425 - Informationssperre Bank

Zitiert selbst:
BGE 128 I 327 - Botta
BGE 127 I 164 - WEF 2001
BGE 127 I 6 - Basler Zwangsmedikation
BGE 126 I 112 - Berner Zwangsmedikation

Regeste
Sachverhalt
Auszug aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 4
Erwägung 5
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher  
 
2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Psychiatrische Klinik Oberwil und Verwaltungsgericht des Kantons Zug (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
1P.689/2003
 
vom 7. Januar 2004  
 
Regeste
 
Medikamentöse Zwangsbehandlung in psychiatrischer Klinik während fürsorgerischen Freiheitsentzuges; Art. 7, Art. 10 Abs. 2 und Art. 36 BV, Art. 8 EMRK.  
Eine medikamentöse Zwangsbehandlung stellt einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar und betrifft die Menschenwürde zentral (E. 3).  
Gesetzliche Grundlage im Kanton Zug (E. 4).  
Erforderlichkeit einer vollständigen und umfassenden Interessenabwägung: öffentliche Interessen, Notwendigkeit der Behandlung, Auswirkungen einer Nicht-Behandlung, Prüfung von Alternativen, Beurteilung von Selbst- und Fremdgefährdung (E. 5).  
 
BGE 130 I, 16 (17)Sachverhalt
 
Gemäss ärztlicher Beurteilung leidet Frau X., Jahrgang 1964, seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie und ist mehrmals hospitalisiert worden. Seit dem 19. Juni 2003 befindet sie sich in der Psychiatrischen Klinik Oberwil. Am 26. Juni 2003 ordnete der Stadtrat von Zug die fürsorgerische Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 397a ff. ZGB und die Rückbehaltung in der Psychiatrischen Klinik Oberwil an.
1
Wegen aktuell schwerwiegender Störung des Zusammenlebens wurde X. am 22. August 2003 zwangsmediziert. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. - Der Klinikarzt ordnete am 25. September 2003 eine erneute Zwangsmedikation auf den 29. September 2003 an. X. wandte sich wiederum mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug und rügte die Behandlung vor dem Hintergrund der äusserst negativen Nebenwirkungen und dem Fehlen einer Drittgefährdung als unnötig und unangemessen. Die fürsorgerechtliche Kammer des Verwaltungsgerichts wies die Beschwerde ab. Das Gericht erachtete die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Zwangsmedikation als gegeben und bezeichnete diese als notwendig und angemessen, um einer unmittelbaren und schweren Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Betroffenen oder Dritter beziehungsweise um einer akuten schwerwiegenden Störung des Zusammenlebens zu begegnen.
2
Gegen diesen Entscheid hat X. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben und die Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils beantragt. Sie macht eine Verletzung der persönlichenBGE 130 I, 16 (17) BGE 130 I, 16 (18)Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK sowie der Menschenwürde gemäss Art. 7 BV geltend und rügt insbesondere die Unverhältnismässigkeit der Zwangsmassnahme.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
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Auszug aus den Erwägungen:
 
Aus den Erwägungen:
5
 
Erwägung 3
 
3.  Das Bundesgericht hat festgehalten, dass eine medikamentöse Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit im Sinne der körperlichen und geistigen Integrität nach Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK darstellt und die Menschenwürde gemäss Art. 7 BV zentral betrifft (BGE 127 I 6 E. 5 S. 10 mit Hinweisen). Als schwerer Eingriff in die genannten verfassungsmässigen Rechte bedarf eine medikamentöse Zwangsbehandlung nach Art. 36 BV einer klaren und ausdrücklichen Regelung in einem formellen Gesetz und muss durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz der Grundrechte Dritter gerechtfertigt sein und sich als verhältnismässig erweisen; schliesslich darf der Kerngehalt des Grundrechts nicht angetastet werden (BGE 127 I 6 E. 6 S. 18; 126 I 112 E. 3c S. 116, mit Hinweisen; vgl. zu den Anforderungen an Einschränkungen von Grundrechten und zum Erfordernis hinreichend bestimmter gesetzlicher Grundlagen auch BGE 128 I 327 E. 4.1 und 4.2 mit Hinweisen). Angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs prüft das Bundesgericht das Vorliegen und die Anwendung des kantonalen Rechts mit freier Kognition (BGE 126 I 112 E. 3b S. 116).
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Erwägung 4
 
4.
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4.1  Die Beschwerdeführerin hält zu Recht fest, dass die bundesrechtlichen Bestimmungen über den fürsorgerischen Freiheitsentzug gemäss Art. 397a ff. ZGB nach der Praxis keine gesetzliche Grundlage für Zwangsmedikationen bilden (vgl. BGE 127 I 6 E. 7a S. 18; 126 I 112 E. 3c S. 116; 125 III 169 insbes. E. 3). Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Behandlung indessen nicht auf diese bundesrechtlichen Bestimmungen, sondern vielmehr auf das Gesetz über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz, GesG; Zuger Gesetzessammlung 821.1), insbes. § 37 Abs. 2 GesG, abgestützt. Dieses enthält seit der Revision vom 30. August 2001 neu den Titel "Zwangsmassnahmen" mit den Bestimmungen von § 37 ff. Es ist grundsätzlich geeignet, eine gesetzliche Grundlage für Zwangsmassnahmen wie Medikationen entgegen dem Willen des BetroffenenBGE 130 I, 16 (18) BGE 130 I, 16 (19)abzugeben. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, diese gesetzliche Grundlage als solche sei mit dem Verfassungsrecht nicht vereinbar.
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4.2  Nach § 37 Abs. 2 GesG sind Zwangsmassnahmen bei Patienten zulässig, die urteilsunfähig sind oder die gemäss den Bestimmungen über den fürsorgerischen Freiheitsentzug in eine Behandlungseinrichtung eingewiesen worden sind. Das Verwaltungsgericht hat beide Voraussetzungen als gegeben betrachtet. (...)
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Erwägung 5
 
5.  Nach Art. 36 BV müssen Einschränkungen von Grundrechten durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und überdies verhältnismässig sein. Diesen verfassungsmässigen Anforderungen trägt das Gesundheitsgesetz insoweit Rechnung, als § 37 Abs. 3 GesG Zwangsmassnahmen nur als zulässig erklärt, wenn sie notwendig sind, um eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Patienten oder Dritter abzuwenden beziehungsweise um eine akute schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen.
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Die Beschwerdeführerin macht zur Hauptsache geltend, es liege kein überwiegendes öffentliches Interesse vor, welches den schweren Eingriff in die persönliche Freiheit zu rechtfertigen vermöchte. Gleichermassen halte die entgegen ihrem Willen durchgeführte Medikation als schwerer Grundrechtseingriff mit beträchtlichen negativen Nebenfolgen vor dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht stand. Somit erweise sich der angefochtene Entscheid als verfassungswidrig.
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5.1  Steht ein schwerer Eingriff in verfassungsmässige Rechte wie die im vorliegenden Fall gegen den Willen der betroffenen Person durchgeführte Medikation in Frage, ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, welche zahlreiche Elemente einschliessen und diese sorgfältig einander gegenüberstellen muss. Zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs ist das öffentliche Interesse oder das Interesse am Schutz von Grundrechtspositionen Dritter darzutun. In komplexen Sachlagen wie der vorliegenden ist mit der Prüfung des öffentlichen Interesses engstens die Frage der Verhältnismässigkeit verbunden (vgl. BGE 127 I 6 E. 8</a> S. 25). Deren Prüfung erfordert eine Reihe von Abklärungen hinsichtlich unterschiedlichster Elemente: Es sind die Auswirkungen und Nebenfolgen der Medikation festzuhalten. Dem sind mögliche AlternativenBGE 130 I, 16 (19) BGE 130 I, 16 (20)gegenüber zu stellen. Insbesondere ist abzuschätzen, welche Folgen das Absetzen der Medikation etwa hinsichtlich Gesundheitszustand, Drittgefährdung und Selbstgefährdung haben könnten. Gestützt auf diese Elemente ist der gerügte Grundrechtseingriff in einer Gesamtwürdigung an den Verfassungsgarantien zu messen.
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Im Folgenden ist anhand dieser abstrakten Überlegungen konkret zu prüfen, wie es sich mit der Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Zwangsmassnahme verhält.
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5.2  Zum öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 36 Abs. 2 BV an Zwangsmedikationen hat das Bundesgericht abstrakt ausgeführt, dass dem Gemeinwesen das Schicksal von kranken Personen nicht gleichgültig sein kann. Die persönliche Freiheit, die die elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung sichern soll, kann für eine minimale Sorgepflicht ebenso herangezogen werden wie der Anspruch auf minimale Hilfe und Betreuung nach Art. 12 BV oder die Verpflichtung des Gemeinwesens zur Leistung der für die Gesundheit notwendigen Pflege gemäss Art. 41 Abs. 1 lit. b BV. Diesen Ansatzpunkten liegt letztlich das Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde im Sinne von Art. 7 BV zugrunde. In abstrakter Weise kann daher ein den Eingriff in die persönliche Freiheit rechtfertigendes Interesse an einer zwangsweisen Behandlung kranker Menschen nicht grundsätzlich verneint werden. Wie weit dieses konkret reicht und wo die Grenze zwischen Selbstbestimmung und staatlicher Fürsorge verläuft, ist vor dem Hintergrund einer umfassenden Interessenabwägung und in Anbetracht der Notwendigkeit der Behandlung zu beurteilen (vgl. BGE 127 I 6 E. 8 S. 25 f.) und kann sich im Einzelfall aus eben dieser gesamthaften Güterabwägung ergeben.
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Über das öffentliche Interesse hinaus vermag nach Art. 36 Abs. 2 BV auch der Schutz von Grundrechten Dritter Eingriffe in verfassungsmässige Rechte zu rechtfertigen. Soweit diese Rechtfertigung mit eigenständiger Bedeutung über diejenige des Schutzes öffentlicher Interessen aus polizeilichen Gründen hinausgeht (vgl. BGE 127 I 164 E. 3b S. 170; RAINER J. SCHWEIZER, St. Galler BV-Kommentar, Rz. 20 zu Art. 36 BV; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Grundrechtseingriffe, in: Die neue Bundesverfassung, Bern 1999, S. 131/140 f.), ist darzulegen, inwiefern tatsächlich Grundrechtspositionen Dritter beeinträchtigt sind. Blosse Unannehmlichkeiten für Drittpersonen vermögen Eingriffe in verfassungsmässige Rechte nicht zu rechtfertigen. In diesem Sinne schreibt § 37 Abs. 3 des GesundheitsgesetzesBGE 130 I, 16 (20) BGE 130 I, 16 (21)vor, dass Zwangsmassnahmen notwendig sein müssen, um eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit Dritter abzuwenden beziehungsweise eine akute schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen. Dieser Aspekt ist im vorliegenden Fall insbesondere mit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Drittgefährdung in Beziehung zu setzen.
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5.3  Hinsichtlich der Notwendigkeit der Behandlung darf im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin trotz ihrer mangelnden Krankheitseinsicht - welche sie allerdings nicht hinderte, im Sommer 2003 von sich aus in die Klinik einzutreten - seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie leidet und insoweit auf Hilfe angewiesen ist. Aufgrund der ärztlichen Berichte kann weiter davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich gut auf die Medikation anspricht, dass sich ihr Zustand beruhigt hat und dass die Injektionen des Depotmedikaments zu längeren Phasen der Stabilisierung geführt haben. - Erschwerend fällt umgekehrt ins Gewicht, dass es sich bei der umstrittenen Medikation nicht (mehr) um eine dringliche und unmittelbar unerlässliche Intervention handelt, um das Leben der Beschwerdeführerin zu erhalten oder eine unmittelbare Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden; die Medikation hat vielmehr die Bedeutung einer eigentlichen und auf eine gewisse Dauer angelegten Therapie und Heilbehandlung (vgl. BGE 127 I 6 E. 9a S. 26 und E. 9c S. 28). Diesfalls stellt sich in vermehrtem Masse die Frage, unter welchen Umständen von Seiten des Patienten aufgrund des verfassungsmässigen und gesetzlichen Selbstbestimmungsrechts auf eine solche Heilbehandlung verzichtet werden kann. Überdies bedarf es eines Therapieplans, der die Zwangsmassnahme im Rahmen einer Heilbehandlung umschreibt und eine umfassende Güterabwägung überhaupt erst ermöglicht. Das Verwaltungsgericht geht in seinem Urteil auf diese Aspekte nicht ein (vgl. § 36 GesG; BGE 127 I 6 E. 9a</a> S. 26 f.; Art. 427 ff. des Vorentwurfs für eine Revision des Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht]). - Weiter sind mögliche längerfristige Nebenfolgen in die Interessenabwägung einzubeziehen (vgl. zu möglichen Nebenfolgen den BGE 127 IV 154 zugrunde liegenden Sachverhalt). Im vorliegenden Fall beschwert sich die Beschwerdeführerin über nachhaltige Nebenwirkungen der Neuroleptika-Behandlung wie insbesondere starkes Augenbrennen und Mundtrockenheit sowie wegen der Eingriffe in den HormonhaushaltBGE 130 I, 16 (21) BGE 130 I, 16 (22)starkes Anschwellen der Brüste und Milchsekretion. Zu diesen Nebenfolgen der Behandlung äussert sich das angefochtene Urteil indessen kaum. Hinsichtlich der unmittelbaren Nebenwirkungen wird lediglich ausgeführt, dass sie unangenehm und schmerzhaft seien und ihnen mit weiteren Medikamenten begegnet werden könne. Über Auswirkungen und allfällig positive Resultate der entsprechenden Sekundärmedikation spricht sich das Urteil indessen nicht aus. Gesamthaft lässt sich ihm somit die konkrete Schwere der Zwangsmassnahme - über den jeder zwangsweisen Behandlung anhaftenden Eingriff hinaus - nicht hinreichend entnehmen.
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Unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässigkeit ist weiter zu prüfen, welche Auswirkungen eine Nicht-Behandlung hätte, welche Ersatzmassnahmen diesfalls erforderlich wären und wie sich diese im Vergleich zur Schwere der Zwangsmedikation auf die persönliche Freiheit auswirken. In dieser Hinsicht wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, ein Unterbruch der Behandlung und das damit verbundene Absinken des Risperdal-Spiegels - etwa in Folge des unerlaubten Entfernens aus der Klinik - führten zu akuten psychotischen Zuständen, zu psychotischer Dekompensation, zur ganzen Palette von Verhaltensmustern bei paranoider Schizophrenie und zu einem psychotisch paranoid angetriebenen, beleidigenden, distanzlosen, parathymen, nicht-absprachefähigen sowie verwahrlosten Zustand. Solche von den Ärzten festgehaltene Zustände dürfen und sollen nicht verharmlost werden. Daran ändert indessen der Umstand nichts, dass die Schilderungen der Folgen des Absetzens der Medikation durch das Verwaltungsgericht weitgehend im Abstrakten verbleiben. Es wird insbesondere kaum unterschieden zwischen erwünschten Zuständen - wie etwa der Vermeidung von angetriebenen, beleidigenden, distanzlosen oder verwahrlosten Phasen - und der Verhinderung von gravierend gesundheits- oder gar lebensgefährdenden Zuständen. Es wird nicht konkret dargetan, dass im Falle des Absetzens der Medikation ernsthaft mit einer physischen Gesundheits- oder Lebensgefährdung zu rechnen wäre (vgl. demgegenüber BGE 127 I 6 E. 7d</a> S. 25 und E. 9c S. 28, wo eine mögliche katatone Starre [Stupor] eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung oder gar den Tod des Betroffenen ernstlich befürchten liess). Nur vage wird angetönt, dass eine Verschlechterung des momentanen Zustandes eine erfolgreiche Medikation möglicherweise in der Zukunft erschweren oder gar verunmöglichen könnte. Die Begriffe des psychotischenBGE 130 I, 16 (22) BGE 130 I, 16 (23)Zustandes und der psychotischen Dekompensation bleiben hinsichtlich der Schwere der Folgen des Absetzens der Medikation im Vagen. Es wird kaum in Rechnung gestellt, dass die Beschwerdeführerin trotz ihres psychotischen Zustandes im Sommer 2003 freiwillig in die Klinik eingetreten und nach ihrer unerlaubten Entfernung aus der Klinik wieder aus eigenem Antrieb zurückgekehrt ist. Gesamthaft gesehen ist demnach eine konkrete Gewichtung der Schwere des Zustandes, in dem sich die Beschwerdeführerin befindet, sowie der ernsthaften Gesundheitsgefährdung im Falle des Absetzens der Medikation nicht möglich.
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Im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit von Grundrechtseingriffen ist die gerügte Zwangsmedikation auch in Beziehung zu setzen mit Alternativen sowie deren Schwere und Auswirkungen auf die persönliche Freiheit (vgl. § 37 Abs. 3 GesG sowie die Regelung in § 22 Abs. 1 des Basler Psychiatriegesetzes, wonach eine Behandlung trotz des Widerstandes der betroffenen Person durchgeführt werden kann, wenn die persönliche Freiheit dadurch eindeutig weniger eingeschränkt wird als durch die sonst erforderlichen Ersatzmassnahmen [BGE 127 I 6 E. 9 S. 26]). In dieser Hinsicht weist die Beschwerdeführerin auf die vorerst freiwillige Einnahme der Medikamente hin und macht geltend, dass sie sich nicht gegen jegliche und insbesondere nicht gegen schwächere Neuroleptika zur Wehr setzt, vielmehr lediglich die starken, ihr verabreichten Medikamente (mit den erwähnten Nebenfolgen) ablehnt. Eine derartige alternative Behandlungsmethode wird im angefochtenen Entscheid nicht näher geprüft. Sie fällt nicht schon allein wegen des Umstandes ausser Betracht, dass die Beschwerdeführerin sich nicht zuverlässig einer oralen Medikation unterzieht, könnte sie doch in einer Klinik in bestimmtem Ausmasse dazu angehalten werden. Auch anderweitige Alternativen werden nicht diskutiert und in Betracht gezogen (vgl. BGE 127 IV 154, womit die Vollzugsbehörden unter den gegebenen Umständen hinsichtlich eines paranoid schizophrenen Versorgten zu Versuchen mit Alternativmedikamenten angehalten wurden [E. 4 S. 159 ff.]). Schliesslich können alternative Methoden mit sog. pflegerischen Zwangsmassnahmen kombiniert werden. § 37 Abs. 1 GesG nennt insbesondere Fixationen oder Isolierungen (vgl. BGE 127 I 6 E. 9c</a> S. 28). - Wie es sich mit derartigen und allfällig weiteren Alternativen verhält, wird im angefochtenen Entscheid nicht ausgeführt. Es wird lediglich erwähnt, dass die Beschwerdeführerin bisweilenBGE 130 I, 16 (23) BGE 130 I, 16 (24)isoliert werden musste; dieser Umstand indessen vermag für sich allein die zwangsweise Medikation nicht zu rechtfertigen, sondern zeigt vielmehr, dass mit dieser pflegerischen Massnahme, die in psychiatrischen und für den Vollzug des fürsorgerischen Freiheitsentzuges vorgesehenen Kliniken nichts Aussergewöhnliches darstellt, in der gegebenen Situation einem Erregungszustand der Beschwerdeführerin tatsächlich begegnet werden konnte.
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Schliesslich wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, die umstrittene Medikation rechtfertige sich, um der Selbst- und Fremdgefährdung zu begegnen. Nach § 37 Abs. 3 GesG fallen Zwangsmassnahmen in Betracht, wenn sie notwendig sind, um eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Patienten oder Dritter abzuwenden beziehungsweise um eine akute schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen. Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung deutet darauf hin, dass eine unmittelbare und schwere Gefährdung erforderlich ist. Gleichermassen erfordern die zentral betroffenen Verfassungsrechte, dass die Selbst- und Fremdgefährdung nicht nur abstrakt möglich sind, sondern gestützt auf die tatsächlichen Verhältnisse konkret in Betracht fallen und als wahrscheinlich erscheinen (vgl. die Rechtsprechung zum Vorliegen des speziellen Haftgrundes der Fluchtgefahr, wonach eine solche nicht nur abstrakt, sondern konkret nachgewiesen werden muss; BGE 125 I 60 E. 3a S. 62). - In dieser Hinsicht wird im Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht dargetan, worin im vorliegenden Fall die konkrete Selbstgefährdung liegen soll; insbesondere wird nicht auf eine spezifische Anfälligkeit der Beschwerdeführerin oder auf frühere konkrete Vorkommnisse hingewiesen. Im Umstand, dass die Beschwerdeführerin unbefugterweise mehrmals das Antidepressivum Fluctine zu sich genommen hat und sich dieses Medikament mit der angeordneten Medikation nicht verträgt, kann keine unmittelbare und schwerwiegende Selbstgefährdung erblickt werden. Überdies dürfte es in der Klinik möglich sein, die Einnahme derartiger Medikamente in bestimmtem Masse zu unterbinden. Ebenso wenig wird im angefochtenen Urteil hinsichtlich der Drittgefährdung ausgeführt, dass eine solche konkret und ernstlich befürchtet werden müsste. Das Gericht verweist hierzu auf ein früheres Verfahren; in seinem Urteil vom 16. September 2003 (Verfahren F 2003/28) ist allgemein dargelegt worden, dass die Beschwerdeführerin das Zusammenleben auf der Station akut und schwerwiegend störe, durch forderndes,BGE 130 I, 16 (24) BGE 130 I, 16 (25)beschimpfendes Verhalten auffalle, sich gereizt, aufbrausend und provozierend verhalten habe und es zwischen ihr und Mitpatienten auch zu Handgreiflichkeiten und Zwistigkeiten gekommen sei. Diese Schilderungen sind indessen kaum geeignet, eine konkrete und unmittelbare Gefährdung Dritter oder eine schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu belegen. Die in diesem Zusammenhang angeordneten Isolationen zeigen denn auch, dass die durch die Beschwerdeführerin hervorgerufene Unruhe mit milderen und in der Klinik nicht unüblichen pflegerischen Massnahmen bewältigt werden konnte.
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5.4  Gesamthaft ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass einerseits der Sachverhalt sowie mögliche Folgen (sowohl der Medikation als auch von Alternativen) unzureichend festgehalten worden sind. Zum andern zeigt sich, dass im angefochtenen Entscheid die Gründe für den Zwangseingriff in verschiedener Hinsicht nicht hinreichend dargetan und insbesondere die Selbst- und Drittgefährdung nicht konkret belegt worden sind. Damit hat das Verwaltungsgericht eine umfassende Interessen- und Güterabwägung tatsächlich nicht vorgenommen und eine solche ist - etwa durch Substitution von Seiten des Bundesgerichts - zurzeit auch nicht möglich. Das Verfassungsrecht mit seinen materiellen Garantien (Art. 10 Abs. 2 und Art. 7 BV) und seinen Anforderungen an Einschränkungen von Grundrechten (Art. 36 BV) erfordert indessen angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs und der Komplexität der sich stellenden Fragen eine vollständige und umfassende Abwägung der auf dem Spiele stehenden Interessen. Der angefochtene Entscheid nimmt diese umfassende Prüfung - teils mangels entsprechender Grundlagen, teils mangels hinreichender Begründung - nicht vor und vermag daher vor dem Verfassungsrecht nicht standzuhalten. In diesem Sinne erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde und insbesondere die Rüge der Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes als begründet.
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Demnach ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen hat das Verwaltungsgericht eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen und erneut zu prüfen, ob sich die umstrittene Zwangsmedikation in Anbetracht der Garantie der persönlichen Freiheit und der Achtung der Menschenwürde sowie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit gesamthaft verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt.BGE 130 I, 16 (25)
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