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Informationen zum Dokument  BGHSt 36, 151 - Strafklageverbrauch bei Dauerstraftat  Materielle Begründung
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Zitiert durch:
BGHSt 41, 292 - Spionage durch frühere MfS-Mitarbeiter

Zitiert selbst:
BVerfGE 56, 22 - Kriminelle Vereinigung
BGHSt 35, 60 - Prozessuale Tat und Strafklageverbrauch

Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher  
BGHSt 36, 151 (151)Zur Frage, ob die rechtskräftige Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes und Führens einer Waffe die Strafklage wegen eines mit dieser Waffe durchgeführten Verbrechens verbraucht.  
StGB §§ 52, 53; StPO § 264  
4. Strafsenat  
 
Urteil
 
vom 16. März 1989 g.R.  
- 4 StR 60/89 -  
Landgericht Bielefeld  
 
Aus den Gründen:
 
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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Der hier abgeurteilte Raubüberfall ist am 11. Dezember 1984 in H. ausgeführt worden. Diese Tat war nicht Gegenstand des Strafbefehls, der ausschließlich die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Schußwaffe und das Führen dieser Waffe am 17. Januar 1986 in Bielefeld betraf. Allerdings war bei Erlaß des Strafbefehls nicht bekannt, daß der Angeklagte die Waffe bereits im Jahre 1984 besessen hat. Diese Unkenntnis steht zwar nicht der Annahme entgegen, daß die gesamte vor dem Erlaß des Strafbefehls liegende Dauerstraftat des Besitzes der Waffe mit der Aburteilung des im Strafbefehlsverfahren behandelten (letzten) Teils erfaßt ist (vgl. Hürxthal in KK 2. Aufl. § 264 Rn. 20). Mit dieser Dauerstraftat können auch Akte des Führens der Waffe, also der besonders gefährlichen Manifestation des Willens zum Waffenbesitz (BGH, Beschl. vom 15. Oktober 1980 - 3 StR 342/80), verbunden sein. Das führt aber nicht dazu, daß die Strafklage wegen aller Akte des Führens der Schußwaffe, die vor dem Erlaß des Strafbefehls liegen, verbraucht wäre. Jedenfalls wegen des räuberischen Überfalls vom 11. Dezember 1984 kann der Angeklagte noch verfolgt werden:
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Da die schwere räuberische Erpressung mit höherer Strafe bedroht ist als das Vergehen gegen das Waffengesetz, könnten für diese Ansicht bereits Erwägungen sprechen, die der Entscheidung BGHSt 29, 288 (dazu BVerfGE 56, 22) zugrundeliegen. Dort hat der Bundesgerichtshof angenommen, daß ein Täter wegen solcher Straftaten, die er in Verfolgung der Ziele einer kriminellen Vereinigung begangen hat, trotz Aburteilung des Vergehens der Mitgliedschaft (§ 129 StGB) noch verfolgt werden kann, wenn sie mit einer gegenüber § 129 StGB höheren Strafe bedroht und nicht Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gewesen sind. Auf diese Überlegungen braucht hier aber wegen der Besonderheiten der Vergehen gegen das Waffengesetz nicht zurückgegriffen zu werden (a.A. OLG Hamm JR 1986, 203 mit zust. Anm. Neuhaus NStZ 1987,138 und abl. Anm. Grünwald StV 1986, 243 und Puppe JR 1986, 205).BGHSt 36, 151 (152)
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BGHSt 36, 151 (153)Der Besitz und auch das Führen einer Schußwaffe sind wegen der damit verbundenen generell gegebenen Gefährlichkeit unter Strafe gestellt. Ihre Strafbarkeit hat deshalb einerseits nicht zur Voraussetzung, daß der Täter bereit ist, mit der Schußwaffe eine - andere - Straftat zu begehen, und scheidet andererseits nicht aus, wenn er - was in der Regel der Fall sein wird - nicht vornherein beabsichtigt, die Waffe zur oder bei der Begehung krimineller Akte zu benutzen. Diese Vergehen gegen das Waffengesetz ähneln insoweit anderen Dauerstraftaten wie dem Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) oder der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB), die regelmäßig gerade nicht mit anderen Straftaten verbunden sind, und unterscheiden sich damit grundlegend von der Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 StGB. Diese Vorschrift stellt Mitglieder, Unterstützer und andere Förderer einer kriminellen Vereinigung, deren Zweck die Begehung von Straftaten ist, unter Strafe. Dies setzt die Bereitschaft der Täter voraus, im Sinne der Zielsetzung der Vereinigung kriminell tätig zu werden. Deshalb stellen ihr dementsprechender Entschluß und die Ausführung dieses Entschlusses keine entscheidende Zäsur dar, die das Dauerdelikt nach § 129 StGB in zwei Teile trennen könnte. Ob es andere Dauerstraftaten mit ähnlicher Tatbestandsstruktur gibt (vgl. § 181a StGB und dazu Laufhütte in LK 10. Aufl. vor § 174 Rn. 22, 23), kann offen bleiben. Beim Waffenbesitz und bei diesem vergleichbaren Dauerstraftaten ist es anders. Hier stellt der Entschluß des Täters, seine Waffe bei einer anderen Straftat zu verwenden, jedenfalls dann einen entscheidenden Einschnitt dar, wenn diese schwerer wiegt als das Waffenvergehen.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Beschl. vom 30. Juni 1982 - 3 StR 44/82) hat bereits entschieden, daß das Vergehen des Erwerbs der Schußwaffe gegenüber dem späteren Führen der Waffe eine rechtlich selbständige Tat ist, wenn die Waffe aufgrund eines neuen Willensentschlusses geführt wird. Dem steht der Beschluß des 2. Strafsenats BGHSt 31, 29 (vgl. dazu Laufhütte a.a.O. Rn. 22 Fußn. 11) nicht entgegen, worauf bereits der 3. Strafsenat zutreffend hingewiesen hat (vgl. auch BGH, Beschl. vom 8. März 1983 - 5 StR 27/83), weil dort ein dem Erwerbsakt folgender neuer Willensentschluß nicht festgeBGHSt 36, 151 (153)BGHSt 36, 151 (154)stellt ist. Die Akte des Erwerbs einer Waffe und des späteren Führens dieser Waffe können also trotz ununterbrochenen Waffenbesitzes zwei selbständige Taten darstellen. Nicht anders ist es bei der Dauerstraftat des Waffenbesitzes gegenüber Akten des Führens der Waffe, die auf einem neuen Entschluß des Täters beruhen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn dieser sich entschließt, mit der Waffe ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) zu begehen (vgl. hierzu auch die st. Rspr. des Bundesgerichtshofs in Fällen, in denen der Täter nicht nur eine gegenüber dem Waffenbesitz schwerer wiegende Straftat begangen hat, etwa Urt. vom 10. Februar 1977 - 4 StR 623/76; BGHSt 29, 288 [291 f.]; 31, 29; dazu Puppe a.a.O. S. 208).
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Dieser neue, von ganz anderen Beweggründen als dem zum Besitz der Waffe getragene Willensentschluß hat ein nur als sachlich-rechtlich selbständige Handlung rechtlich ausreichend erfaßbares, wesentlich intensiveres kriminelles Verhalten zum Gegenstand, das seinerseits wieder in Tateinheit mit Verstößen gegen das Waffengesetz stehen kann (BGH, Beschl. vom 30. Juni 1982 - 3 StR 44/82; Puppe a.a.O. S. 206 f; Mitsch MDR 1988,1005, 1011).Ist das Verbrechen beendet und übt der Täter danach wiederum den unerlaubten Besitz an der Waffe oder das Führen aus, so liegt darin eine weitere materiell-rechtlich selbständige Handlung (vgl. BGHSt 21, 203 ff.). Wird später nur diese letztere Dauerstraftat abgeurteilt, so beantwortet sich die Frage nach dem Verbrauch der Strafklage für die vorangegangenen sachlich-rechtlich selbständigen Straftaten nach den allgemeinen Grundsätzen, nämlich danach, ob abweichend von der Regel, daß sachlichrechtlich selbständige Taten auch prozessual selbständig sind (BGHSt 35, 14 [19]), Umstände vorliegen, die die Annahme einer Tat im Sinne des § 264 StPO rechtfertigen (vgl. auch für den Fall einer unterbrochenen Trunkenheitsfahrt OLG Köln NStZ 1988, 568, 569).
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Das ist hier nicht der Fall. Die versuchte räuberische Erpressung vom 11. Dezember 1984 und die durch den Strafbefehl abgeurteilte Tat des Waffenbesitzes und des Führens einer Waffe vom 17. Januar 1986 sind nach Tatbild, Tatobjekt, Tatzeit und Tatort erheblich voneinander abweichende Geschehnisse und bei natürlicher Betrachtungsweise derart gegeneinander abgeBGHSt 36, 151 (154)BGHSt 36, 151 (155)grenzt, daß sie nicht einen einheitlichen geschichtlichen Geschehensablauf darstellen (BGHSt 35, 60 [64 f.]). Sie sind damit nicht eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne. Dieses Ergebnis entspricht auch dem im Einzelfall zu beachtenden Vertrauensschutz und der Gerechtigkeit (BGHSt 29, 288 [296]; 35, 14 [19]).
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Eine Wiederaufnahme des durch rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossenen Verfahrens zu Ungunsten des Angeklagten gemäß § 373a Abs. 1 StPO, dessen Voraussetzungen sonst gegeben wären, kommt daher bei dem hier gegebenen Sachverhalt nicht in Betracht.BGHSt 36, 151 (155)
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