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Informationen zum Dokument  BGHSt 34, 365 - Vorführungsfrist bei Freiheitsentziehung  Materielle Begründung
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Zitiert durch:
BGHSt 42, 139 - Hörfalle

Zitiert selbst:
BVerfGE 58, 208 - Baden-Württembergisches Unterbringungsgesetz
BVerfGE 10, 302 - Vormundschaft

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher  
BGHSt 34, 365 (365)Die Dauer einer anderweitigen Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung ist nach Art. 104 Abs. 2 GG in die Vorführungsfrist (hier des § 128 Abs. 1 StPO) einzurechnen.  
GG Art. 104 Abs. 2; StPO § 128 Abs. 1, § 136a  
4. Strafsenat  
 
Urteil
 
vom 30. April 1987 g.H.  
- 4 StR 30/87 -  
Landgericht Münster  
 
Aus den Gründen:
 
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Diebstahls zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.
1
Die Revision macht geltend, das Landgericht habe gegen 136a Abs. 3 Satz 2 StPO verstoßen.
2
a) Dieser Verfahrensbeschwerde liegt nachstehender Sachverhalt zugrunde:BGHSt 34, 365 (365)
3
BGHSt 34, 365 (366)Am 11. Februar 1986 nahm die Polizei den Angeklagten nach zwei Selbsttötungsversuchen zum Schutz seiner eigenen Person in Gewahrsam. Das Einlieferungsprotokoll enthält den Hinweis, daß er von der Mordkommission in der vorliegenden Sache überprüft werden solle. Nachdem am Morgen des 12. Februar 1986 der Gewahrsamsgrund weggefallen war, vernahmen ihn die Polizeibeamten mit seinem Einverständnis zum Verdacht einer anderweit begangenen Straftat. Sie gingen darin auf die vorliegende Sache über, belehrten ihn und erklärten schließlich förmlich seine Festnahme wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts. Entlassen war er bis dahin nicht.
4
Nach Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwältin glaubten die Mitglieder der Mordkommission, wegen der Verschiedenartigkeit des am Vortag gegebenen und des jetzt vorliegenden Festnahmegrundes den Angeklagten bis zum Ablauf des folgenden Tages, des 13. Februar 1986, in ihrem Gewahrsam halten zu dürfen. Die Vorführung vor den Haftrichter unterblieb, weil einerseits die bekannten Verdachtsmomente für einen Haftbefehl nicht ausreichten, andererseits der Angeklagte zu verstehen gegeben hatte, daß er bereit sei, sich am nächsten Tage nochmals vernehmen zu lassen, und weil von ihm ein Geständnis erwartet wurde.
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Am 13. Februar 1986 bestritt der Angeklagte zunächst die Tat; am Ende der Vernehmung machte er jedoch Andeutungen, ein Geständnis ablegen zu wollen, falls er zuvor mit seiner bisherigen Freundin M. G. sprechen könne. Dies wurde ihm gestattet. Die polizeiliche, vom Angeklagten unterzeichnete Niederschrift hierüber lautet wie folgt:
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    "Es ist Jetzt 14.30 Uhr. Ich habe darum gebeten, mit M. eine halbe Stunde sprechen zu dürfen. Ich bin einverstanden, daß der Beamte Gr. bei dem Gespräch zugegen ist. Ich werde nicht über die Sache mit M. reden, sondern nur über Privates. Danach bin ich bereit, hier eine Aussage zu machen..."
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Als M. G. erschienen war, kam er in Gegenwart des Polizeibeamten Gr. sogleich ungefragt auf die Tat zu sprechen und gab sie ihr gegenüber ohne Umschweife zu. Dabei zitterte und weinte er. Auf die Frage, warum er das getan habe, antwortete er BGHSt 34, 365 (366)BGHSt 34, 365 (367)ihr: "Wegen Geld". Ferner äußerte er: "Wenn die Frau" - das Tatopfer - "nicht dazu gekommen wäre, wäre nichts passiert".
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Im Anschluß an dieses Gespräch vernahmen die Beamten der Mordkommission den Angeklagten weiter. Am Abend erging Haftbefehl. Tags darauf erklärte er in einer Vernehmungspause den Beamten, er habe die Frau zwar umgebracht, jedoch einen großen Fehler begangen, indem er alles erzählt habe. Er werde jetzt alles daran setzen, um nicht "die ganz große Kelle zu kriegen". Vor dem Ermittlungsrichter und in der Hauptverhandlung hat er sich zur Sache nicht eingelassen.
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b) Das Landgericht ist der Auffassung, daß die Polizei den Angeklagten über die gesetzliche Höchstfrist hinaus ohne richterliche Entscheidung in ihrem Gewahrsam behalten habe. Die damit objektiv rechtswidrige Freiheitsentziehung hätten die Beamten auch bewußt eingesetzt, um seine Geständnisbereitschaft zu fördern. Das stelle sich als unzulässiger Zwang im Sinne des § 136a StPO dar. Die darauf beruhenden Aussagen seien deshalb unverwertbar.
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Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten, seinen Beweggründen und dem Tatablauf stützt das Landgericht neben den objektiven Tatspuren - insbesondere auf die Bekundungen von M. G. über ihr Gespräch mit dem Angeklagten am 13. Februar 1986 sowie auf die Aussagen der Polizeibeamten zum Inhalt seiner Äußerungen während der Vernehmungspause am Tag darauf. Es gelangt so zu der Feststellung, daß der Angeklagte sich am Tattage Einlaß in die Wohnung des Tatopfers - Frau Ge. - verschaffte, dort nach Geld suchte und, als Frau Ge. ihn hierbei stellte, sie tötete, um sie als Zeugin seines strafbaren Tuns auszuschalten.
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aa) Zutreffend nimmt das Landgericht an, daß die Polizei dem Angeklagten am 13. Februar 1986 bis zum Erlaß des Haftbefehls objektiv rechtswidrig die Freiheit entzogen hat (zum Begriff der Freiheitsentziehung BGHZ 82, 261 [265 ff.]). Das ergibt sich zunächst aus § 127 Abs. 2 StPO. Danach dürfen die Beamten des Polizeidienstes einen nicht auf frischer Tat betroffenen Verdächtigen nur bei Gefahr im Verzug vorläufig festnehmen und nur dann, wenn die Voraussetzungen eines Haft- oder UnBGHSt 34, 365 (367)BGHSt 34, 365 (368)terbringungsbefehls vorliegen. Nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts waren diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der ersten Vernehmung und der Festnahme am 12. Februar 1986 nicht gegeben; der Angeklagte sollte lediglich überprüft werden. Ein auf bestimmte Umstände gestützter, dringender Tatverdacht ergab sich erst auf Grund des Verlangens nach einem Gespräch mit M. G.
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Es fehlte ferner an der gebotenen richterlichen Entscheidung. § 128 Abs. 1 StPO bestimmt, daß der Festgenommene unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter vorzuführen ist. Diese Frist endete hier spätestens mit dem Ablauf des 12. Februar 1986. Zwar hatten die Beamten der Mordkommission den Angeklagten erst an diesem Tage festgenommen; zuvor befand er sich nicht auf Grund der Vorschriften der Strafprozeßordnung im Polizeigewahrsam. Die Dauer dieser anderweitigen Freiheitsentziehung ist jedoch in die Vorführungsfrist des § 128 Abs. 1 StPO einzurechnen.
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Die Einlieferung des Angeklagten am 11. Februar 1986 geschah wegen Gefährdung seiner eigenen Person. Rechtsgrundlage dafür war § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen vom 25. März 1980 (GVBl. 234). Über diese präventivpolizeiliche Maßnahme war in gleicher Weise eine richterliche Entscheidung herbeizuführen wie über die vorläufige Festnahme gemäß § 127 Abs. 2 StPO (§ 14 PolG NRW i.V.m. § 13 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen). Der Umstand, daß zwei der richterlichen Bestätigung bedürftige polizeiliche Maßnahmen ohne Freisetzung des Beschuldigten einander ablösten, konnte nicht zum Wegfall des Erfordernisses richterlicher Kontrolle führen. Mit Recht verweist das Landgericht auf Art. 104 Abs. 2 GG.
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Nach Art. 104 Abs. 2 GG ist bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung gilt nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art (BVerfGE 10, 302 [322]; 58, 208 [220 ff.]) und bei sonstigen Freiheitsentziehungen wie dein Disziplinararrest (BVerfGE 22, 311 [317]). Aus der Sicht der VerfasBGHSt 34, 365 (368)BGHSt 34, 365 (369)sung löst allein der dem Staat zuzurechnende Eingriff in die Freiheit des Bürgers den Entscheidungsvorbehalt des Richters aus; auf die Rechtsgrundlage im einzelnen kommt es nicht an. Daher ist auch die Auswechslung der Rechtsgrundlage einer fortdauernden Freiheitsentziehung ohne Bedeutung für die richterliche Prüfungszuständigkeit und den für die Entscheidung vorgegebenen zeitlichen Rahmen. Nur ein solches Verständnis des § 128 Abs. 1 StPO entspricht der Bedeutung, die das Grundgesetz den freiheitssichernden Verfahrensgarantien beimißt.
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bb) Eine rechtswidrige Freiheitsentziehung kann zu einem Verwertungsverbot für alle während ihrer Dauer gemachten Äußerungen führen.
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Als Grundlage eines solchen Verbots kommt hier nur § 136a StPO in Betracht. Die Vorschrift steht im 10. Abschnitt des Ersten Buches der Strafprozeßordnung, welcher die Vernehmung des Beschuldigten behandelt. Dementsprechend ordnet § 136a Abs. 3 StPO lediglich die Unverwertbarkeit von "Aussagen" an. Äußerungen, die der Beschuldigte nicht in einer Vernehmung macht und die auch nicht als in einer Vernehmung gemachte Aussagen behandelt werden können, erfaßt die Vorschrift daher nicht (BGHSt 33, 217 [224]; BGH bei Dallinger MDR 1975, 23; OLG Celle NJW 1985, 640, 641; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß S. 482 f.; Boujong in KK § 136a Rn. 6; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 136a Rn. 9, 13; Müller in KMR 7. Aufl. § 136a Rn. 25). Sachliche Voraussetzung eines Verwertungsverbots ist darüber hinaus, daß ein staatliches Strafverfolgungsorgan durch den Einsatz verbotener Mittel oder Methoden die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten beeinträchtigt hat (BGHSt 5, 290 [291]; 22, 129 [134 f.]; BGH, Urt. vom 3. Februar 1970 - 5 StR 537/69), und daß die Aussage zumindest nicht ausschließbar darauf beruht (BGHSt 13, 60 [61]).
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Daß der Angeklagte sein Gespräch mit M. G. während eines rechtswidrigen Freiheitsentzugs führte, machte die Aussage dieser Zeugin über den Gesprächsinhalt hier aber nicht unverwertBGHSt 34, 365 (369)BGHSt 34, 365 (370)bar. Das Gespräch mit M. G. umfaßte keine Aussage im Sinne des § 136a StPO.
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Der Angeklagte befand sich während des Gesprächs nicht in einer Vernehmungssituation. Seine Freundin und der anwesende Polizeibeamte Gr. erwarteten keinerlei Äußerung von ihm, die in Zusammenhang mit dem bestehenden Tatverdacht stand. Derartigen Äußerungen hatten die Beamten der Mordkommission im Gegenteil vorzubeugen gesucht, indem sie ihm die Zusage abgenommen hatten, nur über private Dinge zu reden. Fehl geht die Ansicht der Revision, das Gespräch sei einer Vernehmung jedenfalls gleichzusetzen, weil die Polizei die Begegnung mit M. G. planmäßig zur Herbeiführung eines Geständnisses eingesetzt und die bestehende Zwangssituation durch die Anwesenheit des Polizeibeamten Gr. unterstrichen habe; daher sei das gesamte Vernehmungsgeschehen am 13. Februar 1986 als eine Einheit zu betrachten, aus der nicht kurze Abschnitte "herausgestanzt" werden könnten. Das Gespräch war auf Wunsch des Angeklagten zustande gekommen. Er hatte sich mit der Anwesenheit des bisher die Vernehmung führenden Polizeibeamten Gr. ausdrücklich einverstanden erklärt. Daß für die Zeit danach eine weitere Befragung anstand, von der sich die Beamten ein bestimmtes Ergebnis versprachen, vermag die Vernehmung nicht mit ihrer Unterbrechung zu einer Einheit zusammenzufassen. Der Angeklagte führte vielmehr außerhalb der Vernehmungen ein überwachtes Privatgespräch, das die Polizeibeamten ihm gestattet hatten.
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cc) Ob dem Gesetz ausnahmsweise ein Verwertungsverbot auch für Äußerungen entnommen werden kann, welche der Beschuldigte außerhalb von Vernehmungen und vernehmungsgleichen Lagen gemacht hat (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß S. 483; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 136a Rn. 13; Kleinknecht/Meyer, StPO 37. Aufl. § 136a Rn. 3), kann offenbleiben. Ein Fall, der zu Erörterungen in dieser Richtung Anlaß gibt, liegt nicht vor.BGHSt 34, 365 (370)
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