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Informationen zum Dokument  BGer 8C_551/2021  Materielle Begründung
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BGer 8C_551/2021 vom 23.03.2022
 
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8C_551/2021
 
 
Urteil vom 23. März 2022
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
 
Gerichtsschreiber Grunder.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso Glavas,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Heilbehandlung; Hilfsmittel),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Juni 2021 (UV.2020.00096).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
A.a Der 1981 geborene A.________ arbeitet seit 9. Mai 2005 vollzeitlich bei der B.________ AG als Betriebsmitarbeiter und ist dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 15. April 2011 wurde sein rechter Fuss zwischen zwei Stahlpaletten eingeklemmt. Gemäss Bericht des Spitals C.________ vom 15. April 2011 erlitt er eine Kontusion des rechten oberen Sprungelenks (OSG). Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Ab Juni 2011 arbeitete der Versicherte wieder im Pensum von 100 %.
2
A.b Im September 2012 meldete der Versicherte einen Rückfall. Laut Bericht des Spitals C.________ vom 28. September 2012 bestanden belastungsabhängige Restbeschwerden am OSG rechts medial nach Quetschtrauma mit Verdacht auf eine arteriovenöse Missbildung retromalleolar mit Reizung des Nervus tibialis. Sportliche Aktivität verursache Schmerzen und der Fuss schwelle an. Die Suva erbrachte erneut Heilbehandlung und schloss den Rückfall mit Schreiben vom 24. Juni 2013 ab.
3
A.c Am 5. Februar 2014 meldete sich der Versicherte wegen seit ein bis zwei Monaten bestehenden massiven Schmerzen im Bereich des rechten Fusses erneut bei der Suva an. Der von ihr konsultierte Prof. Dr. med. D.________, FMH Chirurgie und Gefässchirurgie, Klinik E.________ hielt im Bericht vom 24. Juni 2014 fest, es liege eine symptomatische traumatische arterio-venöse Fistel vor, die mit hinreichender Sicherheit Folge des Quetschtraumas vom April 2011 sei. Die Suva erbrachte auch für diesen Rückfall die gesetzlichen Leistungen.
4
A.d Am 6. April 2018 teilte die Suva dem Versicherten mit, sie werde sich für das Jahr 2018 ohne Präjudiz mit Fr. 300.- an einem Fitnessabonnement beteiligen. In einem Schreiben vom 15. Januar 2019 hielt sie fest, dass der medizinische Endzustand erreicht sei und kein Anspruch auf Invalidenrente und damit auch kein Anspruch auf weitere Heilbehandlung bestehe. Sie sei jedoch ohne Präjudiz bereit, wie bisher die benötigten Analgetika zu vergüten, wobei die Kostenübernahme periodisch geprüft werde. Mit Verfügung vom 15. Januar 2019 sprach sie A.________ eine Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 20 % zu und verneinte einen Anspruch auf Invalidenrente. Am 5. Juni 2019 ersuchte der Versicherte die Suva, weiterhin einen Anteil der Kosten des Fitnessabonnements zu übernehmen. Nach mehreren Schriftenwechseln erliess die Unfallversicherung die Verfügung vom 26. November 2019, wonach keine Leistungen für die medizinische Trainingstherapie erbracht würden. Die erhobene Einsprache lehnte sie mit Entscheid vom 23. April 2020 ab.
5
B.
6
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 17. Juni 2021 ab.
7
C.
8
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils sei die Suva zu verpflichten, weiterhin die medizinisch indizierte Trainingstherapie zu vergüten. Eventualiter sei die Suva zu verpflichten, weitere medizinische Abklärungen betreffend Wirtschaftlichkeit, Zweckmässigkeit, etc. vorzunehmen, bevor sie neu verfüge.
9
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch.
10
 
Erwägungen:
 
1.
11
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
12
 
2.
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin nach dem rechtskräftig eröffneten Fallabschluss (Verfügung vom 15. Januar 2019) teilweise die Kosten des Fitnessabonnements als nachträgliche unfallkausale Heilbehandlung zu übernehmen habe (vgl. Art. 19 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 und 3 UVG).
13
2.2. Gemäss Art. 19 Abs. 1 UVG entsteht der Rentenanspruch, wenn von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten mehr erwartet werden kann und allfällige Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung abgeschlossen sind (Satz 1). Mit dem Rentenbeginn fallen die Heilbehandlung und die Taggeldleistungen dahin (Satz 2).
14
2.3. Neben Art. 19 Abs. 1 Satz 2 UVG ist für die hier interessierenden Belange der gleichzeitigen Einstellung vorübergehender Leistungen mit dem Fallabschluss Art. 21 UVG zu beachten. Nach dessen Abs. 1 werden dem Bezüger auch nach Festsetzung der Rente unter bestimmten, in Abs. 1 lit. a-d dieser Norm aufgeführten Fällen Pflegeleistungen und Kostenvergütungen (Art. 10-13) gewährt. Vorgesehen ist dies, wenn er - immer nebst dem im Ingress erwähnten Bezug einer Invalidenrente - an einer Berufskrankheit (lit. a), unter einem Rückfall oder Spätfolgen leidet und die Erwerbsfähigkeit durch medizinische Vorkehren wesentlich verbessert oder vor wesentlicher Beeinträchtigung bewahrt werden kann (lit. b), zur Erhaltung seiner verbleibenden Erwerbsfähigkeit dauernd der Behandlung und Pflege bedarf (lit. c) oder erwerbsunfähig ist und sein Gesundheitszustand durch medizinische Vorkehren wesentlich verbessert oder vor wesentlicher Beeinträchtigung bewahrt werden kann (lit. d).
15
 
3.
 
 
3.1.
 
3.1.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, die Beschwerdegegnerin habe den Fall mit Verfügung vom 15. Januar 2019 abgeschlossen, eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 20 % festgesetzt und einen Anspruch auf Invalidenrente verneint. Die teilweise Übernahme der Kosten für ein Fitnessabonnement stelle kein Hilfsmittel im Sinne von Art. 11 UVG dar. In dem vom Beschwerdeführer zitierten BGE 143 V 148 sei es lediglich um die Frage gegangen, ob das im Rahmen der Heilbehandlung zugeprochene Hilfsmittel (regelmässige Visuskontrollen; Anpassung oder Ersatz der Sehbrille) auch ohne Rentenzusprache weiterhin zu gewähren gewesen sei, was das Bundesgericht im Rahmen einer bedarfsabhängigen Besitzstandsgarantie bejaht habe. Es habe in E. 6.2 festgehalten, dass das Dahinfallen einer Leistung in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 UVG nur für Heilbehandlung und Taggeld vorgesehen sei. Es habe klar gestellt, dass die Heilbehandlung mit dem Fallabschluss logischerweise dahinfalle, da zu diesem Zeitpunkt von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung mehr erwartet werden könne (E. 5.3.1). Entsprechend liege in Bezug auf die Heilbehandlung und das Taggeld - entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers - keine bundesgerichtliche Praxisänderung vor, mit der eine bedarfsabhängige Besitzstandsgarantie über den Fallabschluss hinaus bejaht worden sei (mit Hinweis auf BGE 144 V 418 E. 2.2; 134 V 109 E. 4.2). Eine weitergehende teleologische oder systematische Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 21 UVG erübrige sich angesichts der zitierten Rechtsprechung und des klaren Gesetzeswortlauts.
16
3.1.2. Weiter hat die Vorinstanz erwogen, da eine nach dem Fallabschluss bestehende Pflicht zur Übernahme von Heilbehandlung durch die Beschwerdegegnerin gemäss Art. 21 UVG zu verneinen sei, erübrige sich die Diskussion der Frage, ob die Kostenbeteiligung an einem Fitnessabonnement beziehungsweise das selbstständige Training in einem Fitnesscenter hier als wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Heilbehandlung im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren sei. Allerdings sei nicht in Abrede zu stellen, dass die Schmerzen und der daraus resultierende Leidensdruck des Beschwerdeführers anhand der objektiven medizinischen Befunde gut nachvollziehbar seien, was die Beschwerdegegnerin durch die unpräjudizielle Übernahme der Kosten für Analgetika über den Fallabschluss hinaus sowie durch die Zusprache einer Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 20 % durchaus anerkannt habe. Sodann sei dem Beschwerdeführer dahingehend beizupflichten, dass die geltende gesetzliche Regelung, nach der nur versicherte Personen, die eine Rente bezögen, allenfalls Anspruch auf weitergehende Heilbehandlung im Sinne von Art. 21 UVG haben könnten, zu zweifelhaft anmutenden Ergebnissen führen könne. Allerdings sei dies vom Gesetzgeber so vorgesehen und es würde die Kompetenz der Judikative weit überschreiten, entgegen der klaren gesetzlichen Grundlage Heilbehandlung nach Fallabschluss auch ohne Zusprache einer Rente zu gewähren.
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3.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, das kantonale Gericht habe sich mit dem Wortlaut von Art. 21 UVG und dessen Anwendung auf den konkreten Fall nicht vertieft befasst, obwohl alle alternativ geltenden Voraussetzungen dieser Bestimmung exemplarisch erfüllt seien. Die von der Beschwerdegegnerin seit Jahren mitfinanzierte Trainingstherapie ermögliche ihm, den körperlich schwer belastenden Beruf im Flugzeugbau weiterhin vollumfänglich auszuüben. Die Vorinstanz klammere sich an den Wortlaut zu Beginn des Art. 21 UVG, der offensichtlich irrtümlich gewählt worden sei. Im Zeitalter des Grundsatzes Eingliederung statt Rente könne nicht sein, dass er, der sich nach Kräften bemühe und vollständig im Arbeitsleben stehe, schlechter gestellt sei als eine versicherte Person, die nach Festsetzung einer Rente gestützt auf Art. 21 UVG weiterhin Anspruch auf Heilbehandlung haben könne. Das kantonale Gericht übersehe, dass die Beschwerdegegnerin seinen Fall mehrmals abgeschlossen und wieder geöffnet habe (Rückfälle), die nun abgelehnte Therapie habe sie aber stets gewährt, respektive diese nicht bei der erstmaligen Grundbereinigung abgelehnt. Parallel dazu habe sie stets die orthopädischen Schuhe als Hilfsmittel abgegeben. Genau betrachtet sei der vorliegende Fall ohne Weiteres mit demjenigen, den das Bundesgericht in BGE 143 V 148 beurteilt habe, zu vergleichen. Die Brillenabgabe mit vormaliger Visuskontrolle und -behandlung sei mit der Übernahme der Kosten für die Trainingstherapie und je nach deren Erfolg mit der weiteren Übernahme orthopädischer Schuhe gleichzustellen.
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3.3. Die Vorbringen des Beschwerdeführers treffen den entscheidenden Punkt nicht. Die Abgabe von orthopädischen Schuhen wurde von der Beschwerdegegnerin zu keinem Zeitpunkt davon abhängig gemacht, welchen Erfolg das muskuläre Training in einem Fitnesscenter haben würde. Die vorliegend zu beurteilende Sachlage ist damit klar zu unterscheiden von derjenigen im angerufenen BGE 143 V 148, wonach die Gewährung der Anpassung oder Ersetzung der Brille von regelmässigen Visuskontrollen abhängig gemacht worden war. Der Beschwerdeführer macht zwar implizit geltend, mehrere Ärzte hätten festgehalten, das muskuläre Training sei auch nach Fallabschluss weiterhin medizinisch indiziert. Er benennt jedoch keine einschlägige Aktenstelle, sondern beschränkt seine Darlegungen im Wesentlichen auf einer wortwörtlichen Wiederholung der im kantonalen Verfahren geltend gemachten Vorbringen. Dies genügt den Anforderungen an eine Rechtsschrift gemäss Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG nicht, wonach in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern das angefochtene Urteil Recht verletzt, weshalb darauf nicht näher einzugehen ist (vgl. BGE 139 I 306 E. 1.2). Das Bundesgericht verweist auf die oben zitierten, nicht zu beanstandenden Erwägungen der Vorinstanz. Diesen ist zur Verdeutlichung einzig beizufügen, dass die Änderung einer Rechtsprechung sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können muss, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein muss, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend zu erachten ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 146 I 105 E. 5.2.2; 145 V 50 E. 4.3.1; 141 II 297 E. 5.5.1; 140 V 538 E. 4.5 mit Hinweisen). Inwiefern solche Umstände seit Eröffnung von BGE 143 V 148 eingetreten sein sollen, ist der Beschwerde nicht ansatzweise zu entnehmen. Die Beschwerde ist in allen Teilen abzuweisen.
19
4.
20
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
21
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, IV. Kammer, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 23. März 2022
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Wirthlin
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder
 
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