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Informationen zum Dokument  BGer 2C_52/2022  Materielle Begründung
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BGer 2C_52/2022 vom 15.02.2022
 
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2C_52/2022
 
 
Urteil vom 15. Februar 2022
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Bundesrichterin Ryter,
 
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. René Schwarz,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau,
 
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau.
 
Gegenstand
 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
 
vom 1. Dezember 2021 (VG.2021.54/E).
 
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. A.________ (geb. 1991) stammt aus Bosnien/Herzegowina. Er hielt sich nach einem früher erfolglos durchlaufenen Asylverfahren seit dem 18. Dezember 2012 im Rahmen einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz auf. Nach der Heirat einer Schweizer Bürgerin am 8. Mai 2015 wurde ihm am 8. September 2015 eine Aufenthaltsbewilligung im Familiennachzug erteilt. Aus der Beziehung war am 14. November 2014 ein gemeinsamer Sohn hervorgegangen. A.________ zog am 1. Mai 2016 in die Wohnung seiner Ehegattin. Ab Mai 2017 kam es zu ehelichen Problemen. Die Ehe wurde am 3. Februar 2020 geschieden.
 
1.2. Das Migrationsamt des Kantons Thurgau lehnte es am 8. November 2019 ab, die Aufenthaltsbewilligung von A.________ zu verlängern und hielt ihn an, das Land zu verlassen. Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau wies den hiergegen erhobenen Rekurs am 4. März 2021 ab. Gegen dessen Entscheid gelangte A.________ erfolglos an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau.
 
1.3. A.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 1. Dezember 2021 aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid bzw. Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung an dieses zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Die kantonalen Behörden beantragen unter Hinweis auf die Begründung des Verwaltungsgerichts, die Beschwerde abzuweisen.
 
Die Abteilungspräsidentin legte der Eingabe am 19. Januar 2022 aufschiebende Wirkung bei.
 
2.
 
Die Beschwerde erweist sich - soweit sie sich nicht in im bundesgerichtlichen Verfahren unzulässiger appellatorischer Kritik erschöpft (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 264 E. 2.3; 141 IV 249 E. 1.3.1) - als offensichtlich unbegründet; sie kann unter ergänzendem Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid mit summarischer Begründung erledigt werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).
 
 
2.1.
 
2.1.1. Die Vorinstanz gibt die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 42, 49 (Ausnahme vom Erfordernis des Zusammenwohnens) und Art. 50 AuG (heute: AIG) zutreffend wieder: Hinsichtlich des relevanten Zeitpunkts der Trennung ist darauf abzustellen, wann die gemeinsame Wohnung aufgegeben worden und der Ehewille nach aussen wahrnehmbar dahingefallen ist (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.1.2). Irrelevant ist - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - wie lange die Ehe formell noch fortbesteht (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.1; Urteil 2C_708/2021 vom 15. November 2021 E. 2.4). Nach der bundesgerichtlichen Praxis können eheliche Schwierigkeiten zwar kurzfristig ein Getrenntleben im Rahmen von Art. 49 AIG rechtfertigen, doch gilt dies nicht mehr, wenn die Trennung - wie hier - über Monate hinweg aufrechterhalten wird, ohne dass es zu einer nennenswerten Wiederannäherung der Gatten kommt (vgl. die Urteile 2C_708/2021 vom 15. November 2021 E. 3.1 und 2C_1013/2020 vom 11. März 2021 E. 3.3).
 
2.1.2. Nach insgesamt vier polizeilichen Interventionen mit zwei Wegweisungen wegen häuslicher Gewalt hat der Beschwerdeführer, was er nicht bestreitet, im November 2017 die eheliche Wohnung verlassen; er lebt seither von seiner Gattin getrennt. Die eheliche Gemeinschaft wurde damit weniger als drei Jahre gelebt, womit insofern kein Bewilligungsanspruch besteht (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG). Hieran ändert der Hinweis des Beschwerdeführers auf neue eheliche und familiäre Lebensformen nichts: Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass das Zusammenleben "living apart together" nicht als eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG bzw. als wichtiger Grund im Sinne von Art. 49 AuG gelten kann (vgl. etwa die Urteile 2C_375/2020 vom 24. Juli 2020 E. 2.2.1; 2C_351/2020 vom 13. Juli 2020 E. 4.7 und 2C_599/2018 vom 8. Januar 2019 E. 5.1, je mit Hinweisen).
 
2.1.3. Hierin liegt - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - keine Diskriminierung ausländischer gegenüber schweizerischen Ehegatten, da sich der Unterschied aus dem ausländer- bzw. bürgerrechtlichen Status der Betroffenen ergibt (vgl. etwa die Urteile 2C_1067/2019 vom 18. Februar 2020 E. 2.5 und 2C_323/2018 vom 21. September 2018 E. 5.3, mit weiteren Hinweisen; zum Diskriminierungsbegriff: BGE 147 I 1 E. 5.2 und das Urteil 2C_185/2019 vom 4. März 2021 E. 5.2.2). Der Gesetzgeber hat im Übrigen im Rahmen von Art. 42 AuG - im Gegensatz zur früheren Regelung im ANAG - bewusst und ausdrücklich auf die tatsächlich in einem Haushalt zusammen gelebte Ehegemeinschaft abgestellt (vgl. Botschaft vom 8. März 2002 zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, BBl 2002 3709 ff. Ziff. 1.3.7.5).
 
 
2.2.
 
2.2.1. Die Vorinstanz gibt auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG und dem umgekehrten Familiennachzug (BGE 144 I 91 ff.) bzw. dem Schutz des Privatlebens im Rahmen von Art. 8 EMRK (BGE 144 I 266 ff.) zutreffend wieder. Die Vorinstanz geht davon aus, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn zwar eine hinreichend enge affektive und wirtschaftliche Beziehung besteht, doch könne nicht gesagt werden, dass er sich hier "tadellos" verhalten habe. Dies ist nicht zu beanstanden: Der Beschwerdeführer ist hier wiederholt straffällig geworden; dabei ging es - entgegen seinen Einwänden - nicht nur um "Schwarzfahrten" (Fahren in fahrunfähigem Zustand, Drohung, Sachbeschädigung usw.). Mit der Vorinstanz ist - im Hinblick auf sein Verhalten während der hängigen Verfahren - auch davon auszugehen, dass er offensichtlich nicht willens oder fähig ist, sich an die hiesige Rechtsordnung zu halten. Im Übrigen bestehen gegen ihn 23 Verlustscheine über Fr. 19'685.43; zudem ist er wiederholt sozialhilfeabhängig geworden (bis Ende Dezember: Fr. 76'541.25), obwohl er eine Ausbildung im Pflegebereich abgeschlossen hat. Auch während des vorinstanzlichen Verfahrens war er auf entsprechende Leistungen der öffentlichen Hand angewiesen. Er kann deshalb nicht als erfolgreich integriert gelten, zumal er sich noch nicht während 10 Jahren hier ordentlich aufgehalten hat (vgl. BGE 144 I 266 ff.).
 
2.2.2. Die aufenthaltsbeendende Massnahme erweist sich schliesslich auch als verhältnismässig: Der Beschwerdeführer ist in der Heimat sozialisiert worden und hat einen Grossteil seines bisherigen Lebens dort verbracht. Es bestehen - wie die Vorinstanz zu Recht ausführt - keine vertieften sozialen Kontakte zur hiesigen Gesellschaft und keine längerfristig gefestigte berufliche Tätigkeit. Mit den gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen in seiner Heimat ist der Beschwerdeführer nach wie vor vertraut. Es wird ihm dank der hier abgeschlossenen Ausbildung als Pflegeassistent möglich sein, dort wieder Fuss zu fassen. Die Beziehung zu seinem Sohn kann er durch Besuchsaufenthalte und die verschiedenen modernen Kommunikationsmittel aufrecht erhalten; für die Wahrnehmung des Sorgerechts ist nicht erforderlich, dass er sich dauernd hier aufhält. Die Distanz zwischen seiner Heimat und der Schweiz führt nicht dazu, dass er die Beziehung zu seinem Sohn praktisch nicht mehr leben könnte (Urteil 2C_370/2021 vom 18. Dezember 2021 E. 5.2.3 mit weiteren Hinweisen).
 
2.2.3. Der blosse Umstand, dass die Sicherheits-, Wirtschafts- oder gesundheitliche Versorgungslage in der Schweiz allenfalls besser ist als im Heimatland, genügt praxisgemäss nicht, um vom Vorliegen eines nachehelichen Härtefalls im Sinne von Art. 50 AuG ausgehen zu können; die Rückkehr in Lebensverhältnisse, die im Herkunftsland allgemein üblich sind, stellt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung keinen wichtigen persönlichen Grund dar, welcher einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz gebieten würde (Urteil 2C_752/2021 vom 22. November 2021 E. 5.3 mit Hinweisen).
 
 
3.
 
3.1. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird.
 
3.2. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist nicht zu entsprechen: Im Hinblick auf die Begründung im angefochtenen Entscheid hatte die vorliegende Eingabe keine ernsthaften Aussichten auf Erfolg (Art. 64 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtskosten wird jedoch dem Umstand Rechnung getragen, dass über das entsprechende Gesuch nicht vorweg entschieden wurde, was es dem Beschwerdeführer allenfalls noch erlaubt hätte, seine Eingabe zurückzuziehen. Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. 
 
2.1. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
2.2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. Februar 2022
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
 
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
 
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