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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1429/2021  Materielle Begründung
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BGer 6B_1429/2021 vom 07.02.2022
 
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6B_1429/2021
 
 
Urteil vom 7. Februar 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Nichteintreten auf Berufung, Zustellfiktion (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO),
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts
 
des Kantons Schaffhausen vom 23. November 2021 (Nr. 50/2021/24).
 
 
Erwägungen:
 
1.
 
Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte den Beschwerdeführer am 9. Juli 2021 wegen grober Verkehrsregelverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 70.-- bei einer Probezeit von 2 Jahren und zu einer Busse von Fr. 3'150.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 32 Tage). Die Verfahrenskosten auferlegte es dem Beschwerdeführer.
 
Dagegen meldete der Beschwerdeführer anlässlich der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2021 mündlich Berufung an. Das Kantonsgericht fertigte daraufhin das begründete Urteil aus und spedierte es am 6. Oktober 2021. Es wurde dem Beschwerdeführer am 7. Oktober 2021 zur Abholung gemeldet.
 
Da in der Folge die obligatorische Berufungserklärung nicht einging, trat das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 23. November 2021 auf die Berufung nicht ein.
 
Der Beschwerdeführer wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und macht geltend, das begründete Urteil des Kantonsgerichts nie erhalten und auch nicht abgeholt zu haben. Er wohne seit dem 1. September 2021 nicht mehr an seiner alten Adresse, sondern sei umgezogen, weshalb er auch keine Kenntnis über die fragliche Sendung des Kantonsgerichts erlangt habe. Am 22. Oktober 2021 habe er mittels Umzugsmitteilung bzw. Nachsendeauftrag die Umleitung seiner Post (gültig ab 27. Oktober 2021) an seine neue Adresse veranlasst. Hätte er von der Zustellung gewusst, hätte er selbstverständlich rechtzeitig Berufung erklärt.
 
2.
 
Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286 mit Hinweisen). So sind die Parteien gehalten, bei einer längeren Abwesenheit von der angegebenen Adresse sich derart zu organisieren, dass Postsendungen an den neuen Ort weitergeleitet werden können oder den Behörden mitzuteilen, unter welcher Adresse sie nunmehr erreichbar sind. Andernfalls gilt die Postsendung als an die letzte bekannte Adresse zugestellt (vgl. BGE 139 IV 228 E. 1.1; 97 III 7 E. 1; Urteile 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286; 6B_674/2019 vom 19. September 2019 E. 1.4.2; je mit Hinweisen). Ein Rückbehaltungsauftrag bei der Post stellt dabei keine genügende Massnahme in diesem Sinne dar (BGE 141 II 429 E. 3.1), ebenso wenig ein Nachsendeauftrag (vgl. Urteile 2C_543/2021 vom 27. Juli 2021 E. 2.2.2 und 2C_272/2020 vom 23. April 2020 E. 3.1).
 
3.
 
Die Vorinstanz begründet ihr Nichteintreten damit, dass das begründete Urteil des Kantonsgerichts dem Beschwerdeführer am 7. Oktober 2021 zur Abholung gemeldet worden ist. Aufgrund seiner Berufungsanmeldung anlässlich der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2021 habe er mit einer Zustellung des Kantonsgerichts rechnen müssen. Das begründete Urteil des Kantonsgerichts gelte folglich als am 14. Oktober 2021 eröffnet (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Die 20-tägige Frist zur Einreichung der Berufungserklärung gemäss Art. 399 Abs. 3 StPO habe am 15. Oktober 2021 zu laufen begonnen und am 3. November 2021 geendet. Innert dieser Frist habe der Beschwerdeführer keine Berufungserklärung eingereicht, weshalb auf die Berufung nicht einzutreten sei.
 
4.
 
Was an diesen Erwägungen bundesrechtswidrig sein könnte, ist nicht ersichtlich. Es steht fest und ist nicht streitig, dass das begründete Urteil des Kantonsgerichts am 6. Oktober 2021 per Einschreiben versandt, dem Beschwerdeführer am 7. Oktober 2021 zur Abholung gemeldet und an das Kantonsgericht am 15. Oktober 2021 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" retourniert wurde. Wie die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sodann zu Recht erwägt, musste der Beschwerdeführer - aufgrund seiner zu Protokoll gegebenen Berufungsanmeldung anlässlich der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2021 - mit Zustellungen des Kantonsgerichts an sein Zustelldomizil rechnen, umso mehr, als der fragliche Versand nur gerade etwas mehr als 3 Monate nach der Hauptverhandlung bzw. der Berufungsanmeldung erfolgte. Dass der Beschwerdeführer, wie er dartut, aufgrund seines Umzugs vom 1. September 2021 mit Adressänderung keine Kenntnis über die fragliche Sendung erhalten haben soll, vermag ihn nicht zu entlasten, zeigt er doch vor Bundesgericht nicht auf und ergibt sich auch nicht aus der angefochtenen Verfügung oder den kantonalen Akten, dass er das Kantonsgericht über das während des Verfahrens offensichtlich neu begründete Zustelldomizil umgehend und in geeigneter Weise orientiert hätte, um die Entgegennahme behördlicher Sendungen weiterhin sicherzustellen (Urteil 2D_29/2019 vom 18. November 2019 E. 3.1; 1C_532/2018 vom 25. März 2019 E. 3.3 und 5.5; vgl. auch BGE 139 IV 228 E. 1.1). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz von einer ordnungsgemässen Zustellung an die letzte bekannte Adresse des Beschwerdeführers ausgegangen ist. Offen bleiben kann, ob es sich beim Vorbringen in der Beschwerde, am 22. Oktober 2021 einen Nachsendeauftrag bei der Post (mit Gültigkeit ab 27. Oktober 2021) eingerichtet zu haben, um ein unzulässiges Novum im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG handelt, zumal der fragliche Nachsendeauftrag nicht zeitgerecht errichtet wurde und ein solcher Auftrag nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Übrigen ohnehin keine geeignete Massnahme darstellt, um die ordnungsgemässe Zustellung behördlicher Akten zu gewährleisten (vgl. vorstehend E. 2). Insgesamt ist nicht ersichtlich und auch nicht dargetan, inwiefern die Vorinstanz die Zustellfiktion gemäss Art. 85 Abs. 4 StPO nicht korrekt zur Anwendung gebracht haben soll. Dass sie den Fristenlauf im Hinblick auf die Einreichung der Berufungserklärung nach Art. 399 Abs. 3 BGG fehlerhaft ermittelt haben könnte, macht der Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend. Ihr Nichteintreten auf die Berufung (mangels Berufungserklärung) verletzt Bundesrecht nicht.
 
5.
 
Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Eingabe im Übrigen um Fristwiederherstellung ersuchen wollte, verkennt er, dass hierüber nicht das Bundesgericht zu befinden hat, sondern die Behörde, bei welcher die versäumte Verfahrenshandlung hätte vorgenommen werden sollen (vgl. Art. 94 StPO).
 
6.
 
Mit der materiellen Seite der Angelegenheit hat sich die Vorinanz nicht befasst. Folglich kann dies auch das Bundesgericht nicht tun (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer ist daher mit seinen Vorbringen nicht zu hören, er sei in diesem Verfahren unschuldig und die ganze Sache habe mit ihm nichts zu tun.
 
7.
 
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss sind die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der verhältnismässig geringe Aufwand ist bei der Bemessung der Gerichtskosten zu berücksichtigen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. Februar 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill
 
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