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Informationen zum Dokument  BGer 1C_688/2020  Materielle Begründung
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BGer 1C_688/2020 vom 06.01.2022
 
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1C_688/2020, 1C_690/2020
 
 
Urteil vom 6. Januar 2022
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Munz,
 
gegen
 
Politische Gemeinde Bottighofen,
 
Schulstrasse 4, 8598 Bottighofen,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Dufner,
 
Departement für Bau und Umwelt
 
des Kantons Thurgau,
 
Generalsekretariat,
 
Promenade, 8510 Frauenfeld.
 
Gegenstand
 
1C_688/2020 und 1C_690/2020
 
Zonenplanänderungen Nrn. 13 und 15
 
(Liegenschaft Nr. 630 Grundbuch Bottighofen),
 
Beschwerden gegen die Entscheide des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
 
vom 16. September 2020.
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
Am 26. Juni 2019 genehmigte das Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau (DBU) den von der Gemeindeversammlung Bottighofen am 23. Mai 2018 beschlossenen Zonenplan mit Ausnahme der Zonenplanänderungen Nrn. 13 und 15 (betreffend die Liegenschaften Nrn. 77 und 630 im Gebiet Ängelberg) sowie Nrn. 23 und 24 (Liegenschaften Nrn. 70, 71, 72, 73 und 579 im Gebiet Rüti) sowie sämtlicher Bereiche der Hafenanlage innerhalb des Hochwasserprofils.
2
B.
3
Gegen die Nichtgenehmigung der Zonenplanänderungen Nrn. 13, 15, 23 und 24 erhob die Gemeinde Bottighofen am 22. Juli 2019 Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (Verfahren VG.2019.127).
4
Die A.________ AG und die B.________ AG gelangten am 19. Juli 2019 mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht Thurgau, mit dem Antrag, das Grundstück Nr. 630 sei entsprechend dem Beschluss der Gemeindeversammlung in einer ersten Bautiefe der Zone WA3 und im Übrigen der Zone W3 zuzuweisen (Verfahren VG.2019.125).
5
Am 16. September 2020 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Gemeinde Bottighofen ab. Gleichentags trat es auf die Beschwerde der B.________ AG nicht ein und wies die Beschwerde der A.________ AG ab.
6
C.
7
Die A.________ AG hat am 7. Dezember 2020 gegen beide Entscheide Beschwerde an das Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_688/2020 und 1C_690/2020). Sie beantragt, der Entscheid VG.20190.125 sei aufzuheben und der Entscheid VG.2019.127 sei aufzuheben, soweit er das Grundstück Nr. 630 betrifft. Die Parzelle Nr. 630 sei, entsprechend den von der Gemeinde erlassenen Zonenplanänderungen Nrn. 13 und 15, in einer ersten Bautiefe der Zone WA3 und im Übrigen der Zone W3 zuzuweisen, soweit von der Gemeinde nicht die Zuweisung in die Zonen FS bzw. Fo im Randbereich vorgesehen sei. Die Ortsplanung der Gemeinde Bottighofen betreffend das Grundstück Nr. 630 sei zu genehmigen. Eventuell sei die Sache an die Rekursinstanz, subeventuell an die Vorinstanz, zurückzuweisen, mit der Anweisung, die von der Gemeinde vorgenommene Zonenzuordnung von Grundstück Nr. 630 integral zu genehmigen.
8
D.
9
Das Verwaltungsgericht und das DBU schliessen auf Abweisung der Beschwerden. Die Gemeinde Bottighofen beantragt die Gutheissung der Beschwerden.
10
Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) erachtet die angefochtenen Entscheide im Ergebnis als richtig und hat keine Bemerkungen dazu.
11
In ihrer Replik vom 19. April 2021 hält die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest.
12
Es wurde keine Duplik eingereicht.
13
 
Erwägungen:
 
1.
14
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 630 und hat sich an beiden vorinstanzlichen Verfahren (VG.2019.125 und VG.2019.127) beteiligt. Insofern ist sie zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobenen Beschwerden (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher grundsätzlich einzutreten.
15
Da beide Beschwerden die Zonenplanzuweisung der Parzelle Nr. 630 betreffen und identische Begründungen enthalten, rechtfertigt es sich, die Verfahren zu vereinigen.
16
2.
17
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich die willkürliche Anwendung von kantonalem Recht) prüft es dagegen nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und genügend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2, mit Hinweisen).
18
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 und Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel können nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat vor Bundesgericht verschiedene neue Unterlagen zu den Akten gereicht. Ob es sich um zulässige Noven handelt, wird im jeweiligen Zusammenhang zu prüfen sein.
19
3.
20
In seinem Beschluss vom 26. Juni 2019 ging das DBU davon aus, das Gebiet Ängelberg (mit den Parzellen Nrn. 630 und 77) sei eine altrechtliche Reservebauzone, die erstmals einer definitiven Bauzone zugewiesen werde. Reservebauzonen seien nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung keine Bauzonen i.S.v. Art. 15 RPG (SR 700), weshalb es sich um Einzonungen handle. Diese könnten mangels Bedarfs der Gemeinde Bottighofen für zusätzliche Wohn-, Misch- und Zentrumszonen (WMZ) nicht genehmigt werden. Entgegen der Darstellung des zuständigen Planungsbüros sei das Gebiet nicht schon mit der Zonenplanänderung 2000/2001 der Bauzone zugewiesen worden: Eine Zuweisung der Reservebauzonen zur definitiven Bauzone lasse sich weder dem genehmigten Plan vom September 2000 (Plan-Nr. 60.2-03/003) noch dem Regierungsratsbeschluss (RRB Nr. 143 vom 27. Februar 2001) entnehmen.
21
Das Verwaltungsgericht bestätigte diese Einschätzung: Die Liegenschaften Nrn. 630 und 77 seien mit der Ortsplanungsrevision 1983 der Reservebauzone zugewiesen worden. Seither habe keine formelle und damit rechtsgültige Überführung der Grundstücke in die definitive Bauzone stattgefunden. Die Gemeinde Bottighofen habe keine Akten für eine solche Überführung vorgelegt und habe unbestrittenermassen auch keinen entsprechenden Genehmigungsantrag gestellt.
22
4.
23
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Akteneinsichtsrechts.
24
4.1. Sie macht zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe den beantragten Beizug der Verfahrensakten des DBU bzw. des kantonalen Amts für Raumentwicklung (ARE/TG) über die Teilrevisionen des Zonenplans Bottighofen 2000/2001 und 2007/2008 abgelehnt und zu Unrecht der Gemeinde die Beweislast für die Überführung der Reservebauzone Ängelberg in die definitive Bauzone auferlegt. Die Parzelle Nr. 630 sei seit der Digitalisierung der Zonenpläne auch vom ARE/TG immer der definitiven Bauzone zugeordnet worden. Dieses Amt verfüge somit offensichtlich über die massgeblichen Unterlagen und Daten, welche beizuziehen die Vorinstanz sich geweigert habe.
25
4.1.1. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich anerkannt, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Akteneinsicht hat (nach Art. 29 Abs. 2 BV sowie kantonalem Verfahrensrecht), namentlich in alle beim Kanton vorhandenen Unterlagen zu Zonenplanrevisionen der Gemeinde Bottighofen, welche die Parzelle Nr. 630 berühren könnten. Es ging jedoch davon aus, das DBU habe alle bei ihm vorhandenen relevanten Unterlagen eingereicht, weshalb keine Veranlassung bestehe, den Beizug weiterer Akten anzuordnen.
26
4.1.2. Tatsächlich hat das DBU verschiedene Unterlagen, insbesondere zur Zonenplanung 2000/2001, eingereicht, die jedoch keinen Hinweis auf eine förmliche Überführung der Reservezonen zu definitiven Bauzonen enthalten (vgl. unten, E. 5). Es ist unstreitig, dass dies auch nicht Gegenstand der vom Regierungsrat am 30. Mai 2008 genehmigten Zonenplanrevision war. Streitig ist daher nicht die Einsichtnahme in ein bestimmtes Dokument, sondern die Frage, ob eine Überführung der Parzelle Nr. 630 von der Reserve- in die definitive Bauzone je stattgefunden hat; dies ist eine Frage der Beweiswürdigung (vgl. unten E. 5).
27
4.1.3. Daran ändern auch die von der Beschwerdeführerin neu eingereichten Unterlagen zur Digitalisierung der Zonenpläne ab dem Jahr 2000 nichts: Diese belegen einzig, dass die technische Projektleitung beim Kanton bzw. beim Amt für Raumplanung (ARP) lag. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass damals alle Einträge der eingelesenen kommunalen Zonenpläne auf ihre materielle Richtigkeit überprüft wurden, anhand der vom Regierungsrat/DBU genehmigten Originalpläne. Insofern kann aus dem Umstand, dass das Gebiet Ängelberg ab 2002 im nachgeführten Zonenplan der Gemeinde - und vermutlich auch in der damaligen digitalisierten Fassung des ThurGIS - als Bauzone bezeichnet wurde, nicht geschlossen werden, dass das ARP über Unterlagen verfügt (oder damals verfügte), welche die förmliche Überführung der Parzelle Nr. 630 von der Reserve- in die definitive Bauzone beweisen würden.
28
4.2. Unbegründet ist schliesslich auch die Gehörsrüge im Zusammenhang mit dem beantragten Bericht des mit der Zonenplanrevision 2007/2008 beauftragten Ingenieurbüros bzw. die Zeugenbefragung des zuständigen Mitarbeiters. Diese sollten bestätigen, dass damals kein Land mehr in der Reservebauzone aufgeführt war. Dieser Umstand ist jedoch unstreitig: Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass die Liegenschaft Nr. 630 im Zonenplan "Stand 8. Mai 2002" wie auch in den planungsrechtlichen Unterlagen zum Zonenplan vom 30. Mai 2008 bzw. den Bauzonenflächendarstellungen als Bauzone WG2 betrachtet wurde (E. 3.4.2 des angefochtenen Entscheids). Streitig ist nur, inwiefern dies rechtlich beachtlich ist. Dazu konnte das Ingenieurbüro nichts beitragen. Gleiches gilt für die rechtliche Tragweite des Genehmigungsvermerks des ARE/TG.
29
5.
30
Die Beschwerdeführerin rügt Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung sowie materiell eine Verletzung des Grundsatzes der Planbeständigkeit (Art. 21 Abs. 1 RPG), weil die Parzelle Nr. 630 zu Unrecht als altrechtliche Reservebauzone qualifiziert werde.
31
5.1. Sie macht geltend, seit der Teilrevision des Zonenplans 2000/ 2001 gebe es in der Gemeinde Bottighofen keine Reservebauzone mehr; alle ehemals dieser Zone zugeteilten Grundstücke, insbesondere die Parzelle Nr. 630, würden in den nachfolgenden Zonenplänen (Stand 8. Mai 2002 und 1. August 2008) als definitive Bauzonen bezeichnet. Dementsprechend sei im Planungsbericht 2007 die Fläche der Reservebauzone mit 0 ausgewiesen worden. Sie folgert daraus, dass mit der von der Gemeindeversammlung Bottighofen am 29. August 2000 beschlossenen Teilrevision des Zonenplans sämtliche Reservebauzonen der Gemeinde in definitive Bauzonen überführt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt habe das kantonale Recht ein vereinfachtes Umwandlungsverfahren vorgesehen; eine Genehmigung des Regierungsrats oder des Departements sei nicht erforderlich gewesen. Dies erkläre, weshalb sich im kantonalen Genehmigungsentscheid vom 27. Februar 2001 keine Aussage zu den Reservebauzonen finde.
32
5.2. Das Verwaltungsgericht folgte dagegen der Erklärung des DBU, wonach die Bezeichnung der Reservebauzonen als Bauzonen in den Planunterlagen ab 2002 mit der am 21. November 2001 erlassenen Teilrevision des Planungs- und Baugesetzes vom 16. August 1995 (aPBG) zusammenhänge ("Projekt Brevi", in Kraft gesetzt am 1. April 2002). Darin sei die Möglichkeit der Erschliessungsetappierung mittels Reservebauzonen ersatzlos gestrichen und die Gemeindebehörden verpflichtet worden, das Erschliessungsprogramm gemäss Art. 19 Abs. 2 RPG innert zwei Jahren festzulegen. Bis ins Jahr 2009 seien die Reservebauzonen nach thurgauischem Recht von den kommunalen und kantonalen Behörden als Bauzonen eingestuft und auch im kantonalen Richtplan als Siedlungsgebiet betrachtet worden. Mit dem Urteil 1C_163/2008 vom 8. Januar 2009 (E. 2.1) habe das Bundesgericht jedoch seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Thurgauer Reservebauzonen - trotz der zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen - als Nichtbauzonen zu qualifizieren seien und nur über ein formelles Planänderungs- bzw. Einzonungsverfahren der Bauzone zugeschlagen werden könnten; die Gesetzesänderung vom 21. November 2001 vermöge aus einer altrechtlichen Reservebauzone keine definitive Bauzone zu schaffen. In der Folge seien die Gemeinden mit Kreisschreiben des DBU vom 8. Januar 2010 aufgefordert worden, die bestehenden Reservebauzonen einer Nutzungszone zuzuweisen und diese Planänderung zur Genehmigung einzureichen.
33
In Bottighofen sei die letzte gesamthafte Ortsplanungsrevision im Jahr 1983 erfolgt. Diese habe die Liegenschaften Nrn. 77 und 630 der Reservebauzone WG2 zugewiesen. Es seien keine Akten vorgelegt worden, wonach je eine Überführung dieser Reservebauzonen in eine definitive Bauzone erfolgt sei. Ein entsprechender Genehmigungsantrag sei unbestrittenermassen nie gestellt worden. Aber auch für den Zeitraum vom 1. April 1996 bis 1. April 2002, in dem § 36 aPBG ein erleichtertes Umwandlungsverfahren ohne Genehmigung des Kantons vorgesehen habe, sei keine derartige Umwandlung aktenkundig. Wenn sich die Gemeinde auf den gegenteiligen Standpunkt stelle, sei sie dafür beweisbelastet.
34
5.3. Diese Erwägungen sind aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden und lassen weder in der Anwendung des kantonalen Rechts noch bei der Beweiswürdigung Willkür erkennen.
35
5.3.1. Unstreitig befand sich die Parzelle Nr. 630 bis zur Zonenplanrevision 2000/2001 noch in der Reservebauzone (vgl. dazu auch unten E. 5.3.2). Gemäss dem in den Akten liegenden genehmigten Plan im Massstab 1:5000 beschränkte sich die Teilrevision 2000/2001 auf eine minimale Anpassung einer Wohnzone (rot markiert) sowie auf die Einführung von überlagernden Zonen zur Umsetzung des NHG (Freihaltezonen Siedlung und Landschaft, Umgebungs- und Ortsbildschutzzone, Zone archäologische Funde) und die Abgrenzung des Waldes. Die Umwandlung von Reserve- in definitive Bauzonen wird nicht als Änderung erwähnt.
36
5.3.2. Für die Hypothese der Beschwerdeführerin, die Gemeindeversammlung habe damals separat über die Umwandlung der Freihaltezonen Ängelberg und Rüti in definitive Bauzonen beschlossen und diesen Beschluss dem Regierungsrat nicht vorgelegt, weil dafür nach damaligem kantonalen Recht (§ 36 aPBG) keine kantonale Genehmigung erforderlich gewesen sei, gibt es in den Akten keinen Anhaltspunkt. Im Übrigen wäre dies auch mit Art. 26 RPG nicht vereinbar, wonach Nutzungsplanänderungen der Genehmigung einer kantonalen Behörde bedürfen.
37
Die Beschwerdeführerin macht erstmals vor Bundesgericht geltend, dass 1999 gewisse Akten aus dem Gemeindearchiv in der Kehrichtverbrennungsanlage Weinfelden entsorgt worden seien; sie vermutet, dass sich aus diesem Grund keine Unterlagen zur Umwandlung der Reserve- in definitive Bauzonen im Gemeindearchiv mehr finden liessen. Allerdings soll sich dieser Vorfall in der ersten Jahreshälfte 1999 zugetragen haben, d.h. noch vor der Teilrevision des Zonenplans vom 29. August 2000.
38
5.3.3. Die nachgeführten Zonenpläne (Stand 8. Mai 2002 und 1. August 2008), auf welche sich die Beschwerdeführerin beruft, sind lediglich konsolidierte Darstellungen der bisherigen Zonenplanrevisionen, die ausdrücklich mit dem Vermerk versehen waren: "Rechtsverbindlich sind die vom RR/DBU genehmigten Originalpläne".
39
Der Entscheid 1C_163/2008 vom 8. Januar 2009 belegt, dass damals im Kanton Thurgau die Meinung verbreitet war, mit dem Erlass des aPBG seien die altrechtlichen Reservebauzonen zu RPG-konformen Bauzonen mit Erschliessungsetappierung geworden, die nach der Teilrevision des aPBG vom 21. November 2001 (Wegfall der Erschliessungsetappierung) zu definitiven Bauzonen umgewandelt worden seien, ohne dass es hierfür einer Zonenplanänderung bedurfte hätte. Es ist plausibel und jedenfalls nicht willkürlich anzunehmen, dass auch die Gemeinde Bottighofen dieser Auffassung folgte und deshalb in den nachgeführten Zonenplänen die bisherigen Reservebauzonen Ängelberg und Rüti als Bauzonen auswies. Erst mit dem zitierten Bundesgerichtsentscheid wurde klargestellt, dass die Gesetzesänderung vom 21. November 2001 nicht vermocht hatte, aus einer altrechtlichen Reservebauzone eine definitive Bauzone zu schaffen, sondern dafür ein formelles Planänderungs- bzw. Einzonungsverfahren erforderlich war. Ein solches ist jedoch nach den willkürfreien Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht belegt worden.
40
5.3.4. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Replik vor Bundesgericht ein Schreiben der Politischen Gemeinde Bottighofen vom 2. Dezember 1998 an C.________ eingereicht, dem früheren Eigentümer der Parzelle Nr. 77, das durch Zufall bei dessen Witwe gefunden worden sei. Darin habe der Gemeinderat dem Gesuch C.________s zugestimmt, die Reservebauzone WG2 in die definitive Bauzone umzuwandeln, und angekündigt, dass dies mit der nächsten Teilrevision der Ortsplanung erfolgen werde. Es kann offenbleiben, ob dieses (verspätet eingereichte) Novum überhaupt berücksichtigt werden kann, da es jedenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Es bestätigt lediglich, dass die Parzelle Nr. 77 (von der später die Liegenschaft Nr. 630 abparzelliert wurde) Ende 1998 noch der Reservebauzone zugeteilt war. Eine Umwandlung in der nächsten Ortsplanungsrevision wurde zwar in Aussicht gestellt; es gibt jedoch keinerlei Hinweis, dass diese Absicht in der Folge je umgesetzt worden wäre.
41
5.4. Bleibt eine rechtserhebliche Tatsache trotz rechtskonform durchgeführtem Beweisverfahren unbewiesen, trägt nach den üblichen Beweislastregeln (Art. 8 ZGB), die auch im öffentlichen Recht als allgemeiner Rechtsgrundsatz gelten, diejenige Person die Folgen, die Rechte aus der behaupteten, aber unbewiesenen Tatsache ableitet (vgl. BGE 144 II 332 E. 4.1.3; 140 V 290 E. 4.1; Urteil 1C_182/2019 vom 17. August 2020 E. 4.1). Vorliegend beriefen sich vor Verwaltungsgericht die Beschwerdeführerin und die Gemeinde darauf, dass die ursprünglich der Reservebauzone zugewiesenen Parzellen Nrn. 630 und 77 (Ängelberg) in eine definitive Bauzone umgewandelt worden seien. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass ihnen dafür die Beweislast auferlegt wurde.
42
6.
43
Das Verwaltungsgericht durfte somit davon ausgehen, dass die Parzelle Nr. 630 nie einer RPG-konformen Bauzone zugeteilt worden war. Ihre Zuweisung zur WA3 bzw. W3 in der am 23. Mai 2018 beschlossenen Zonenplanrevision wurde daher zu Recht als Einzonung qualifiziert.
44
Es ist unstreitig, dass die Voraussetzungen einer Einzonung nach Art. 15 RPG nicht erfüllt sind. Das knapp 1.5 ha grosse Gebiet Ängelberg (Parzellen Nrn. 630 und 77) liegt in einer Schleife des Stichbachs, angrenzend an die Forstzone, und ist praktisch nicht überbaut, d.h. es handelt sich nicht um eine Baulücke. Es besteht unstreitig auch kein Bedarf an zusätzlicher WBZ in Bottighofen; dies gilt unabhängig davon, ob die Fläche der Parzelle Nr. 630 bei der Berechnung der Bauzonengrösse mitberücksichtigt wurde oder nicht. Diese gehört auch gemäss dem aktuellen kantonalen Richtplan, Teilrevision 2017, nicht zum Siedlungsgebiet.
45
7.
46
Zu prüfen ist noch, ob sich die Beschwerdeführerin auf den verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) berufen kann, um eine Einzonung ihres Grundstücks zu verlangen.
47
7.1. Das Verwaltungsgericht verneinte dies: Aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die altrechtlichen Reservebauzonen nur über ein formelles Planänderungs- bzw. Einzonungsverfahren der Bauzone zugeschlagen werden konnten, könne sich die Beschwerdeführerin nicht auf den Vertrauensschutz berufen, um gestützt darauf eine Zonenplanänderung zu bewirken. Die von der kommunalen Behörde herausgegebenen Pläne, ebenso wie die in ThurGIS publizierten Daten, stellten keine Vertrauensgrundlage dar. Im Übrigen müsste ein aus dem Vertrauensschutz abgeleiteter Anspruch auf Zuweisung der Parzelle Nr. 630 in eine Bauzone aufgrund eines überwiegenden, entgegenstehenden öffentlichen Interesses verneint werden: Es würde den fundamentalen Grundsätzen des Raumplanungsrechts entgegenstehen, eine Vergrösserung der Bauzone auf diese Weise erwirken zu können, unter Beschneidung der für eine Zonenplanänderung vorgesehenen juristischen und demokratischen Mitwirkungsrechte, und obwohl kein Bedarf für eine Vergrösserung der Bauzone bestehe.
48
7.2. Die Beschwerdeführerin wendet ein, es sei für sie nicht erkennbar gewesen, dass die Parzelle Nr. 630 nicht rechtsgültig in die definitive Bauzone umgewandelt worden sei. Sie habe sich vielmehr auf die von Gemeinde und Kanton publizierten Planunterlagen verlassen dürfen. Sie - bzw. ihre Rechtsvorgängerin, die D.________ AG (heute: B.________ AG) - habe das Grundstück Nr. 630 zu Baulandpreisen erworben und sei seither vom Kanton und von der Gemeinde gestützt auf Baulandwerte besteuert worden. Dem Vertrauensschutz stehe auch kein erkennbares öffentliches Interesse entgegen. Insbesondere habe das DBU in seinem Entscheid vom 30. Mai 2007 festgestellt, dass das Baugebiet mit der Zonenplanrevision auf 79.68 ha reduziert worden sei. Diese Zahl stamme aus dem Planungsbericht der Gemeinde Bottighofen vom 31. August 2007 und habe auch die ehemalige Reservebauzone Ängelberg umfasst.
49
Das Verwaltungsgericht bezweifelt, dass es sich bei den erstmals vor Bundesgericht eingereichten Unterlagen um zulässige Noven handle. Im Übrigen entspreche ein Preis von Fr. 333'000.-- für eine Fläche von 8'773 m˛ einem Quadratmeterpreis von weniger als Fr. 48.--; es erscheine fraglich, ob dieser Betrag dem im Jahr 2003 üblichen Verkehrswert für definitiv eingezontes Bauland in der Gemeinde entsprochen habe.
50
Die Beschwerdeführerin räumt ein, dass der Kaufpreis aufgrund verschiedener Umstände günstig gewesen sei (Konkurs des früheren Eigentümers; Dienstbarkeiten; noch nicht vorhandene Erschliessung, damals bestehende Gestaltungsplanpflicht); er habe dennoch deutlich über dem Erwerbspreis für Landschaftsland gelegen.
51
7.3. Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) verleiht Rechtssuchenden unter gewissen Umständen Anspruch auf Schutz ihres Vertrauens auf die Richtigkeit behördlichen Handelns. Dieser Anspruch hindert die Behörden, von ihrem früheren Handeln abzuweichen, auch wenn sie dieses zu einem späteren Zeitpunkt als unrichtig erkennen. Potenzielle Vertrauensgrundlage sind dabei alleine jene behördlichen Handlungen, die sich auf eine konkrete, den Rechtssuchenden berührende Angelegenheit beziehen und von einer Behörde ausgehen, die für die betreffende Handlung zuständig ist oder die der Rechtssuchende aus zureichenden Gründen für zuständig hält. Individuelle Auskünfte und Zusicherungen sind demnach typische Beispiele für Verwaltungsakte, die beim Bürger Vertrauen wecken können. Das Vertrauen ist allerdings nur schutzwürdig, wenn der Rechtssuchende die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres erkennen konnte und er im Vertrauen auf die Auskunft Dispositionen getroffen hat, die er nicht ohne Nachteil rückgängig machen kann. Der Anspruch auf Vertrauensschutz entfällt, wenn die gesetzliche Ordnung zwischen dem Zeitpunkt der Auskunft und der Verwirklichung des Sachverhalts geändert hat (vgl. zum Ganzen BGE 146 I 105 E. 5.1.1 mit Hinweisen).
52
7.3.1. Es erscheint fraglich, ob der verfassungsmässige Anspruch auf Vertrauensschutz die Einzonung eines Grundstücks gebieten kann, wenn die Einzonungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, da die Zonenplanung allgemeinverbindlich ist (Art. 21 Abs. 1 RPG) und nicht nur das Verhältnis der Behörde zum Grundstückseigentümer betrifft. Jedenfalls müsste den Nachbarn und anderen legitimierten Personen und Verbänden dazu das rechtliche Gehör gewährt werden. Dies ist vorliegend nicht geschehen, weil die Gemeinde davon ausging, die Parzelle Nr. 630 sei bereits der Bauzone zugeteilt. Die Frage kann allerdings offenbleiben, wenn schon die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes nicht vorliegen.
53
7.3.2. Vorliegend beruft sich die Beschwerdeführerin nicht auf eine ihr erteilte Zusicherung oder behördliche Auskunft, sondern auf die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags publizierten Zonenplanunterlagen bzw. das ÖREB-Kataster. Dabei handelt es sich - wie sie selbst betont - um Publikationen, die sich nicht spezifisch an sie, sondern an eine unbestimmte Anzahl von Personen richteten. Insofern fehlt es bereits an einem individuellen Vertrauenstatbestand. Überdies hat die Beschwerdeführerin erst vor Bundesgericht eine Vertrauensbestätigung, durch den Kauf der Liegenschaft zu Baulandpreisen durch ihre Rechtsvorgängerin im Jahr 2003, substanziiert geltend gemacht (durch Vorlage des Kaufvertrags). Dazu hätte indessen schon im kantonalen Verfahren Anlass und Gelegenheit bestanden, weshalb es sich um ein unzulässiges Novum handelt (Art. 99 Abs. 1 BV). Im Übrigen räumt die Beschwerdeführerin selbst ein, das Grundstück günstig erworben zu haben, u.a. weil die Erschliessung fehlte und eine Gestaltungsplanpflicht bestand, d.h. die Parzelle war damals ohnehin noch nicht baureif. Insofern ist nicht erstellt, dass die Beschwerdeführerin vom Kauf abgesehen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die Parzelle noch der Reservebauzone zugewiesen war.
54
Unter diesen Umständen durfte das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf Einzonung gestützt auf Treu und Glauben verneinen.
55
8.
56
Nach dem Gesagten sind die Beschwerden abzuweisen. Die Beschwerdeführerin wird damit kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG).
57
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verfahren 1C_688/2020 und 1C_690/2020 werden vereinigt.
 
2.
 
Die Beschwerden werden abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Politischen Gemeinde Bottighofen, dem Departement für Bau und Umwelt sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 6. Januar 2022
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kneubühler
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber
 
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