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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1191/2021  Materielle Begründung
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BGer 6B_1191/2021 vom 26.11.2021
 
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6B_1191/2021
 
 
Urteil vom 26. November 2021
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Therese Rotzer-Mathyer,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Jugendanwaltschaft Obwalden, Polizeigebäude Foribach, 6061 Sarnen 1,
 
2. B.________,
 
vertreten duch Sina Larentis, Rechtsanwältin,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige schwere Körperverletzung; Nichteintreten,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 26. August/8. September 2021 (AS 20/020+021/ABO).
 
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Jugendanwaltschaft Obwalden verurteilte den Beschwerdegegner 2 mit Strafbefehl vom 23. April 2019 wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zum Nachteil des Beschwerdeführers. Auf Einsprache hin sprach das Jugendgericht des Kantons Obwalden den Beschwerdegegner 2 am 27. April 2020 vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung frei. Die dagegen erhobenen Berufungen wies das Obergericht des Kantons Obwalden mit Urteil vom 26. August/8. September 2021 ab (Dispositivziffer 2) und sprach den Beschwerdegegner 2 vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung frei (Dispositivziffer 3).
 
2.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 11. Oktober 2021 beantragt der Beschwerdeführer, das obergerichtliche Urteil sei in Bezug auf die Dispositivziffern 2 und 3 aufzuheben und der Beschwerdegegner 2 sei der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig zu sprechen. Eventualiter seien die Dispositivziffern 2 und 3 des Urteils des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
3.
 
Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen nur berechtigt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Bei den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG geht es in erster Linie um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gemäss Art. 41 ff. OR, die üblicherweise vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden müssen (BGE 141 IV 1 E. 1.1). Der angefochtene Entscheid kann sich auf die Beurteilung der im Strafverfahren adhäsionsweise geltend gemachten bzw. noch geltend zu machenden Zivilforderungen dann nicht mehr auswirken, wenn das Strafverfahren im Zivilpunkt bereits erledigt ist, weil die Zivilforderungen z.B. rechtskräftig auf den Zivilweg verwiesen wurden (Urteile 6B_1235/2020 vom 5. Mai 2021 E. 1.1; 6B_1280/2020 vom 3. Februar 2021 E. 1.2; 6B_305/2020 und 6B_321/2020 vom 1. Oktober 2020 E. 2.1; 6B_92/2019 vom 21. März 2019 E. 3; 6B_595/2018 vom 28. November 2018 E. 3 und 4; je mit Hinweisen).
 
Im Falle eines Freispruchs des Beschuldigten setzt die Beschwerdeberechtigung der Privatklägerschaft grundsätzlich voraus, dass diese, soweit zumutbar, ihre Zivilansprüche aus strafbarer Handlung im Strafverfahren geltend gemacht hat (BGE 137 IV 246 E. 1.3.1; Urteil 6B_708/2019 vom 12. November 2019 E. 2.1; je mit Hinweisen), sich mithin im Strafverfahren nicht nur als Strafklägerin (Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO), sondern auch als Zivilklägerin (Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO) konstituiert hat (Urteile 6B_1202/2019 vom 9. Juli 2020 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 146 IV 211; 6B_1239/2019 vom 20. Februar 2020 E. 2.1; je mit Hinweis).
 
4.
 
Der Beschwerdeführer beteiligte sich im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner 2 als Straf- und Zivilkläger und beantragte vor Jugendgericht dessen Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Er verlangte zudem die Feststellung der zivilrechtlichen Haftung des Beschwerdegegners 2 nach Art. 41 und Art. 47 OR für Vermögenseinbussen wegen Erwerbsunfähigkeit, Integritätsschaden sowie Anwalts- und Heilungskosten dem Grundsatz nach. Der Umfang der Haftung, insbesondere die Höhe des Schadens und die Haftungsquote, sei offen zu lassen und er als Privat- und Zivilkläger sei diesbezüglich an den Zivilrichter zu verweisen. Eventualiter beantragte er die Verweisung der Zivilklage auf den Zivilweg (erstinstanzliches Urteil S. 6 sowie E. 10 S. 23 f.). Das Jugendgericht sprach den Beschwerdegegner 2 vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung frei. Es hielt zusammenfassend fest, dass zwar eine schwere Körperverletzung im Sinne einer lebensgefährlichen, schweren Schädigung des Körpers sowie des Unbrauchbarmachens wichtiger Organe (der Nieren) gegeben sei. Dem beschuldigten Beschwerdegegner 2 könne aber keine Sorgfaltspflichtwidrigkeit vorgeworfen werden und er hätte auch den eingetretenen Erfolg nicht verhindern können (erstinstanzliches Urteil E. 4.5 S. 12, E. 5.6 S. 17, E. 7.5 und E. 8 S. 21 f.). Im Zusammenhang mit den Zivilforderungen des Beschwerdeführers erwog es, für die Bezifferung der Zivilansprüche müsste ein Beweisverfahren durchgeführt werden, der Sachverhalt betreffend Zivilansprüche sei nicht spruchreif. Aber auch in Bezug auf die grundsätzliche Haftbarkeit bestehe keine Spruchreife, da der beschuldigte Beschwerdegegner 2 freigesprochen werde und in Bezug auf allfällige Mitbeteiligte die Verteilung der Haftungsquote noch nicht vorgenommen werden könne. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Zivilforderungen seien demzufolge auf den Zivilweg zu verweisen (erstinstanzliches Urteil E. 10.3 S. 24 und S. 26).
 
Da das erstinstanzliche Urteil in diesem Punkt (Verweisung der Zivilforderung auf den Zivilweg) von keiner Partei angefochten wurde, erwuchs es insoweit am Urteilsdatum in Rechtskraft, was die Vorinstanz in ihrem Urteilsdispositiv auch so festgehalten hat (obergerichtliches Urteil S. 27). Weil das Strafverfahren im Zivilpunkt damit als bereits erledigt zu gelten hat (vgl. E. 3 oben), kann sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung der im Strafverfahren dem Grundsatz nach geltend gemachten Zivilansprüche nicht mehr auswirken. Darauf geht der Beschwerdeführer vor Bundesgericht in seiner Strafrechtsbeschwerde nicht ein. Insbesondere macht er nicht geltend, die Vorinstanz habe die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils betreffend die Verweisung der Zivilforderungen auf den Zivilweg zu Unrecht festgestellt. Er argumentiert betreffend seine Beschwerdelegitimation kurz zusammengefasst im Wesentlichen nur, eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung würde die haftpflichtrechtliche Durchsetzung seiner Zivilansprüche erleichtern und sich somit - wie auch ein Freispruch - auf die noch zu beziffernde Zivilforderung auswirken (Beschwerde S. 3 f.). Ob und inwieweit sich eine Verurteilung/ein Freispruch (d.h. ein rechtskräftiges Strafurteil) auf die Zivilforderungen auswirken kann, beurteilt sich namentlich nach Art. 53 OR und ist für die hier zwingend vorausgesetzte Rechtsmittellegitimation nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG nicht relevant. Der Beschwerdeführer ist folglich in der Sache nicht zur Strafrechtsbeschwerde legitimiert.
 
5.
 
Nicht gerügt ist eine formelle Rechtsverweigerung im Sinne der sogenannten "Star-Praxis" (siehe dazu BGE 141 IV 1 E. 1.1; 138 IV 78 E. 1.3; 136 IV 29 E. 1.9; je mit Hinweisen), die der Beschwerdeführer unbesehen seiner fehlenden Legitimation in der Sache vor Bundesgericht geltend machen könnte.
 
6.
 
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Auf die Erhebung von Gerichtskosten kann im vorliegenden Fall ausnahmsweise verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind.
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. November 2021
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill
 
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