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Informationen zum Dokument  BGer 2C_717/2021  Materielle Begründung
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BGer 2C_717/2021 vom 08.11.2021
 
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2C_717/2021
 
 
Urteil vom 8. November 2021
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Bundesrichter Hartmann,
 
Gerichtsschreiberin Ivanov.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Advokat Dieter Roth,
 
gegen
 
Amt für Migration und Bürgerrecht des Kantons Basel-Landschaft,
 
Parkstrasse 3, 4402 Frenkendorf,
 
Beschwerdegegner,
 
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Regierungsgebäude, Rathausstrasse 2, 4410 Liestal.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung (Wiedererwägungsgesuch),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 14. Juli 2021 (810 21 65).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
Die kosovarische Staatsangehörige A.________ (geb. 1991) reiste 1998 in die Schweiz ein und erhielt im April 2004 die Niederlassungsbewilligung. Am 27. Mai 2016 wurde sie vom Strafgericht Basel-Landschaft zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gewerbsmässigen Betrugs sowie gewerbsmässiger Erpressung verurteilt. Zugleich schob das Strafgericht den Vollzug der Strafe in Anwendung von Art. 57 Abs. 2 StGB auf und ordnete eine stationäre Massnahme an.
2
Am 11. August 2016 widerrief das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft (heute: Amt für Migration und Bürgerrecht [AfMB]; nachfolgend: Migrationsamt) die Niederlassungsbewilligung von A.________ und wies sie auf den Zeitpunkt der (bedingten) Entlassung aus dem Straf- bzw. Massnahmenvollzug aus der Schweiz weg.
3
Mit Urteil des Bundesgerichts vom 1. Februar 2019 (2C_573/2018) wurde dieser Entscheid letztinstanzlich bestätigt.
4
B.
5
Am 24. Dezember 2019 reichte A.________ beim Migrationsamt ein Gesuch um Wiedererwägung der Verfügung vom 11. August 2016 und Aufhebung des Widerrufs der Niederlassungsbewilligung und der Wegweisung ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass sie an ernstzunehmenden gesundheitlichen Problemen leide, welche im bisherigen Verfahren nicht thematisiert worden seien.
6
Mit Entscheid vom 17. Juli 2020 trat das Migrationsamt auf das Wiedererwägungsgesuch von A.________ nicht ein. Zur Begründung führte es aus, dass es sich beim Gesuch de facto nicht um ein Wiedererwägungsgesuch, sondern um ein neues Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung handle, wobei die Voraussetzungen für eine materielle Behandlung offensichtlich nicht erfüllt seien. Die von A.________ gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft mit Entscheid vom 2. März 2021 ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, mit Urteil vom 14. Juli 2021 ab, soweit es darauf eintrat.
7
C.
8
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. September 2021 beantragt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils. Ferner beantragt sie, es sei vom Widerruf der Niederlassungsbewilligung abzusehen, es sei auf jegliche Wegweisungsvollzugs- und Fernhaltemassnahmen zu verzichten, sie sei von sämtlichen vorinstanzlichen Verfahrenskosten zu befreien und es sei ihr für die vorinstanzlichen Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei das Verfahren zu erneuter Sachverhaltsfeststellung und materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung, um Einräumung eines Replikrechts sowie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
9
Das Kantonsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
10
Mit Verfügung vom 16. September 2021 hat das präsidierende Mitglied der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
11
 
Erwägungen:
 
1.
12
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (BGE 141 II 113 E. 1).
13
 
2.
 
2.1. Die frist- (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Eingabe der dazu legitimierten Beschwerdeführerin (Art. 89 Abs. 1 BGG) betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG).
14
2.2. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).
15
2.2.1. Die Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 BGG). Die im Rahmen des bundesgerichtlichen Verfahrens 2C_573/2018 beurteilte Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin gilt folglich als mit Urteil vom 1. Februar 2019 rechtskräftig widerrufen. Dieses Urteil hat aufgrund des Devolutiveffekts die Verfügung des Migrationsamts vom 11. August 2016 ersetzt, sodass diese von vorneherein nicht mehr in Wiedererwägung gezogen werden kann. In Frage kommen nur die Revision des bundesgerichtlichen Urteils einerseits (Art. 121 ff. BGG) und die Erteilung einer neuen Bewilligung andererseits. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Wiederaufleben der früheren Niederlassungsbewilligung, sondern um eine neue Bewilligung, die voraussetzt, dass im Zeitpunkt ihrer Erteilung die dannzumal geltenden Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. Urteile 2C_221/2020 vom 19. Juni 2020 E. 1.2.1, mit Hinweisen; 2C_885/2020 vom 1. Dezember 2020 E. 1.2.1; 2C_910/ 2018 vom 23. Oktober 2019 E. 4). Folglich kann sich die Beschwerdeführerin für das vorliegend zu beurteilende Gesuch nicht auf den Umstand stützen, vormals niederlassungsberechtigt gewesen zu sein.
16
2.2.2. Art. 8 EMRK, auf welchen sich die Beschwerdeführerin beruft, verschafft keinen Anspruch auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Dennoch kann es das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens verletzen, wenn einer ausländischen Person, deren Familienangehörige sich hier aufhalten und über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht verfügen, die Anwesenheit untersagt und damit ihr Zusammenleben vereitelt wird (BGE 144 I 91 E. 4.2; 143 I 21 E. 5.1; 142 II 35 E. 6.1). Diese Bestimmungen schützen in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten bzw. Eltern mit ihren minderjährigen Kindern (BGE 135 I 143 E. 1.3.2; Urteile 2C_293/2018 vom 5. Oktober 2018 E. 1.4; 2C_301/2016 vom 19. Juli 2017 E. 5).
17
Die Beschwerdeführerin, die am 31. Juli 2021 Mutter einer Tochter geworden ist, macht nicht geltend, dass das Kind über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht in der Schweiz verfügt. Zum Aufenthaltsstatus des Vaters des Kindes, mit welchem sie nicht verheiratet ist, macht sie ebenfalls keine Angaben. Folglich kann sie aus dem Schutz des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV keinen Bewilligungsanspruch ableiten.
18
Nicht in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fällt schliesslich - mangels Geltendmachung eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses - die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem Vater und ihren Geschwistern, die nach ihren Angaben in der Schweiz leben (vgl. BGE 144 II 1 E. 6.1, mit Hinweisen).
19
2.2.3. Die Beschwerdeführerin weist schliesslich auf ihre langjährige Anwesenheit in der Schweiz hin. Ob sie daraus einen durch das Völkerrecht eingeräumten Bewilligungsanspruch ableiten will (vgl. BGE 144 I 266 E. 3.9), ist unklar. Indessen geht aus der Beschwerdeschrift hervor, dass sie im Ergebnis eine neue umfassende Interessenabwägung gestützt auf Art. 8 EMRK sowie auf Art. 96 AIG, Art. 13 und Art. 5 Abs. 2 BV verlangt. Damit zielen ihre Rügen auf eine Überprüfung des Urteils 2C_573/2018 vom 1. Februar 2019 ab. Eine solche Überprüfung ist nur unter den Voraussetzungen von Art. 121 ff. BGG möglich. Eine solche Revision wäre aber nicht mit einem Wiedererwägungsgesuch bei der Verwaltung geltend zu machen, sondern mit einem formellen Revisionsgesuch beim Bundesgericht (Art. 124 BGG), was die Beschwerdeführerin nicht gemacht hat. Abgesehen davon legt die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar dar, dass sie erhebliche Tatsachen erfahren oder entscheidende Beweismittel aufgefunden hat, die sie nicht bereits im früheren Verfahren hätte beibringen können (Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG). Sodann können die nach dem bundesgerichtlichen Urteil vom 1. Februar 2019 entstandenen Tatsachen und Beweismittel als echte Noven von vornherein keinen begründeten Anlass für eine Revision geben (Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG). Davon betroffen sind insbesondere die Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend (neue) somatische und psychische Probleme (vgl. auch E. 6.1-6.3 des angefochtenen Urteils), den Umstand, dass sie in der Zwischenzeit erfolgreich eine Therapie abgeschlossen haben soll sowie die Geburt ihrer Tochter.
20
Ist aber eine Revision des Urteils 2C_573/2018 vom 1. Februar 2019 nicht denkbar, kann sich die Beschwerdeführerin nicht in vertretbarer Weise auf einen Aufenthaltsanspruch berufen, der ausschliesslich auf einer abweichenden Interessenabwägung beruht. Folglich gelingt es der Beschwerdeführerin auch in diesem Zusammenhang nicht, einen durch das Völkerrecht eingeräumten Bewilligungsanspruch glaubhaft geltend zu machen (vgl. auch Urteil 2C_221/2020 vom 19. Juni 2020 E. 1.2.2).
21
3.
22
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht zulässig, sodass darauf nicht einzutreten ist. Anzufügen ist, dass die Beschwerde auch nicht als subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) entgegengenommen werden kann, weil die Beschwerdeführerin - mit Ausnahme des nicht tangierten Anspruchs auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK; Art. 13 Abs. 1 BV) - keine substanziierten Verfassungsrügen erhebt (Art. 116 und Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG).
23
Der Umstände halber sei darauf hinzuweisen, dass die schweizerischen Behörden gehalten sind, im Rahmen der konkreten Rückkehrmassnahme alles ihnen Zumutbare vorzukehren, um medizinisch und betreuungsmässig sicherzustellen, dass das Leben und die Gesundheit der rückkehrpflichtigen Person möglichst nicht beeinträchtigt wird. Der Vollzug muss folglich sorgfältig und dem Gesundheitszustand entsprechend geplant werden (vgl. Urteile 2C_221/2020 vom 19. Juni 2020 E. 2; 2C_98/2018 vom 7. November 2018 E. 5.5.3).
24
4.
25
Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde als unzulässig, weshalb auf sie nicht einzutreten ist. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren kann nicht entsprochen werden, da das Rechtsmittel als von vornherein aussichtslos bezeichnet werden muss (Art. 64 Abs. 1 BGG).
26
Nach dem Unterliegerprinzip trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
27
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. November 2021
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Die Gerichtsschreiberin: Ivanov
 
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