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Informationen zum Dokument  BGer 1B_467/2021  Materielle Begründung
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BGer 1B_467/2021 vom 25.10.2021
 
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1B_467/2021
 
 
Urteil vom 25. Oktober 2021
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
 
Bundesrichter Chaix, Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Hänni.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Helen Rüegsegger,
 
Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland,
 
Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Straverfahren; Ausstand,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
 
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen,
 
vom 13. August 2021 (BK 21 306).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt ein Strafverfahren gegen A.________ wegen des Verdachts auf Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte und der Widerhandlung gegen das AHVG. Am 24. Juni 2021 befragte ihn Staatsanwältin Rüegsegger in dieser Sache. Am Ende der Einvernahme beantragte A.________ den Ausstand der Staatsanwältin.
2
Das Obergericht des Kantons Bern (Beschwerdekammer in Strafsachen) wies dieses Gesuch am 13. August 2021 ab. Die Verfahrenskosten von Fr. 800.-- auferlegte es zunächst "dem Gesuchsgegner", in einer berichtigten Fassung vom 20. August 2021 dann dem Gesuchsteller.
3
B.
4
Gegen diesen Entscheid führt A.________ am 27. August 2021 Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, sein Ausstandsgesuch gutzuheissen und die vorinstanzlichen Kosten dem Kanton Bern aufzuerlegen; eventuell sei die Sache zur Neuverlegung der Kosten an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem beantragt A.________ die unentgeltliche Rechtspflege.
5
Das Obergericht und Staatsanwältin Rüegsegger haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
6
 
Erwägungen:
 
1.
7
Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen, selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über den Ausstand im Rahmen eines Strafverfahrens. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen (vgl. Art. 78 ff. bzw. Art. 92 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz hat das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers abgewiesen. Damit ist er ohne Weiteres zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 1 BGG).
8
2.
9
Der Beschwerdeführer wirft der verfahrensleitenden Staatsanwältin zusammengefasst vor, keine entlastenden Beweise zugelassen und durch ihre Wortwahl offenbart zu haben, nicht über die nötige Distanz zum Verfahrensgegenstand zu verfügen.
10
3.
11
Der Beschwerdeführer beruft sich in seiner Eingabe an das Bundesgericht auf keine konkrete Verfassungs- oder Gesetzesbestimmung, welche die Vorinstanz verletzt habe. Wann eine Person, die in einer Strafbehörde tätig ist, in den Ausstand zu treten hat, ist in Art. 56 StPO geregelt. Diese Bestimmung konkretisiert Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 BV. Zu den Strafbehörden gehören neben den Gerichten (Art. 13 StPO) die Strafverfolgungsbehörden, darunter die Organe der Staatsanwaltschaft (Art. 12 lit. b StPO). Aufgrund der Ausführungen in der Beschwerdeschrift rechtfertigt es sich, zu prüfen, ob ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. f StPO vorliegt. Nach dieser Bestimmung tritt in den Ausstand, wer aus anderen als den in Art. 56 lit. a - e StPO ausdrücklich vorgesehenen, spezifischen Gründen befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel. Sie entspricht Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem bzw. einer unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter bzw. Richterin ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird.
12
Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters ist nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht leichthin anzunehmen. Zu bejahen ist sie, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; je mit Hinweisen). Auch voreilige präjudizielle Äusserungen der Untersuchungsleitung können geeignet sein, objektive Zweifel an ihrer Unparteilichkeit zu begründen. Dies kann zum Beispiel zutreffen, wenn die Untersuchungsleitung bereits vor Abschluss der Strafuntersuchung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht zum Gegenstand der Untersuchung Stellung nimmt. Ungeschickte Äusserungen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwaltes kommen als Ausstandsgrund nur in Frage, wenn es sich dabei um eine schwere Verfehlung gegenüber der betroffenen Partei handelt (BGE 141 IV 178 E. 3.2.3 mit Hinweisen; Urteil 1B_27/ 2021 vom 15. März 2021 E. 2.3).
13
 
4.
 
4.1. Die erste Kritik des Beschwerdeführers bezieht sich auf das "Merkblatt für beschuldigte Personen", das ihm abgegeben wurde. Nach den dortigen Ausführungen sei es "Aufgabe des Vorverfahrens..., die erforderlichen Beweise bezüglich der in Frage stehenden Straftaten und der Täterschaft zu sammeln". Damit werde, so der Beschwerdeführer, unmissverständlich gesagt, dass es nur darum gehe, belastende Beweise zu sammeln, nicht aber entlastende.
14
Aus der zitierten Formulierung im Merkblatt lässt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht schliessen, es gehe einzig darum, belastende Beweise zu sammeln. Im Gegenteil lässt der Ausdruck "bezüglich" gerade offen, ob es sich bei den betreffenden Beweisen um solche handelt, welche die beschuldigte Person be- oder entlasten. Im Übrigen lassen sich aus einem Merkblatt, das allen beschuldigten Personen abgegeben wird, ohnehin keine Schlüsse auf einen konkreten Fall ziehen, hier also auf die Frage, ob die Beschwerdegegnerin gegenüber dem Beschwerdeführer voreingenommen sei.
15
4.2.
16
Der Beschwerdeführer will sodann aus dem Verlauf der Befragung vom 24. Juni 2021 auf Befangenheit der Beschwerdegegnerin schliessen. Zum einen habe sie ihn ermahnt, sich nur zu den Anzeigen zu äussern, als er habe erläutern wollen, dass er beruflich ruiniert worden sei. Zum andern habe sie ihn aufgefordert, kein "Pamphlet" einzureichen; dieser Ausdruck habe die Bedeutung "Schrift/Schmähschrift", womit die Beschwerdegegnerin bereits zu Beginn der Einvernahme eine verachtende innere Einstellung an den Tag gelegt habe.
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Die Vorinstanz hat hierzu erwogen, der Begriff "Pamphlet" sei im betreffenden Zusammenhang nicht ganz korrekt gewesen, da es sich bei einem Pamphlet um eine schriftliche und nicht um eine mündliche Äusserung handle. Aus dem Einvernahmeprotokoll gehe aber hervor, dass der Beschwerdeführer, als ihm konkrete Fragen gestellt worden seien, Mobbingvorwürfe gegen die Justiz erhoben und geltend gemacht habe, "in Stasi-Manier zersetzt" worden zu sein. Zudem habe er in Aussicht gestellt, seine diesbezüglichen Ausführungen würden viel Zeit in Anspruch nehmen. Diese Erklärungen des Beschwerdeführers würden nicht den Sachverhalt betreffen, den die Beschwerdegegnerin abzuklären habe. Daher erscheine deren Aufforderung, kein Pamphlet einzureichen, nachvollziehbar, zumal seine Äusserungen schon Bestandteil der Akten seien.
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Aus der unzutreffenden Verwendung des Begriffs "Pamphlet" durch die untersuchende Staatsanwältin lässt sich deren Voreingenommenheit gegenüber dem Beschwerdeführer nicht ableiten. Wenn sie dessen Äusserungen als "Schmährede" statt "Schmähschrift" hätte bezeichnen wollen, wäre dies jedenfalls kaum unzutreffend gewesen, hat der Beschwerdeführer doch vorgebracht, er sei von der Justiz gemobbt, ruiniert, völlig aus dem Berufsleben gerissen und "richtig zersetzt, in Stasi-Manier" worden. Auch vor Bundesgericht macht er geltend, vor der Vorinstanz würden "nachweislich Entscheide zusammengelogen" und es würde "dort dem Mobbing besonders leidenschaftlich gefrönt".
19
Sodann hat die Staatsanwältin dem Beschwerdeführer mitgeteilt, sie werde ihm zunächst die Fragen stellen und er könne am Ende noch Bemerkungen anbringen (Protokoll der Einvernahme vom 24. Juni, Zeilen 104 - 106). Wenig später hat er denn auch kurz die Hintergründe seiner finanziellen Schwierigkeiten darstellen können (Protokoll der Einvernahme vom 24. Juni, Zeilen 140 - 149), was er in seiner Rechtsmitteleingabe an das Bundesgericht auch anerkennt (Beschwerde Ziff. 12). Die Einvernahme des Beschwerdeführers wurde somit straff geführt und die Beschwerdegegnerin war offenkundig bemüht, sich eng auf den angezeigten Sachverhalt zu fokussieren und Abschweifungen frühzeitig zu unterbinden. Wohl wäre es auch denkbar gewesen, dem beschuldigten Beschwerdeführer vorweg die Gelegenheit zu geben, seine Sicht der Dinge losgelöst von konkreten Fragen zur Sache in einer gewissen Breite darzulegen. Dies bedeutet aber nicht, dass die konzise Befragung des Beschwerdeführers als eigentlicher Fehler der Staatsanwältin zu qualifizieren wäre, geschweige denn als krasse Fehlleistung, und nur eine solche wäre unter dem Gesichtspunkt von Art. 56 lit. f StPO von Bedeutung.
20
Die Vorbringen des Beschwerdeführers lassen somit bei objektiver Betrachtungsweise keinen Anschein der Voreingenommenheit der Beschwerdegegnerin erkennen.
21
4.3. Nach dem Ausgeführten hat die Beschwerdegegnerin keinen Ausstandsgrund gesetzt. Die Vorinstanz hat das Gesuch zu Recht abgewiesen. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie ist abzuweisen.
22
5.
23
Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig. Es rechtfertigt sich jedoch, ausnahmsweise von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit braucht über das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht entschieden zu werden.
24
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. Oktober 2021
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kneubühler
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni
 
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