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Informationen zum Dokument  BGer 6B_426/2021  Materielle Begründung
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BGer 6B_426/2021 vom 15.09.2021
 
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6B_426/2021
 
 
Urteil vom 15. September 2021
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Gerichtsschreiberin Pasquini.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Revisionsgesuch (Strafzumessung),
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des⁠ Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 8. März 2021 (SR200025-O/U/gs).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
A.a. Das Bezirksgericht Meilen sprach A.________ am 25. Juli 2018 der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. b, c und d in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG, des Fahrens in fahrunfähigem Zustand und der Übertretung gegen das BetmG schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 78 Monaten bzw. 6 ˝ Jahren, mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 90.-- und mit einer Busse von Fr. 300.--.
2
Auf Berufung von A.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 5. Dezember 2019 den bezirksgerichtlichen Entscheid im Schuldpunkt. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 78 Monaten bzw. 6 ˝ Jahren und zu einer Busse von Fr. 300.--.
3
A.b. Am 16. Juni 2020 schrieb das Obergericht des Kantons Zürich das von A.________ eingeleitete Revisionsverfahren infolge Rückzugs ab.
4
A.c. Das Bundesgericht trat mit Urteil vom 22. September 2020 auf die Beschwerde von A.________ gegen das obergerichtliche Urteil vom 5. Dezember 2019 nicht ein (Verfahren 6B_546/2020).
5
B.
6
A.________ stellte am 28. Oktober 2020 ein Revisionsgesuch gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 5. Dezember 2019.
7
Das Obergericht des Kantons Zürich wies das Revisionsbegehren mit Beschluss vom 8. März 2021 ab.
8
C.
9
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und sein Revisionsbegehren sei gutzuheissen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht sinngemäss um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
10
 
Erwägungen:
 
1.
11
Der begründete vorinstanzliche Beschluss ging dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 16. März 2021 zu. Unter Berücksichtigung des Fristenstillstands an Ostern (Art. 46 Abs. 1 lit. a BGG) endete die 30-⁠tägige Beschwerdefrist nach Art. 100 Abs. 1 BGG am 30. April 2021. Die erste Beschwerdeschrift wurde der Post am 15. April 2021 und die zweite, ergänzende Eingabe am 30. April 2021 übergeben. Da die Frist bei beiden Beschwerdeschriften gewahrt ist, kann darauf eingetreten werden.
12
2.
13
2.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze Art. 410 StPO. Im Wesentlichen bringt er vor, massgebend sei, ob das Beweismittel - die schriftliche Erklärung von B.________ - neu und geeignet sei, eine völlig andere Beweiswürdigung herbeizuführen. Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO erwähne ausdrücklich alternativ neue Tatsachen oder neue Beweismittel. Wenn ein neues Beweismittel eine bereits früher geltend gemachte Tatsache zu beweisen vermöge, so sei dies ein Revisionsgrund. Die vorinstanzliche Argumentation, wonach die Erklärung von B.________ kein Revisionsgrund sei, weil sie sich auf eine frühere Tatsache beziehe, sei unhaltbar. Ferner habe das Berufungsgericht seinerzeit im Wesentlichen auf die Aussagen von B.________ abgestellt. Die Vorinstanz argumentiere widersprüchlich und willkürlich, wenn sie zum Schluss gelange, die neuen Depositionen von B.________, die seinen früheren Erklärungen widersprächen, würden an der damaligen Einschätzung nichts ändern. Sollte aufgrund der Aussage von B.________, die er schriftlich abgegeben habe und als Zeuge zu bestätigen bereit sei, die richterliche Überzeugung gewonnen werden können, dass er (der Beschwerdeführer) eben doch nicht der Chef der Drogenläufer gewesen sei, so dränge sich eine völlig neue Bewertung seines Verschuldens auf.
14
2.2. Die Vorinstanz erwägt, der Einwand des Beschwerdeführers, er sei nicht der Chef der Drogenläufer gewesen, sei nicht neu. Da der Beschwerdeführer die ihm gemäss Anklageschrift vorgeworfene Rolle in den Drogengeschäften bestritten habe, hätten das erstinstanzliche Gericht und die Berufungsinstanz gestützt auf sämtliche Aussagen der Mitbeschuldigten sowie der Drogenabnehmer geprüft, ob er tatsächlich eine den Drogenläufern übergeordnete Funktion eingenommen habe. Indem die hierarchische Stellung des Beschwerdeführers geprüft worden sei und sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch die Berufungsinstanz als Beweisergebnis eine übergeordnete Stellung festgehalten hätten, sei implizit auch die Gegenhypothese, der Beschwerdeführer sei nur ein Drogenläufer gewesen, geprüft und infolge des Beweisergebnisses verneint worden. Bei diesem Resultat sei unerheblich, ob ein anderer der Chef gewesen sei, da dem Beschwerdeführer eine den Drogenläufern übergeordnete Stellung habe nachgewiesen werden können. Der Einwand, der Beschwerdeführer sei nicht der Chef der Drogenläufer gewesen, stelle kein Novum im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO dar (Beschluss S. 9 f. E. 4.7).
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Die Vorinstanz hält weiter fest, in Bezug auf das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei zur Mitwirkung an den Drogengeschäften gezwungen worden, liege ebenfalls kein Novum vor (Beschluss S. 11 E. 4.9). Selbst wenn bezüglich der schriftlichen Erklärung von B.________ zumindest von einem neuen Beweismittel auszugehen wäre, müsse dieses erheblich sein. Der Standpunkt des Beschwerdeführers, er sei zum Drogenhandel gezwungen worden, habe die Berufungsinstanz auch aus zeitlichen Gründen - und somit unabhängig von den Aussagen von B.________ - widerlegt, da die Drogenhandelstätigkeit des Beschwerdeführers ab Anfang März 2015 erwiesen sei, während sich der Vorfall um das angeblich verschwundene Kilogramm Heroin im Mai 2015 ereignet habe. Angesichts dieses Beweisergebnisses sei unerheblich, dass der Mitbeschuldigte B.________ nun aussage, der Beschwerdeführer sei zum Drogenhandel gezwungen worden, zumal die Berufungsinstanz genau diese Sachverhaltsvariante widerlegt habe. Hinzu komme, dass B.________ in der schriftlichen Erklärung einzig angebe, er habe damals gelogen, um "seinen Chef" nicht zu verraten. Neue Tatsachen, weshalb der Beschwerdeführer "von Anfang an" zum Drogenhandel gezwungen worden sei und weshalb dieser den Drogenläufern nicht übergeordnet gewesen sein soll, würden weder in der schriftlichen Erklärung von B.________ noch vom Beschwerdeführer vorgebracht. Die neue Aussage von B.________ vermöge die tatsächlichen Feststellungen, auf welche sich die Verurteilung des Beschwerdeführers stütze, in Anbetracht der Erwägungen der Berufungsinstanz somit nicht zu erschüttern. Vielmehr sei davon auszugehen, dass das angefochtene Urteil auch dann gleich ausgefallen wäre, wenn B.________ entsprechend seiner schriftlichen Erklärung ausgesagt hätte (Beschluss S. 11 f. E. 4.10). Vorliegend sei ein günstigeres Urteil - selbst bei Berücksichtigung der neuen Dispositionen von B.________ - nicht wahrscheinlich. Die Berufungsinstanz habe sich mit der hierarchischen Stellung des Beschwerdeführers intensiv auseinandergesetzt und eine übergeordnete Stellung gegenüber den Drogenläufern bejaht. In Bezug auf das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei nicht der Chef der Drogenläufer gewesen, liege kein Novum im Sinne von Art. 410 Abs. 1 StPO vor. Ferner habe die Berufungsinstanz die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei zum Drogenhandel gezwungen worden, nach eingehender Beweiswürdigung verneint. Diesbezüglich liege ebenfalls keine neue Tatsache vor. Im Weiteren sei die Erheblichkeit dieser neuen Aussage zu verneinen⁠ und das Revisionsgesuch demnach abzuweisen (Beschluss S. 13 E. 4.11).
16
2.3.
17
2.3.1. Nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO kann, wer durch ein rechtskräftiges Strafurteil beschwert ist, die Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch oder eine wesentlich mildere Bestrafung der verurteilten Person herbeizuführen. Tatsachen sind Umstände, die im Rahmen des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts von Bedeutung sind. Mit Beweismitteln wird der Nachweis von Tatsachen erbracht. Eine Meinung, eine persönliche Würdigung oder eine neue Rechtsauffassung vermag die Revision nicht zu rechtfertigen (BGE 141 IV 93 E. 2.3; 137 IV 59 E. 5.1.1).
18
2.3.2. Revisionsrechtlich sind Tatsachen und Beweismittel neu, wenn das Gericht im Zeitpunkt der Urteilsfällung keine Kenntnis von ihnen hatte, sie ihm mithin nicht in irgendeiner Form zur Beurteilung vorlagen (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2; Urteil 6B_1120/2020 vom 26. August 2021 E. 2.2; je mit Hinweis). Nicht als neu gelten Beweismittel, wenn sie in ihrer Tragweite falsch gewürdigt worden sind. Die neuen Tatsachen und Beweismittel müssen zudem erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn sie geeignet sind, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils so zu erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts ein wesentlich milderes Urteil möglich ist (BGE 137 IV 59 E. 5.1.4; 130 IV 72 E. 1). Auch wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen ist, wenn ein günstigeres Urteil "möglich" ist, so darf dies nicht so verstanden werden, als sei eine Wiederaufnahme bereits zuzulassen, wenn eine Änderung des früheren Urteils nicht geradezu als unmöglich oder als ausgeschlossen betrachtet werden müsse. Möglich ist eine solche Änderung vielmehr, wenn sie sicher, höchstwahrscheinlich oder wahrscheinlich ist (BGE 120 IV 246 E. 2b; 116 IV 353 E. 5a; Urteile 6B_1120/2020 vom 26. August 2021 E. 2.2; 6B_1175/2020 vom 26. April 2021 E. 3.2; 6B_1353/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 2.3.1; je mit Hinweisen).
19
Ob eine Tatsache oder ein Beweismittel neu und gegebenenfalls geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils zu erschüttern, stellt eine Tatfrage dar, welche das Bundesgericht nur auf Willkür überprüft. Rechtsfrage ist demgegenüber, ob die allfällige Veränderung der tatsächlichen Grundlagen rechtlich relevant ist, das heisst zu einem im Schuld- oder Strafpunkt für die verurteilte Person günstigeren Urteil führen kann (BGE 130 IV 72 E. 1; Urteil 6B_1120/2020 vom 26. August 2021 E. 2.2; je mit Hinweisen).
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2.4. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht in Abrede stellt, dass sich die neu eingereichte Erklärung von B.________, wonach er (d.h. der Beschwerdeführer) zum Betäubungsmittelhandel gezwungen wurde und nicht der Chef der Drogenläufer gewesen sei, nicht auf neue Tatsachen bezieht (vgl. Beschwerde S. 9 lit. c). Die Vorinstanz verfällt nicht in Willkür, wenn sie - im Sinne einer Alternativbegründung - zum Schluss kommt, selbst wenn bezüglich der Erklärung von B.________ zumindest von einem neuen Beweismittel auszugehen wäre, vermöge sie die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils nicht zu erschüttern. Den Nachweis, dass der Beschwerdeführer den Drogenläufern übergeordnet war, stützte das Berufungsgericht nämlich nicht nur auf die Angaben aller Mitbeschuldigen, darunter auch diejenigen von B.________, sondern ebenso auf die Aussagen mehrerer Drogenabnehmer und auf die im Rahmen der geheimen Überwachungsmassnahmen aufgezeichneten SMS-Nachrichten. Insofern ist die vorinstanzliche Schlussfolgerung, die neu eingereichte Erklärung von B.________ habe keinen Einfluss auf das Beweisergebnis betreffend die hierarchische Stellung des Beschwerdeführers, nicht zu bestanden. Weiter ist dem Beschwerdeführer zwar beizupflichten, dass auch die Vorinstanz davon ausgeht, das Berufungsgericht habe bezüglich der Frage, ob er zum Betäubungsmittelhandel gezwungen wurde, im Wesentlichen auf die damaligen Aussagen von B.________ abgestellt. In diesem Zusammenhang weist die Vorinstanz jedoch zutreffend darauf hin, den Standpunkt des Beschwerdeführers, er sei zum Drogenhandel gezwungen worden, habe die Berufungsinstanz auch aus zeitlichen Gründen als widerlegt erachtet. Daher ist es nicht willkürlich, wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, angesichts dieses Beweisergebnisses sei unerheblich, dass B.________ nun erkläre, der Beschwerdeführer sei zum Drogenhandel gezwungen worden. Der Beschwerdeführer macht hierzu geltend, im früheren Urteil habe der massgebliche Vorwurf darin bestanden, dass er ab Mai 2015 einen intensiven Drogenhandel organisiert und betrieben habe, wobei die Anklagevorwürfe ab März 2015 im Hintergrund gestanden hätten (Beschwerde S. 8 f.). Dieser Einwand geht an der Sache vorbei. Dass der Hauptvorwurf im zu revidierenden Urteil auf die Tätigkeiten des Beschwerdeführers ab Mai 2015 gerichtet ist, vermag nichts daran zu ändern, dass er bereits ab März 2015 im Drogenhandel tätig war. Damit ist seine auf einen angeblichen Vorfall im Mai 2015 gestützte Erklärung, weshalb er zur Mitwirkung an den Drogengeschäften gezwungen gewesen sein soll, bereits in zeitlicher Hinsicht widerlegt.
21
Da sich die Alternativbegründung der Vorinstanz als bundesrechtskonform erweist, muss auf die Vorbringen des Beschwerdeführers zur Erstbegründung nicht weiter eingegangen werden (vgl. Beschwerde S. 6 f.). Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie das Revisionsgesuch des Beschwerdeführers abweist.
22
3.
23
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist bei der Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
24
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. September 2021
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini
 
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