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Informationen zum Dokument  BGer 8C_277/2021  Materielle Begründung
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BGer 8C_277/2021 vom 25.08.2021
 
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8C_277/2021
 
 
Urteil vom 25. August 2021
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Wohnlich,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 24. Februar 2021 (VV.2020.164/E).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
A.________, geboren 1963, meldete sich im März 2017 unter Hinweis auf eine vollständige Arbeitsunfähigkeit seit dem 19. Oktober 2016 wegen eines Bandscheibenvorfalls sowie Beschwerden am linken Knie bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Gemäss den Abklärungen der IV-Stelle des Kantons Thurgau hatte sich A.________ mehreren operativen Eingriffen unterziehen müssen. In der Folge wurde er auch psychotherapeutisch betreut. Nach Einholung eines Gutachtens der PMEDA polydisziplinäre medizinische Abklärungen vom 29. Januar 2020 lehnte die IV-Stelle einen Leistungsanspruch mit Verfügung vom 11. Juni 2020 ab.
2
B.
3
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 24. Februar 2021 ab.
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C.
5
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zur erneuten polydisziplinären Abklärung an die Vorinstanz oder an die IV-Stelle zurückzuweisen.
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Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen:
 
1.
8
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1).
9
2.
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Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Ablehnung eines Anspruchs auf Invalidenrente durch die IV-Stelle bestätigte.
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3.
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Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG) und namentlich zu deren Beurteilung bei psychischen Leiden (BGE 143 V 409 E. 4.2.1; 143 V 418; 141 V 281), zum Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der bei der Beurteilung des Beweiswerts eines ärztlichen Berichts oder Gutachtens zu beachtenden Regeln (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Zu ergänzen ist, dass auf ein versicherungsexternes Gutachten abzustellen ist, sofern nicht konkrete Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/bb). Die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4) lässt es rechtsprechungsgemäss nicht zu, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Arztpersonen beziehungsweise Therapiekräfte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil diese wichtige - und nicht rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3b/cc; SVR 2017 IV Nr. 7 S. 19, 9C_793/2015 E. 4.1; Urteile 8C_630/2020 vom 28. Januar 2021 E. 4.2.1; 8C_370/2020 vom 15. Oktober 2020 E. 7.2)
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4.
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Gemäss Vorinstanz war das PMEDA-Gutachten voll beweiskräftig. Insbesondere seien auch die spezifischen Beweisanforderungen an psychiatrische Gutachten erfüllt. Gestützt darauf sei dem Beschwerdeführer die vollzeitliche Ausübung einer leichten bis mittelschweren wechselbelastenden, insbesondere auch der angestammten Tätigkeit zuzumuten. In somatischer Hinsicht sei dabei, so das kantonale Gericht weiter, mit Blick auf die von den Gutachtern klinisch und bildgebend erhobenen Befunde eine geringe Funktionsstörung des linken Kniegelenks sowie eine Funktionseinschränkung lumbal zu berücksichtigen, die indessen eine weitergehende als die beschriebene Limitierung nicht zu begründen vermöchten. Soweit ein psychisches Leiden geltend gemacht wurde, konnte nach dem kantonalen Gericht jedenfalls nicht von einem für die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit hinreichenden Schweregrad der Erkrankung ausgegangen werden, zumal sich die Beschwerden in den von den Experten durchgeführten Tests nicht hätten validieren lassen. Des Weiteren seien die Therapieoptionen gemäss dem psychiatrischen Experten bei weitem nicht ausgeschöpft. Schliesslich bestünden intakte Ressourcen für eine Integration in den Arbeitsmarkt.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, dass sowohl aus somatischen wie auch aus psychiatrischen Gründen von einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei. Das PMEDA-Gutachten widerspreche der Einschätzung seiner behandelnden Ärzte, sodass darauf nicht abgestellt werden könne.
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5.
 
5.1. Inwiefern die Vorinstanz in Bezug auf die somatischen Beschwerden mit der Abstützung auf das PMEDA-Gutachten die zu beachtenden Beweiswürdigungsregeln verletzt haben sollte, ist nicht erkennbar. Die Berichte der behandelnden Ärzte des Spitals B.________ vom 8. Dezember 2016 beziehungsweise des Zentrums C.________ vom 20. Juli 2017, auf die sich der Beschwerdeführer beruft, wurden nach der ersten Hospitalisation zufolge lumboradikulärer Schmerzexazerbation beziehungsweise nach der am 18. Mai 2017 erfolgten zweiten Rückenoperationen verfasst. Im Sommer 2017 klagte der Beschwerdeführer zudem nach einem (ersten) Eingriff am linken Knie vom 1. März 2017 noch über anhaltende Einschränkungen. Soweit damals noch eine vollständige Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde, vermag der Beschwerdeführer daraus nichts zu seinen Gunsten, das heisst im Sinne einer längerfristigen Invalidität, abzuleiten. Gleiches gilt für die im Bericht des Zentrums C.________ vom 10. November 2017 gestellte ungünstige Prognose, zumal der behandelnde Arzt den Beschwerdeführer damals seit zwei Monaten nicht mehr gesehen hatte und Ergebnisse einer schmerztherapeutischen Evaluation und Behandlung noch ausstanden. Die übrigen vom Beschwerdeführer geltend gemachten, in den Jahren 2017 und 2018 abgegebenen Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte enthalten jedenfalls keine Angaben zur Arbeitsfähigkeit. Der Beschwerdeführer vermag damit keine konkreten Indizien gegen die Zuverlässigkeit des im Januar 2020 erstatteten, auf den Untersuchungen im September 2019 beruhenden PMEDA-Gutachtens darzutun, die das kantonale Gericht unter offensichtlich unrichtiger Sachverhaltsfeststellung oder Verletzung der massgeblichen Beweisgrundsätze unberücksichtigt gelassen hätte. Dass die Vorinstanz auf die gutachtliche Einschätzung der Zumutbarkeit einer vollzeitlichen Ausübung einer den somatischen Leiden angepassten und namentlich auch der angestammten Tätigkeit abstellte, ist nicht zu beanstanden.
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Die Argumentation des Beschwerdeführers, es bestehe weiterhin eine somatisch bedingte vollständige Arbeitsunfähigkeit, verfängt auch deshalb nicht, weil gemäss Gutachten insbesondere anhand der neu angefertigten Bildgebung keine Befunde zu erheben waren, die zu entsprechend schwerwiegenden Einschränkugen zu führen vermöchten. Gleiches gilt insoweit, als geltend gemacht wird, aufgrund der von seinen behandelnden Ärzten der Externen Psychiatrischen Dienste (EPD) gestellten Diagnose eines chronischen Schmerzsyndroms mit somatischen und psychischen Faktoren sei auf eine somatisch bedingte Ursache zu schliessen. Schliesslich vermag der Beschwerdeführer auch insoweit nicht durchzudringen, als er geltend macht, der anlässlich der Begutachtung veranlasste Medikamentenspiegel stelle eine blosse Momentaufnahme dar und spreche nicht gegen eine entsprechende Schwere der somatischen Beeinträchtigung. Gemäss den Experten konnte eine regelmässige Medikamenteneinnahme nicht als ausgewiesen gelten, da die Werte für Paracetamol und Ibuprofen deutlich unterhalb des therapeutischen Bereichs lagen. Es bestehen daher auch insgesamt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Vorinstanz offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen hätte.
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5.2. Hinsichtlich der psychischen Symptomatik macht der Beschwerdeführer geltend, seine behandelnden Ärzte der EPD gingen davon aus, dass er seine Beschwerden dissimuliere, weil er nicht als "verrückt" gelten wolle. Dies schliesse, so der Beschwerdeführer sinngemäss weiter, die von der Vorinstanz angenommene Aggravation von vornherein aus. Zudem geht der Beschwerdeführer davon aus, das kantonale Gericht erachte seine Klagen über die Rücken- und Kniebeschwerden wegen seines vermeintlichen Verzichts auf Schmerzmedikamente als nicht glaubwürdig und habe aus diesem Grund auf eine Aggravation geschlossen. Gemäss der vorinstanzlichen Begründung war der Nachweis einer Erkrankung mit der für die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit erforderlichen Schwere nicht zu erbringen. Nach den Feststellungen des kantonalen Gerichts klagte der Beschwerdeführer anlässlich der neuropsychologischen Abklärungen durch die PMEDA-Gutachter sehr wohl über depressiv bedingte funktionelle Beeinträchtigungen, die sich jedoch im Testverfahren nicht validieren liessen. Es zeigte sich vielmehr ein unzuverlässiges Antwortverhalten. Inwiefern die Vorinstanz daraus offensichtlich unrichtig beziehungsweise unter Verletzung der massgeblichen Beweiswürdigungsregeln auf eine Aggravation geschlossen und bundesrechtswidrig eine versicherte Gesundheitsschädigung und damit einen Rentenanspruch ausgeschlossen hätte (vgl. BGE 141 V 281 E. 2.2.1; Urteil 9C_520/2019 vom 22. Oktober 2019 E. 6.1), wird beschwerdeweise nicht dargetan und ist nicht erkennbar. Auch lässt sich angesichts der fehlenden Beschwerdevalidierung im Testverfahren nicht ersehen, dass sich die PMEDA-Gutachter in unsorgfältiger Weise über die Einschätzung der behandelnden Ärzte hinweggesetzt hätten. Dass die Vorinstanz auf das Gutachten abstellte, ist nicht zu beanstanden. Bei diesem Ergebnis bleibt auch die von der Vorinstanz festgestellte Unstimmigkeit der Angaben der behandelnden Ärzte (Bescheinigung einer höheren Arbeitsfähigkeit für die angestammte als für eine leidensangepasste Tätigkeit) ohne Belang. Inwiefern sich daraus etwas zu Gunsten des Beschwerdeführers ableiten liesse, ist nicht erkennbar.
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5.3. Dass die Vorinstanz unter der Annahme einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit auf die Durchführung eines Einkommensvergleichs verzichtete, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Beschwerdeführer unter Berufung auf die Stellungnahme der Ärztin der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 29. November 2018 geltend macht, es seien ihm nur noch leichte Verweistätigkeiten zuzumuten, fehlt es jedenfalls an substanziierten Rügen hinsichtlich allfälliger erwerblicher Auswirkungen. Damit hat es auch diesbezüglich mit dem vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.
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6.
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Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 1 und 66 Abs. 1 BGG).
22
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 25. August 2021
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
 
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