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Informationen zum Dokument  BGer 8C_443/2021  Materielle Begründung
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BGer 8C_443/2021 vom 22.07.2021
 
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8C_443/2021
 
 
Urteil vom 22. Juli 2021
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht,
 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzung),
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. Mai 2021 (IV.2020.00647).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
Mit Verfügung vom 24. August 2020 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Anspruch der 1962 geborenen A.________ auf eine Invalidenrente.
2
B.
3
Dagegen liess A.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde erheben. Sie ersuchte um Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels mit der Begründung, ihr Gesundheitszustand habe sich seit dem von der IV-Stelle eingeholten bidisziplinären Gutachten der SMAB AG (Swiss Medical Assessment- and Business-Center) vom 20. Januar 2020 verschlechtert und sie wolle die neuesten Abklärungsergebnisse nachreichen. Das Sozialversicherungsgericht teilte mit Verfügung vom 21. Januar 2021 mit, es erachte die Anordnung eines weiteren Schriftenwechsels nicht als erforderlich. Am 26. März 2021 liess A.________ die Sistierung des Verfahrens beantragen, um weitere medizinische Abklärungen, insbesondere ein bei Dr. med. B.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, in Auftrag gegebenes Gutachten nachreichen zu können. Mit Verfügung vom 11. Mai 2021 wies das Sozialversicherungsgericht das Gesuch um Sistierung des Beschwerdeverfahrens ab.
4
C.
5
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, die Verfügung vom 11. Mai 2021 sei aufzuheben und das kantonale Beschwerdeverfahren sei zu sistieren, damit sie weitere medizinische Abklärungen nachreichen könne.
6
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 146 V 331 E.1 mit Hinweisen).
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1.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist unter anderem gegen Vor- und Zwischenentscheide zulässig (Art. 92 und Art. 93 BGG). Bei der hier angefochtenen Verfügung handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Dessen Anfechtbarkeit setzt voraus, dass er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; ein Anwendungsfall von lit. b derselben Bestimmung liegt nicht vor). Ein Nachteil im Sinne dieser Bestimmung ist erst gegeben, wenn er durch einen späteren günstigen Entscheid nicht oder nicht mehr vollständig behoben werden kann (BGE 139 V 42 E. 3.1; 137 V 314 E. 2.2.1, je mit Hinweisen). Die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden bildet aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll. Sie ist restriktiv zu handhaben, können doch Vor- und Zwischenentscheide, sofern die Beschwerde dagegen nicht zulässig ist oder von ihr kein Gebrauch gemacht wurde, gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG durch Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (BGE 144 III 253 E. 1.3 mit Hinweisen).
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1.3. Verfügungen über die Sistierung des Verfahrens stellen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG dar (vgl. Urteil 8C_165/2019 vom 11. März 2019), so dass mit der dagegen erhobenen Beschwerde nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann. Insoweit besteht eine qualifizierte Rügepflicht, d.h. das Bundesgericht prüft die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2; vgl. auch BGE 133 IV 286 ff.), andernfalls auf die Beschwerde nicht eingetreten wird.
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2.
 
2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch die Abweisung des Sistierungsgesuchs und die daraus folgende Verwehrung der Möglichkeit, ein Privatgutachten einzureichen, drohe ihr ein nicht wieder gutzumachender Nachteil. Darin liege auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Dieser Anspruch umfasse das Recht der Parteien, für entscheiderhebliche Sachvorbringen zum Beweis zugelassen zu werden, und dementsprechend die Pflicht des Gerichts, die ihm rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen, sofern sie geeignet seien, den zu treffenden Entscheid zu beeinflussen. Bei der Beurteilung der Anfechtbarkeitsvoraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils - so die Beschwerdeführerin - sei zu berücksichtigen, dass das Sachverständigengutachten im Rechtsmittelverfahren mit Blick auf die fachfremde Materie nur beschränkt überprüfbar sei. Da das Sozialversicherungsgericht aufgrund der eingeschränkten Kognition des Bundesgerichts faktisch abschliessend über den medizinischen Sachverhalt und die Würdigung entscheide, könne ein diesbezüglicher Entscheid beim Bundesgericht nur noch sehr beschränkt bzw. gar nicht mehr angefochten werden. Die von der IV-Stelle eingeholten Gutachten, sowohl das bidisziplinäre Gutachten der SMAB AG vom 20. Januar 2020 wie auch das Gutachten des Dr. med. C.________ vom 2. November 2016, seien mangelhaft, sodass die Verwehrung der Einreichung eines Privatgutachtens einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirke.
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2.2.
 
2.2.1. In der angefochtenen Verfügung erwog die Vorinstanz, gemäss Art. 126 Abs. 1 ZPO, der gestützt auf § 28 lit. a des Gesetzes des Kantons Zürich vom 7. März 1993 über das Sozialversicherungsgericht (GSVGer; LS 212.81) in sozialversicherungsrechtlichen Beschwerdeverfahren sinngemäss Anwendung finde, könnten Verfahren sistiert werden, wenn die Zweckmässigkeit dies verlange. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bilde die Frage, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Invalidenrente habe. Zur Beantwortung seien vorab die im Verwaltungsverfahren erhobenen medizinischen Unterlagen zu würdigen, namentlich das Gutachten der SMAB AG vom 20. Januar 2020. Sollte das Gericht dabei zum Schluss kommen, dass diese Unterlagen keine abschliessende Beurteilung des Gesundheitszustandes und der funktionellen Leistungsfähigkeit erlauben würden, könnte es die Erhebung von zusätzlichen Beweisen im Beschwerdeverfahren anordnen oder aber die Sache an die Verwaltung zur Vornahme weiterer medizinischer Abklärungen zurückweisen. Für die Beurteilung der Beschwerde sei daher - so die Vorinstanz - das von der Beschwerdeführerin in Auftrag gegebene Gutachten nicht notwendig. Ein erst während des Beschwerdeverfahrens eingeholtes Gutachten erscheine denn auch nicht zweckmässig, da der Erlass des angefochtenen Entscheids die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bilde. Das kantonale Gericht erachtete daher die Voraussetzungen für eine Sistierung des Beschwerdeverfahrens nicht als erfüllt, zumal der Gesetzgeber in Art. 61 lit. a ATSG für die sozialversicherungsrechtlichen Prozesse ausdrücklich ein einfaches und rasches Verfahren verlange.
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2.2.2. Was dagegen letztinstanzlich vorgebracht wird, ist nicht geeignet aufzuzeigen, inwiefern die Abweisung des Sistierungsgesuchs einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken sollte. Wohl macht die Beschwerdeführerin die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend, doch können sämtliche ihrer Rügen, namentlich betreffend Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der Waffengleichheit wie auch des Untersuchungsgrundsatzes oder des Willkürverbots im Rahmen des Hauptverfahrens vor dem kantonalen Gericht oder aber im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen den vorinstanzlichen Endentscheid vor Bundesgericht erhoben werden. Eine behauptete Verletzung verfassungsmässiger Rechte wäre vom Bundesgericht mit freier Kognition zu prüfen. Gemäss Art. 61 lit. c ATSG stellt sodann das Versicherungsgericht unter Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid erheblichen Tatsachen fest, erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei. Ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden, gilt als Rechtsfrage, die das Bundesgericht ebenfalls ohne Einschränkung der Kognition frei überprüft. Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Berichten im Lichte der rechtsprechungsgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1; Urteil 8C_334/2018 vom 8. Januar 2019 E. 1). Da demzufolge ein nicht wieder gutzumachender Nachteil durch die angefochtene Verfügung weder ausgewiesen noch ersichtlich ist, sind die Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 BGG für die Anfechtbarkeit des Zwischenentscheids nicht erfüllt. Die Beschwerde gegen die Verfügung vom 11. Mai 2021 erweist sich daher als unzulässig, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
13
3.
14
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
15
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 22. Juli 2021
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch
 
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