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Informationen zum Dokument  BGer 6B_299/2021  Materielle Begründung
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BGer 6B_299/2021 vom 30.04.2021
 
 
6B_299/2021
 
 
Urteil vom 30. April 2021
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________,
 
handelnd durch C.A.________
 
als gesetzlicher Vertreter,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Nichtanhandnahme (Nötigung); Nichteintreten,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 29. Januar 2021 (SW.2020.157).
 
 
Das präsidierende Mitglied zieht in Erwägung:
 
1. A.A.________ (Jahrgang xxx) und B.A.________ (Jahrgang yyy) sind Schüler der Sekundarschule der Sekundarschulgemeinde U.________. Am 15. November 2020 erstatteten sie, handelnd durch ihren Vater als gesetzlicher Vertreter, Strafanzeige gegen den Schulpräsidenten der Sekundarschulgemeinde U.________ wegen Nötigung. Diesem wurde vorgeworfen, weiterhin "Gesichtsverhüllungszwang" auszuüben bzw. den Versuch dazu begangen zu haben. Ein Gesichtsverhüllungszwang verletze die über der Verfassung stehenden Menschenrechte der persönlichen Freiheit, der Menschenwürde, der körperlichen und geistigen Unversehrtheit und der Gewissensfreiheit. Da Menschenrechte naturgegeben und völkerrechtlich geschützt seien, könne weder der Bundesrat noch eine Kantonsregierung darüber verfügen. Sie gälten auch und gerade in Notlagen und bestünden somit auch in jeder Situation vor dem Epidemiegesetz. Sie seien unverletzlich und unveräusserlich.
 
Die Staatsanwaltschaft Frauenfeld nahm eine Strafuntersuchung am 3. Dezember 2020 nicht an die Hand. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 29. Januar 2021 ab.
 
Der Vater wendet sich als gesetzlicher Vertreter im Namen seiner beiden Kinder mit Beschwerde an das Bundesgericht.
 
2. Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; BGE 141 IV 1 E. 1.1). Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG haben ihren Grund im Zivilrecht und müssen ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden. Öffentlich-rechtliche Ansprüche, auch solche aus Staatshaftungsrecht, sind keine Zivilansprüche, die adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden können (BGE 131 I 455 E. 1.2.4 S. 461; Urteil 6B_1302/2016 vom 1. März 2017 E. 2 mit Hinweis).
 
3. Die Beschwerdeführer äussern sich nicht zu ihrer Beschwerdelegitimation als Privatkläger, die vorliegend im Übrigen auch nicht gegeben ist. Der von ihnen erhobene Vorwurf richtet sich gegen den Schulpräsidenten der Schulgemeinde U.________ und damit gegen eine Person, die die angeblich strafbare (n) Handlung (en) als Schulbehördenmitglied vorgenommen haben soll (vgl. § 58 ff. des kantonalen Gesetzes über die Volksschule des Kantons Thurgau [VG; RB 411.11]; Gemeindeordnung der Sekundarschulgemeinde U.________, genehmigt anlässlich der Gemeindeversammlung vom 22. März 2018, genehmigt vom Departement für Erziehung und Kultur am 23. April 2018). Die Schulgemeinden unterstehen dem kantonalen Gesetz über die Verantwortlichkeit des Kantons Thurgau vom 14. Februar 1979 (Verantwortlichkeitsgesetz; RB 170.3). Nach § 4 Abs. 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes haftet ausschliesslich der Staat für den Schaden, den eine mit öffentlichen Aufgaben betraute Person in Ausübung amtlicher Verrichtungen einem Dritten dadurch zufügt, dass sie dessen Rechte verletzt. Allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gegen den Beschuldigten beurteilen sich folglich nach dem kantonalen Verantwortlichkeitsgesetz und sind demnach öffentlich-rechtlicher Natur. Der erhobene strafrechtliche Vorwurf kann sich daher allenfalls auf öffentlich-rechtliche (Staatshaftungs-) Ansprüche auswirken, nicht aber auf Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG. Die Beschwerdeführer sind folglich in der Sache nicht zur Beschwerde legitimiert.
 
4. Formelle Rügen, zu deren Vorbringen die Beschwerdeführer unbesehen der fehlenden Legitimation in der Sache befugt wären (sog. "Star-Praxis"; vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen), erheben sie nicht. Soweit sie im Übrigen eine Verletzung von Kinder-, Menschen- und Freiheitsrechten geltend machen, zielt ihre Kritik auf die Rechtmässigkeit der Nichtanhandnahme und damit auf eine Überprüfung in der Sache selbst ab, was unzulässig ist. Dasselbe gilt für die sinngemässe Rüge, die Vorinstanz verletze die Begründungspflicht und damit das rechtliche Gehör. Dass den Beschwerdeführern eine sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids nicht möglich gewesen wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die Beschwerde vermag den Begründungsanforderungen nicht zu genügen. Davon abgesehen wird verkannt, dass sich Gerichte nicht mit sämtlichen Parteistandpunkten befassen müssen, sondern sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken können (vgl. BGE 141 III 28 E. 3.2.4).
 
5. Auf die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 108 BGG nicht einzutreten. Die Kosten sind dem für die Beschwerdeführer handelnden gesetzlichen Vertreter aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
 
 Demnach erkennt das präsidierende Mitglied:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden C.A.________, dem Vater und damit gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführer, auferlegt
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 30. April 2021
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill
 
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