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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1104/2020  Materielle Begründung
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BGer 6B_1104/2020 vom 25.02.2021
 
 
6B_1104/2020
 
 
Urteil vom 25. Februar 2021
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichterin van de Graaf,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiber Held.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt, Sennhofstrasse 17, 7000 Chur,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Rechtsmittelbelehrung, Einsprachefrist,
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts von Graubünden, II. Strafkammer, vom 26. Juni 2020 (SK2 20 38).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Mit Strafbefehl vom 6. Mai 2019 sprach die Staatsanwaltschaft Graubünden gegen die in Wien gemeldete A.________ wegen übler Nachrede und Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte eine bedingte Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 50.-- sowie eine Busse von Fr. 300.-- aus.
1
A.________ erhob gegen den Strafbefehl Einsprache, die sie der Schweizer Botschaft in Wien am 4. Juni 2019 übergab. Mit Beschluss vom 19. Mai 2020 trat das Regionalgericht Viamala auf die Einsprache mangels fristgerechter Einreichung nicht ein und stellte die Rechtskraft des Strafbefehls fest.
2
Auf die von der Beschwerdeführerin hiergegen erhobene Beschwerde trat das Kantonsgericht von Graubünden mit Verfügung vom 26. Juni 2020 nicht ein.
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B. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Vorinstanz habe ihre Beschwerde materiell zu beurteilen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
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Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Die Staatsanwaltschaft Graubünden verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die kantonalen Strafbehörden hätten sie darüber aufklären müssen, dass die Aufgabe einer Rechtsschrift bei der österreichischen Post nicht fristwahrend ist. Sie rügt damit sinngemäss, der Beschluss des Regionalgerichts enthalte eine unrichtige bzw. unvollständige Rechtsmittelbelehrung, weshalb ihre Eingabe im kantonalen Beschwerdeverfahren nicht als verspätet gelten könne.
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1.2. Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdeführerin habe ihre Beschwerde im kantonalen Verfahren - wie die Einsprache gegen den Strafbefehl auch - verspätet eingereicht. Der Beschluss des Regionalgerichts sei der Beschwerdeführerin am 4. Juni 2020 durch die österreichische Post an ihrem Wohnsitz zugestellt worden. Die 10-tägige Beschwerdefrist habe demnach am 5. Juni 2020 begonnen und am 15. Juni 2020 geendet. Zwar habe die Beschwerdeführerin die Beschwerde am 15. Juni 2020 der österreichischen Post übergeben (Poststempel), diese sei der Schweizerischen Post jedoch erst am 17. Juni 2020 und somit gemäss Art. 91 Abs. 2 StPO verspätet zugegangen.
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Darüber hinaus hält die Vorinstanz fest, die Eingabe genüge nicht den Begründungsanforderungen gemäss Art. 385 Abs. 1 StPO. Die Beschwerdeführerin setze sich mit den Erwägungen des Regionalgerichts betreffend die Nichteinhaltung der Einsprachefrist nicht auseinander, weshalb mangels rechtsgenügender Begründung auf die Beschwerde nicht eingetreten werden könne.
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1.3.
 
1.3.1. Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG haben Rechtsschriften ein Begehren und deren Begründung zu enthalten. In der Beschwerdebegründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss erneut die Rechtsstandpunkte bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 142 III 364 E. 2.4).
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Beruht der angefochtene Entscheid auf mehreren selbständigen Alternativbegründungen, so ist für jede einzelne darzutun, weshalb sie Recht verletzt, weil andernfalls der angefochtene Entscheid gestützt auf die unangefochtenen Begründungen bestehen bleibt und das Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung der beanstandeten Erwägungen entfällt (BGE 138 I 97 E. 4.1.4 S. 100; 142 III 364 E. 2.4 S. 368).
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1.3.2. Die Frist für die Beschwerde gemäss Art. 393 ff. StPO beträgt 10 Tage (Art. 396 Abs. 1 StPO) und beginnt am Tag nach der Mitteilung des angefochtenen Entscheids zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Sie ist eingehalten, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Handen der Schweizerischen Post, einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder, im Falle von inhaftierten Personen, der Anstaltsleitung übergeben wurde (Art. 91 Abs. 2 StPO).
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1.3.3. Urteile und andere verfahrenserledigende Entscheide müssen, sofern sie anfechtbar sind, eine Rechtsmittelbelehrung enthalten (Art. 81 Abs. 1 lit. d StPO). Die Rechtsmittelbelehrung soll die Parteien in die Lage versetzen, die ihnen von Gesetzes wegen zustehenden Rechtsmittel auch effektiv wahrzunehmen. Dies setzt voraus, dass die Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich auch einen Hinweis auf Art. 91 Abs. 2 StPO enthalten muss, wenn der Zustellungsempfänger im Ausland wohnhaft ist (BGE 145 IV 259 E. 1.4.3).
12
 
2.
 
2.1. Die Beschwerdeführerin setzt sich in ihrer Eingabe nicht mit der Eventualbegründung der Vorinstanz auseinander, wonach auf die kantonale Beschwerde mangels rechtsgenügender Begründung nicht einzutreten sei. Sie zeigt nicht auf, dass oder inwieweit die Vorinstanz Art. 396 Abs. 1 StPO verletzt haben soll. Sie behauptet nicht, in ihrer kantonalen Beschwerde die tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründe prozesskonform dargelegt zu haben, die einen anderen Entscheid durch die Vorinstanz nahelegen oder dass aus ihrer Eingabe zumindest hinreichend deutlich geworden wäre, dass der Entscheid des Regionalgerichts rechtswidrig ist (vgl. Urteile 6B_182/2020 vom 6. Januar 2021 E. 2.5; 6B_721/2018 vom 19. November 2018 E. 2.1; je mit Hinweisen). Damit genügt die Eingabe der Beschwerdeführerin nicht den Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG, da sie nicht für beide Alternativbegründungen darlegt, dass und inwieweit diese gegen das Recht verstossen.
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2.2. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass Urteile und andere verfahrenserledigende Entscheide, sofern sie anfechtbar sind, eine Rechtsmittelbelehrung enthalten müssen (Art. 81 Abs. 1 lit. d StPO). Die Rechtsmittelbelehrung soll die Parteien in die Lage versetzen, die ihnen von Gesetzes wegen zustehenden Rechtsmittel auch effektiv wahrzunehmen. Dies setzt voraus, dass die Rechtsmittelbelehrung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. d StPO, wenn der Zustellungsempfänger im Ausland wohnhaft ist, grundsätzlich einen Hinweis auf Art. 91 Abs. 2 StPO enthalten muss (BGE 145 IV 259 E. 1.4.3), was beim angefochtenen Entscheid der Vorinstanz nicht der Fall ist, weshalb der Beschwerdeführerin die in dieser Bestimmung enthaltene Regel grundsätzlich nicht entgegengehalten werden kann. Aus einer mangelhaften Eröffnung eines Entscheids dürfen den Parteien keine Nachteile erwachsen (BGE 145 IV 259 E. 1.4.4; 144 II 401 E. 3.1 S. 404 f; Art. 29 Abs. 1 und 2 BV). Die Vorinstanz konnte ihren Nichteintretensentscheid demnach nicht damit begründen, die Beschwerdeführerin habe die Beschwerdefrist nicht eingehalten.
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Aber selbst wenn die Vorinstanz unter Zugrundelegung eines grosszügigen Massstabs an die Laienbeschwerde auf diese eingetreten wäre, hätte sie die kantonale Beschwerde abweisen müssen. Die Rechtsmittelbelehrung des Strafbefehl enthielt - im Unterschied zum Entscheid des Regionalgerichts - einen Hinweis auf die Möglichkeit, dass die Einsprache fristwahrend auch zu Handen einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden konnte. Demnach hat das Regionalgericht die Einsprache gegen den Strafbefehl zutreffend als verspätet erachtet.
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2.3. Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus Mängel des Strafbefehlsverfahrens rügt und geltend macht, der Vorsitzende des Regionalgerichts Viamala sei befangen, ist auf ihre Vorbringen nicht einzutreten. Sie verkennt, dass weder die Korrektheit des Strafbefehlsverfahrens noch die erstinstanzliche Gerichtsbesetzung Thema des angefochtenen Entscheids sind und demnach im vorliegenden Verfahren nicht geprüft werden können (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG).
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3. Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten im Ergebnis als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen. Der Beschwerdeführerin sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. Februar 2021
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Held
 
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