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Informationen zum Dokument  BGer 6B_846/2020  Materielle Begründung
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BGer 6B_846/2020 vom 24.02.2021
 
 
6B_846/2020
 
 
Urteil vom 24. Februar 2021
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichterin van de Graaf,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiber Boller.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Unschuldsvermutung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer,
 
vom 9. Juni 2020 (SST.2019.283).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Präsidentin des Bezirksgerichts Baden sprach A.________ am 11. November 2019 der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen auf der Autobahn schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.-- und einer Verbindungsbusse von Fr. 150.--.
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B. Auf Berufung von A.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 9. Juni 2020 das erstinstanzliche Urteil.
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C. A.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen.
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Erwägungen:
 
1. Der Beschwerdeführer beanstandet in formeller Hinsicht, er habe an der Berufungsverhandlung ohne Übersetzerin teilnehmen müssen, was falsche Interpretationen seiner Aussagen erlaubt habe.
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Ein Übersetzer ist nach Art. 68 Abs. 1 StPO beizuziehen, wenn die am Verfahren beteiligte Person die Verfahrenssprache nicht versteht oder sie sich darin nicht genügend ausdrücken kann. Gemäss dem Verhandlungsprotokoll wurde die vorinstanzliche Hauptverhandlung aufgrund eines Terminversehens ohne die aufgebotene Übersetzerin abgehalten, nachdem der Beschwerdeführer ausdrücklich bestätigt hatte, der Verhandlung folgen zu können. Der Beschwerdeführer beantwortete in der Folge umfassend die ihm gestellten Fragen und erklärte mehrmals, den Verhandlungsinhalt verstanden zu haben (vorinstanzliche Akten, pag. 132, 136 f., 140, 147). Verständigungsprobleme sind weder protokolliert noch vom Beschwerdeführer im Einzelnen geltend gemacht. Die Vorinstanz durfte angesichts dessen von genügenden Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers ausgehen und ohne Verletzung von Bundesrecht auf den Beizug eines Übersetzers verzichten.
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2.
 
2.1. In der Sache bestreitet der Beschwerdeführer, das ihm vorgeworfene Überholmanöver ausgeführt zu haben. Zunächst macht er geltend, die Unschuldsvermutung sei verletzt, da er mehrfach angefragt worden sei, seine Unschuld mittels einer von ihm aufgezeichneten Videoaufnahme zu beweisen. Weiter rügt er die fehlende Einvernahme sowohl des Lenkers des angeblich überholten Fahrzeugs als auch des Polizisten B.________, welcher als einer von drei Polizisten im Polizeifahrzeug gesessen habe, aus dem das fragliche Überholmanöver beobachtet worden sei. Der Beschwerdeführer kritisiert im Weiteren, die Vorinstanz habe diverse Punkte ausser Acht gelassen. Sie habe ignoriert, dass sich der einvernommene Polizist C.________ an entscheidende Faktoren nicht mehr erinnert habe, namentlich an die Anzahl der angeblich rechts überholten Fahrzeuge und an den Anhaltevorgang. Unbeachtet geblieben sei auch, dass sich der Polizist C.________ und der ebenfalls einvernommene Polizist D.________ an der Berufungsverhandlung geweigert hätten, den nach dem Vorfall erfolgten Anhaltevorgang zu beschreiben, und dass das vom Polizisten C.________ vor Bezirksgericht noch geschilderte Anhaltemanöver angesichts der örtlichen Verhältnisse gar nicht möglich gewesen sei. Die Vorinstanz habe ferner nicht beachtet, dass sich das ihm angelastete Fahrmanöver für ihn als sinnlos erwiesen hätte und die Videoaufnahme der Autobahnüberwachung nach 72 Stunden gelöscht worden sei. Schliesslich hätten ebenso seine Hinweise keine Berücksichtigung gefunden, dass Fahrzeuge wie sein schwarzer BMW häufig allein wegen der Marke und der Farbe kontrolliert würden, und dass er während der Kontrolle wegen seiner Nationalität diskriminiert worden sei und sich rassistische Aussagen habe anhören müssen.
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2.2.
 
2.2.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen).
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Dem Grundsatz der Unschuldsvermutung ("in dubio pro reo") kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 144 IV 345E. 2.2.3.3; je mit Hinweisen). Ob der Grundsatz als Beweislastregel verletzt ist, d.h., ob das Gericht fälschlicherweise davon ausging, der Beschuldigte habe seine Unschuld zu beweisen, und ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang, prüft das Bundesgericht hingegen mit freier Kognition (BGE 127 I 38 E. 2a; Urteil 6B_1031/2019 vom 1. September 2020 E. 1.2.1; je mit Hinweis).
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2.2.2. Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 142 II 49 E. 9.2 mit Hinweisen). Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs. 2 StPO). Die Strafbehörden können in ständiger Rechtsprechung ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten, wenn sie in vorweggenommener (antizipierter) Beweiswürdigung annehmen können, ihre Überzeugung werde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert (vgl. BGE 144 II 427 E. 3.1.3; 141 I 60 E. 3.3; 136 I 229 E. 5.3 mit Hinweisen). Die Rüge unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht nur unter dem Aspekt der Willkür (Urteil 6B_986/2020 vom 6. Januar 2021 E. 2 mit Hinweis).
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2.3. Die Vorinstanz stützt ihren Schuldspruch auf die Zeugenaussagen der beiden Polizisten D.________ und C.________, welche das vorgeworfene Überholmanöver beobachtet und weitgehend übereinstimmend geschildert hätten. Sie beurteilt die entsprechenden Aussagen als schlüssig, nachvollziehbar und insgesamt glaubhaft. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Polizisten die Unwahrheit gesagt hätten; diese seien unter Hinweis auf die Straffolgen bei Falschaussage befragt worden und kennten den Beschwerdeführer nicht. Auch eine Verwechslung des Tatfahrzeugs schloss die Vorinstanz aufgrund der Berufserfahrung der Polizisten und des am Tattag normalen Verkehrsaufkommens aus. Die der Darstellung der Polizisten widersprechende Schilderung des Beschwerdeführers, er habe nicht rechts überholt, sondern sei immer auf der gleichen (mittleren) Spur gefahren, erachtet die Vorinstanz aufgrund der glaubhaften Zeugenaussagen und weil der Beschwerdeführer die ihm gestellten Fragen häufig ausweichend beantwortet habe, als Schutzbehauptung (angefochtenes Urteil E. 2.2.2 S. 8 ff.).
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2.4. Eine Verletzung des vom Beschwerdeführer angerufenen Grundsatzes der Unschuldsvermutung als Beweislastregel ist nicht ersichtlich. Die Vorinstanz legt schlüssig dar, weshalb sie auf die Aussagen der zwei einvernommenen Polizisten abstellt und gestützt darauf das Überholmanöver als erstellt erachtet. Sie wirft dem Beschwerdeführer nicht vor, er habe das Gegenteil nicht beweisen können, sondern bot ihm mit der Möglichkeit, seine angeblich entlastende Dash-Cam-Aufzeichnung einzureichen, lediglich Gelegenheit dazu (vgl. auch angefochtenes Urteil E. 2.2.2 S. 10).
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2.5. Was der Beschwerdeführer weiter konkret gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung vorbringt, ist nicht geeignet, diese im Ergebnis als willkürlich erscheinen zu lassen. Soweit der Beschwerdeführer die fehlende Befragung des überholten Fahrzeuglenkers und des Polizisten B.________ moniert, setzt er sich mit den diesbezüglichen vorinstanzlichen Ausführungen nicht auseinander (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.2.2 S. 9 f.). Der Beschwerdeführer beantragte eine Befragung des Polizisten B.________ im vorinstanzlichen Verfahren überdies nicht, weshalb insoweit eine fehlende Beweisabnahme vor Bundesgericht mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht gerügt werden kann (vgl. BGE 125 I 127 E. 6c/bb; Urteile 6B_187/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 4.4; 6B_910/2019 vom 15. Juni 2020 E. 4.4.3; je mit Hinweisen). Auf die betreffenden Vorbringen ist nicht einzutreten. Ohnehin erweist sich der Verzicht auf die Befragung dieser weiteren Personen bei der gegebenen Beweislage nicht als schlechterdings unhaltbar. Die Vorinstanz erwägt, dass aus der Befragung des Lenkers des überholten Fahrzeugs und des Polizisten B.________, welcher im Polizeifahrzeug auf der von der Überholspur abgewendeten Beifahrerseite gesessen habe, keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien. Der Vorinstanz ist keine willkürliche bzw. offensichtlich unhaltbare Anwendung der grundsätzlich zulässigen antizipierten Beweiswürdigung vorzuwerfen.
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2.6. Die übrigen Vorbringen, mit welchen der Beschwerdeführer das Nichtbeachten verschiedener Umstände beanstandet und insofern Bezug auf die vorinstanzlichen Ausführungen nimmt, vermögen eine willkürliche Beweiswürdigung ebenfalls nicht aufzuzeigen. Der nach dem vorgeworfenen Überholmanöver erfolgte Anhaltevorgang wird im vorinstanzlichen Urteil zwar nicht gesondert thematisiert. Inwiefern ein Abstellen auf die Sachdarstellung der Polizisten deshalb insgesamt als willkürlich zu erachten wäre, legt der Beschwerdeführer indes nicht dar und ist nicht ersichtlich; dies nicht zuletzt, nachdem der Polizist C.________ das von ihm beschriebene, von der linken Seite erfolgte Anhalten des Beschwerdeführers vor Bezirksgericht nachvollziehbar zu erklären vermochte, die vom Beschwerdeführer diesbezüglich geltend gemachte Unstimmigkeit mithin gerade nicht vorliegt (vgl. Akten Bezirksgericht, pag. 27 f. Ergänzungsfragen 1 ff.). Dass sich der Polizist C.________ nicht mehr an alle Details, insbesondere die genaue Anzahl der überholten Fahrzeuge, erinnern konnte, fand im vorinstanzliche Urteil sodann Berücksichtigung (angefochtenes Urteil E. 2.2.1 S. 6 f.). Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz trotz dieser Umstände auf die Aussagen der Polizisten abstellt. Die Vorinstanz nahm im Weiteren Bezug auf die Diskriminierungsvorwürfe des Beschwerdeführers. Eine Anhaltung und Verzeigung des Beschwerdeführers aufgrund fremdenfeindlicher Motive der Polizisten schloss sie aus, nachdem keine entsprechenden Hinweise vorlägen und die Polizisten erst anlässlich der Kontrolle Kenntnis von der Nationalität des Beschwerdeführers erhalten hätten (angefochtenes Urteil E. 2.2.2 S. 9). Wenn der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde (präzisierend) vorbringt, es sei zunächst eine normale Anhaltung gewesen und er habe erst nach der Prüfung des Ausweises rassistische Aussagen anhören müssen, ändert dies nichts daran, dass die Vorinstanz Anhaltspunkte für fremdenfeindlich motivierte Falschaussagen der Polizisten willkürfrei verneinen durfte. Gleiches gilt hinsichtlich des vom Beschwerdeführer implizierten negativen Bilds von Fahrzeugen seiner Art in den Medien. Die Vorinstanz verfällt insgesamt nicht in Willkür, wenn sie das Vorbringen des Beschwerdeführers, der Vorwurf sei aus fremdenfeindlichen Gründen erfunden worden, als Schutzbehauptung qualifiziert. Betreffend die Videoaufnahme der Autobahnüberwachung führt die Vorinstanz schliesslich aus, es sei nicht klar, ob die fragliche Autobahnstrecke überhaupt videoüberwacht sei; sollte dies der Fall sein, sei die Videoaufzeichnung jedoch bereits gelöscht worden. Den diesbezüglichen Beweisantrag des Beschwerdeführers lehnte die Vorinstanz insoweit begründet ab (angefochtenes Urteil E. 2.2.2 S. 10).
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2.7. Der Beschwerdeführer vermag nach dem Gesagten mit den erwähnten Einwänden eine bundesrechtswidrige bzw. willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung seines Gehörsanspruchs nicht darzutun. Die Vorinstanz setzte sich hinreichend mit seinen Argumenten auseinander. Soweit er des Weiteren ohne konkrete Bezugnahme auf die Beweiswürdigung auf seinen seit dem Vorfall angeschlagenen psychischen Zustand verweist sowie pauschal Kritik an der Führung der Strafuntersuchung und dem Vorgehen der Strafbehörden übt, ist das Rechtsmittel ebensowenig rechtsgenüglich begründet. Diese Vorbringen sind offensichtlich nicht geeignet, die vorinstanzliche Beweiswürdigung zu erschüttern. Die rechtliche Qualifikation seines Verhaltens als grobe Verkehrsregelverletzung kritisiert der Beschwerdeführer nicht, weshalb sich Ausführungen dazu erübrigen.
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3. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. Februar 2021
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Boller
 
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