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Informationen zum Dokument  BGer 1B_557/2020  Materielle Begründung
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BGer 1B_557/2020 vom 22.02.2021
 
 
1B_557/2020
 
 
Urteil vom 22. Februar 2021
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Müller, Merz,
 
Gerichtsschreiberin Sauthier.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. B.________, c/o Kantonspolizei Glarus,
 
2. C.________, c/o Kantonspolizei Glarus,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Ausstand,
 
Beschwerde gegen die Verfügung der Sicherheit und
 
Justiz, Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons
 
Glarus, vom 6. Oktober 2020 (SA.2020.00267).
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ erstattete am 6. April 2020 Anzeige bei der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus gegen D.________. Er wirft ihr unter anderem vor, sie habe ihn mehrfach verleumdet und genötigt. Die Staatsanwaltschaft beauftragte die Kantonspolizei Glarus mit der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens.
1
Mit Eingabe vom 8. Juni 2020 stellte A.________ ein Ausstandsgesuch gegen B.________, den zuständigen Sachbearbeiter bei der Kantonspolizei. Er führte aus, das Ausstandsbegehren umfasse weiter jene Personen, die bei der Überbringung der Todesnachricht seines Bruders am 10. März 2020 sowie anlässlich der Einvernahme vom 19. Mai 2020 anwesend gewesen seien. B.________ nahm am 29. Juli 2020 Stellung zum Ausstandsgesuch und hielt fest, seiner Auffassung nach bestünden weder seinerseits noch bei der anlässlich der Überbringung der Todesnachricht ebenfalls anwesenden Polizistin C.________ Ausstandsgründe. Letztere verzichtete auf eine separate Stellungnahme und schloss sich den Ausführungen von B.________ an. Die Stellungnahme von B.________ wurde A.________ am 12. August 2020 zugestellt, woraufhin sich dieser ebenfalls noch einmal dazu äussern konnte.
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Am 6. Oktober 2020 wies die Staatsanwaltschaft das Ausstandsbegehren ab.
3
B. Mit Eingabe vom 26. Oktober 2020 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt sinngemäss, der Entscheid der Staatsanwaltschaft vom 6. Oktober 2020 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an diese zurückzuweisen. Diesfalls seien aber die Staatsanwältinnen Speich und Aggeler in den Ausstand zu versetzen. Eventualiter sei der Entscheid aufzuheben und das Ausstandsgesuch gutzuheissen bzw. eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK festzustellen. Die von den Polizisten B.________ und C.________ vorgenommenen Verfahrenshandlungen ("Akten") seien zu wiederholen.
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Die Beschwerdegegner liessen sich nicht vernehmen. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer nimmt in diversen Schreiben erneut Stellung und hält an seinen Anträgen fest.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Gemäss Art. 78 ff. und Art. 92 Abs. 1 BGG steht gegen einen Zwischenentscheid über den Ausstand eines Polizeibeamten grundsätzlich unmittelbar die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen (Art. 59 Abs. 1 lit. a, Art. 380 StPO und Art. 80 Abs. 2 BGG; BGE 138 IV 222 E. 1 S. 223 f.; Urteil 1B_576/2020 vom 3. Dezember 2020 E. 1; je mit Hinweisen).
6
Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und verfügt über ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Entscheids. Er ist daher zur Beschwerdeerhebung befugt (Art. 81 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
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1.2. Nicht einzutreten ist hingegen auf die weitschweifigen Ausführungen des Beschwerdeführers zu den von ihm angezeigten Straftaten. Diese gehen über den vorliegenden Streitgegenstand hinaus. Analoges gilt für seine Beanstandungen, die sich auf andere, teils hängige, teils bereits abgeschlossene Verfahren beziehen, insbesondere seine Vorbringen im Zusammenhang mit der angeblichen Befangenheit der Staatsanwältin. Vorliegend ist einzig zu prüfen, ob Ausstandsgründe bei den Beschwerdegegnern gegeben sind.
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Weiter nicht einzutreten ist auf das Vorbringen, die Staatsanwaltschaft habe den Sachverhalt offensichtlich willkürlich festgestellt. Zur Begründung führt der Beschwerdeführer aus, die Staatsanwaltschaft habe gewisse Tatsachen "vergessen" bzw. den Sachverhalt nicht richtig abgeklärt. Sie habe unter anderem ausser Acht gelassen, dass sich B.________ keine kritischen Fragen bezüglich der Ausreden von D.________ habe anhören wollen und sich nicht dazu geäussert habe, dass er mit ihm ein Zwiegespräch geführt habe. Damit begründet der Beschwerdeführer aber nicht in substanziierter Weise, inwiefern die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt offensichtlich unrichtig bzw. im Sinne von Art. 95 BGG rechtsverletzend festgestellt haben sollte (vgl. Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Staatsanwaltschaft durfte sich auf den entscheidwesentlichen Sachverhalt beschränken und hatte sich weder zu jeder sachverhaltlichen Behauptung des Beschwerdeführers zu äussern noch diese in den Sachverhalt aufzunehmen. Aus diesem Grund ist vom von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt auszugehen (vgl. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
9
 
2.
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht vorab geltend, der angefochtene Entscheid sei nichtig bzw. das Ausstandsverfahren sei zu wiederholen, weil die fallführende Staatsanwältin und nicht der Erste Staatsanwalt des Kantons Glarus über das Gesuch entschieden habe.
10
2.2. Es trifft zu, dass gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. g der Verordnung über die Geschäftsführung und Organisation der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus vom 30. November 2020 (GS III F/2) der Erste Staatsanwalt über Ausstandsbegehren gemäss Art. 59 StPO entscheidet. Vorliegend hat indes die fallführende Staatsanwältin über das Ausstandsgesuch betreffend die Beschwerdegegner entschieden.
11
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können nur besonders schwere und offensichtliche Verfahrensmängel die Nichtigkeit eines Entscheides begründen. Das gilt insbesondere bei funktioneller oder sachlicher Unzuständigkeit einer Behörde (vgl. BGE 144 IV 362 E. 1.4.3 S. 367 f.; 137 I 273 E. 3.1 S. 275; je mit Hinweisen). Ein besonders schwerer Mangel liegt vor, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird (sog. Evidenztheorie, vgl. BGE 145 IV 197 E. 1.3.2 S. 201 mit Hinweisen). Die Staatsanwaltschaft ist vorliegend die funktionell und sachlich zuständige Behörde, weshalb keine Nichtigkeit vorliegt. Überdies liegt auch sonst kein besonders schwerer Mangel vor, aufgrund dessen Anlass bestünde, das Ausstandsverfahren zu wiederholen. Wer innerhalb der sachlich und örtlich zuständigen Behörde konkret zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe berufen ist, ist eine Frage der behördeninternen Zuständigkeitsvorschriften. Ein Verstoss gegen diese Verwaltungsverordnung führt daher nicht ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit des betroffenen Aktes. Nichts anderes kann der Beschwerdeführer aus seinem Verweis auf BGE 117 Ia 202 E. 8a S. 220 ableiten. In jenem Fall hatte eine nicht zuständige Behörde (kantonales Verwaltungsgericht) einen Entscheid gefällt, welcher einem Bundesorgan vorbehalten gewesen wäre. Diese Konstellation ist mit der vorliegenden indes nicht vergleichbar.
12
 
3.
 
Soweit der Beschwerdeführer weiter eine Gehörsverletzung bzw. eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren darin erkennen will, dass "nicht alle betroffenen Beamten" Stellung genommen hätten, kann ihm auch nicht gefolgt werden. Indem C.________ sich den Ausführungen von B.________ angeschlossen hat, hat sie Stellung genommen. Eine eigenhändige Stellungnahme ihrerseits war nicht erforderlich. Etwas anderes ergibt sich auch aus dem vom Beschwerdeführer zitierten BGE 138 IV 222 E. 2. S. 224 f. nicht. Anders als im erwähnten bundesgerichtlichen Entscheid, liegen Aussagen der betroffenen Beschwerdegegner zum Ausstandsgesuch vor. Die Rüge erweist sich ebenfalls als unbegründet.
13
 
4.
 
4.1. In materieller Hinsicht leitet der Beschwerdeführer diverse Ausstandsgründe aus dem Verhalten der Beschwerdegegner ab. Er beruft sich dabei auf Art. 56 lit. a, lit. b und lit. f StPO.
14
4.2. Art. 56 StPO zählt verschiedene Gründe auf, die zum Ausstand von in einer Strafbehörde tätigen Personen führen. Die Bestimmung konkretisiert den in Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch jeder Person auf ein faires Verfahren. Gemäss Art. 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person unter anderem in den Ausstand, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse hat (lit. a) oder wenn sie in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen Sache tätig war (lit. b). Gemäss lit. f tritt sie ebenfalls in den Ausstand, wenn sie aus anderen als den in lit. a-e genannten Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei der Anwendung von Art. 56 lit. f StPO ist entscheidend, ob bei objektiver Betrachtungsweise der Ausgang des Verfahrens noch als offen erscheint. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Wird der Ausstandsgrund aus materiellen oder prozessualen Rechtsfehlern abgeleitet, so sind diese nur wesentlich, wenn sie besonders krass sind und wiederholt auftreten, sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken; andernfalls begründen sie keinen hinreichenden Anschein der Befangenheit (zum Ganzen etwa Urteil 1B_106/2019 vom 10. Mai 2019 E. 4.1). Gegen beanstandete Verfahrenshandlungen sind ansonsten primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2 S. 75 mit Hinweisen).
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4.3. Soweit sich aus der teilweise schwer verständlichen Beschwerde überhaupt Ausstandsgründe ergeben, sind diese jedenfalls unbegründet. Dies gilt vorab für das vom Beschwerdeführer geltend gemachte persönliche Interesse im Sinne von Art. 56 lit. a StPO, welches die Beschwerdegegner im Ermittlungsverfahren haben bzw. gehabt haben sollen. Wie die Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung festgehalten hat, sind von vornherein keine sachlich begründeten Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Inwiefern die Beschwerdegegner ein persönliches Interesse haben sollen, vermag denn auch der Beschwerdeführer nicht darzutun. Ein solches lässt sich jedenfalls aus den kaum nachvollziehbaren Ausführungen, wonach "auch nur ein indirektes Interesse an einem anderen Verfahrensausgang" ausreichen würde, nicht ableiten, zumal ohnehin keine objektiven Hinweise ersichtlich sind, dass die Beschwerdegegner ein Interesse an einem bestimmten Verfahrensausgang hätten.
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Alsdann liegt, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, auch keine Vorbefassung im Sinne von Art. 56 lit. b StPO vor. Dass die Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer am 10. März 2020 eine Todesnachricht überbringen mussten und später im von ihm angestrengten Strafverfahren gegen D.________ ermittelten bzw. Einvernahmen durchführten, stellt keine unzulässige Vorbefassung im Sinne des Gesetzes dar. Es handelte sich dabei einzig um unterschiedliche Aufgaben, welche die Beschwerdegegner in derselben Stellung, nämlich als Polizisten, wahrnahmen. Dies ist zulässig. Daran ändert die unbelegte Behauptung des Beschwerdeführers nichts, wonach die Beschwerdegegner aufgrund dieser "systembedingten Mehrfachbelastung" bei der Überbringung der Todesnachricht vom 10. März 2020 zu Kenntnissen gelangt seien, welche sie verbotenerweise bei den Einvernahmen am 19. Mai 2020 beigezogen und gegen ihn verwendet hätten. Was der Beschwerdeführer darunter genau versteht, erschliesst sich nicht vollends. Soweit er sich auf die angeblichen Wahrnehmungen der Beschwerdegegner betreffend seine Wohnung bezieht, ist ohnehin keine unzulässige Vorbefassung dargetan.
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Schliesslich vermag der Beschwerdeführer auch nicht aufzuzeigen, inwiefern ein Ausstandsgrund gemäss Art. 56 lit. f StPO vorliegen soll. Aus seinem Einwand, B.________ habe einen Zeugen nicht einvernehmen wollen, kann jedenfalls weder auf dessen Befangenheit geschlossen werden noch handelt es sich dabei um einen krassen Verfahrensfehler, der "Besorgnis für Parteilichkeit erwecken könne". Wenn der Beschwerdeführer weiter behauptet, ihm sei Akteneinsicht verweigert worden bzw. "offensichtliche Lügen" von D.________ seien im Einvernahmeprotokoll nicht hinterfragt worden, zeigt er ebenfalls keine Anhaltspunkte für die angebliche Befangenheit der Beschwerdegegner auf. Sodann ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sich aus dem Einwand des Beschwerdeführers, die Einvernahmebedingungen hätten "aufgrund seines Gesundheitszustands und dem dazumal frisch operierten Fuss wie eine Folter gewirkt", Befangenheit der Beschwerdegegner ergeben soll. Die Behauptungen des Beschwerdeführers mögen seinem subjektiven Empfinden nach zwar problematisch sein. Bei der Beurteilung der Frage, ob tatsächlich ein Ausstandsgrund vorliegt, ist aber nicht sein Empfinden entscheidend, sondern, ob objektiv ein Anschein von Befangenheit besteht (vgl. E. 4.2 hiervor). Ein solcher kann in den vom Beschwerdeführer gemachten Ausführungen jedoch nirgends erblickt werden.
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Andere objektive Anhaltspunkte, dass die Beschwerdegegner nicht mit der erforderlichen Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit die polizeilichen Untersuchungshandlungen vorgenommen haben, sind keine ersichtlich. Demnach ist der Anschein der Befangenheit bezüglich der Beschwerdegegner zu verneinen und die Staatsanwaltschaft hat kein Bundesrecht verletzt, wenn sie das Ausstandsgesuch abgelehnt hat.
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5. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
20
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 BGG).
21
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und der Sicherheit und Justiz, Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Februar 2021
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier
 
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