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Informationen zum Dokument  BGer 2C_708/2017  Materielle Begründung
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BGer 2C_708/2017 vom 27.09.2017
 
2C_708/2017
 
 
Urteil vom 27. September 2017
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer, Stempelabgaben,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________- C.________,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Josef Rütter,
 
3. Dienststelle Steuern des Kantons Luzern,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Direkte Bundessteuern, Steuerperiode 2014(Liquidationsgewinn),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 14. Juni 2017.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Eheleute A.A.________ und B.A.________ geb. C.________ haben steuerrechtlichen Wohnsitz in U.________/LU. In der hier interessierenden Steuerperiode 2014 war der Ehemann als selbständiger Landwirt tätig und Eigentümer des "X.________hof". Das Anwesen setzt sich aus den Grundstücken Nr. xxx, yyy, zzz, vvv und www zusammen. Auf der Parzelle Nr.yyy befinden sich mehrere Gebäude (Wohnhaus, Schopfanbau, obere Scheune und Scheune mit Photovoltaikanlage).
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1.2. Am 29. November 2014 schloss der damals mehr als 55-jährige Steuerpflichtige mit einer Drittperson einen Pachtvertrag um sein landwirtschaftliches Gewerbe. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 teilten die Eheleute dies der Dienststelle Steuern des Kantons Luzern (nachfolgend: KSTV/LU) mit, wobei sie beantragten, der Betrieb sei per 15. Dezember 2014 (Antritt des Pachtvertrags) vom Geschäfts- in das Privatvermögen zu überführen. Die KSTV/LU schloss sich dieser rechtlichen Einschätzung an. Ausgehend davon, dass der Steuerpflichtige in den Steuerperioden 2005 bis 2014 eine kaufmännische Buchhaltung führte, worin er für jedes Grundstück eine gesonderte Aktivierung von Gebäude und Boden vornahm, nahm die KSTV/LU eine gesonderte Bewertung von Gebäude und Boden vor. Für die Zwecke der direkten Bundessteuer gelangte sie hierauf zu einem steuerbaren und satzbestimmenden Liquidationsgewinn (fiktiver Einkauf gemäss Art. 37b Abs. 1 Satz 3 DBG) von Fr. 46'200.--. Dies führte zu einer Liquidationsgewinnsteuer von Fr. 35.80 (Veranlagungsverfügung vom 11. Februar 2016).
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1.3. Am 10. März 2016 erhob die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) beim Kantonsgericht Luzern Beschwerde gegen die Veranlagungsverfügung. Die ESTV machte geltend, die auf dem Grundstück Nr.yyy befindlichen und zivilrechtlich dem Akzessionsprinzip unterliegenden Gebäude müssten richtigerweise zusammen mit dem Boden als Bewertungseinheit betrachtet werden. Entsprechend sei hinsichtlich der Parzelle Nr.yyy von folgenden Eckwerten auszugehen, wobei die ESTV berücksichtigte, dass der Verkehrswert unter dem Gestehungskostenwert lag:
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Anlagekosten (kumuliert)  Fr 1'129'702.95
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Verkehrswert (kumuliert)  Fr.  947'100.--
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Buchwert (kumuliert)  Fr.  717'206.--
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Wiedereingebrachte Abschreibungen (kumuliert)  Fr.  229'894.--
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In der Folge ging die ESTV von einem fiktiven Einkauf von Fr. 123'319.-- (Art. 37b Abs. 1 Satz 3 DBG) und einem restlichen Liquidationsgewinn von Fr. 86'601.-- (Art. 37b Abs. 1 Satz 4 DBG) aus, was zu einer Liquidationsgewinnsteuer von insgesamt Fr. 2'415.62 (Fr. 683.60 plus Fr. 1'732.02) führte.
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1.4. Das Kantonsgericht, 4. Abteilung, wies die Beschwerde mit Entscheid 7W 16 15 vom 14. Juni 2017 ab. Es erwog im Wesentlichen, in Auslegung von Art. 18 Abs. 2 und 4 DBG zeige sich, dass "nicht ein zivilrechtlich orientierter Grundstücksbegriff der Gewinnberechnung zugrunde gelegt werden kann, sondern ein handelsrechtlicher Unternehmenssteuerbegriff". Der Steuerpflichtige habe Gebäude und Boden in den vergangenen zehn Jahren durchwegs gesondert aktiviert und abgeschrieben. Dies sei auch im Liquidationszeitpunkt massgeblich und führe dazu, dass das Grundstück Nr.yyy als keine buchmässige Einheit betrachtet werden dürfe. Es würde sich dadurch aber, so das Kantonsgericht, ohnehin ein unzulässiger Widerspruch zu § 4 und 24 des Gesetzes (des Kantons Luzern) über die amtliche Schatzung des unbeweglichen Vermögens (SchG/LU; SRL 626) einstellen, zumal es nicht einsichtig sei, einzig für die Überführung zu einer anderen Methode überzugehen.
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1.5. Mit Eingabe vom 23. August 2017 erhebt die ESTV beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid 7W 16 15 vom 14. Juni 2017 sei aufzuheben, der steuerbare Liquidationsgewinn sei auf Fr. 209'920.-- und die Liquidationsgewinnsteuer 2014 auf Fr. 2'415.62 festzusetzen.
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1.6. Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR 173.110]) hat von Instruktionsmassnahmen abgesehen.
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Erwägung 2
 
2.1. Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 2 lit. a, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 146 DBG [SR 642.11]). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2.2. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.5 S. 157) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 141 V 234 E. 2 S. 236).
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2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.3 S.156).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Steuerpflichtige ist älter als 55-jährig und war bis zur Verpachtung seines landwirtschaftlichen Hofs ab Mitte Dezember 2014 selbständig erwerbstätig. Damit erfüllt er die Voraussetzungen, die bei definitiver Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit zur privilegierten Liquidationsgewinnsteuer (Art. 37b DBG) führen (Urteil 2C_485/ 2017 vom 15. Juni 2017 E. 3.3, in: ASA 86 S. 52). Unstreitig sind zur Bemessung des Liquidationsgewinns lediglich die wieder eingebrachten Abschreibungen zu berücksichtigen (Art. 18 Abs. 4 DBG; Urteil 2C_1155/2014 vom 1. Februar 2016 E. 3.2.5 mit Hinweisen, in: ASA 84 S. 719, StE 2016 B 23.43.2 Nr. 19, StR 71/2016 S. 612; WERNER SALZMANN, Besteuerung von Kapitalgewinnen aus der Veräusserung von Bauland im Geschäftsvermögen von Landwirten, in: BlAR 49/ 2015, S. 10 f.). Der konjunkturelle Wertzuwachsgewinn bleibt bundessteuerrechtlich unbeachtlich.
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Erwägung 3.2
 
3.2.1. Die ESTV beruft sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Rechtsbegriff des "land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks", wie er in Art. 18 Abs. 4 DBG verwendet wird. Hierzu ist folgendes festzuhalten: In ständiger Praxis geht das Bundesgericht davon aus, dass dieser Begriff nicht ausschliesslich steuerrechtlich, sondern unter Berücksichtigung der Zwecksetzung des BGBB (SR 211.412.11), des RPG (SR 700) und des LwG (SR 910.1) auszulegen ist (BGE 138 II 32 E. 2.2.1 S. 36; zuletzt u.a. Urteil 2C_485/2016 vom 24. Mai 2017 E. 2.2, in: ASA 86 S. 60). Im Anschluss macht die ESTV geltend, dass Art. 2 BGBB an den Grundstückbegriff von Art. 655 ff. ZGB anknüpfe. Entsprechend habe das Akzessionsprinzip zwingenden Charakter und müsse mithin auch der Begriff des "land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks" zivilrechtlich ausgelegt werden. Folglich müsse für die Zwecke der Bemessung der Liquidationsgewinnsteuer von der Einheit des bebauten Grundstücks (Land und damit verbundene Bauten) ausgegangen werden.
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3.2.2. Die Rechtsfrage hat sich dem Bundesgericht bereits unlängst - allerdings nur für die Zwecke des harmonisierten Steuerrechts von Kantonen und Gemeinden - gestellt. Es erwog in dem den Kanton Aargau betreffenden Fall, handels- und steuerrechtlich unterlägen die Aktiven (und Verbindlichkeiten) regelmässig einer 
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3.2.3. Die bundesgerichtlichen Ausführungen ergingen in Anwendung von Art. 8 Abs. 1 StHG, wo von den Gewinnen aus Veräusserung von "land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken" die Rede ist. Auch im vorliegend massgebenden Art. 18 Abs. 4 DBG verwendet der Gesetzgeber den Rechtsbegriff der "land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken". Über die begriffliche Parallele hinaus gilt nach beiden Gesetzen, dass die realisierten Abschreibungen auf veräusserten land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken mit der Einkommenssteuer zu erfassen sind. Die Konzeption der beiden Gesetze stimmt damit insoweit begrifflich und inhaltlich überein. Diesem Umstand ist bei der Auslegung und Anwendung von Art. 18 Abs. 4 DBG Rechnung zu tragen (vgl. BGE 142 II 182 E. 3.2.1 S. 194), ruft Art. 129 Abs. 1 BV doch nach horizontal 
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3.2.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass der Rechtsbegriff des land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks zum einen vertikal harmonisiert auszulegen ist und er zum andern an eine Reihe verwandter Gesetze (BGBB, RPG, LwG) anknüpft. Insoweit ist der ESTV zuzustimmen. Die derart vorzunehmende 
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3.2.5. Bei Schaffung abgaberechtlicher Normen ist nicht ohne Not von der zivilrechtlichen Ausdrucksweise abzuweichen, herrscht doch gerade im Abgaberecht, das in enger Wechselwirkung zu anderen Rechtsgebieten steht, das Bedürfnis nach einer einheitlichen und widerspruchsfreien Rechtsordnung (BGE 143 II 8 E. 7.3 S. 23 f.; 140 I 153 E. 2.2 S. 155 f.; 139 II 460 E. 3.3 S. 467). Was die Bewertung betrifft, ist freilich zu beachten, dass es sich dabei um eine wirtschaftliche Fragestellung handelt. Der Gehalt der Bewertung kann sich daher nicht durch Rückgriff auf das Sachenrecht ergeben, das sich hierzu ohnehin nicht ausspricht. Bezüglich der Aktivierung und Abschreibung eines Vermögenswertes beruht das Abgaberecht vielmehr unmittelbar auf dem Handelsrecht und mittelbar auf der Betriebswirtschaftslehre (Urteil 2C_16/2015 vom 6. August 2015 E. 2.2.2, in: ASA 84 S. 254, RDAF 2016 II 110 und 2017 II 52, StE 2015 A 21.12 Nr. 16, StR 70/2015 S. 811). Dies schlägt sich im Massgeblichkeitsprinzip nieder, das auch bei der Einkommenssteuer selbständig erwerbender Personen greift (Urteil 2C_1155/2014 vom 1. Februar 2016 E. 4.3.1).
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Erwägung 3.3
 
3.3.1. Ausgangspunkt ist vorliegend die Rechtsfrage, ob die sachenrechtliche Einheit, wie sie aufgrund des Akzessionsprinzips herrscht, zur steuerrechtlichen Bewertung aufgebrochen werden kann bzw. muss. Dies hat das Bundesgericht für die harmonisierten Steuern von Kantonen und Gemeinden dem Grundsatze nach bereits festgehalten, wobei die Steuerpflichtigen im damaligen Fall eine Gruppenbewertung beanspruchten, was mit Blick auf das Erfordernis einer Einzelbewertung nicht zuzulassen war (vorne E. 3.2.2). Es konnte damals sein Bewenden damit haben, dass handels- und auch steuerrechtlich in aller Regel eine Einzelbewertung der Grundstücke vorzunehmen ist. Der vorliegende Fall gibt nun Anlass, die seinerzeitige Aussage in dem Sinne zu verdeutlichen, dass Boden und Gebäude durchaus getrennt aktiviert werden können (ebenso bereits Urteile 2A.22/2004 vom 5. Oktober 2004 E. 2.2.2, in: StE 2005 B. 23.43.2 Nr. 11; 2A.464/2006 vom 15. Januar 2007 E. 4.1, in: RtiD 2007 II 622), zumal dies der Transparenz dient, eine sachgerechte Vornahme und Überprüfung von Aktivierung und Abschreibung ermöglicht und letztlich eine den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessene Besteuerung fördert.
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3.3.2. Es kann offenbleiben, ob steuerrechtlich eine getrennte Aktivierung von Boden und Gebäude zu verlangen ist. Diese Frage stellt sich vorliegend nicht, weshalb sie nicht zu beantworten ist. Es kann und muss aber festgestellt werden, dass keine direktsteuerliche Rechtsgrundlage besteht, welche der getrennten Aktivierung von Boden und Gebäude entgegensteht. Nimmt der Grundeigentümer eine handelsrechtskonforme Aufteilung von Boden und Gebäude vor, ist es der Veranlagungsbehörde weder während der Haltedauer noch bei der Veräusserung oder Überführung des Grundstücks möglich, auf einer den Boden und das Gebäude zusammenfassenden Einheit zu bestehen. Dies setzt - anders als die ESTV dies anzudeuten scheint - keinen Widerspruch gegen die Einheit der Rechtsordnung: "Leitrecht" ist hinsichtlich der Bewertung nicht das Sachenrecht, sondern das Handelsrecht, das seinerseits auf der Betriebswirtschaftslehre fusst.
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3.4. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.
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4. Nach dem Unterliegerprinzip (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der ESTV aufzuerlegen, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis tätig wird und Vermögensinteressen wahrnimmt (Art. 66 Abs. 4 BGG). Den Steuerpflichtigen, die sich nicht zu äussern hatten, steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden der Eidgenössischen Steuerverwaltung auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. September 2017
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
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