VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_351/2017  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_351/2017 vom 17.08.2017
 
9C_351/2017
 
 
Urteil vom 17. August 2017
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Oswald.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, Hauptstrasse 26, 4938 Rohrbach,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Thomann, Dornacherstrasse 10, 4600 Olten,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Arbeitsunfähigkeit),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 18. April 2017.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ meldete sich erstmals am 30. Januar 2008 unter Hinweis auf Rheuma, Arthritis und Polyarthritis bei der Invalidenversicherung zur Früherfassung und am 20. Februar 2008 zum Leistungsbezug an und wurde in der Folge zum Lastwagenführer mit Staplerfahrerausbildung umgeschult. Danach war er z uletzt von April 2010 bis März 2016 bei der B.________ AG als LKW-Führer tätig. Am 10. März 2016 meldete er sich unter Hinweis auf Hypermobilität, Rheuma und Arthrose wiederum bei der Invalidenversicherung. Die IV-Stelle Bern führte erwerbliche und medizinische Abklärungen durch. Insbesondere holte sie die Akten des Taggeldversicherers von A.________ ein, darunter ein rheumatologisch-psychiatrisches Gutachten der PMEDA AG Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen (fortan: PMEDA), vom 27. September 2016. Nach Anhörung des Versicherten im Vorbescheidverfahren und Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes vom 4. Januar 2017 verneinte sie mit Verfügung vom 12. Januar 2017 den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung, da kein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliege.
1
B. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde des A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 18. April 2017 ab.
2
C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 18. April 2017 sei aufzuheben, und es seien ihm Leistungen nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von mindestens 70 % auszurichten sowie berufliche Massnahmen zu gewähren. Eventualiter sei die Angelegenheit für weitere Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
3
 
Erwägungen:
 
1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
4
2. Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird. Dies betrifft namentlich die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 4 Abs. 1I VG), zu Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit (Art. 6 ff. ATSG) sowie zu den Anforderungen an beweiskräftige medizinische Berichte und Gutachten.
5
3. Die Vorinstanz würdigte die medizinischen Akten und erwog, einem von der Krankentaggeldversicherung eingeholten Gutachten komme der Beweiswert versicherungsinterner ärztlicher Feststellungen zu. Bestünden an seiner Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit auch nur geringfügige Zweifel, seien ergänzende Abklärungen vorzunehmen. Das bidisziplinäre Gutachten der PMEDA sei sorgfältig und in umfassender Berücksichtigung der bis zur Begutachtung (am 9. August 2016) vorhandenen Arztberichte vorgenommen worden. Weder der rheumatologische Gutachter noch die behandelnden Ärzte hätten im somatischen Bereich Diagnosen nach einem Klassifizierungssystem stellen können. So habe der Neurologe Dr. med. C.________ von einem Gefühl von Kraftlosigkeit und rascher Ermüdbarkeit an Händen und Armen unklarer Ätiologie berichtet; der Rheumatologe Dr. med. D.________ habe eine schwer fassbare Schwäche und schmerzende Hand- und Fingergelenke bzw. zunehmende Beschwerden mit Schwäche vor allem der Finger und Unterarme mit diffusen und ziehenden Schmerzen sowie wiederkehrenden diffusen Schwellungen der Hände angegeben. Soweit sich der Beschwerdeführer auf den Bericht des Neurozentrums des Spitals E.________ vom 23. August 2016 berufe und geltend mache, er leide an einer somatoformen Schmerzstörung, hätten keine Hinweise auf eine neurologische bzw. neuromuskuläre Erkrankung gefunden werden können, weshalb die Neurologen - als Nichtpsychiater fachfremd - auf das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung geschlossen hätten. Eine solche Störung habe der im Auftrag der Taggeldversicherung des Beschwerdeführers begutachtende dipl. med. F.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, jedoch ausdrücklich und einleuchtend ausgeschlossen. Daran ändere auch der Bericht des Dr. med. G.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, vom 10. Februar 2017 nichts, zumal dieser eine "somatoforme Störung" bloss noch als Verdachtsdiagnose erwähnt habe. An Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit des PMEDA-Gutachtens vom 27. September 2016 bestünden demnach keine Zweifel. Die Expertise erfülle vielmehr die an den Beweiswert eines medizinischen Berichts gestellten Anforderungen und sei deshalb beweiskräftig.
6
 
Erwägung 4
 
4.1. Zunächst rügt der Beschwerdeführer, entgegen der Vorinstanz bestünden erhebliche Zweifel an der Schlüssigkeit der PMEDA-Expertise, weil die Gutachter ihre Einschätzung nicht in Kenntnis aller relevanten Akten abgegeben und sich mit der durch verschiedene behandelnde Ärzte diagnostizierten somatoformen Schmerzstörung nicht hinreichend auseinandergesetzt hätten. Dabei beschränkt er sich darauf, seine bereits vor dem kantonalen Gericht vorgetragene Kritik zu wiederholen, ohne sich auch nur ansatzweise mit den diesbezüglichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid auseinanderzusetzen, weshalb seine diesbezüglichen Rügen nicht zu hören sind (Art. 42 Abs. 2 BGG).
7
4.2. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, auf das Gutachten der PMEDA könne auch deshalb nicht abgestellt werden, weil der begutachtende Rheumatologe keine aktuellen Bildgebungen veranlasst, sondern lediglich Röntgenbilder hinzugezogen habe, welche vor mehreren Jahren angefertigt worden seien; dies obwohl Röntgenaufnahmen gemäss den Leitlinien für die Begutachtung rheumatologischer Krankheiten und Unfallfolgen der schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie als Standarduntersuchung gälten, die in der Regel wiederholt werden müssten, wenn die zur Verfügung stehenden Bilder älter als sechs Monate seien.
8
Die Rüge verfängt nicht. Der rheumatologische Gutachter führte eine eingehende klinische Untersuchung durch, in der er keine Anzeichen für eine rheumatologische Erkrankung erkennen konnte. Ferner lagen ihm die Berichte der behandelnden Dres med. C.________, D.________ und H.________, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie, vor, welche bereits zahlreiche Untersuchungen durchgeführt hatten, ohne dass Hinweise auf eine somatische Grundlage für die geklagten Beschwerden hätten erhoben werden können. So wurden im Verlaufe des Jahres 2016 insbesondere eine Elektromyographie, eine Elektroneurographie, eine laborchemische Suche nach Myopathie oder Rheumaerkrankungen sowie eine Spiroergometrie durchgeführt. Unter diesen Umständen - nichts deutete auf eine somatische Ursache der Beschwerden hin - ist nicht erkennbar, weshalb es zwingend zusätzlicher Abklärungen in Form von aktuellen Röntgenuntersuchungen bedurft hätte. Dies gilt umso mehr, als auch die im Juni 2016 durch den behandelnden Rheumatologen Dr. med. D.________ durchgeführten bildgebenden Untersuchungen (MRT des Ellbogens sowie Ultraschall von Armen und Händen) ausser einem leichten "Tennisellbogen" keine pathologischen Befunde zutage förderten und auch Dr. med. D.________ offenkundig keine Notwendigkeit weiterer Bildgebungen sah.
9
4.3. Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, seine somatisch bedingten Beschwerden seien entgegen der offensichtlich falschen Feststellung der Vorinstanz und der unzutreffenden Beurteilung der Gutachter objektivierbar und ausgewiesen, insbesondere durch einen Bericht des Dr. med. D.________ vom 10. Oktober 2016, der myofasziale Beschwerden im Sinne eines "Tennisellbogen" bzw. einer Ansatztendinose bescheinige, was auch radiologisch dokumentiert sei.
10
Dem kann nicht gefolgt werden. In dem von Dr. med. D.________ veranlassten MRT beider Ellbogen zeigte sich rechts ein leichter "Tennisellbogen"; links fielen die Befunde gänzlich unauffällig aus. Dementsprechend war der behandelnde Rheumatologe auch nach Vorliegen dieser Untersuchungsergebnisse nicht in der Lage, eine (somatische) Diagnose für die geklagten Beschwerden zu stellen, weshalb er zunehmend von einer psychosomatischen Problematik ausging, nicht zuletzt auch, weil der Beschwerdeführer bei kleinster Belastung über mehrere Stunden bis Tage erschöpft und kaum mehr zu einer Leistung fähig sei (Bericht vom 23. Juni 2016). Gegenteiliges lässt sich auch dem vom Beschwerdeführer angeführten Bericht desselben Arztes vom 10. Oktober 2016 nicht entnehmen, wonach Letzterer - abgesehen von den myofaszialen Beschwerden im Sinne eines "Tennisellbogens" - weiterhin eine psychische Ursache bzw. Mitursache der Beschwerden vermutete. Von einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann daher keine Rede sein.
11
4.4. Zusammenfassend bestehen mit dem kantonalen Gericht keine Anhaltspunkte, die auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der Expertise der PMEDA wecken. Demnach hat es kein Bundesrecht verletzt, indem es diese als beweiskräftig einstufte. Folglich durfte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung auf weitere Abklärungen bezüglich einer allfälligen somatoformen Schmerzstörung verzichten, ohne den Untersuchungsgrundsatz zu verletzen.
12
4.5. Schliesslich ist der Beschwerdeführer der Ansicht, die medizinischen Abklärungen hätten gemäss Urteil 9C_492/2014 vom 3. Juni 2015 (publiziert in BGE 141 V 281) ergebnisoffen mit dem neuen, strukturierten Beweisverfahren erfolgen müssen, was weder die IV-Stelle noch die Vorinstanz beachtet hätten. Nachdem erstellt ist, dass beim Beschwerdeführer keine somatoforme Schmerzstörung vorliegt, erübrigt sich eine diesbezügliche Prüfung, ebenso wie eine Prüfung der vorinstanzlich bejahten Frage nach dem Vorhandensein von Ausschlussgründen insbesondere im Sinne einer Aggravation.
13
5. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
14
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 17. August 2017
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).