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Informationen zum Dokument  BGer 5A_216/2017  Materielle Begründung
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BGer 5A_216/2017 vom 28.04.2017
 
5A_216/2017
 
 
Urteil vom 28. April 2017
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
 
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Obergericht des Kantons Aargau,
 
Beschwerdegegner,
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Marianne Wehrli.
 
Gegenstand
 
unentgeltliche Rechtspflege (Eheschutz),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
 
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer,
 
vom 23. Januar 2017.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. A.________ und B.________ sind die getrennt lebenden Eltern der Töchter C.________ und D.________. Mit Eheschutzentscheid vom 1. März 2016 stellte das Gerichtspräsidium Aarau die Töchter unter die Obhut der Mutter und verpflichtete den Vater, rückwirkend ab 1. Januar 2016 an den Unterhalt der Kinder je Fr. 500.-- zzgl. Kinderzulagen, und Fr. 410.-- für die Monate Januar und Februar 2016, Fr. 850.-- für die Monate März bis Juni 2016 und ab 1. Juli 2016 Fr. 1'080.-- an den Unterhalt der Ehefrau beizutragen. Das Obergericht des Kantons Aargau wie auch das Bundesgericht wiesen die vom Ehemann ergriffenen Rechtsmittel ab (Urteil 5D_122/2016 vom 13. Oktober 2016).
1
A.b. Weil A.________ die im Eheschutzentscheid festgesetzten Unterhaltsbeiträge nicht bzw. nur teilweise bezahlte, ersuchte B.________ am 14. Juli 2016 beim Gerichtspräsidium Aarau um eine Schuldneranweisung. Mit Entscheid vom 24. August 2016 wies der Gerichtspräsident von Aarau das Gesuch ab, ebenso wie die von beiden Parteien gestellten Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege.
2
B. Mit Entscheid vom 23. Januar 2017 hiess das Obergericht des Kantons Aargau die von B.________ erhobene Berufung gut, wies die Arbeitgeberin des A.________ an, von dessen Guthaben monatlich den Betrag von Fr. 2'480.-- (entsprechend der Summe der Unterhaltsbeiträge zzgl. Kinderzulagen) abzuziehen und auf ein von B.________ zu bezeichnendes Konto zu überweisen, erteilte B.________ für das erstinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und erachtete das für das oberinstanzliche Verfahren gestellte Begehren zufolge Obsiegens als gegenstandslos. Im gleichen Entscheid hiess das Obergericht das als Beschwerde entgegengenommene Rechtsmittel des A.________ insofern gut, als es ihm für das erstinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährte, während es das für das oberinstanzliche Verfahren gestellte Gesuch mangels Bedürftigkeit abwies. Ferner auferlegte das Obergericht A.________ die Kosten des oberinstanzlichen Verfahrens von Fr. 1'500.-- und verpflichtete ihn, der Anwältin von B.________ eine Parteientschädigung von Fr. 1'090.-- (inkl. Auslagenersatz und MWST) für das erstinstanzliche Verfahren und Fr. 1'403.80 (inkl. Barauslagen und MWST) für das oberinstanzliche Verfahren zu bezahlen.
3
C. Mit Beschwerde vom 20. März 2017 wendet sich A.________ (Beschwerdeführer) an das Bundesgericht mit den Anträgen, ihm sei für das oberinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren und die ihm auferlegten Gerichtskosten seien einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Ausserdem ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
4
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen, und das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit welchem diese u.a. das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das kantonale Rechtsmittelverfahren abweist. Da der Entscheid zusammen mit dem Urteil in der Hauptsache ergangen ist, handelt es sich nicht um einen Zwischenentscheid (vgl. Urteil 5A_428/2015 vom 9. Oktober 2015 E. 1.2). Trotzdem folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Bei dieser geht es um eine Schuldneranweisung und damit um eine vermögensrechtliche Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG), deren Streitwert Fr. 30'000.-- übersteigt (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in Zivilsachen kann eingetreten werden.
6
 
Erwägung 2
 
2.1. Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat, wer nicht über die erforderlichen Mittel verfügt. Als bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV gilt eine Person dann, wenn sie die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung des eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie erforderlich sind (BGE 135 I 221 E. 5.1; 128 I 225 E. 2.5.1; je mit Hinweisen). Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich grundsätzlich nach der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs (BGE 139 III 475 E. 2.2). Steht aber fest, dass der Gesuchsteller im Zeitpunkt des Entscheides nicht bzw. nicht mehr bedürftig ist, kann auf diese Verhältnisse abgestellt werden (Urteil 5A_58/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 3.3.2 mit Hinweis).
7
Bei alledem ist vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage, ob die Kriterien zur Bestimmung der Bedürftigkeit zutreffend gewählt worden sind, nur unter Willkürgesichtspunkten überprüfbare Tatfrage hingegen, ob und wieweit einzelne Elemente des erheblichen Sachverhalts erstellt sind (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133; 119 Ia 11 E. 3a S. 12).
8
2.2. Das Obergericht wies das Gesuch des Beschwerdeführers mangels Bedürftigkeit ab. Ziehe man von seinem Einkommen von Fr. 5'065.-- den zivilprozessualen Zwangsbedarf von Fr. 3'288.-- und die (tatsächlich bezahlten) Kinderunterhaltsbeiträge von Fr. 1'000.-- ab, habe der Beschwerdeführer, der die Ehegattenunterhaltsbeiträge unstrittig nicht bezahlt habe, seit Gesuchseinreichung bis zum oberinstanzlichen Entscheid monatlich Fr. 777.--, insgesamt Fr. 3'108.-- ansparen können, was zur Bezahlung der zweitinstanzlichen Gerichts- und der eigenen Anwaltskosten ausreiche.
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2.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, wenn man von seinem Lohn von Fr. 5'065.-- (exkl. Kinderzulagen) Fr. 2'080.-- (= Fr. 2'480.-- abzüglich Kinderzulagen) abziehe, verblieben ihm Fr. 2'985.--, womit das von der Vorinstanz zugebilligte Existenzminimum von Fr. 3'288.-- nicht mehr gedeckt sei. Ausserdem sei die vorinstanzliche Feststellung, wonach die angesparten Fr. 3'108.-- ausreichten, um die zweitinstanzlichen Gerichts- und die eigenen Anwaltskosten zu bezahlen, offensichtlich unrichtig, zumal er verpflichtet worden sei, die Verfahrenskosten von Fr. 1'500.-- sowie der Beschwerdegegnerin bzw. deren Anwältin Parteikosten von Fr. 1'403.80 zu bezahlen. Ausserdem sei dem Obergericht bekannt, dass er mit dem Urteil 5D_122/2016 des Bundesgerichts verpflichtet worden sei, Verfahrenskosten von Fr. 1'000.-- zu bezahlen. Damit überstiegen seine finanziellen Verpflichtungen den Betrag des angeblich Angesparten und er sei offensichtlich nicht in der Lage, die eigenen Anwaltskosten - weder für das bundesgerichtliche noch für das oberinstanzliche Verfahren - zu bezahlen.
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2.4. Das Obergericht geht für die Zeit seit Gesuchseinreichung bis zum oberinstanzlichen Entscheid von einer Vermögensbildung zufolge unterlassener Bezahlung von Unterhaltsleistungen in der Höhe von Fr. 3'108.-- aus. Ob unter den gegebenen Umständen überhaupt von einer Vermögensbildung gesprochen werden kann, braucht aus folgenden Gründen nicht abschliessend beantwortet zu werden:
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Es ist grundsätzlich zulässig, die Bedürftigkeit zu verneinen, wenn der Gesuchsteller, der zwar über kein oder nur ein ungenügendes Einkommen, hingegen über Vermögen verfügt (Urteil 5A_396/2009 vom 5. August 2009 E. 2.2.1, nicht publ. in: BGE 135 I 288). Dabei soll aber nur auf den einen angemessenen "Notgroschen" übersteigenden Betrag gegriffen werden müssen. Das Institut des Notgroschens soll verhindern, dass eine Person zur Führung eines Prozesses auch ihre letzten finanziellen Notreserven aufbrauchen muss. Die Höhe des Grenzbetrages kann nicht generell, sondern nur individuell-konkret festgelegt werden, und zwar namentlich unter Berücksichtigung von Erwerbsaussichten, Alter, Gesundheitszustand sowie familiären Verpflichtungen (Urteil 5A_612/2010 vom 26. Oktober 2010 E. 2.3).
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Laut dem vorinstanzlichen Entscheid hat der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin für die beiden kantonalen Verfahren Parteientschädigungen von insgesamt Fr. 2'493.80 zu bezahlen. Vom sogenannt angesparten Betrag verbleiben dem Beschwerdeführer mithin noch Fr. 614.20, was unter keinem vernünftigen Titel als angemessener Notgroschen bezeichnet werden kann. Damit hat das Obergericht die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers zu Unrecht verneint.
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2.5. Nachdem der Beschwerdeführer erstinstanzlich obsiegt hatte, kann der im oberinstanzlichen Verfahren vertretene Standpunkt nicht als aussichtslos bezeichnet werden.
14
 
Erwägung 3
 
3.1. Demnach erweist sich die Beschwerde als begründet. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 23. Januar 2017 ist aufzuheben. Dem Beschwerdeführer ist die unentgeltliche Rechtspflege für das oberinstanzliche kantonale Verfahren zu gewähren, Rechtsanwalt Christoph Suter als amtlichen Beistand beizuordnen und im genannten Verfahren von der Tragung von Gerichtskosten zu befreien. Schliesslich ist die Sache zur Bestimmung des Honorars des unentgeltlichen Rechtsvertreters an das Obergericht zurückzuweisen.
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3.2. Auf die Erhebung von Gerichtskosten ist zu verzichten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Aargau hat den Anwalt des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird damit gegenstandslos.
16
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 23. Januar 2017 wird aufgehoben. Im obergerichtlichen Verfahren wird dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Christoph Suter als unentgeltlicher Rechtsvertreter beigeordnet. Er wird im genannten Verfahren von der Tragung von Gerichtskosten befreit. Zur Bestimmung des Honorars des unentgeltlichen Rechtsvertreters wird die Angelegenheit an das Obergericht zurückgewiesen.
 
2. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Der Kanton Aargau hat Rechtsanwalt Christoph Suter für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien und B.________ schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. April 2017
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Der Gerichtsschreiber: Zbinden
 
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