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Informationen zum Dokument  BGer 6B_622/2016  Materielle Begründung
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BGer 6B_622/2016 vom 24.03.2017
 
6B_622/2016
 
 
Urteil vom 24. März 2017
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Schär.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, verstorben am 22. August 2016,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Györffy,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Gewerbsmässiger Betrug, rechtliches Gehör, Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 4. April 2016.
 
 
Erwägungen:
 
1. Dem Beschwerdeführer wird unter anderem vorgeworfen, auf betrügerische Weise Invalidenrenten erlangt und verschiedene Einbruchdiebstähle vorgetäuscht zu haben. Das Bezirksgericht Hinwil sprach ihn am 11. Juni 2011 des versuchten gewerbsmässigen Betrugs, des Betrugs, der Urkundenfälschung, der mehrfachen Irreführung der Rechtspflege, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie verschiedener Strassenverkehrsdelikte schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten und einer Busse von Fr. 600.--.
1
Der Beschwerdeführer und die Staatsanwaltschaft erhoben Berufung gegen das Urteil. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA) erhob Anschlussberufung. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach den Beschwerdeführer am 4. April 2016 des gewerbsmässigen Betrugs, des Betrugs, des versuchten Betrugs, der Urkundenfälschung und der mehrfachen Irreführung der Rechtspflege schuldig. Von den weiteren Anklagepunkten sprach es ihn frei und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Busse von Fr. 300.--.
2
Mit Beschwerde in Strafsachen wendet sich der Beschwerdeführer ans Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Die Sache sei zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er vom Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs freizusprechen. In prozessualer Hinsicht beantragt der Beschwerdeführer, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Schliesslich ersucht er für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
3
Am 25. August 2016 teilte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers dem Bundesgericht mit, dieser sei am 23. August 2016 (recte 22. August 2016) verstorben.
4
Mit Schreiben des Bundesgerichts vom 3. Februar 2017 wurde der Rechtsvertreter aufgefordert, mitzuteilen, ob er am Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung festhalte, was dieser am 6. Februar 2017 bestätigte.
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2. Mit dem Tod des Beschwerdeführers ist die Beschwerde an das Bundesgericht gegenstandslos geworden. Das Verfahren ist daher abzuschreiben (vgl. Urteil 6B_459/2008 vom 20. Mai 2009 E. 3.3).
6
3. Der Beschwerdeführer hat ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt. An diesem wird weiterhin festgehalten. Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege setzt voraus, dass die prozessuale Bedürftigkeit nachgewiesen wird und das Rechtsbegehren nicht als aussichtslos erscheint (Art. 64 Abs. 1 BGG).
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3.1. Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist ausgewiesen. Damit bleiben die Prozessaussichten zu prüfen. Der Beschwerdeführer machte im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz sei auf mehrere offenkundig wesentliche Vorbringen nicht eingegangen und habe damit sein rechtliches Gehör verletzt. Insbesondere habe er vorgebracht, die Verfahren bei der A.________ Versicherung und der Invalidenversicherung seien noch nicht abgeschlossen. Inwieweit eine massgebliche Arbeitsfähigkeit vorliege, sei auf Seiten der Sozialversicherer noch nicht definitiv geklärt. Es stehe daher nicht fest, ob tatsächlich eine Rentenkürzung vorgenommen worden wäre. Die Vorinstanz habe es unterlassen, diese Frage zu erörtern und auch keine diesbezüglichen Sachverhaltsfeststellungen vorgenommen. Auch habe die Vorinstanz es unterlassen, sich mit der Frage der Zumutbarkeit der Selbsteingliederung zu befassen.
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3.2. Die Vorinstanz gibt zunächst auszugsweise das Gutachten der medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Ostschweiz vom 19. Dezember 2013 wieder. Demnach bestehe seit dem 1. April 1999 eine vollständige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit. Ab einem späteren Zeitpunkt habe sich der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers verbessert. Die Sachverständigen würden von einer Arbeitsfähigkeit von 50 % in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit und von 30 % in einer adaptierten Tätigkeit ausgehen. Im Weiteren sind die Erwägungen der Vorinstanz allerdings eher vage. So lasse sich zwar nicht zweifelsfrei erstellen, dass der Beschwerdeführer vollkommen gesund gewesen sei und keinerlei Ansprüche gegenüber den Versicherungen gehabt habe. Er habe aber über das Ausmass der Beschwerden getäuscht. Die Anklageschrift lasse zu Recht offen, in welchem exakten Ausmass der Beschwerdeführer arbeitsfähig gewesen sei. An anderer Stelle erwägt die Vorinstanz, die MEDAS-Gutachter gelangten zum Schluss, dass der Beschwerdeführer ab dem 17. Mai 2011 in seiner (sozialversicherungsrechtlichen) Arbeitsfähigkeit in weit geringerem Umfang als von den Versicherern angenommen eingeschränkt gewesen sei. Weiter werde im Bericht der Uniklinik Balgrist eine Versteifung des oberen Sprunggelenkes empfohlen. Konkrete Schlüsse auf den Umfang der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers im massgebenden Zeitraum würden sich daraus jedoch nicht ergeben. Auf die Argumentation des Beschwerdeführers, wonach im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren noch Abklärungen am Laufen seien und nicht feststehe, dass seine Rente gekürzt oder verweigert worden wäre, geht die Vorinstanz nicht ein. Insgesamt geht aus dem vorinstanzlichen Urteil nicht eindeutig hervor, ob die Rentenleistungen des Beschwerdeführers trotz verbesserter Arbeitsfähigkeit gekürzt worden wären respektive in welchem Umfang dies der Fall gewesen wäre. Damit lässt sich nicht überprüfen, ob der Beschwerdeführer zu Recht des vollendeten gewerbsmässigen Betrugs schuldig gesprochen wurde. Das vorinstanzliche Urteil scheint daher in diesem Punkt, ohne eine abschliessende Beurteilung vornehmen zu wollen, unvollständig und teilweise unklar.
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3.3. Was die Prozessaussichten betrifft, erschien die Beschwerde nicht von vornherein als aussichtslos. Dem Gesuch des Beschwerdeführers betreffend die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ist mithin zu entsprechen. Sein Rechtsvertreter ist ihm als unentgeltlicher Rechtsanwalt beizugeben und es ist diesem aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung zu entrichten. Im Übrigen ist das Gesuch gegenstandslos geworden, da keine Gerichtskosten erhoben werden (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Ebenfalls gegenstandslos geworden ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung.
10
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
 
Rechtsanwalt Viktor Györffy wird als unentgeltlicher Rechtsanwalt des Beschwerdeführers bestellt und ihm wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- ausgerichtet.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. März 2017
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Schär
 
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