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Informationen zum Dokument  BGer 1C_434/2016  Materielle Begründung
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BGer 1C_434/2016 vom 01.02.2017
 
{T 0/2}
 
1C_434/2016
 
 
Urteil vom 1. Februar 2017
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Schnyder,
 
gegen
 
Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt, Administrative Massnahmen und Sanktionen,
 
Avenue de France 71, Postfach 1247, 1951 Sitten,
 
Staatsrat des Kantons Wallis,
 
Regierungsgebäude, Postfach 478, 1951 Sitten.
 
Gegenstand
 
Vorsorglicher Führerausweisentzug,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 15. Juli 2016 des Kantonsgerichts Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ wurde am 9. April 2015 von der Walliser Kantonspolizei als Beschuldigter - ihm wurden Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen - einvernommen. Dabei gestand er, über einen Zeitraum von rund 1 ½ Jahren hinweg rund 25-mal Kokain - 15-mal 1 Gramm und 10-mal 2 Gramm - gekauft und konsumiert zu haben.
1
Am 24. Juli 2015 entzog die Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt A.________ den Führerausweis vorsorglich auf unbestimmte Zeit und ordnete an, er habe sich zur Abklärung seiner Fahreignung einer vertrauensärztlichen Eignungsuntersuchung durch das Zentrum für medizinische Expertisen des Spitals Wallis (ZME) zu unterziehen; bei Vorliegen der Untersuchungsergebnisse werde über den Fall definitiv entschieden. Einer allfälligen Beschwerde entzog sie die aufschiebende Wirkung.
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Am 26. Oktober 2015 wies der Staatsrat des Kantons Wallis die Beschwerde von A.________ gegen diese Entzugsverfügung ab.
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Am 15. Juli 2016 wies das Kantonsgericht die Beschwerde von A.________ gegen diesen Staatsratsentscheid ab.
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B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, den vorsorglichen Führerausweisentzug aufzuheben und den Kanton Wallis zu verpflichten, ihm Schadenersatz in Höhe von Fr. 25'000.-- zu leisten. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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C. Das Kantonsgericht beantragt unter Verweis auf seinen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen. Denselben Antrag stellt die Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt in ihrer Vernehmlassung. Der Staatsrat verzichtet auf Vernehmlassung und beantragt ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen steht die Beschwerde nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Die kantonalen Instanzen haben dem Beschwerdeführer den Ausweis vorsorglich entzogen und die Abklärung seiner Fahreignung angeordnet. Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren damit nicht ab; er stellt einen Zwischenentscheid dar, der nach der Rechtsprechung anfechtbar ist, da er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirkt. Beim vorsorglichen Führerausweisentzug handelt es sich um eine vorsorgliche Massnahme nach Art. 98 BGG (Urteile 1C_328/2013 vom 18. September 2013 E. 1.2; 1C_233/2007 vom 14. Februar 2008 E. 1.2; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer kann somit nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen (Urteil 1C_264/2014 vom 15. Februar 2015 E. 2). Nach Art. 106 Abs. 2 BGG prüft das Bundesgericht die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (BGE 133 III 589 E. 2 S. 591 f.; 133 IV 286 E. 1.4). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde unter diesem Vorbehalt einzutreten ist.
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Unzulässig ist allerdings das Schadenersatzbegehren gegen den Kanton Wallis. Das Bundesgericht ist nicht zuständig, als erste Instanz Schadenersatzforderungen gegen Kantone zu beurteilen. Darauf ist nicht einzutreten.
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Erwägung 2
 
2.1. Führerausweise werden entzogen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1 SVG), u.a. wenn die Person an einer Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst oder sie auf Grund ihres bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass sie künftig beim Führen eines Motorfahrzeugs die Vorschriften beachten und auf Mitmenschen Rücksicht nehmen wird (Art. 16d Abs. 1 lit. b und c SVG). Wecken konkrete Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen, ist eine verkehrsmedizinische Untersuchung durch einen Arzt und/oder eine psychologische Abklärung durch einen Verkehrspsychologen anzuordnen (Art. 15d Abs. 1 SVG, Art. 28a Abs. 1 VZV). Wird eine verkehrsmedizinische Abklärung angeordnet, so ist der Führerausweis nach Art. 30 VZV im Prinzip vorsorglich zu entziehen (BGE 125 II 396 E. 3 S. 401; Entscheide des Bundesgerichts 1C_356/2011 vom 17. Januar 2012 E. 2.2; 1C_420/2007 vom 18. März 2008 E. 3.2 und 6A.17/2006 vom 12. April 2006 E. 3.2; vgl. auch 1C_256/2011 vom 22. September 2011 E. 2.5). Diesfalls steht die Fahreignung des Betroffenen ernsthaft in Frage, weshalb es unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit grundsätzlich nicht zu verantworten ist, ihm den Führerausweis bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses zu belassen.
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2.2. Der Konsum von Kokain führt rasch zu einer ausgeprägten psychischen Abhängigkeit (Urteile 1C_248/2011 vom 30. Januar 2012 E. 4.1; 2A.252/1994 vom 29. September 1994 E. 4c; je mit Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung). Ein einmaliger nachgewiesener Kokain-Konsum ohne Zusammenhang mit dem Führen eines Motorfahrzeuges stellt zwar noch keinen Hinweis auf das Vorliegen einer verkehrsrelevanten Drogensucht dar (Urteil 6A.72/2006 vom 7. Februar 2007 E. 3.2). Auch ein gelegentlicher Konsum beweist noch nicht, dass eine solche besteht. Allerdings erweckt angesichts des hohen Suchtpotentials der Droge ein regelmässiger gelegentlicher Konsum nach der Rechtsprechung ernsthafte Zweifel an der Fahreignung. Das Bundesgericht hat die Anordnung einer Fahreignungsabklärung in einem Fall geschützt, in dem der Betroffene seit drei Jahren gelegentlich Kokain konsumierte und sich innerhalb eines halben Jahres 30 g davon beschaffte (Urteil 1C_282/2007 vom 13. Februar 2008).
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3. Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht die Verletzung von Art. 8, 9, 13 und 29 BV sowie der Unschuldsvermutung von Art. 11 EMRK vor.
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3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Meldung der Kantonspolizei an die Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt über seinen Kokainkonsum verletze seinen von Art. 13 BV garantierten Anspruch auf Schutz seiner Privatsphäre bzw. stelle einen Missbrauch seiner persönlichen Daten dar. Die Rüge ist offenkundig unbegründet, denn gemäss Art. 104 Abs. 1 SVG war die Kantonspolizei nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, der Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt den möglicherweise verkehrsrelevanten Kokainkonsum des Beschwerdeführers zu melden.
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3.2. Der Beschwerdeführer rügt, Kokainkonsumenten könne der Führerausweis entzogen werden, ohne dass sie sich eine Fahrt unter Drogeneinfluss hätten zuschulden kommen lassen, währenddem Alkoholkonsumenten eine solche Massnahme nur nach einer Trunkenheitsfahrt zu gewärtigen hätten. Das verletze das Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 BV. Die Rüge ist unbegründet. Ist die Fahreignung durch übermässigen Alkoholkonsum eingeschränkt, kann dem Betroffenen der Führerausweis entzogen werden, auch wenn ihm keine Trunkenheitsfahrt angelastet werden kann; eine Ungleichbehandlung von Kokain- und Alkoholkonsumenten besteht insofern nicht. Die nicht weiter begründeten Rügen, diese Praxis verstosse zudem gegen Art. 9 und Art. 29 BV, gehen somit an der Sache vorbei.
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3.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem sie ihn vor Erlass der Entzugsverfügung vom 24. Juli 2015 nicht angehört habe. Diese Rüge hat der Beschwerdeführer indessen in seiner Beschwerde vom 26. November 2015 ans Verwaltungsgericht nicht erhoben. Sie ist neu und damit unzulässig (Art. 99 BGG).
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Der Beschwerdeführer rügt sodann eine Verletzung der Unschuldsvermutung von Art. 11 EMRK. Er sei im Zeitpunkt des vorsorglichen Führerausweisentzugs strafrechtlich nicht verurteilt gewesen und hätte dementsprechend als unschuldig gelten müssen. Auch diese Rüge hat der Beschwerdeführer indessen in seiner Beschwerde vom 26. November 2015 ans Verwaltungsgericht nicht erhoben. Sie ist ebenfalls neu und damit unzulässig (Art. 99 BGG).
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3.4. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfassungsrügen erweisen sich somit als unbegründet oder unzulässig. Das schadet ihm insofern nicht, als die umstrittene Entzugsverfügung ohnehin kein Bundesrecht verletzt:
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Der Beschwerdeführer hat gestanden, über einen Zeitraum von rund 1 ½ Jahren hinweg rund 25-mal Kokain gekauft und dieses - insgesamt rund 35 Gramm - konsumiert zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um reines Kokain, sondern um ein handelsübliches Gemisch von unbekanntem Reinheitsgrad handelt, ist jedenfalls nach seinen eigenen Angaben davon auszugehen, dass er über einen längeren Zeitraum regelmässig Kokain in nicht unerheblicher Menge konsumierte. Das stellt nach der dargestellten Rechtsprechung einen Hinweis auf das Vorliegen einer verkehrsrelevanten Kokainsucht dar und weckt damit ernsthafte Zweifel an seiner Fahreignung. Das umso mehr, als ihm der Führerausweis bereits einmal wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen werden musste, sein automobilistischer Leumund mithin getrübt ist. Das rechtfertigt den vorsorglichen Entzug des Führerausweises, bis die Zweifel an seiner Fahreignung durch eine positiv verlaufene Abklärung ausgeräumt sind.
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4. Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, doch ist dieses abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Dienststelle für Strassenverkehr und Schifffahrt, Administrative Massnahmen und Sanktionen, dem Staatsrat des Kantons Wallis, dem Kantonsgericht Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Februar 2017
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Merkli
 
Der Gerichtsschreiber: Störi
 
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