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Informationen zum Dokument  BGer 1C_374/2016  Materielle Begründung
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BGer 1C_374/2016 vom 01.02.2017
 
{T 0/2}
 
1C_374/2016
 
 
Urteil vom 1. Februar 2017
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.________,
 
2. B.________,
 
3. C.________,
 
4. D.________,
 
Beschwerdeführer,
 
alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Karl Spühler,
 
gegen
 
Zweckverband Spital Uster,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Franz J. Kessler,
 
Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, 8610 Uster.
 
Gegenstand
 
Protokollberichtigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 29. Juni 2016
 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, 4. Kammer.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 4. November 2015 fand die Delegiertenversammlung des Zweckverbands Spital Uster (im Folgenden: Zweckverband) statt. Traktandiert war u.a. "5. Informationen zum Bauprojekt, einschliesslich Gestaltungsplan". Laut Versammlungsprotokoll (S. 27) hat der Präsident des Zweckverbands und Vorsitzende der Delegiertenversammlung, Reinhard Giger, gemäss Traktandum 5 über den Stand des Bauprojekts für den Um- bzw. Erweiterungsbau des Spitals Uster sowie das weitere Vorgehen informiert. A.________, B.________, C.________ und D.________ wohnten der Versammlung als externe Zuhörer bei.
1
Am 2./3. Dezember 2015 rekurrierten A.________, B.________, C.________ und D.________ an den Bezirksrat Uster und beantragten eine Ergänzung des Protokolls zu Traktandum 5. Am 28. Januar 2016 reichten die Rekurrenten im Hinblick auf die auf den 3. Februar 2016 angesetzte ausserordentliche Delegiertenversammlung des Zweckverbands ein Gesuch um die superprovisorische Anordnung von vorsorglichen Massnahmen ein.
2
Am 1. Februar 2016 trat der Bezirksrat auf den Rekurs und das Gesuch um Anordnung superprovisorischer Massnahmen mangels Legitimation der Rekurrenten nicht ein und auferlegte ihnen die Verfahrenskosten.
3
A.________, B.________, C.________ und D.________ fochten diesen Rekursentscheid beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich an. Dieses wies die Beschwerde am 29. Juni 2016 ab, soweit es darauf eintrat, und auferlegte den Beschwerdeführern die Verfahrenskosten.
4
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A.________, B.________, C.________ und D.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten und die Sache entweder selber materiell zu beurteilen oder sie an den Bezirksrat zur materiellen Entscheidung zurückzuweisen. Es sei die Kostenauflage des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Gerichtskosten seien dem Zweckverband aufzuerlegen. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens seien dem Zweckverband aufzuerlegen, und es sei ihnen eine angemessene Entschädigung zuzusprechen.
5
C. Der Bezirksrat Uster und das Verwaltungsgericht verzichten auf Vernehmlassung. Der Zweckverband beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten von A.________, B.________, C.________ und D.________.
6
In ihrer Replik halten A.________, B.________, C.________ und D.________ an der Beschwerde fest.
7
 
Erwägungen:
 
1. Mit dem angefochtenen Entscheid hat das Verwaltungsgericht das Nichteintreten des Bezirksrats auf den Rekurs der Beschwerdeführer geschützt. Es handelt sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Die Beschwerdeführer sind zur Beschwerde befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.
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2. Wie die Beschwerdeführer zutreffend festhalten, geht es bei der Beurteilung der Beschwerde in der Sache einzig um die Frage, ob ein Stimmberechtigter, der an der Delegiertenversammlung eines Zweckverbands als Zuhörer teilnimmt, berechtigt ist, das Verhandlungsprotokoll anzufechten und dessen Berichtigung bzw. Ergänzung zu verlangen. Diesfalls wären die Beschwerdeführer zum Rekurs an den Bezirksrat befugt gewesen, und das Verwaltungsgericht hätte dessen Nichteintretensentscheid nicht schützen dürfen.
9
2.1. Nach § 7 Abs. 1 des Gemeindegesetzes des Kantons Zürich vom vom 6. Juni 1926 (GG) können sich Gemeinden zu einem Zweckverband miteinander verbinden, um einzelne Zweige der Gemeindeverwaltung gemeinschaftlich zu besorgen. Der Zweckverband Spital Uster besteht nach seinen Statuten vom 9. Mai 2012 aus verschiedenen politischen Gemeinden, darunter der Stadt Uster (Art. 1). Er verfügt nach Art. 7 Abs. 1 über folgende Organe: die Stimmberechtigten des Zweckverbands, die Verbandsgemeinden, die Delegiertenversammlung, den Verwaltungsrat und die Rechnungsprüfungskommission. In Bezug auf die Protokollierung der Delegiertenversammlungen bestimmt Abs. 3 von Art. 19 (Titel: Konstituierung) : "Die Protokollführung kann einer dritten Person übertragen werden." Weitere statutarische Protokollierungsvorschriften für die Delegiertenversammlung gibt es nicht.
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2.2. Das Verwaltungsgericht hat erwogen, die Delegiertenversammlung eines Zweckverbands übe anstelle der Stimmberechtigten die Aufsicht über die Verbandstätigkeit aus und treffe die wichtigen Entscheidungen für den laufenden Betrieb. Ihre Stellung sei daher vergleichbar mit derjenigen des Grossen Gemeinderats (Parlament) einer Gemeinde mit ausserordentlicher Organisation (§§ 88 ff. GG), nicht mit derjenigen einer Gemeindeversammlung. Ähnlich wie bei einer Gemeinde mit ausserordentlicher Organisation könnten die Stimmberechtigten einer Verbandsgemeinde oder eines -gebiets ihren Willen in der Delegiertenversammlung lediglich in beschränktem Umfang mittels Initiative und Referendum zum Ausdruck bringen; es stünde ihnen mithin kein direktes Mitbestimmungsrecht bei der Beschlussfassung der Delegierten zu. § 54 Abs. 3 GG sehe vor, dass mit einem Rekurs an den Bezirksrat die Berichtigung des Protokolls einer Gemeindeversammlung verlangt werden könne. Es sei zumindest fraglich, ob dieses Rechtsmittel auch gegen das Protokoll einer Versammlung des Grossen Rats oder analog einer Delegiertenversammlung offen stehe. Auf jeden Fall wären die Beschwerdeführer nicht befugt gewesen, es zu erheben: sie hätten an der Versammlung nicht als Delegierte, sondern als externe Zuhörer teilgenommen, Traktandum 5 habe zudem weder die Fassung eines (referendumsfähigen) Beschlusses noch die Verabschiedung einer Vorlage an die Stimmberechtigten noch eine formelle Rechenschaftsablage zu Handen der Verbandsgemeinden oder der Stimmberechtigten betroffen, sondern die freiwillige Information des Verbandspräsidenten zum Stand der Projektierung bzw. zum weiteren Vorgehen im Zusammenhang mit der geplanten Spitalerweiterung. Die Inhalte von Traktandum 5 seien damit nicht geeignet gewesen, die politischen Rechte der Beschwerdeführer mittelbar oder unmittelbar zu beeinträchtigen. Da sie somit keinen eigenen, persönlichen Nutzen an der Rechtsmittelerhebung geltend machen könnten, erfüllten sie die Legitimationsvoraussetzungen - besondere Betroffenheit und ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung und Änderung des angefochtenen Entscheids (§ 21 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959; VRG) - nicht. Nicht ersichtlich sei auch, wie sie unsubstanziiert geltend machten, inwiefern die geforderte Protokollberichtigung dem Schutz ihres Grundeigentums dienlich sein könne.
11
2.3. Die Beschwerdeführer werfen dem Verwaltungsgericht die Verletzung ihres Stimmrechts und Willkür vor. Die beanstandete Protokollierung habe für sie bereits negative Auswirkungen für die Abstimmung vom 5. Juni 2016 betreffend den öffentlichen Gestaltungsplan Uster gehabt. Dieser sei vermutlich deshalb angenommen worden, weil die Delegierten des Zweckverbands und die Stimmberechtigten nicht umfassend und korrekt über den Abstimmungsgegenstand - den Gestaltungsplan als Basis für eine ungesetzliche Reha-Klinik am Spital Uster - informiert gewesen seien. Das hätten sie mit einem vollständigen und korrekten Protokoll der Delegiertenversammlung beweisen können. Sie hätten als Stimmberechtigte und Nachbarn ein besonderes Interesse an der Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustands, insbesondere am Verzicht auf die verbotene Rehabilitationsklinik auf dem benachbarten Spitalgelände. Da es sich um eine Stimmrechtssache handle, seien sie als Stimmberechtigte gemäss § 21a VRG ohne weiteres zum Protokollberichtigungsrekurs befugt gewesen. Art. 34 BV schütze das Stimmrecht gegen Eingriffe jeglicher Art, auch gegen behördliche Vorbereitungshandlungen. Das Schwergewicht beim fehlerhaften Protokoll liege auf der Verletzung der politischen Rechte. Das Verwaltungsgericht sei in Willkür verfallen, indem es ihnen aufgrund der allgemeinen Bestimmung zur Rekursberechtigung von § 21 VRG die Rechtsmittellegitimation abgesprochen habe.
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Erwägung 3
 
3.1. Unter Traktandum 5 informierte der Präsident des Zweckverbands die Delegierten an der Versammlung vom 4. November 2015 über das Bauprojekt und den Gestaltungsplan. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, handelte es sich um eine reine Information der Delegierten, deren Aufgabe sich in der Kenntnisnahme der präsidialen Ausführungen erschöpfte. Sie hatten nichts zu beschliessen, zu genehmigen oder zu verabschieden. Eine solche Orientierung dient der Willensbildung der Delegiertenversammlung als Organ des Zweckverbands und hat weder unmittelbare noch mittelbare Aussenwirkung, selbst wenn sie der Vorbereitung künftig anstehender Beschlüsse dient, welche den Interessen der Beschwerdeführern möglicherweise - je nachdem wie sich die Delegiertenversammlung entscheiden wird - zuwiderlaufen könnten. Es kann keine Rede davon sein, dass das umstrittene Protokoll "die rechtliche und sachverhaltsmässige Grundlage für die Verwirklichung der Um- und Ausbaupläne des Spitals Uster" (Beschwerde I. 7. S. 5) bildet. Die Protokollierung dieses Traktandums betrifft eine rein interne Angelegenheit des Zweckverbands. Die Beschwerdeführer als Aussenstehende hatten damit kein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung bzw. Berichtigung und Ergänzung des Protokolls, und zwar unabhängig davon, ob sie als Stimmberechtigte oder als Nachbarn des Spitals Uster berechtigt sind, sich gegen das Um- und Neubauprojekt des Zweckverbands zur Wehr zu setzen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu diesem Punkt ergibt sich zudem mit ausreichender Klarheit und Ausführlichkeit aus dem angefochtenen Entscheid; es hat seine verfassungsrechtliche Begründungspflicht erfüllt und das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer nicht verletzt.
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3.2. Die Beschwerdeführer bringen vor, das Verwaltungsgericht habe in E. 3.5 das von ihnen am 15. Juni 2016 eingereichte Novum "übersehen", aus dem sich klar ergebe, dass den Stimmberechtigten der Verbandsgemeinden noch im August 2010 die Legitimation zur Rekurserhebung gegen das Protokoll einer Delegiertenversammlung des Zweckverbands zugestanden worden sei. Die Nichtberücksichtigung dieses Aktenstücks sei willkürlich.
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Das Verwaltungsgericht hat das Novum keineswegs "übersehen", sondern als unerheblich eingestuft. Zur Begründung hat es angeführt, selbst wenn das Gesetz im August 2010 einmal nicht richtig angewendet worden und den Stimmberechtigten die Legitimation zur Anfechtung des Protokolls der damaligen Delegiertenversammlung des Zweckverbands eingeräumt worden wäre, könnten die Beschwerdeführer daraus grundsätzlich keinen Anspruch ableiten, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden. Diese Begründung ist zutreffend und wird von den Beschwerdeführern auch nicht kritisiert.
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3.3. Die Beschwerdeführer machen zwar geltend, vorliegend komme nicht § 21 VRG als allgemeine Bestimmung über die Rekursberechtigung zur Anwendung, sondern mit § 21a VRG diejenige in Stimmrechtssachen, welche die Legitimation nicht von einer besonderen Betroffenheit und dem Vorhandensein eines schutzwürdigen Interesses an der Aufhebung oder Änderung der Anordnung abhängig mache. Beim von den Beschwerdeführern angestrebten Protokollberichtigungsverfahren handelt es sich indessen klarerweise nicht um eine Stimmrechtssache, der Einwand ist unbegründet.
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3.4. Art. 17 der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 (KV) garantiert jedermann den Zugang zu amtlichen Dokumenten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Die Beschwerdeführer machen geltend, diese Bestimmung garantiere einen Anspruch auf Zugang zu korrekten und vollständigen staatlichen Dokumenten und gewähre damit auch einen allgemeinen Anspruch, die Berichtigung und Ergänzung der einsehbaren Akten zu verlangen.
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Das trifft nicht zu. Art. 17 KV räumt zwar unter gewissen Einschränkungen jedermann einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Dokumenten ein; darunter fiele wohl auch das umstrittene Protokoll der Delegiertenversammlung. Ein voraussetzungsloser Anspruch, die Abänderung der einsehbaren Dokumente zu verlangen, ist im verfassungsrechtlichen Zugangsrecht dagegen klarerweise nicht enthalten. Die Beschwerdeführer können ihre Legitimation nicht aus Art. 17 KV ableiten.
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3.5. Der Bezirksrat hat somit weder das Willkürverbot noch die Kantonsverfassung noch das Stimmrecht der Beschwerdeführer verletzt, indem er auf ihren Protokollberichtigungsrekurs mangels Legitimation nicht eintrat. Das Verwaltungsgericht konnte die Beschwerde daher ohne Verletzung von Bundesrecht abweisen, die Rüge ist unbegründet.
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4. Die Beschwerdeführer fechten die vorinstanzliche Kostenauflage als willkürlich an.
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Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, Begehren um Protokollberichtigung beträfen zwar regelmässig auch die politischen Rechte, seien aber dennoch keine (grundsätzlich kostenlosen) Stimmrechtssachen im Sinn von § 13 Abs. 4 VRG, weshalb ausgangsgemäss die Beschwerdeführer die Verfahrenskosten zu tragen hätten. Die Beschwerdeführer kritisieren, dies entbehre jeder Logik. Das genügt den Anforderungen an die Begründung einer Willkürrüge (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2; 134 II 244 E. 2.2; 133 II 249 E. 1.4) nicht, darauf ist nicht einzutreten.
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5. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
22
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Zweckverband Spital Uster, dem Bezirksrat Uster und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Februar 2017
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Merkli
 
Der Gerichtsschreiber: Störi
 
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