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Informationen zum Dokument  BGer 9C_768/2010  Materielle Begründung
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BGer 9C_768/2010 vom 10.11.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_768/2010
 
Urteil vom 10. November 2010
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber Ettlin.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
G.________, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Bügler,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Freiburg, route du Mont-Carmel 5, 1762 Givisiez,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Wiedererwägung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des
 
Kantonsgerichts Freiburg, Sozialversicherungs-gerichtshof, vom 22. Juli 2010.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 4. August 2004 sprach die IV-Stelle des Kantons Freiburg dem 1956 geborenen G.________ mit Wirkung ab 1. September 2003 (später korrigiert auf 1. April 2003) eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad von 80 %). Im Rahmen einer im April 2005 angehobenen Rentenrevision unterzog sich der Versicherte der psychiatrischen Begutachtung durch Dr. med. S.________, Spezialarzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie (Expertise vom 27. April 2007), und es fand im Medizinischen Abklärungszentrum X.________ im Frühjahr 2008 eine polydisziplinäre Begutachtung statt (mit klinischer, psychiatrischer und neuropsychologischer Untersuchung). Die IV-Stelle verfügte am 25. August 2008, ausgehend von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit, die Aufhebung der Invalidenrente.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher G.________ die Weiterausrichtung einer ganzen Rente; eventuell die Einholung eines Obergutachtens beantragte, wies das Kantonsgericht Freiburg mit der substituierten Begründung einer ursprünglich zweifellos zu Unrecht zugesprochenen Invalidenrente ab (Entscheid vom 22. Juli 2010).
 
C.
 
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und die vorinstanzlich gestellten Begehren erneuern.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist die Rechtmässigkeit der wiedererwägungsweisen Aufhebung der seit 1. April 2003 laufenden ganzen Rente der Invalidenversicherung.
 
2.1 Nach Art. 53 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG kann die IV-Stelle auf formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Eine Wiedererwägung in diesem Sinne ist in den Schranken von Art. 53 Abs. 3 ATSG jederzeit möglich, insbesondere auch wenn die Voraussetzungen der Revision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt sind. Wird die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung erst vom Gericht festgestellt, so kann es die im Revisionsverfahren verfügte Aufhebung der Rente mit dieser substituierten Begründung schützen (BGE 125 V 368 E. 2 S. 369; Urteil 9C_11/2008 vom 29. April 2008 E. 2).
 
2.2 Das Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit ist in der Regel erfüllt, wenn die gesetzeswidrige Leistungszusprechung aufgrund falscher oder unzutreffender Rechtsregeln erlassen wurde oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 103 V 128 E. a; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts C 151/94 vom 30. Mai 1995 E. 3c, publ. in: ARV 1996/97 Nr. 28 S. 158). Anders verhält es sich, wenn der Wiedererwägungsgrund im Bereich materieller Anspruchsvoraussetzungen liegt, deren Beurteilung in Bezug auf gewisse Schritte und Elemente (z.B. Invaliditätsbemessung, Einschätzungen der Arbeitsunfähigkeit, Beweiswürdigungen, Zumutbarkeitsfragen) notwendigerweise Ermessenszüge aufweist. Erscheint die Beurteilung solcher Anspruchsvoraussetzungen (einschliesslich ihrer Teilaspekte wie etwa die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit) vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage, wie sie sich im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprechung darbot, als vertretbar, scheidet die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus (Urteil des Bundesgerichts I 907/06 vom 7. Mai 2007 E. 3.2.1 mit Hinweisen; Urteil 9C_215/2007 vom 2. Juli 2007 E. 3.2 mit Hinweisen).
 
Die Aufhebung oder Herabsetzung der Invalidenrente auf dem Weg der Wiedererwägung der ursprünglichen Leistungsverfügung ist nur zulässig, wenn im Zeitpunkt der Aufhebung oder Herabsetzung der Rente keine Invalidität besteht (Urteil I 859/05 vom 10. Mai 2006 E. 2.3, Urteil I 222/02 vom 19. Dezember 2002 E. 5.1, Urteil I 530/86 vom 15. Juli 1987 E. 2b).
 
3.
 
3.1 Das vorinstanzliche Gericht hat gestützt auf das Gutachten vom 7. August 2003 des Dr. med. I.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und in richtiger Anwendung der rechtlichen Grundlagen der Wiedererwägung dargelegt, weshalb die Ausrichtung der Invalidenrente von Beginn an zweifellos unrichtig war. Von einer im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG qualifiziert unrichtigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts durch die Vorinstanz kann nicht die Rede sein. Vielmehr war der Beschwerdeführer gemäss beweiskräftiger Expertise vom 7. August 2003 in der angestammten Beschäftigung ab Anfang 2003 zu 80 % arbeitsfähig. Anderes konnte namentlich nicht aus den Berichten des prakt. med. S.________ und des Dr. med. B.________, vom 15. August 2002 und 18. Februar 2003, hergeleitet werden. Mit der absehbaren Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit rechneten beide Ärzte, und Dr. med. B.________ führte ausschliesslich invaliditätsfremde Faktoren wie Alter und Arbeitslosigkeit für eine befristete Berentung von sechs bis zwölf Monaten an. Eine dauerhafte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit war unter keinem Gesichtswinkel nachgewiesen. Damit ist dem beschwerdeführerischen Einwand der Boden entzogen, die ursprüngliche Rentenzusprechung basiere auf einer im Verfügungszeitpunkt vertretbaren Ermessensbetätigung, weshalb die Wiedererwägung nicht statthaft sei (E. 2.2 hievor).
 
3.2 Sodann ändert der Einwand nichts, Vergleichseinkommen und das von der Verwaltung der erstmaligen Berentung zugrunde gelegte Zumutbarkeitsprofil liessen sich unter wiedererwägungsrechtlichen Aspekten nicht überprüfen, weil sie nicht aktenkundig seien. Der damals unterbliebene Einkommensvergleich und die mit Verfügung vom 4. August 2004 erfolgte Leistungszusprache ohne Nennung der massgeblichen Zumutbarkeitseinschätzung sprechen nicht gegen eine wiedererwägungsweise Rentenaufhebung, sondern stützen sie vielmehr. Darüber hinaus scheitert ein Leistungsanspruch auch am rechtlichen Erfordernis der einjährigen Wartezeit, welche frühestens im April 2003 ablaufen konnte (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG in der bis 31. Dezember 2007 gültigen Fassung). Indes war gemäss der für die Wiedererwägung ausschlaggebenden Expertise vom 7. August 2003 des Dr. med. I.________ die Arbeitsfähigkeit bereits ab Januar 2003 zu 80 % hergestellt. Auf allfällige Vergleichseinkommen kommt es folglich für die zweifellose Unrichtigkeit nicht an (BGE 121 V 264 E. 6 S. 272). Zudem deutet nichts auf eine Unvollständigkeit der Akten hin. Die Verwaltung hatte dem Beschwerdeführer im Rahmen der erstmaligen Rentenprüfung den Beschluss und die Verfügung vom 4. August 2004 eröffnet und ihm später Einsicht in die Akten gewährt. Fehlende Bemessungsgrundlagen beanstandete der Versicherte seinerzeit nicht, sondern erst nach angekündigter Rentenreduktion, ohne jedoch zu behaupten, früher Aktenkundiges sei nicht mehr vorhanden. Die Vorhaltung der Gehörsverletzung wegen unzulänglicher Akteneinsicht entbehrt damit der Grundlage. Die substituierte Wiedererwägung ist daher letztinstanzlich insoweit rechtens. Zu prüfen bleibt, ob ab Renteneinstellung pro futuro eine Invalidität zu bejahen ist (E. 2.2 hievor; Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV; Urteil I 546/03 vom 3. August 2005 E. 2.2).
 
3.3 Die im angefochtenen Entscheid in pflichtgemässer Würdigung der gesamten Aktenlage mit nachvollziehbarer Begründung erfolgte Feststellung einer vollen Arbeitsfähigkeit im Verfügungszeitpunkt (25. August 2008), ist weder offensichtlich unrichtig noch sonstwie rechtlich mangelhaft im Sinne von Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG. Daran ändert das Attest des Dr. med. A.________ vom 21. Oktober 2008 nichts, auch wenn er die darin erwähnte volle Arbeitsfähigkeit - anders als in seinem Gutachten vom 21. Mai 2008 (Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums X.________) - nicht ausdrücklich auf die Tätigkeit des Geschäftsführers bezogen hat. Ferner ist mit Blick auf die uneingeschränkte Leistungsfähigkeit die vorinstanzlich bejahte Vermittelbarkeit des Beschwerdeführers auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_776/2008 vom 18. Juni 2009 E. 5.2, Urteil 9C_854/2008 vom 17. Dezember 2008 E. 3.2 mit Hinweisen). Soweit der Versicherte aus einem nach dem Verfügungszeitpunkt aufgenommenen - zeitlich reduzierten - Arbeitsversuch davon Abweichendes herleiten will, ist er nicht zu hören; denn der Erlass der strittigen Verfügung vom 25. August 2008 bildet rechtsprechungsgemäss die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220 mit Hinweisen). Die Vorinstanz durfte nach dem Gesagten ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes auf die Anordnung weiterer Beweismassnahmen in antizipierter Beweiswürdigung verzichten (vgl. BGE 124 V 90 E. 4b S. 94, 122 V 157 E. 1d S. 162). Ein Anspruch auf Rentenleistungen bestand im Verfügungszeitpunkt vom 25. August 2008 nicht. Demzufolge war die substituierte Wiedererwägung zulässig (E. 2.2 hievor; ULRICH MEYER, Rechtsprechung zum IVG, 2010, S. 387).
 
4.
 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 10. November 2010
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Meyer Ettlin
 
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