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Informationen zum Dokument  BGer 9C_632/2010  Materielle Begründung
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BGer 9C_632/2010 vom 29.10.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_632/2010
 
Urteil vom 29. Oktober 2010
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
IV-Stelle Basel-Landschaft,
 
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
R.________,
 
vertreten durch Advokatin Dr. Monika Guth,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung
 
(Invalidenrente, Einkommensvergleich),
 
Beschwerde gegen den Entscheid
 
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
 
vom 26. März 2010.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1957 geborene R.________ meldete sich im Dezember 2004 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach ihr die IV-Stelle Basel-Landschaft mit Verfügung vom 11. September 2009 eine ganze Invalidenrente (bei einem Invaliditätsgrad von 100 %) vom 1. Januar 2005 bis 31. Januar 2007 zu. Hingegen verneinte sie einen Rentenanspruch ab Februar 2007 mit der Begründung, der Invaliditätsgrad betrage seit 3. Oktober 2006 37 % und seit 29. November 2007 33 %.
 
B.
 
In Gutheissung der durch R.________ erhobenen Beschwerde stellte das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 26. März 2010 ihren Anspruch auf eine Viertelsrente der Invalidenversicherung ab 1. Februar 2007 fest.
 
C.
 
Die IV-Stelle Basel-Landschaft führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, die Verfügung vom 11. September 2009 wieder herzustellen.
 
R.________ und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389 mit Hinweisen; Urteil 8C_934/2008 vom 17. März 2009 E. 1 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 135 V 194, aber in: SVR 2009 UV Nr. 35 S. 120).
 
1.3 Auf der nicht medizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348, 128 V 29 E. 1 S. 30, 104 V 135 E. 2a und b S. 136 f.). In dieser Sicht stellt sich die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen als Tatfrage dar, soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen als Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa die Fragen, ob Tabellenlöhne anwendbar sind und welches die massgebliche Tabelle ist (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_255/2007 vom 12. Juni 2008 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 134 V 322) sowie die Wahl der zutreffenden Stufe (Anforderungsniveau 1, 2, 3 oder 4; Urteile I 860/06 vom 7. November 2007 E. 3.2 und I 732/06 vom 2. Mai 2007 E. 4.2.2) und des zu berücksichtigenden Wirtschaftszweigs oder Totalwertes (Urteil 9C_678/2008 vom 29. Januar 2009 E. 3.2 mit Hinweis). Demgegenüber beschlägt der Umgang mit den Zahlen in der massgeblichen LSE-Tabelle eine Tatfrage. Schliesslich ist die Frage, ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Leidensabzug vorzunehmen sei, eine Rechtsfrage, während jene nach der Höhe des Abzuges eine typische Ermessensfrage darstellt, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 in fine S. 399; Urteil 9C_973/2008 vom 19. Januar 2009 E. 3).
 
2.
 
2.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, der Versicherten sei eine leidensangepasste Tätigkeit im Umfang von 70 % ab 3. Oktober 2006 und von 75 % resp. 72 % ab 29. November 2007 zumutbar. Dem Erfordernis zusätzlicher Pausen hat sie bei der Festsetzung des Invalideneinkommens mit der Bemessung des Abzugs vom Tabellenlohn - welchen sie auf 20 % beziffert hat - Rechnung getragen. Ausgehend von dem durch die Verwaltung ermittelten Betrag hat sie ein Invalideneinkommen von Fr. 28'292.55 errechnet. Sie ist der Auffassung, es könne offenbleiben, ob das von der IV-Stelle in der Verfügung vom 11. September 2009 berücksichtigte Valideneinkommen von Fr. 49'119.- "zu parallelisieren" sei, da auch mit dem in der vorinstanzlichen Beschwerdeantwort geltend gemachten Valideneinkommen von Fr. 47'764.- ein rentenbegründender Invaliditätsgrad von 40,75 % resultiere.
 
2.2 Dass die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit offensichtlich unrichtig sein oder sonst wie Bundesrecht verletzen sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich sind (E. 1.1). Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch ab 1. Februar 2007 einzig im Hinblick auf die Rechtmässigkeit des Einkommensvergleichs.
 
3.
 
3.1 Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG).
 
3.2
 
3.2.1 Für die in Art. 16 ATSG vorgesehene Gegenüberstellung sind grundsätzlich die hypothetischen Erwerbseinkommen im Zeitpunkt des Beginns eines allfälligen Rentenanspruchs resp. der Veränderung eines bestehenden Anspruchs massgebend. Jedenfalls aber haben sich die Vergleichseinkommen auf das gleiche Jahr zu beziehen (BGE 128 V 174 E. 4a S. 175; 129 V 222 E. 4.2 S. 223 f.).
 
3.2.2 Die Verbesserung des Gesundheitszustandes wirkt sich ab Februar 2007 auf den Rentenanspruch aus (Art. 88a IVV [SR 831.201]; vgl. E. 3.5). Weil für die Vergleichseinkommen seit 2006 hinsichtlich der Nominallohnentwicklung sowie der betriebsüblichen Wochenarbeitszeit die gleichen Faktoren zu berücksichtigen sind, kann auf die Werte dieses Jahres abgestellt werden.
 
3.3
 
3.3.1 Weicht der vor Eintritt des Gesundheitsschadens tatsächlich erzielte Verdienst mindestens 5 % vom branchenüblichen Tabellenlohn ab, ist er im Sinne von BGE 134 V 322 E. 4 S. 325 deutlich unterdurchschnittlich und rechtfertigt - sofern keine Anhaltspunkte bestehen, dass sich die versicherte Person aus freien Stücken mit einem bescheideneren Einkommen begnügen wollte - eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen (BGE 135 V 297 E. 6.1.2 S. 302 f.). Diese kann entweder auf Seiten des Valideneinkommens durch eine entsprechende Heraufsetzung oder durch Abstellen auf die statistischen Werte oder aber auf Seiten des Invalideneinkommens durch eine entsprechende Herabsetzung erfolgen (BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 326). Es ist indessen nur in dem Umfang zu parallelisieren, in welchem die prozentuale Abweichung den Erheblichkeitsgrenzwert von 5 % übersteigt (BGE 135 V 297 E. 6.1.3 S. 303 f.). Die Voraussetzungen der Parallelisierung und des Leidensabzuges stehen insofern in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, als dieselben einkommensbeeinflussenden Faktoren nicht sowohl einen Parallelisierungszu- oder -abschlag als auch einen Leidensabzug zu begründen vermögen (BGE 135 V 297 E. 6.2 S. 305).
 
3.3.2 Es trifft zu, dass die IV-Stelle bereits in der Verfügung vom 11. September 2009 die Einkommen parallelisiert hat, indem sie für das Valideneinkommen nicht auf den tatsächlich erzielten Verdienst, sondern auf einen (höheren) Tabellenlohn abgestellt hat. Die Vorinstanz hat diesbezüglich weder die Zulässigkeit noch die Bundesrechtskonformität des Vorgehens geprüft oder Feststellungen getroffen. Die Aktenlage erlaubt indessen eine Beurteilung durch das Bundesgericht (Art. 105 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 1 BGG).
 
3.3.3 Aus den Angaben der Arbeitgeberin vom 10. Dezember 2004 ergibt sich, dass die Versicherte bei Weiterführung der bisherigen Arbeit als Küchenhilfe 2006 (unter Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung) ein Einkommen von höchstens Fr. 39'819.- erzielt hätte. Als Vergleichswert ist entgegen dem Vorgehen in der Verfügung vom 11. September 2009, auf welche auch die Vorinstanz abgestellt hat, nicht das total über alle Wirtschaftszweige bezahlte, sondern das üblicherweise für die gleiche Tätigkeit entrichtete Gehalt heranzuziehen (Urteil 8C_648/2009 vom 24. März 2010 E. 5.1); im konkreten Fall sind daher die Zahlen des Gastgewerbes massgebend. Laut Tabelle TA1 der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE) verdienten Frauen 2006 in dieser Branche im Anforderungsniveau 4 bei einer betriebsüblichen Wochenarbeitszeit von 42,1 Stunden einen Durchschnittslohn von Fr. 44'369.-. Damit liegt der auf den tatsächlichen Gegebenheiten beruhende Verdienst unter der Erheblichkeitsschwelle. Es liegen keine Hinweise vor, dass sich die Versicherte aus freien Stücken mit ihrem unterdurchschnittlichen Einkommen zufrieden gegeben hat; vielmehr dürfte die Höhe des Lohnes auf geringe Sprachkenntnisse, Schul- und fehlende Berufsbildung zurückzuführen sein. Die Einkommen sind daher in dem Sinn zu parallelisieren, als das Valideneinkommen - gestützt auf statistische Werte - auf Fr. 42'150.- (Fr. 44'369.- x 0,95) festgesetzt wird.
 
3.4 Ab dem 3. Oktober 2006 ist von einer Arbeitsfähigkeit von 70 % auszugehen (vgl. E. 2). Für die Festsetzung des Invalideneinkommens haben Vorinstanz und Verwaltung grundsätzlich zu Recht auf den Totalwert der Tabellenlöhne (LSE Tabelle TA1, Frauen, Anforderungsniveau 4) abgestellt. Es ist indessen nicht der Wert für das Jahr 2005, sondern jener der LSE 2006 heranzuziehen (E. 3.2.2) und eine betriebsübliche Wochenarbeitszeit von 41,7 Stunden zu berücksichtigen. Das kantonale Gericht hat den leidensbedingten Abzug einerseits mit zusätzlichem Pausenbedarf, anderseits mit zusätzlichen, auch im Rahmen sehr leichter Tätigkeiten bestehenden, qualitativen Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit begründet, was nicht zu beanstanden ist. Die Beschwerdeführerin hat in Bezug auf die Höhe des Abzugs zutreffend auf die eingeschränkte Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1.3) verwiesen und keine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung gerügt. Das Invalideneinkommen beträgt demnach Fr. 28'155.- (Fr. 4'019.- x 12 x 41,7 : 40 x 0,7 x 0,8).
 
3.5 Nach dem Gesagten resultiert ab 3. Oktober 2006 ein Invaliditätsgrad von 33 %, was den Anspruch auf eine Invalidenrente ausschliesst (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung). Die Beschwerde ist begründet.
 
4.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 26. März 2010 aufgehoben.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3.
 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft zurückgewiesen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, der Ausgleichskasse Basler Arbeitgeber und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 29. Oktober 2010
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Meyer Dormann
 
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