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Informationen zum Dokument  BGer 2C_705/2009  Materielle Begründung
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BGer 2C_705/2009 vom 17.09.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_705/2009
 
Urteil vom 17. September 2010
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiber Klopfenstein.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Gemeinde Wollerau,
 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Michel.
 
Gegenstand
 
Staatshaftung (Schadenersatz/Genugtuung),
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 27. August 2009 des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer III.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ war Pächter eines Landwirtschaftsbetriebes in Schindellegi, welchen er zusammen mit seiner Ehefrau bewirtschaftete. Die Verpächterin, die Gemeinderschaft Y.________, kündigte das Pachtverhältnis am 28. März 1999, worauf dieses durch Urteil des Einzelrichters des Bezirksgerichts Höfe bis zum 31. März 2006 erstreckt wurde. Da die Eheleute X.________ den Betrieb über dieses Datum hinaus weiter bewirtschafteten, reichte die Verpächterin ein Ausweisungsbegehren ein, welches X.________ vergeblich bis vor Bundesgericht anfocht (Urteil 4P.268/2006 vom 5. Dezember 2006). Am 19. März 2007 verliess X.________ mit seiner Familie den Pachtbetrieb; er lebt seither in einer Notwohnung der Gemeinde Wollerau.
 
B.
 
Am 20. März 2008 erhob X.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Klage gegen die Gemeinde Wollerau und stellte in der Hauptsache das Begehren, diese sei zu verpflichten, ihm Fr. 103'500.-- (zuzüglich Zins zu 5 % seit 20. März 2008) als Schadenersatz sowie Fr. 10'000.-- als Genugtuung zu bezahlen. Eine allfällige Nachklage behielt er sich ausdrücklich vor und beantragte ausserdem die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
 
Mit Urteil vom 27. August 2009 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
 
C.
 
Mit Eingabe vom 23. Oktober 2009 führt X.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht und stellt folgende Anträge:
 
"1. Es sei das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer III, vom 27. August 2009 vollständig aufzuheben.
 
2.1 Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, dem Beschwerdeführer CHF 103'500.-- zuzüglich Zins zu 5 % seit 20. März 2008 als Schadenersatz zu bezahlen.
 
2.2 Es sei davon Vormerk zu nehmen, dass eine allfällige Nachklage ausdrücklich vorbehalten bleibt.
 
2.3 Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, dem Beschwerdeführer CHF 10'000.-- als Genugtuung zu bezahlen.
 
3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin."
 
Gleichzeitig wird für das gesamte kantonale verwaltungsgerichtliche Verfahren sowie für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten. Die Gemeinde Wollerau lässt beantragen, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
 
In dem auf Begehren von X.________ durchgeführten zweiten Schriftenwechsel hielten die Verfahrensbeteiligten an ihren Anträgen fest. Am 14. Mai 2010 reichte X.________ unaufgefordert eine Ergänzung zur Replik ein; mit einer weiteren Eingabe vom 25. August 2010 nahm er auch noch zur Duplik der Gemeinde Wollerau Stellung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid, der Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gegenüber der Gemeinde Wollerau zum Gegenstand hat und damit eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 82 lit. a BGG betrifft. Da kein Ausschlussgrund nach Massgabe von Art. 83 BGG gegeben ist und - zumal ein Haftungsfall im Sinne von Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG (d.h. eine vermögensrechtliche Angelegenheit) im Streit liegt (vgl. BGE 134 V 138 E. 1.2.2 S. 141 f. mit Hinweisen) - auch die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.-- offensichtlich erreicht wird, steht dagegen die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).
 
1.2 Der angefochtene Entscheid stützt sich zur Hauptsache auf kantonales Staatshaftungs- bzw. Verantwortlichkeitsrecht. Insofern kommt als Beschwerdegrund im Wesentlichen die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht, insbesondere von verfassungsmässigen Rechten der Bundesverfassung, in Frage (Art. 95 BGG). Die Anwendung des kantonalen Rechts als solches bildet nicht Beschwerdegrund. Überprüft werden kann insoweit nur, ob der angefochtene Entscheid auf willkürlicher Gesetzesanwendung beruht oder ob das Gesetz oder seine Anwendung sonstwie gegen übergeordnetes Recht verstossen (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2.1 S. 251 f.).
 
1.3 Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz Anlass gibt. Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 1 und 2 BGG).
 
1.4 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Das Bundesgericht prüft, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht prüft solche Rügen nur, wenn sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden sind (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254; 133 IV 286 E. 1.4 S. 287).
 
Der Beschwerdeführer soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die er im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit seiner Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (vgl. BGE 121 III 397 E. 2a S. 400 sowie Urteil 2C_87/2010 vom 7. September 2010 mit Hinweisen).
 
Die vorliegende Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen über weite Strecken nicht, zumal sich der Beschwerdeführer weitgehend mit bloss appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheid begnügt. Zwar ruft er verschiedene Bestimmungen der Bundesverfassung an (Art. 7, 12, 35 und 41 BV), er legt aber nicht bzw. jedenfalls nicht hinreichend dar, dass und inwiefern der angefochtene Entscheid die Verfassung verletzen bzw. sich als willkürlich erweisen sollte (zum Willkürbegriff in der Rechtsanwendung BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133; 132 I 175 E. 1.2 S. 177; je mit Hinweisen).
 
Nach dem Gesagten kann auf die vorliegende Beschwerde - mangels genügend spezifischer Begründung, d.h. insbesondere Darlegung inwiefern nicht bloss kantonales Recht verletzt wurde, sondern eine Verfassungsverletzung vorliegt - im Wesentlichen nicht eingetreten werden.
 
2.
 
2.1 Das Verwaltungsgericht hat im Detail dargelegt, dass und weshalb ein widerrechtliches Verhalten der Sozialhilfebehörde nicht ersichtlich ist. Sodann hat es ausgeführt, bei einer reinen Vermögensschädigung liege eine Widerrechtlichkeit nur vor, wenn gegen eine einschlägige Schutznorm verstossen worden sei, was es für den vorliegenden Fall verneinte. Im Weiteren stellte das Gericht fest, die Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhanges sei nicht gegeben. Schliesslich sei auch das Vorliegen eines Vermögensschadens fraglich. In Bezug auf die geltend gemachte Genugtuung stellte das Verwaltungsgericht fest, nachdem der Gemeinde keine Widerrechtlichkeit vorgeworfen werden könne, würden sich dazu weitere Ausführungen erübrigen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts sind zutreffend und es kann darauf verwiesen werden.
 
2.2 Soweit der Beschwerdeführer überhaupt auf die verwaltungsgerichtliche Argumentation eingeht (vgl. etwa Ziff. 3.14 und Ziff. 3.17 der Beschwerdeschrift) und sich mit den Haftungsvoraussetzungen befasst, vermögen seine Einwände nicht durchzudringen. Er wiederholt bloss seinen Standpunkt, nach der Kündigung des Pachtverhältnisses durch die Gemeinderschaft Y.________ sei ihm von den Behörden - in Verletzung ihrer Beistandspflicht - nie eine "echte sinnvolle Lösung" angeboten worden, weshalb ihm durch die widerrechtliche Unterlassung von Hilfeleistungen ein vermögensrechtlicher Schaden und immaterielle Unbill entstanden sei. Sein Stolz als Landwirt, seine Bestrebungen, auf diesem Beruf weiter arbeiten zu können, seine Versuche, auf keinen Fall fürsorgebedürftig zu werden, seien - wie er ausführt - "mit Füssen getreten" worden (S. 18 der Beschwerdeschrift). Zwar mag zutreffen, dass beim Beschwerdeführer der Eindruck entstanden ist, die Bedürfnisse seiner vielköpfigen Familie seien von den Gemeindebehörden nach der Kündigung des Pachtverhältnisses nicht genügend ernst genommen worden. Dabei übersieht er aber, dass die Gemeinderschaft Y.________ als Grundeigentümerin und Verpächterin in den Schranken des landwirtschaftlichen Pachtrechts (vgl. die Erstreckung von 6 Jahren, vorne lit. A) grundsätzlich frei war, ihren Pächter auszuwählen bzw. diesen auszuwechseln, ohne dass die Gemeinde dafür haftbar gemacht werden könnte. Sie hat zudem - wie bereits erwähnt (vgl. E. 2.1) - auch keine Schutznorm verletzt.
 
2.3 Mit Bezug auf die anbegehrte unentgeltliche Rechtspflege und die unentgeltliche Rechtsverbeiständung hielt die Vorinstanz fest, die geltend gemachte Herleitung eines Schadenersatzanspruches infolge einer Unterlassung erscheine bereits auf den ersten Blick als unbegründet, insbesondere weil ein Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und dem angeblich rechtswidrigen Verhalten der Behörde nicht nachvollziehbar sei. Die Gewinnaussichten seien als beträchtlich geringer einzustufen gewesen als die Verlustgefahren, weshalb dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung infolge Aussichtslosigkeit der Klage nicht entsprochen werden könne.
 
2.4 Nach der Rechtsprechung sind Prozessbegehren aussichtslos, deren Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Massgeblich ist, ob sich eine vernünftige, nicht mittellose Partei ebenfalls zur Beschwerde entschlossen hätte. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1; 128 I 225 E. 2.5.3).
 
Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, durfte das Verwaltungsgericht vorliegend die Voraussetzungen für eine Haftung der Gemeinde zulässigerweise verneinen; der Beschwerdeführer konnte dabei nicht ernsthaft mit einer Gutheissung seiner Anträge rechnen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde ihm vom Verwaltungsgericht daher zu Recht verweigert.
 
3.
 
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet und ist abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann. Entsprechend würde der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG), zumal seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung aus denselben, in E. 2.4 genannten Überlegungen auch im bundesgerichtlichen Verfahren nicht entsprochen werden kann (vgl. Art. 64 BGG). Indessen rechtfertigen es die Umstände, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG).
 
Obschon die Beschwerdegegnerin vor Bundesgericht anwaltlich vertreten war, ist ihr keine Parteientschädigung auszurichten, zumal öffentlichen Körperschaften - auch im Falle eines Obsiegens - in aller Regel keine solche zugesprochen wird, wenn sie im Rahmen ihres amtlichen Wirkungskreises handeln (vgl. BGE 134 II 117 E. 7 S. 118 f.). Von einem Handeln im amtlichen Wirkungsbereich ist auszugehen, wenn eine Tätigkeit betroffen ist, welche der entsprechenden Partei durch das Gesetz im öffentlichen Interesse übertragen worden ist, d.h. um eine öffentliche Aufgabe (vgl. Thomas Geiser, in: Basler Kommentar Rz. 29 zu Art. 66 BGG). Ist dies der Fall, so ist eine Parteientschädigung unabhängig davon zu verweigern, ob mit dem Prozess ein Vermögensinteresse verfolgt wird oder nicht (Geiser, a.a.O. Rz. 20 zu Art. 68 BGG). Vorliegend hat der Beschwerdeführer von der Gemeinde Wollerau aufgrund deren Tätigkeit bzw. Untätigkeit im Rahmen der Aufgaben im Sozialhilfebereich Schadenersatz und Genugtuung verlangt. Betroffen ist damit der amtliche Wirkungskreis der Beschwerdegegnerin, auch wenn direkt ihre Vermögensinteressen berührt werden. Dementsprechend hat sie keinen Anspruch auf Parteikostenersatz.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Es werden keine Kosten erhoben, und es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gemeinde Wollerau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 17. September 2010
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Zünd Klopfenstein
 
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