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Informationen zum Dokument  BGer 8C_228/2010  Materielle Begründung
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BGer 8C_228/2010 vom 19.07.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_228/2010
 
Urteil vom 19. Juli 2010
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiberin Schüpfer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
B.________, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Marco Unternährer,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Revision),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
 
vom 4. Februar 2010.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Der 1971 geborene B.________ war als Hilfsarbeiter im Gartenbau tätig und meldete sich erstmals am 3. November 1997 wegen eines chronischen, unspezifischen lumbovertebralen Schmerzsyndroms bei muskulärer Insuffizienz und bei Überforderung am Arbeitsplatz, Aggravation und Tendenz zur Symptomausweitung zum Bezug von Leistungen bei der Invalidenversicherung an. Anlässlich einer Autokollision am 10. Februar 2001 erlitt er eine Distorsion der Halswirbelsäule. Die IV-Stelle Schwyz sprach ihm mit Verfügung vom 11. Januar 2005 ab 1. Februar 2002 bis 31. Dezember 2003 eine halbe und ab 1. Januar 2004 eine Dreiviertelsrente zu. Auf ein Rentenerhöhungsgesuch des Versicherten hin holte die IV-Stelle ein polydisziplinäres Gutachten des Instituts X.________ vom 24. April 2007 ein. Gestützt auf dessen Erkenntnisse hob sie mit Verfügung vom 17. September 2007 die Rente per Ende Oktober 2007 auf. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz wies eine dagegen geführte Beschwerde mit Entscheid vom 15. Januar 2008 ab. Dieser Entscheid wurde rechtskräftig.
 
A.b Am 11. März 2008 - noch während der laufenden Rechtsmittelfrist gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 15. Januar 2008 - liess B.________ ein Revisionsgesuch infolge Verschlechterung des Gesundheitszustandes stellen. Sein aktueller Gesundheitszustand entspreche nicht dem, welcher im Gutachten des Instituts X.________ festgestellt worden sei, weshalb die IV-Stelle darum ersucht werde, einen entsprechenden Zwischenbericht beim Hausarzt einzuholen. In der Folge liess sich B.________ im Zentrum Y.________ (Berichte vom 6. und 19. Mai 2008), am Zentrum Z.________ (Bericht vom 3. Juli 2008) und durch die Rheumatologin Dr. med. H.________ (Bericht vom 10. November 2008) untersuchen. Mit Verfügung vom 21. Oktober 2008 trat die nunmehr für den Versicherten zuständige IV-Stelle Luzern auf das neue Leistungsbegehren nicht ein, da sich die tatsächlichen Verhältnisse seit Erlass der Verfügung vom 17. September 2007 nicht in einer für den Anspruch erhebli-chen Weise verändert hätten.
 
B.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die dagegen eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 4. Februar 2010 ab.
 
C.
 
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die IV-Stelle zu verpflichten, auf das eingereichte Gesuch einzutreten.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist das vorinstanzlich als rechtens beurteilte Nichteintreten der Verwaltung auf das Leistungsbegehren vom 11. März/30. Juni 2008 mangels Glaubhaftmachung einer anspruchserheblichen Änderung seit der letzten materiellrechtlichen Leistungsprüfung und Rentenverweigerung am 17. September 2007 (zur zeitlichen Vergleichsbasis: BGE 130 V 71).
 
2.1 Im kantonalen Entscheid werden die gesetzlichen Voraussetzungen des Eintretens auf eine Neuanmeldung nach früherer, rechtskräftiger Leistungsverweigerung oder rückwirkend befristeter Zusprechung einer Invalidenrente (BGE 133 V 263), insbesondere das Erfordernis der Glaubhaftmachung einer anspruchserheblichen Änderung gemäss Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV (vgl. E. 2.2 bis 2.4 hernach) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
2.2 Die Eintretensvoraussetzung gemäss Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV soll verhindern, dass sich die Verwaltung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten Rentengesuchen befassen muss (BGE 133 V 108 E. 5.3.1 S. 112). Die Rechtskraft der früheren Verfügung steht einer neuen Prüfung so lange entgegen, wie der seinerzeit beurteilte Sachverhalt sich in der Zwischenzeit nicht verändert hat. Die Verwaltung verfügt bei der Beurteilung der Eintretensvoraussetzungen über einen gewissen Spielraum. So wird sie zu berücksichtigen haben, ob die frühere Verfügung nur kurze oder schon längere Zeit zurückliegt, und an die Glaubhaftmachung dementsprechend mehr oder weniger hohe Anforderungen stellen (BGE 109 V 108 E. 2b S. 114, 262 E. 3 S. 264; SVR 2007 IV Nr. 40 S. 135 E. 4.3, Urteil 9C_312/2009 vom 18. September 2009 E. 2.2).
 
2.3 In erster Linie ist es Sache der versicherten Person, substantielle Anhaltspunkte für eine allfällige neue Prüfung des Leistungsanspruchs darzulegen (vgl. - auch bezüglich Nachfristansetzung zur Einreichung ergänzender, in der Neuanmeldung lediglich in Aussicht gestellter Beweismittel - BGE 130 V 64 E. 5.2.5 S. 69). Wenn die der Neuanmeldung beigelegten ärztlichen Berichte so wenig substantiiert sind, dass sich eine neue Prüfung nur aufgrund weiterer Erkenntnisse allenfalls rechtfertigen würde, ist die IV-Stelle zur Nachforderung weiterer Angaben nur, aber immerhin dann verpflichtet, wenn den - für sich allein genommen nicht Glaubhaftigkeit begründenden - Arztberichten konkrete Hinweise entnommen werden können, wonach möglicherweise eine mit weiteren Erhebungen erstellbare rechtserhebliche Änderung vorliegt (zum Ganzen SZS 2009 S. 397, 9C_286/2009 E. 2.2.3).
 
2.4 Ob eine anspruchserhebliche Änderung im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV glaubhaft gemacht worden ist, ist eine vom Bundesgericht unter dem Blickwinkel von Art. 105 Abs. 2 BGG überprüfbare Tatfrage. Frei zu beurteilende Rechtsfrage ist hingegen, wie hohe Anforderungen an das Glaubhaftmachen im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV zu stellen sind (Urteil 9C_312/2009 vom 18. September 2009, E. 2.5 mit Hinweisen).
 
3.
 
3.1 Die Vorinstanz hat die vorhandenen ärztlichen Unterlagen in Bezug auf den massgebenden, bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Nichteintretensverfügung vom 21. Oktober 2008 eingetretenen Sachverhalt (vgl. BGE 131 V 242 E. 2.1 S. 234 mit Hinweisen) einlässlich gewürdigt. Nach ihren für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen sind hinsichtlich des neu geltend gemachten Carpaltunnelsyndroms im funktionellen MRI vom 15. Mai 2008 lediglich Zeichen eines solchen festgestellt worden. Da dieses als ausdrücklich leicht bewertet worden sei, sei nicht anzunehmen, dass es eine wesentliche gesundheitliche Einschränkung darstelle, welche sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirke. Zudem sei es gut behandelbar, sodass eine anhaltende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit diesbezüglich nicht glaubhaft dargetan sei und die IV-Stelle auch keine Verpflichtung treffe, von Amtes wegen weitere Abklärungen zu tätigen.
 
In Bezug auf den Bericht des Zentrums Z.________ vom 3. Juli 2008 stellte das kantonale Gericht fest, dass keine organische Störung gefunden worden und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes diesbezüglich nicht ersichtlich sei. Im betreffenden Bericht werde zwar ein Verdacht auf eine posttraumatische Anpassungsstörung festgehalten, eine effektive Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Sinne einer tatsächlichen Verschlimmerung oder eines Auftretens von neuen Beschwerden, Befunden oder Symptomen gehe daraus jedoch nicht hervor. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei auch diesbezüglich nicht glaubhaft gemacht.
 
Schliesslich stellt die Vorinstanz auch in Würdigung des Berichts der Dr. med. H.________ fest, eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation bezüglich der Nacken- und Kopfschmerzen, des Schwindels, der Seh- und Konzentrationsstörungen, Lesebehinderungen, Rückenbeschwerden und Beschwerden in den Beinen sowie der depressiven Symptome sei seit der Begutachtung des Instituts X.________ nicht glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der neu geltend gemachten Kniebeschwerden, bei denen es sich gemäss Dr. med. H.________ möglicherweise um eine reaktive Oligoarthritis handelt, könne nicht angenommen werden, sie schränkten die Arbeitsfähigkeit ein; solches führe auch diese Ärztin nicht aus. Eine Veränderung des Gesundheitszustandes mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit gegenüber der Verfügung vom 17. September 2007 sei damit jedenfalls nicht glaubhaft gemacht. Dasselbe gelte für die behauptete Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule und der verminderten Muskelkraft bei Haltungsinsuffizienz.
 
3.2 In der Beschwerde wird nicht dargelegt, inwiefern die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Verletzung insbesondere von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) beruhen. Es wird geltend gemacht, gemäss Bericht der behandelnden Ärztin Dr. med. H.________ vom 10. November 2008 bestehe im oberen Cervicalbereich wieder Handlungsbedarf; mit allgemeiner Kräftigung bei Haltungsinsuffizienz mit deutlich verminderter Muskelkraft ergebe sich eine um 50 % eingeschränkte Arbeitsfähigkeit, womit offensichtlich eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber der früheren eingetreten sei. Zudem lässt der Beschwerdeführer vorbringen, durch die Diagnosestellung des Zentrums Z.________ sei eine posttraumatische Anpassungsstörung, welche im Gutachten des Instituts X.________ noch nicht vorgelegen habe, "klarerweise gegeben". Dabei handelt es sich aber einzig um eine abweichende Würdigung, welche nicht massgeblich ist.
 
3.3
 
Von der letzten materiellen Prüfung des Anspruchs auf eine Invalidenrente (Verfügung vom 17. September 2007, bestätigt durch den rechtskräftigen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 15. Januar 2008) bis zur Neuanmeldung (Revisionsgesuch vom 11. März 2008) sind nicht einmal sechs beziehungsweise nur zwei Monate vergangen. Im "Revisionsgesuch" vom 11. März 2008 wird denn auch nur vorgebracht, der heutige Gesundheitszustand entspreche nicht demjenigen, wie er im Gutachten des Instituts X.________ belegt werde. Inwiefern und in welchen Bereichen eine Verschlechterung eingetreten sein soll, wird nicht dargetan, sodass angenommen werden muss, der Beschwerdeführer sei lediglich mit dem Resultat jener Begutachtung nicht einverstanden gewesen. Auch in der "Ergänzung" vom 30. Juni 2008 wird nicht ausgeführt, worin die Verschlechterung zu erblicken sei. Bezeichnenderweise wird in den angeführten Berichten des Zentrums Z.________ vom 3. Juli 2008 ausdrücklich verdeutlicht, dass keine organischen Störungen gefunden worden seien und aus HNO-ärztlicher Sicht eine 100%ige Arbeitsfähigkeit bestehe. Auch Dr. med. N.________ vom Zentrum Y.________ bescheinigt ob des leichten Carpaltunnelsyndroms keine Arbeitsunfähigkeit. Im Bericht der Dr. med. H.________ vom 10. November 2008 werden das Ergebnis der Begutachtung am Institut X.________ und die darin enthaltene Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit zwar kritisiert. Damit kann aber eine Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse seit September 2007 nicht glaubhaft gemacht werden. Eine um 50 % verminderte Arbeitsfähigkeit für eine leichte körperliche Arbeit wird denn auch mit dem Bedarf einer "allgemeinen Kräftigung bei Haltungsinsuffizienz bei deutlich verminderter Muskelkraft" begründet. Damit wird aber gerade kein Gesundheitsschaden glaubhaft gemacht, welcher allenfalls zu einem Anspruch auf eine Invalidenrente führen könnte.
 
Der angefochtene Entscheid verletzt daher Bundesrecht nicht.
 
4.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG)
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 19. Juli 2010
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Ursprung Schüpfer
 
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