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Informationen zum Dokument  BGer 9C_421/2010  Materielle Begründung
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BGer 9C_421/2010 vom 01.07.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_421/2010
 
Urteil vom 1. Juli 2010
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber Schmutz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
J._________, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Daniel Altermatt,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
 
vom 5. April 2010.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Mit Verfügung vom 6. Juli 2004, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 3. Februar 2006, hob die IV-Stelle Basel-Stadt die dem 1948 geborenen J._________ seit 1. Dezember 1996 ausgerichtete halbe Invalidenrente rückwirkend zum 1. April 2001 auf (wegen Verletzung der Meldepflicht bei erheblicher Veränderung der Einkommenssituation). Gleichzeitig verpflichtete sie den Versicherten zur Rückerstattung der zu Unrecht bezogenen Rentenbetreffnisse, welche sie mit separater Verfügung vom 21. Juli 2004 auf insgesamt Fr. 26'144.- bezifferte.
 
A.b Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, als es diesen aufhob und die Sache "zum Erlass eines neuen Entscheides im Sinne der Erwägungen" an die IV-Stelle zurückwies (Entscheid vom 5. Oktober 2006). Der Begründung des Rückweisungsentscheids liess sich u.a. entnehmen, dass die Verwaltung den Invaliditätsgrad nach dem ausserordentlichen Bemessungsverfahren zu ermitteln "und im Anschluss daran eine neue Verfügung" zu erlassen hat. Die von der IV-Stelle verfügte rückwirkende Leistungseinstellung befand es wegen Verwirkung des Rückforderungsanspruches für unzulässig.
 
A.c Das Bundesgericht wies die von der IV-Stelle gegen den kantonalen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil I 990/06 vom 28. März 2007 ab. Dabei erwog es neben anderem, was die Frage nach der anwendbaren Invaliditätsbemessungsmethode bei der revisionsweisen Überprüfung der laufenden halben Invalidenrente anbelange, sei der vorinstanzlichen Feststellung zu folgen, dass die Einkünfte des Versicherten als Selbstständigerwerbendem vor und nach Eintritt des Gesundheitsschadens enormen Schwankungen unterworfen waren und die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach dem ausserordentlichen Bemessungsverfahren zu erfolgen habe. Unter den gegebenen Umständen biete allein der erwerblich gewichtete Betätigungsvergleich Gewähr für eine zuverlässige Invaliditätsbemessung, weshalb der vorinstanzliche Rückweisungsentscheid zu Recht ergangen sei.
 
A.d Im Anschluss daran traf die IV-Stelle erneut medizinische und erwerbliche Abklärungen. Insbesondere liess sie J._________ im Spital X.________, Rheumatologische Klinik, begutachten (Expertise vom 16. März 2008). Ferner nahm sie am 9. Februar 2009 eine Abklärung zur Invalidität als Selbstständigerwerbender vor (Abklärungsbericht vom 23. Februar 2009). Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens stellte sie die halbe Rente mit Verfügung vom 10. Juni 2009 auf Ende Juli 2009 ein (Invaliditätsgrad von 24 %).
 
B.
 
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wies die von J._________ erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 5. April 2010 ab.
 
C.
 
J._________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, die IV-Stelle sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides anzuweisen, den Sachverhalt in medizinischer Hinsicht neu abzuklären.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen bleibt die Rechtmässigkeit der Aufhebung der seit 1. Dezember 1996 laufenden halben Rente auf Ende Juli 2009.
 
2.1 Für die Vorinstanz ist in Anbetracht der Tatsache, dass die Invaliditätsbemessung gemäss der Verfügung vom 24. September 1998 auf einer falschen Methode - nämlich einem reinen Betätigungsvergleich - beruhte, die offensichtliche Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung ausgewiesen und die Erheblichkeit der Berichtigung der seinerzeitigen Verfügung angesichts der zur Diskussion stehenden Dauerleistung ohne Weiteres gegeben. Es gelte deshalb durch Wiedererwägung der formell rechtskräftigen Verfügung mit Wirkung ex nunc et pro futuro einen rechtskonformen Zustand herzustellen. Die Irrelevanz der Revisionsgrundsätze ergebe sich auch aus der Tatsache, dass die Verwaltung von richterlicher Seite zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der ausserordentlichen Methode des erwerblich gewichteten Betätigungsvergleichs verpflichtet worden ist. Da diese Methode der Invaliditätsbemessung in casu noch nie zum Tragen gekommen sei, hänge der Umfang des Rentenanspruches allein von dem nach dieser Methode ermittelten Invaliditätsgrad ab und zwar - da keine rückwirkende Rentenaufhebung im Raume steht - vom Invaliditätsgrad im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (10. Juni 2009).
 
2.2 Für den Beschwerdeführer ist die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung nicht erstellt, da weder behauptet noch nachgewiesen sei, dass bei Anwendung der ausserordentlichen Bemessungsmethode schon 1998 keine Rente zugesprochen worden wäre. Um eine Rente wiedererwägungsweise aufzuheben müsse erstellt sein, dass eine korrekte Invaliditätsbemessung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Die Rente könne daher nicht unter Berufung auf zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung aufgehoben werden.
 
3.
 
Eine Revisionsverfügung (Art. 17 Abs. 1 ATSG) kann praxisgemäss durch die substituierte Begründung der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) bestätigt werden (BGE 125 V 368): Demgemäss kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Zweifellos ist die Unrichtigkeit, wenn kein vernünftiger Zweifel daran möglich ist, dass die Verfügung unrichtig war. Es ist nur ein einziger Schluss - derjenige auf die Unrichtigkeit der Verfügung - möglich (BGE 125 V 383 E. 6a S. 393; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 378/05 vom 10. Mai 2006 E. 5.2 und 5.3, publ. in: SVR 2006 UV Nr. 17 S. 62 f. und Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts C 29/04 vom 24. Januar 2005 E. 3.1.1, publ. in: SVR 2005 Arbeitslosenversicherung Nr. 8 S. 27, ferner etwa Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 912/05 vom 5. Dezember 2006 E. 3.2, je mit Hinweisen).
 
Das Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit ist in der Regel erfüllt, wenn die gesetzeswidrige Leistungszusprechung auf Grund falscher oder unzutreffender Rechtsregeln erlassen wurde oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 103 V 126 E. 2a S. 128; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts C 151/94 vom 30. Mai 1995 E. 3c, publ. in: ARV 1996/97 Nr. 28 S. 158).
 
Anders verhält es sich, wenn der Wiedererwägungsgrund im Bereich materieller Anspruchsvoraussetzungen liegt, deren Beurteilung in Bezug auf gewisse Schritte und Elemente (z.B. Invaliditätsbemessung, Einschätzungen der Arbeitsunfähigkeit, Beweiswürdigungen, Zumutbarkeitsfragen) notwendigerweise Ermessenszüge aufweist. Erscheint die Beurteilung solcher Anspruchsvoraussetzungen (einschliesslich ihrer Teilaspekte wie etwa die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit) vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage, wie sie sich im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprechung darbot, als vertretbar, scheidet die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus (Urteil des Bundesgerichts I 907/06 vom 7. Mai 2007 E. 3.2.1 mit Hinweisen; Urteil 9C_215/2007 vom 2. Juli 2007 E. 3.2 mit Hinweisen).
 
4.
 
4.1 Der Wiedererwägungsgrund liegt zwar im Bereich materieller Anspruchsvoraussetzungen, dies aber nicht bei der Beweiswürdigung oder anderer Ermessenszüge aufweisender Schritte der Invaliditätsbemessung, sondern in der Anwendung falscher Rechtsregeln im ausserordentlichen Bemessungsverfahren. Wie das Bundesgericht im Urteil I 990/06 (E. 4.2) ausgeführt hat, kann der von der Firma des Beschwerdeführers erwirtschaftete Betriebsgewinn nicht dem Erwerbseinkommen gleichgesetzt werden, und bietet unter den gegebenen Umständen allein das ausserordentliche Verfahren des erwerblich gewichteten Betätigungsvergleichs (BGE 128 V 29 E. 1 S. 30) Gewähr für eine zuverlässige Invaliditätsbemessung.
 
4.2 Der beschwerdeweise erhobene Einwand, die Rentenzusprechung nach einem reinen Betätigungsvergleich bei Selbstständigerwerbenden sei damals feste Praxis gewesen und deren Änderung unzulässig, ist offensichtlich unbegründet. Denn spätestens seit 1978 stand die gebotene erwerbliche Gewichtung des Ergebnisses aus dem Betätigungsvergleich im Rahmen des ausserordentlichen Verfahrens für die Invaliditätsbemessung Selbstständigerwerbender für die Rechtsadressaten - Versicherungsorgane und versicherte Personen - klar fest (BGE 104 V 135 E. 2c S. 137 unten f.). Wenn nun eine Durchführungsstelle in der Folge eine Invaliditätsbemessung vornahm, welche nicht dieser publizierten, in den folgenden Jahren immer wieder und keineswegs erst mit BGE 128 V 29 bestätigten Rechtspraxis folgte (so AHI 1998 S. 120 E. 1a und S. 252 E. 2b; Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH] Rz. 3103 ff.), liegt darin geradezu ein klassischer Grund zur Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG, der keiner zeitlichen Befristung unterliegt (Urteil I 276/04 vom 28. Juli 2005 E. 2). Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufung auf den öffentlichrechtlichen Vertrauensschutz sind offensichtlich nicht erfüllt (BGE 135 V 201 E. 5 und 6 S. 204 f.), dies darüberhinaus auch deshalb nicht, weil in der abschliessenden Interessenabwägung (BGE 135 V 201 E. 6.2 S. 208) hier das Gebot an der Korrektur eines während vielen Jahren offensichtlich zu Unrecht erfolgten Rentenbezuges prävalierte.
 
5.
 
Auch der zweite Einwand der Beschwerde, die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung sei bereits darum nicht erstellt, weil weder behauptet noch nachgewiesen sei, dass eine schon damals korrekte Invaliditätsberechnung zu einem anderen Ergebnis als zur Zusprechung einer halben Rente geführt hätte, ist ebenfalls offensichtlich unbegründet. Denn er kritisiert die von der Vorinstanz umfassend dargelegten Ermittlungsvarianten, welche allesamt zu einem nicht rentenbegründenden Invaliditätsgrad führen, in keinem Punkt, und abgesehen von der behaupteten Schwindelproblematik tut er es auch nicht hinsichtlich der medizinischen Gegebenheiten. Zu dem in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf, es würden ihm gefahrengeneigte Arbeit zugemutet und eine unmögliche Arbeitsorganisation aufgezwungen, hat sich die Vorinstanz zutreffend geäussert (E. 4 und 5 des Entscheides). Die dort getroffenen Feststellungen sind weder offensichtlich unrichtig, noch ist der Sachverhalt unvollständig abgeklärt (oben E. 1). Der gezogene Schluss ist zulässig, dass gerade gestützt auf den vorinstanzlich eingelegten Bericht des Dr. med. W.________, Facharzt FMH für Neurologie, vom 31. August 2009 nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, der Beschwerdeführer könne wegen flüchtiger Schwindelsensationen keine leichten manuellen Arbeiten mehr verrichten. Gegen das Letztere spricht auch, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben trotz der behaupteten Verletzungsgefahr für sich und Unbeteiligte tatsächlich Transporte und Schlosserarbeiten ausführt, sich also nicht auf eine von ihm einzig noch als zumutbar bezeichnete rein administrative Tätigkeit beschränkt.
 
6.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
7.
 
Die Beschwerde hatte keine Aussicht auf Erfolg, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG ohne Durchführung des Schriftenwechsels erledigt wird.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 1. Juli 2010
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Meyer Schmutz
 
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