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Informationen zum Dokument  BGer 8C_772/2009  Materielle Begründung
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BGer 8C_772/2009 vom 07.05.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_772/2009
 
Urteil vom 7. Mai 2010
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Helsana Versicherungen AG, Versicherungsrecht, Postfach, 8081 Zürich Helsana,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst, Generaldirektion Schweiz, Postfach, 8085 Zürich Versicherung,
 
Beschwerdegegnerin,
 
H.________.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. Juni 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1970 geborene H.________ ist seit 1. Dezember 2004 als Krippenleiterin bei der Chinderhuus X.________ GmbH tätig und in dieser Eigenschaft bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Zürich) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Gemäss Schadenmeldung UVG vom 7. April 2008 stand H.________ am 27. März 2008 bei der Übergabe der Kinder an die Eltern aus der Hocke auf und verspürte einen starken Schmerz im rechten Knie. Die Ärzte diagnostizierten eine mediale, luxierte Meniskuskorbhenkelläsion am Knie rechts bei vorderer Kreuzbandruptur, was im Spital Y.________ am 31. März 2008 operativ behandelt wurde. Mit Verfügung vom 3. Juli 2008 verneinte die Zürich ihre Leistungspflicht, da weder ein Unfall noch eine unfallähnliche Körperschädigung vorliege. Der Krankenversicherer von H.________, die Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) erhob Einsprache, welche die Zürich mit Einspracheentscheid vom 24. November 2008 abwies.
 
B.
 
Die von der Helsana hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. Juni 2009 ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Helsana, die Zürich habe unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheids die gesetzlichen UVG-Leistungen zu erbringen.
 
Die Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. H.________ und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Unfallbegriff (Art. 4 ATSG) sowie zur Leistungspflicht der Unfallversicherung bei Unfällen (Art. 6 Abs. 1 UVG) und bei unfallähnlichen Körperschädigungen (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 UVV), diesbezüglich insbesondere die zuletzt in BGE 129 V 466 bestätigte Rechtsprechung, wonach bei unfallähnlichen Körperschädigungen am Erfordernis des äusseren Faktors festzuhalten ist, zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Streitig ist, ob die Zürich für die Folgen der am 27. März 2008 zugezogenen Knieverletzung der Versicherten leistungspflichtig ist. Dabei steht fest und ist unbestritten, dass der Befund einer Verletzung gemäss Art. 9 Abs. 2 UVV entspricht und dass die Versicherte am 27. März 2008 keinen Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG erlitten hat. Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdegegnerin für die genannte Verletzung im Sinne einer unfallähnlichen Körperschädigung gemäss Art. 9 Abs. 2 UVV die gesetzlichen Leistungen zu erbringen hat und hiebei namentlich das Vorliegen eines äusseren Faktors.
 
3.1 Gemäss Schadenmeldung UVG vom 7. April 2008 stand die Versicherte bei der Übergabe der Kinder an die Eltern aus der Hocke auf und verspürte einen starken Schmerz im rechten Knie. Von da an habe sie das Bein/Knie nicht mehr belasten können. Im Fragebogen der Zürich antwortete die Versicherte am 4. Mai 2008 auf die Frage nach der Schilderung des Vorgangs im Detail, sie sei mit einem Kleinkind auf dem Arm aus der Hocke aufgestanden. Als sie oben gewesen sei, habe sie das Bein nicht mehr belasten und das Knie weder strecken noch biegen können. Es habe höllisch weh getan. Beim Bewegungsablauf habe sich nichts Ungewöhnliches zugetragen. Sie verrichte diese Tätigkeit mehrmals täglich. Die Schmerzen hätten sich während der Bewegung des Aufstehens erstmals manifestiert.
 
3.2 Bei unfallähnlichen Körperschädigungen nach Art. 9 Abs. 2 UVV müssen zur Begründung der Leistungspflicht des Unfallversicherers - wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - mit Ausnahme der Ungewöhnlichkeit die übrigen Tatbestandsmerkmale des Unfalls erfüllt sein. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Voraussetzung des äusseren Ereignisses zu, d.h. eines ausserhalb des Körpers liegenden, objektiv feststellbaren, sinnfälligen, eben unfallähnlichen Vorfalles (BGE 129 V 466 E. 2.2 S. 467). Die schädigende äussere Einwirkung kann in einer körpereigenen Bewegung bestehen (BGE 129 V 466 E. 4.1 S. 468 mit Hinweisen). Das Auftreten von Schmerzen als solches ist kein äusserer (schädigender) Faktor im Sinne der Rechtsprechung, weshalb dieser nicht gegeben ist, wenn die versicherte Person nur das (erstmalige) Auftreten von Schmerzen in zeitlicher Hinsicht anzugeben vermag (BGE 129 V 466 E. 4.2.1 S. 469). Nicht erfüllt ist das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors auch, wenn das erstmalige Auftreten der Schmerzen mit einer blossen Lebensverrichtung einhergeht, welche die versicherte Person zu beschreiben in der Lage ist. Vielmehr ist gemäss Rechtsprechung für die Bejahung eines äusseren auf den menschlichen Körper schädigend einwirkenden Faktors stets ein Geschehen verlangt, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Das ist zu bejahen, wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im Rahmen einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies etwa für viele sportliche Betätigungen zutreffen kann. Der äussere Faktor mit erheblichem Schädigungspotenzial ist sodann auch zu bejahen, wenn die in Frage stehende Lebensverrichtung einer mehr als physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers, insbesondere seiner Gliedmassen, gleichkommt. Deswegen fallen einschiessende Schmerzen als Symptome einer Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV ausser Betracht, wenn sie allein bei der Vornahme einer alltäglichen Lebensverrichtung auftreten, ohne dass hiezu ein davon unterscheidbares äusseres Moment hineinspielt. Wer also lediglich beim Aufstehen, Absitzen, Abliegen, der Bewegung im Raum, Handreichungen usw. einen einschiessenden Schmerz erleidet, welcher sich als Symptom einer Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV herausstellt, kann sich nicht auf das Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Die physiologische Beanspruchung des Skelettes, der Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder stellt keinen äusseren Faktor dar, dem ein zwar nicht ungewöhnliches, jedoch gegenüber dem normalen Gebrauch der Körperteile gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnen muss (BGE 129 V 466 E. 4.2.2 S. 470). Für die Bejahung eines äusseren Faktors braucht es zusammenfassend demzufolge ein gesteigertes Schädigungspotenzial, sei es zufolge einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage, sei es durch Hinzutreten eines zur Unkontrolliertheit der Vornahme der alltäglichen Lebensverrichtung führenden Faktors (BGE 129 V 466 E. 4.3 S. 471).
 
3.3 Die Versicherte gibt bezüglich des Ereignisses vom 27. März 2008 weder in der Schadenmeldung UVG vom 7. April 2008 noch im Fragebogen der Zürich vom 4. Mai 2008 eine unkontrollierte Bewegung, einen Fehltritt oder Ähnliches an. Etwas solches geht auch aus dem ärztlichen Zeugnis des gleichentags konsultierten Dr. med. W.________, vom 19. April 2008 und aus dem Operationsbericht/Austrittsbericht der Spital Y.________ AG vom 1. April 2008 nicht hervor. Vielmehr kam es gemäss den übereinstimmenden Aussagen beim Aufstehen aus der Hocke (mit Kleinkind auf dem Arm) zu einem starken Schmerz und zu einer Knieblockade rechts. Das Auftreten von Schmerzen als solches ist - wie oben dargelegt - kein äusserer schädigender Faktor. Beim Aufstehen aus der Hocke mit einem Kleinkind auf dem Arm handelt es sich sodann - auch gemäss Aussagen der Versicherten selber - um einen gewohnten, mehrmals täglich ausgeübten Bewegungsablauf und somit um eine alltägliche Verrichtung, welche üblicherweise im Rahmen einer physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers erfolgt und bei welcher grundsätzlich kein besonderes Schädigungspotenzial vorhanden ist. Es fehlt im konkreten Fall sowohl an einer gesteigerten Gefahrenlage wie auch am Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit des aus der Hocke Aufstehens führenden Moments. Als solches kann entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch das Kleinkind auf dem Arm nicht gelten, gehört doch dies - wie die Vorinstanz dargelegt hat - zur alltäglichen Lebensverrichtung der Versicherten und ist davon auszugehen, dass dieser Bewegungsablauf gerade wegen des Kleinkindes auf dem Arm besonders kontrolliert ausgeführt wird. Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt ist daher eben nicht vergleichbar mit den in BGE 129 V 466 als Beispiele für die in einer körpereigenen Bewegung liegende schädigende äussere Einwirkung erwähnten Fälle des plötzlichen Aufstehens aus der Hocke (BGE 116 V 145 E. 2c S. 148 mit Hinweisen), des Verschiebens eines schweren Wäschekorbes mit dem linken Fuss, Ausführung einer ruckartigen Bewegung und Verdrehung des rechten Knies (RKUV 2000 Nr. U 385 S. 267, U 228/99), des brüsken Umdrehens beim Kochen Richtung Kühlschrank (Urteil U 5/02 vom 21. Oktober 2002, E. 2) u.Ä., welche Tatbestände wohl körpereigene Bewegungen und alltägliche Lebensverrichtungen darstellen, bei welchen jedoch ein davon unterscheidbares zur Unkontrollierbarkeit der Verrichtung führendes äusseres Moment in Form der Plötzlichkeit, der Brüskheit, der Heftigkeit, des Fehltritts o.Ä. hinzutrat. In diesem Sinne hat das kantonale Gericht zu Recht unterschieden zwischen Aufstehen aus der Hocke (mit Kleinkind im Arm) als kontrolliert ausgeführte alltägliche Lebensverrichtung und plötzlichem unkontrolliertem Aufstehen aus der Hocke (mit Gewicht).
 
3.4 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unter Berücksichtigung aller Umstände ein in den Bewegungsablauf hineinspielendes äusseres Moment und damit ein ausserhalb des Körpers liegendes, objektiv feststellbares, sinnfälliges, unfallähnliches Ereignis nicht nachgewiesen ist. Die Vorinstanz und die Zürich haben demnach zu Recht Leistungen der Unfallversicherung abgelehnt.
 
4.
 
4.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig. Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
4.2 Nach Art. 68 Abs. 3 BGG wird obsiegenden Behörden oder mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen. In Anwendung dieser Bestimmung hat das Bundesgericht der SUVA und den privaten UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine Parteientschädigungen zugesprochen, weil sie als Organisationen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind. Das gilt grundsätzlich auch für die Trägerinnen oder Versicherer der beruflichen Vorsorge gemäss BVG (BGE 126 V 143 E. 4a S. 150 mit Hinweisen).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 7. Mai 2010
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Ursprung Kopp Käch
 
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