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Informationen zum Dokument  BGer 1C_55/2010  Materielle Begründung
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BGer 1C_55/2010 vom 09.04.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1C_55/2010
 
Urteil vom 9. April 2010
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Reeb, Raselli,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Einwohnergemeinde Horw, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Gemeinderat, Gemeindehausplatz 1, Postfach, 6048 Horw,
 
gegen
 
1. A.________,
 
2. B.________,
 
3. Ehepaar C.________,
 
4. D.________,
 
Beschwerdegegner, Nr. 1-3 vertreten durch Rechtsanwalt Marc Bieri,
 
Dienststelle Immobilien des Kantons Luzern, Stadthofstrasse 4, 6002 Luzern,
 
Schätzungskommission des Kantons Luzern, Luzernerstrasse 51a, 6010 Kriens.
 
Gegenstand
 
Formelle Enteignung; Enteignungsentschädigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 22. Dezember 2009 des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 10. Juni 2003 genehmigte der Regierungsrat des Kantons Luzern ein Projekt zur Änderung, Umgestaltung und Sanierung der Kantonsstrasse K 32 in Horw. Mit Entscheid vom 7. November 2008 sprach die Schätzungskommission des Kantons Luzern A.________ und B.________ eine Entschädigung für die mit dem Projekt zusammenhängende Enteignung eines Teils der Parzelle Nr. 328 in Horw zu. Neben den beiden Genannten sind auch D.________ sowie die Eheleute C.________ Eigentümer der von der Enteignung betroffenen Parzelle. Sie hatten indessen die ihnen zustehende Enteignungsentschädigung an A.________ abgetreten.
 
Gegen den Entscheid der Schätzungskommission erhob die Einwohnergemeinde Horw mit Eingabe vom 17. Februar 2009 Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern. Sie beantragte die Reduktion der Enteignungsentschädigung und der Parteientschädigungen. Mit Urteil vom 22. Dezember 2009 trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein. Es erwog, die Schätzungskommission habe ihren Entscheid der Einwohnergemeinde Horw zwar mit dem ursprünglichen Versand nicht zugestellt. Indessen habe die Gemeinde den Entscheid am 17. November 2008 von der Dienststelle Immobilien des Kantons Luzern erhalten. Mit dieser Zustellung habe die 20-tägige Beschwerdefrist grundsätzlich zu laufen begonnen. Die Frist habe spätestens ca. Mitte Dezember 2008 geendet, weshalb die Beschwerde am 17. Februar 2009 verspätet erhoben worden sei.
 
B.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 28. Januar 2010 an das Bundesgericht beantragt die Einwohnergemeinde Horw, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Die Schätzungskommission, das Verwaltungsgericht sowie die Beschwerdegegner 1-3 beantragen in ihrer jeweiligen Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Die Dienststelle Immobilien und die Beschwerdegegnerin 4 liessen sich nicht vernehmen. Mit Präsidialverfügung vom 11. März 2010 hat das Bundesgericht das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung abgewiesen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Angefochten ist ein Urteil einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Dieses erging in einem Verfahren über Enteignungsentschädigungen. Vorliegend geht es um Parteirechte, die das kantonale Recht den Gemeinden in kantonalen Enteignungsverfahren einräumt. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit (Art. 82 lit. a BGG). Die Beschwerdeführerin hat sich am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist beschwerdelegitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
 
2.
 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, aus der mangelhaften Eröffnung eines Entscheids dürfe einer Partei kein Rechtsnachteil erwachsen. Das angefochtene Urteil verletze den Grundsatz von Treu und Glauben, das Willkürverbot und das Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 BV).
 
Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass ihr die Dienststelle Immobilien mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 mitgeteilt habe, gegen den Entscheid der Schätzungskommission werde keine Beschwerde geführt. Damit habe die Dienststelle bestätigt, dass die Beschwerdeführerin selbst nicht beschwerdelegitimiert sei. Entsprechendes gelte für das Verhalten der Schätzungskommission, die sie jedenfalls in der Verfahrensphase vor Erlass des Entscheids nicht mehr als Partei behandelt und ihr den Entscheid auch nicht eröffnet habe. Der Weiterleitung des Entscheids an die Beschwerdeführerin durch die Dienststelle Immobilien sei keine fristauslösende Wirkung zugekommen. Erst mit dem Schreiben der Schätzungskommission vom 29. Januar 2009 habe sie davon ausgehen können, dass ihr nunmehr als Verfahrenspartei die Beschwerdelegitimation zuerkannt worden sei. Einen gegenteiligen Vorbehalt habe dieses Schreiben nicht enthalten. Schliesslich könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Dienststelle Immobilien die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Schätzungskommission vertreten habe. Auch die Zustellung des Entscheids an die Dienststelle habe damit für die Beschwerdeführerin keine fristauslösende Wirkung gehabt.
 
2.2 Das Verwaltungsgericht hält im angefochtenen Entscheid fest, die Schätzungskommission habe die Beschwerdeführerin korrekt beigeladen und vorerst auch richtig ins Verfahren involviert. Indessen habe sie die Beschwerdeführerin in ihrem Entscheid nicht genannt und ihr diesen auch nicht zugestellt. Der Entscheid sei der Beschwerdeführerin aber von der Dienststelle Immobilien am 17. November 2009 zugesandt worden. Damit habe sie nicht nur von dessen Existenz, sondern auch von dessen Inhalt erfahren. Zudem habe ihr aufgrund des regierungsrätlichen Entscheids vom 10. Juni 2003 klar sein müssen, dass sie als eine der Hauptbetroffenen zur Beschwerde gegen den angefochtenen Entscheid legitimiert war. Mit diesem Entscheid habe ihr der Regierungsrat einerseits die Bauherrschaft für die Änderung und Umgestaltung sowie die Sanierung der Kantonsstrasse K 32 übertragen, habe sie andererseits aber auch zur Tragung sämtlicher mit dem Projekt verbundenen Kosten verpflichtet.
 
Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, dass die 20-tägige Beschwerdefrist am 17. November 2008 zu laufen begann und folglich grundsätzlich am 9. Dezember 2008 endete. Zumindest hätte die Beschwerdeführerin umgehend nach Erhalt des Entscheids bei der Schätzungskommission dessen formell korrekte Eröffnung verlangen müssen. Da sie dies erst am 23. Januar 2009 getan und die Beschwerde gar erst am 17. Februar 2009 erhoben habe, sei die Eingabe verspätet erfolgt. Denn die Beschwerdefrist sei nach dem Gesagten spätestens ca. Mitte Dezember 2008 abgelaufen. Daran ändere auch nichts, dass sich die beiden Gemeinwesen, die Einwohnergemeinde Horw und der Kanton Luzern, offenbar nicht sofort einig gewesen seien, wer für die Enteignungsentschädigung aufzukommen habe. Denn dies sei bereits mit dem regierungsrätlichen Entscheid vom 10. Juni 2003 entschieden worden. Offen bleiben könne, ob aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Schätzungskommission von einem Vertretungsverhältnis zur Dienstelle Immobilien auszugehen sei.
 
2.3
 
2.3.1 Überspitzter Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 130 V 177 E. 5.4.1 S. 183 mit Hinweisen). Das Verbot des überspitzten Formalismus weist einen engen Bezug zum verfassungsmässigen Prinzip von Treu und Glauben auf. Aus diesem Prinzip folgt unter anderem der Grundsatz, dass den Parteien aus einer mangelhaften Eröffnung kein Nachteil erwachsen darf. Vertrauensschutz verdient indessen nur der Rechtsuchende, der selbst die notwendige Sorgfalt walten lässt (Urteile 1C_89/2007 vom 13. Juli 2007 E. 2.3 mit Hinweisen; B 142/05 vom 9. Januar 2007 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 133 V 147, aber in: Pra 97/2008 Nr. 9 S. 65; BGE 135 III 374 E. 1.2.2.1 S. 376 mit Hinweisen).
 
2.3.2 Ob ein Verstoss gegen die genannten Prinzipien vorliegt, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition. Die gleichzeitig erhobene Rüge der Verletzung des Willkürverbots hat in diesem Zusammenhang keine selbstständige Bedeutung.
 
2.3.3 Dem Grundsatz, wonach den Parteien aus einer mangelhaften Eröffnung kein Nachteil erwachsen darf, ist mit Blick auf den Rechtsschutz Genüge getan, wenn eine mangelhafte Eröffnung trotz ihres Mangels ihren Zweck erreicht hat. Die Partei hat, wenn sie einmal von dem sie betreffenden Entscheid Kenntnis erhalten hat, dafür besorgt zu sein, dessen Inhalt und Begründung zu erfahren, um über die Ergreifung eines Rechtsmittels zu entscheiden. Wenn sie im Besitz aller für die erfolgreiche Wahrung ihrer Rechte wesentlichen Elemente ist, läuft die Beschwerdefrist. Ab diesem Zeitpunkt ist ihr dieselbe Rechtsstellung eingeräumt wie den übrigen Adressaten, denen der Entscheid gemäss anwendbarem Verfahrensrecht korrekt eröffnet wurde (BGE 102 Ib 91 E. 3 S. 93 f. mit Hinweisen).
 
2.4 Die Beschwerdeführerin ist im Entscheid der Schätzungskommission zwar nicht als Partei aufgeführt und der Entscheid wurde ihr zunächst auch nicht wie den übrigen Verfahrensbeteiligten eröffnet. Indessen hat sie ihn unbestrittenermassen am 17. November 2009 von der Dienststelle Immobilien zugestellt erhalten. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie dessen Tragweite erkennen und entscheiden, ob sie ein Rechtsmittel dagegen einlegen wolle. Dass sie durch den Entscheid der Schätzungskommission beschwert war, musste der Beschwerdeführerin klar sein. Denn im Entscheid vom 10. Juni 2003 des Regierungsrats des Kantons Luzern wurde die Bauherrschaft der Einwohnergemeinde Horw übertragen und festgestellt, dass diese sämtliche mit dem Projekt verbundenen Kosten zu tragen habe. Im Schreiben vom 3. August 2006 der Schätzungskommission wurde die Beschwerdeführerin denn auch mit folgenden Worten als Partei beigeladen: "Da der Entscheid der Schätzungskommission auch die Rechtsstellung der Gemeinde Horw, welche abgesehen von einem pauschalen Beitrag des Kantons die Kosten für den Landerwerb trägt, beeinflusst, ist die Gemeinde Horw als Partei beizuladen". Weshalb die Beschwerdeführerin aufgrund des von ihr angeführten Schreibens vom 18. Dezember 2008 der Dienststelle Immobilien davon hätte ausgehen dürfen, nicht beschwerdeberechtigt zu sein, ist nicht nachvollziehbar, zumal das Beschwerderecht weder Gegenstand jenes Schreibens bildete noch die Dienststelle Immobilien überhaupt zuständig war, über die Beschwerdelegitimation zu entscheiden. Insgesamt wäre es der Beschwerdeführerin damit bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt möglich gewesen, trotz fehlender Beteiligung im späteren Teil des Verfahrens vor der Schätzungskommission und trotz der mangelhaften Eröffnung des Entscheids über die Ergreifung eines Rechtsmittels zu entscheiden. Dass sie im Übrigen auch selbst erkannte, dass sie durch den Entscheid beschwert war, geht aus ihrem Schreiben vom 27. November 2008 an die Dienststelle Immobilien hervor, in welchem sie diese aufforderte, gegen den Entscheid Beschwerde einzulegen.
 
Nach dem Gesagten verletzte die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie davon ausging, dass die Beschwerdefrist spätestens ca. Mitte Dezember 2008 abgelaufen war. Dass die Schätzungskommission der Beschwerdeführerin den Entscheid später auch noch selbst zustellte und dabei davon sprach, dass "hiermit ... der Entscheid der Schätzungskommission vom 7. November 2008 der Gemeinde Horw eröffnet" werde, ändert an diesem Ergebnis nichts. Dies hätte unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nach Art. 9 BV höchstens dann von Bedeutung sein können, wenn die Beschwerdeführerin durch dieses Schreiben davon abgehalten worden wäre, rechtzeitig Beschwerde zu erheben. Dies war aber schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs der Ereignisse nicht der Fall.
 
Wie es sich mit der Frage eines möglichen Vertretungsverhältnisses zwischen der Dienststelle Immobilien und der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Schätzungskommission verhält, liess die Vorinstanz offen. Darauf ist auch vorliegend nicht weiter einzugehen.
 
3.
 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist. Das vorliegende Verfahren geht auf einen Entscheid über die zufolge einer Enteignung auszurichtenden Entschädigungen zurück. Die beschwerdeführende Gemeinde ist deshalb in ihren Vermögensinteressen betroffen. Es sind ihr damit gemäss Art. 66 Abs. 4 BGG die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens aufzuerlegen (vgl. BGE 133 V 642 E. 5.5 S. 644; zur Publ. bestimmtes Urteil 8C_158/2009 vom 2. September 2009 E. 8.1.4; je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin hat zudem den anwaltlich vertretenen privaten Beschwerdegegnern eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat A.________, B.________ sowie den Eheleuten C.________ insgesamt Fr. 2'000.-- als Parteientschädigung zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Dienststelle Immobilien, der Schätzungskommission und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. April 2010
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Féraud Dold
 
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