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Informationen zum Dokument  BGer 4D_138/2009  Materielle Begründung
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BGer 4D_138/2009 vom 11.12.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4D_138/2009
 
Urteil vom 11. Dezember 2009
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
 
Gerichtsschreiber Luczak.
 
1. Parteien
 
A.________,
 
2. B.________,
 
Beschwerdeführer,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Bruno M. Bernasconi,
 
gegen
 
C.________,
 
Beschwerdegegner,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Nauer.
 
Gegenstand
 
Mietvertrag; Ausweisung,
 
Verfassungsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, vom 25. August 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
C.________ (Beschwerdegegner) erhielt anlässlich der öffentlichen Versteigerung vom 12. September 2008 den Zuschlag für die von A.________ (Beschwerdeführerin) und B.________ (Beschwerdeführer) bewohnte Eigentumswohnung samt Nebenräumen und Parkplätzen in D.________ und wurde dadurch Eigentümer. Nach Angaben der Beschwerdeführer stand das Grundstück zuvor im Eigentum der Beschwerdeführerin. Die vom Beschwerdeführer gegen den Zuschlag erhobene Beschwerde wurde am 16. Februar 2009 abgewiesen. Dieser Entscheid erwuchs am 14. März 2009 in Rechtskraft. Die Beschwerdeführer verliessen die Liegenschaft jedoch nicht. Mit Urteil vom 1. Juli 2009 gab das Gerichtspräsidium Bremgarten dem Begehren des Beschwerdegegners um Erlass einer vorsorglichen Verfügung im Sinne von § 302 des Zivilrechtspflegegesetzes vom 18. Dezember 1984 (SAR 221.100, ZPO/AG) teilweise statt und verpflichtete die Beschwerdeführer, die Wohnung inklusive Kellerabteil und die beiden Autoeinstellplätze innert 14 Tagen seit Rechtskraft zu räumen und zu verlassen. Für den Widerhandlungsfall drohte das Gerichtspräsidium an, die polizeiliche Räumung auf Begehren des Beschwerdegegners zu veranlassen. Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 25. August 2009 ab.
 
B.
 
Die Beschwerdeführer beantragen dem Bundesgericht mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde, den Entscheid vom 25. August 2009 aufzuheben. Ihr Gesuch um aufschiebende Wirkung wies das Bundesgericht am 16. November 2009 ab. Der Beschwerdegegner schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Beim Entscheid über das Ausweisungsbegehren handelt es sich ungeachtet des Umstandes, dass er als vorsorgliche Massnahme erging, um einen das Verfahren abschliessenden Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, zumal eine Fristansetzung zur Klageeinleitung unterblieb. Im Übrigen hätte die Ausweisung unter der Annahme, sie stelle einen Zwischenentscheid dar, für die Beschwerdeführer einen nicht wieder gut zu machenden Nachteil zur Folge (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Nach Angaben der Vorinstanz beträgt der Streitwert weniger als Fr. 30'000.--. Ob dies zutrifft und ob allenfalls eine mietrechtliche Streitigkeit vorliegt, bei welcher die Beschwerde in Zivilsachen schon ab einem Streitwert von Fr. 15'000.-- zulässig wäre (vgl. Art. 74 Abs. 1 BGG), kann offen bleiben, da sowohl mit der Beschwerde in Zivilsachen gegen vorsorgliche Massnahmen als auch mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (Art. 98 und 116 BGG).
 
1.1 Die Beschwerdeschrift hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 117 i.V.m. 107 Abs. 2 BGG), darf sich der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern muss einen Antrag in der Sache stellen. Gleich wie nach der Praxis zur Berufung gemäss OG muss der Beschwerdeführer demnach angeben, welche Punkte des Entscheides angefochten und welche Abänderungen beantragt werden. Grundsätzlich ist ein materieller Antrag erforderlich; Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen nicht und machen die Beschwerde unzulässig. Ein blosser Rückweisungsantrag reicht ausnahmsweise aus, wenn das Bundesgericht im Falle der Gutheissung in der Sache nicht selbst entscheiden könnte, weil die erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz fehlen (BGE 133 III 489 E. 3.1 mit Hinweisen).
 
1.2 Die Beschwerdeführer beantragen lediglich die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Ob weitere Beweiserhebungen notwendig sind, falls sich die Beschwerde als begründet erweisen sollte, erscheint zweifelhaft, kann aber offen bleiben, da sich die Beschwerde ohnehin als unbegründet erweist.
 
1.3 Das Bundesgericht kann die Verletzung eines Grundrechtes nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer muss klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darlegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 134 I 83 E. 3.2 S. 88; 134 V 138 E. 2.1; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht untersucht nicht von sich aus, ob der angefochtene kantonale Entscheid verfassungsmässig ist, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 134 V 138 E. 2 S. 143; 133 II 396 E. 3.1 S. 399).
 
2.
 
Die Vorinstanz stellte zunächst fest, die Beschwerdeführer hätten nicht die Abweisung des Ausweisungsbegehrens, sondern lediglich die Verlängerung der Frist zur Räumung der Wohnung auf mindestens 60 Tage verlangt und damit den Ausweisungsentscheid des erstinstanzlichen Gerichts als solchen im Rahmen der kantonalen Beschwerde nicht angefochten.
 
2.1 In der Sache hielt die Vorinstanz mit dem erstinstanzlichen Gericht dafür, seit der Steigerung vom 12. September 2008 wüssten die Beschwerdeführer, dass sie das von ihnen bewohnte Grundstück verlassen müssten, in welchem sie sich seit der Steigerung rechtsgrundlos aufhielten. Sie seien somit vom Ausweisungsbegehren nicht überrascht worden. Dass entsprechend der Behauptung der Beschwerdeführer ein Mietverhältnis mit dem Beschwerdegegner zustande gekommen sei, bestreite dieser und bleibe unbewiesen, da die erst mit der kantonalen Beschwerde angebotenen Zeugen aus prozessualen Gründen (§ 321 Abs. 1 ZPO/AG) nicht gehört werden könnten. Die Beschwerdeführer hätten beinahe ein Jahr Zeit gehabt, um eine neue Wohnung zu suchen und zu finden, hätten aber keine Bewerbungen vorgelegt. Trotz bestehender Erschwernisse bei der Wohnungssuche sei unter diesen Umständen die erstinstanzlich angesetzte Frist von 14 Tagen zur Räumung des Grundstücks nicht zu beanstanden, was zur Abweisung der kantonalen Beschwerde führe.
 
2.2 Die Beschwerdeführer werfen der Vorinstanz vor, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV verletzt zu haben, einerseits durch Nichtbehandlung ihres Beschwerdeantrags auf Aufhebung des ergangenen Urteils vom 1. Juli 2009, andererseits durch Nichtbegründung des Entscheides bezüglich dieses Antrags.
 
2.3 Die Beschwerdeführer haben der Vorinstanz folgende Anträge gestellt:
 
"1. Gegen das ergangene Urteil vom 1.7.09 wird hiermit das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben.
 
2. Das ergangene Urteil vom 1.7.09 sei aufzuheben.
 
3. Der Gerichtspräsident des BZG Bremgarten sei anzuweisen, eine angemessene Frist, mind. jedoch eine solche von 60 Tagen einzuräumen."
 
Zur Begründung führten sie aus, den Beschwerdeführer treffe es aufgrund seines Gesundheitszustandes, der im einzelnen beschrieben wird, besonders hart, dass er die Liegenschaft verlassen müsse, ohne passenden Ersatz gefunden zu haben. Dem Gericht sei auch bekannt, dass es für ihn in Anbetracht der Betreibungsregisterauszüge nicht einfach sei, eine Wohngelegenheit zu finden. Diese Situation sei durch ein hängiges Verfahren auf Staatshaftung gegenüber dem Kanton Aargau, den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten entstanden.
 
2.4 Der Absatz, dem die Vorinstanz nach Ansicht der Beschwerdeführer hätte entnehmen müssen, dass diese in ihrem Hauptantrag die Beseitigung des Ausweisungsbefehls angestrebt hätten, lautet wie folgt:
 
"Weiterhin, dass das Einkommen der Beklagten 1 ausreicht, um einen Mietzins regelmässig zu leisten (Beilage Arbeitsbescheinigung/Lohnausweis), die Beklagten 1 und 2 waren und nach wie vor bereit sind, eine Zahlung à Konto anzubieten, damit dem Kläger kein Schaden entsteht, was die Beklagten zu 1 und 2 auch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt haben und diesbezüglich das Gespräch mit dem Kläger suchen, der Kläger den Beklagten einen Mietvertrag angeboten hat, weshalb die Beklagten 1 und 2 vom Ausweisungsbegehren des Klägers überrascht wurden und daher nicht 3 ½ Monate Zeit hatten, die Wohnung zu räumen, sich unter diesen Umständen ein Frist von 14 Tagen für die Beklagten 1 und 2 als völlig unverhältnismässig erweist.
 
Zeugnis für die getroffene Vereinbarung zum Mietvertrag:
 
.... "
 
Diese Erklärungen durfte die Vorinstanz in guten Treuen dahin verstehen, dass die Beschwerdeführer die Auszugsfrist als zu kurz erachteten, weil sie sich in Verhandlungen mit dem Beschwerdegegner wähnten, die dazu führen sollten, eine auch ihm entsprechende Lösung zu finden, die ihnen das weitere Verbleiben in der Liegenschaft gestattet hätte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer war mit Blick auf ihre Ausdrucksweise keineswegs klar, dass sie in ihrem Hauptantrag die Beseitigung des Ausweisungsbegehrens erstrebt hätten. Die Heranziehung der erstinstanzlich gestellten Rechtsbegehren hätte für die Auslegung ihrer Anträge vor Obergericht nichts erbracht, da die Beschwerdeführer in ihrer kantonalen Beschwerdeschrift nicht darauf Bezug nahmen und durchaus möglich war, dass sie den erstinstanzlichen Entscheid teilweise unangefochten lassen wollten. Wenn die Vorinstanz den Antrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Entscheides im Lichte des folgenden Begehrens und der Begründung auslegte und der Beschwerde insgesamt entnahm, es gehe den Beschwerdeführern um eine Verlängerung der Auszugsfrist, liegt darin in keiner Hinsicht eine Verletzung des Gehörsanspruchs nach Art. 29 Abs. 2 BV. Inwiefern die kantonale Verfassung, welche die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ebenfalls anführen, einen weiter reichenden Gehörsanspruch als die Bundesverfassung gewährt, zeigen sie nicht auf, weshalb nicht näher darauf einzugehen ist.
 
3.
 
Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz kantonale Verfahrensvorschriften willkürlich angewandt haben könnte. Soweit sich die Beschwerdeführer auf kantonalrechtlich verankerte richterliche Pflichten zum Schutze unbeholfener Vertragsparteien berufen, zeigen sie deren willkürliche Anwendung durch die Vorinstanz nicht rechtsgenügend auf, zumal auch die von ihnen geforderte eingehende Prüfung ihrer Vorbringen mit Bezug auf die Bedeutung ihrer Rechtsbegehren wie bereits dargelegt nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
 
3.1 Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, die Vorinstanz hätte die erstinstanzlich beantragte und ohne Begründung nicht durchgeführte Parteieinvernahme anordnen müssen. Dass eine entsprechende Rüge vor der Vorinstanz erhoben worden wäre, machen sie aber nicht geltend, und sie führen keine Verfahrensregel an, welche für die gegebene Situation die Geltung der Offizialmaxime anordnet und von der Vorinstanz auf stossende Weise missachtet worden wäre. Die Rüge erweist sich damit als unbegründet.
 
3.2 Die Beschwerdeführer beanstanden, die Vorinstanz habe trotz der reformatorischen Natur des ergriffenen Rechtsmittels den Antrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils als inhaltsleer betrachtet, statt zu prüfen, welchen Zweck die Beschwerdeführer damit verfolgen wollten. Dies verletze den Anspruch auf faire Behandlung gemäss § 22 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (SAR 110.000). Auch bei Gewährung einer längeren Auszugsfrist wäre indessen der erstinstanzliche Entscheid aufgehoben und durch jenen des Obergerichts ersetzt worden, womit der gestellte Antrag nach dem Verständnis der Vorinstanz durchaus nicht "inhaltsleer" war.
 
4.
 
Insgesamt erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführer haben den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit insgesamt Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Dezember 2009
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:
 
Klett Luczak
 
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