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Informationen zum Dokument  BGer 9C_685/2009  Materielle Begründung
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BGer 9C_685/2009 vom 01.10.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_685/2009
 
Urteil vom 1. Oktober 2009
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.
 
Parteien
 
T.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 8. Juni 2009.
 
Sachverhalt:
 
Mit Verfügung vom 3. Oktober 2008 sprach die IV-Stelle Bern dem 1947 geborenen T.________ rückwirkend eine ganze Rente ab 1. Februar 1998 zu sowie eine befristete Viertelsrente vom 1. Dezember 2002 bis 30. September 2003 und eine Viertelsrente ab 1. Juli 2005. In teilweiser Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde des T.________ hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 8. Juni 2009 die Verfügung auf und sprach ihm von Februar 1998 bis November 2002 eine ganze Rente, von Dezember 2002 bis August 2003 eine halbe Rente und ab September 2003 eine Viertelsrente zu, nebst Kinderrente ab Februar 2006 für die am 14. Februar 2006 geborene Tochter. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
 
T.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der angefochtene Entscheid sei insofern aufzuheben, als ihm ab 11. November 2005 nur eine Viertelsrente zugesprochen werde und es sei ihm ab diesem Zeitpunkt eine Dreiviertelsrente zuzusprechen; eventualiter sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache zur Oberbegutachtung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze betreffend den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der vom 1. Januar 2004 bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung sowie Art. 28 Abs. 2 IVG in der seit 1. Januar 2008 anwendbaren Form), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG [in der vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung], Art. 28a Abs. 1 IVG [in der seit 1. Januar 2008 anwendbaren Form] und Art. 16 ATSG) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis), richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch ab 11. November 2005.
 
3.1 Die Vorinstanz erwog, das von der Beschwerdegegnerin veranlasste Obergutachten des Dr. med. S.________, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 29. November 2007, und dessen Ergänzung vom 28. Dezember 2007, seien grundsätzlich überzeugend. Dr. med. S.________ trage den gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung und begründe die Arbeitsunfähigkeit von 40 % auch mit Blick auf die früher geleisteten Arbeitseinsätze. Dass die Ärzte der psychiatrischen Dienste X.________ am 5. November 2008 und Dr. med. G.________ am 7. November 2008 abweichende Diagnosen erhoben hatten, spreche nicht gegen die Zuverlässigkeit der Einschätzungen des Dr. med. S.________. Zum einen seien auch die Ärzte der psychiatrischen Dienste X.________ zum Schluss gelangt, der Zustand sei seit Jahren stabil, zum anderen schliesse Dr. med. G.________ aus dem Verhalten des Beschwerdeführers auf dessen Restarbeitsfähigkeit, was unzulässig sei.
 
3.2 Der Beschwerdeführer rügt, die von Dr. med. S.________ festgestellte Neurasthenie habe vorgängig noch kein anderer Arzt diagnostiziert. Die Diagnose sei nach Einschätzung seines behandelnden Arztes Dr. med. G.________ falsch. Auf die von Dr. med. S.________ attestierte Arbeitsfähigkeit könne daher nicht abgestellt werden, zumal diese stark von den übrigen ärztlichen Einschätzungen abweiche und Dr. med. S.________ "in psychiatrischen Kreisen (...) für teilweise absolut unverständliche Gutachten" bekannt sei. Indem die Beschwerdegegnerin trotz der Widersprüche keine weiteren Abklärungen veranlasste, habe sie ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Nicht beachtet und gewürdigt habe das kantonale Gericht zudem, dass der ihn behandelnde Oberarzt an der Tagesklinik weit besser in der Lage sei, eine Beurteilung vorzunehmen als ein Gutachter, dessen Untersuchung sich auf zwei Stunden beschränke.
 
4.
 
4.1 Die Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts, einschliesslich der antizipierten Schlussfolgerung, wonach keine weiteren medizinischen Abklärungen erforderlich seien, beschlägt Fragen tatsächlicher Natur und ist daher für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (E. 1 hievor). Eine Bindungswirkung fehlt, wenn die Beweiswürdigung willkürlich ist, was nicht bereits dann zutrifft, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn der Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Fehler beruht (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; vgl. auch BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f). So verhält es sich hier nicht. Die Vorinstanz hat sich rechtsgenüglich mit den zahlreichen medizinischen Gutachten und Berichten auseinandergesetzt. Dabei ist ihr keineswegs entgangen, dass die ärztlichen Einschätzungen nicht nur hinsichtlich der diagnostischen Einordnung der gesundheitlichen Einschränkungen, sondern auch bezüglich der verbleibenden Arbeitsfähigkeit teilweise divergieren. Die antizipierte Beweiswürdigung im angefochtenen Entscheid ist auch deshalb nicht zu beanstanden, weil die Ärzte immerhin darin übereinstimmen, dass der Gesundheitszustand seit Jahren im Wesentlichen unverändert ist (wobei die rezidivierende depressive Störung naturgemäss Schwankungen unterliegt), und nicht nur Dr. med. S.________, sondern beispielsweise auch die Gutachter Prof. Dr. med. R.________ und Dr. med. M.________, psychiatrische Dienste X.________, in ihrem Gutachten vom 2. April 2004 eine Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen haben. Hinsichtlich der bereits im vorinstanzlichen Verfahren aufgelegten, ausführlichen Kritik des behandelnden Psychiaters Dr. med. G.________, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 7. November 2008, welche dieser im letztinstanzlich ins Recht gelegten Schreiben vom 21. August 2009 bestätigte (zu dessen fehlender prozessualer Zulässigkeit vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG), gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass mit Blick auf die beweisrechtlich bedeutsame Verschiedenheit von Behandlungs-/ Therapieauftrag einerseits und Begutachtungsauftrag andererseits auch die Einschätzungen behandelnder Spezialärzte mit besonderer Sorgfalt zu würdigen sind (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353 mit Hinweisen; Urteil I 655/05 vom 20. März 2006 E. 5.4 mit Hinweisen). Sodann kritisiert Dr. med. G.________ das Gutachten vom 29. November 2007 im Wesentlichen deshalb, weil Dr. med. S.________ die Persönlichkeitsauffälligkeiten des Beschwerdeführers nicht als Persönlichkeitsstörung, sondern als Neurasthenie (ICD-10 F.48.0) klassifizierte und deren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit verneinte. Diesbezüglich hat die Vorinstanz zu Recht erwogen, dass es für den Leistungsanspruch in der Invalidenversicherung nicht auf die diagnostische Einordnung eines Leidens ankommt, sondern darauf, welche Auswirkungen die gesundheitlichen Limitierungen auf die Arbeitsfähigkeit haben. Selbst wenn der Beschwerdeführer die Kriterien einer narzisstischen oder kombinierten Persönlichkeitsstörung erfüllen würde, wäre damit über deren Einfluss auf Arbeitsfähigkeit und erwerbliches Leistungsvermögen nichts gesagt.
 
4.2 Soweit der Beschwerdeführer die Beurteilung des Dr. med. S.________ anzweifelt, weil dieser in "psychiatrischen Kreisen" für unverständliche Gutachten bekannt sei, ist dieses nicht weiter substantiierte Vorbringen nicht nachvollziehbar. Dr. med. S.________ ist jedenfalls im vorliegenden Fall zu den gleichen Diagnosen gelangt wie beispielsweise die Gutachter der psychiatrischen Dienste X.________ am 2. April 2004. Die von Dr. med. S.________ attestierte verbleibende Arbeitsfähigkeit von 60 % ist nach Einschätzung des Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) vom 28. August 2008 den gesundheitlichen Einschränkungen angemessen und steht nicht zuletzt auch im Einklang mit dem vom Beschwerdeführer bis Ende Juni 2005 geleisteten Arbeitspensum als Biologe an der Universität Y.________.
 
5.
 
Die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen.
 
6.
 
Von der Erhebung von Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG) wird umständehalber abgesehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist somit gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 1. Oktober 2009
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Meyer Bollinger Hammerle
 
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