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Informationen zum Dokument  BGer 1C_4/2009  Materielle Begründung
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BGer 1C_4/2009 vom 29.07.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 1/2}
 
1C_4/2009
 
Urteil vom 29. Juli 2009
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter, Reeb, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Steinmann.
 
1. Parteien
 
Anton Andermatt,
 
2. Karl Auf der Maur,
 
3. Benno Birchler,
 
4. Carlo Fisch,
 
5. Karl Fisch,
 
6. Susanne Füchslin,
 
7. Anton Gräzer,
 
8. Jürg Gyr,
 
9. Stefan Hähnlein,
 
10. Jürg Indermaur,
 
11. Albert Kälin,
 
12. Beda Kälin,
 
13. Claudine Kälin,
 
14. Doris Kälin,
 
15. Edgar Kälin,
 
16. Marcel Kälin,
 
17. Martin Kälin,
 
18. Rafael Kälin,
 
19. Zacharias Kälin,
 
20. Martin Kauter,
 
21. Cécile Keller,
 
22. Ruedi Keller,
 
23. Michael Loser,
 
24. Walter Ochsner,
 
25. Paul Schönbächler,
 
26. Edgar Steinauer,
 
27. Marcel Strüby,
 
28. Alfons Ulrich,
 
29. Reto Ulrich,
 
30. Peter Weibel,
 
31. Anton Zehnder,
 
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Landolt,
 
gegen
 
Bezirksgemeinde Einsiedeln, vertreten durch den Bezirksrat, Hauptstrasse 78, Postfach 161,
 
8840 Einsiedeln.
 
Gegenstand
 
Abstimmungen vom 1. Juni 2008 über Revisionen des Kanalisationsreglementes und des Wasserversorgungsreglementes
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 29. Oktober 2008 des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz,
 
Kammer III.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
An der Bezirksgemeindeversammlung Einsiedeln vom 23. April 2008 standen neben andern Sachgeschäften das Traktandum 6: "Revision des Kanalisationsreglementes" sowie das Traktandum 7: "Revision des Reglements über die Wasserversorgung" zur Debatte.
 
Das bisherige Kanalisationsreglement bedurfte aufgrund unterschiedlichster Vorgaben einer grundlegenden Überarbeitung. Es soll neu Kanalisations- und Entwässerungsreglement (KER) heissen. Es sieht in § 24 eine Anschlussgebühr vor. Diese soll nicht mehr nach Massgabe des durch die kantonale Gebäudeschätzung festgelegten Neubauwertes, sondern nach der Kubatur bemessen werden. Sie berechnet sich neu "pro m³ effektiv umbautes, nutzbares Gebäudevolumen (SIA 504 416)."
 
Gleichzeitig sollte das Reglement über die Wasserversorgung des Bezirkes Einsiedeln (WR) revidiert werden. Die Revision sieht in § 8 ebenfalls eine Anschlussgebühr vor, die sich neu nach der Gebäudekubatur bemisst. Sie berechnet sich "pro m³ effektiv umbautes Gebäudevolumen (SIA 504 416)."
 
B.
 
Im Laufe der Beratung an der Bezirksgemeindeversammlung vom 23. April 2008 wurde eine andere Berechnungsweise der KER-Anschlussgebühr verworfen. Darauf beschloss die Bezirksgemeinde das KER in geheimer Abstimmung gemäss der Vorlage.
 
In Bezug auf das WR wurde vorgeschlagen, bei der Berechnung der Anschlussgebühr nach § 8, analog zur Regelung im KER, einzufügen: "pro m³ effektiv umbautes nutzbares Gebäudevolumen". Der Bezirksstatthalter hielt darauf hin fest, dass "diese Ergänzung im Reglement vorgenommen (werde), aufgrund des ursprünglichen Willens". In der Folge beschloss die Bezirksgemeinde in geheimer Abstimmung die Revision des Wasserversorgungsreglementes.
 
C.
 
Im Anschluss an die Bezirksgemeindeversammlung gelangte Alfons Ulrich am 16. Mai 2008 an den Bezirksrat. Er wies darauf hin, dass die Fassungen des KER und des WR hinsichtlich der Umschreibung der Anschlussgebührenbemessung nicht übereinstimmten. Weiter machte er darauf aufmerksam, dass der Begriff des effektiv umbauten, nutzbaren Gebäudevolumens in der SIA-Norm 504 416 nicht zu finden sei. Er stellte ausdrücklich die Frage, ob die Begriffe in § 24 KER und in § 8 WR dieselben seien und ob darunter das Nutzvolumen im Sinne von SIA-Norm 416 Ziff. 5.1.1 gemeint sei. Der Bezirksrat antwortete mit Brief vom 29. Mai 2008, zugestellt am 3. Juni 2008 das Folgende: In beiden Reglementen werde derselbe Begriff verwendet; es gelte das Nettogebäudevolumen gemäss SIA; es werde ein Vorschlag unterbreitet, wie dieses Nettogebäudevolumen berechnet werde.
 
D.
 
An der Urnenabstimmung vom 1. Juni 2008 wurden sowohl das Kanalisations- und Entwässerungsreglement (KER) wie auch das Reglement über die Wasserversorgung des Bezirkes Einsiedeln (WR) mit grossen Mehrheiten angenommen.
 
E.
 
Anton Andermatt und 33 weitere Personen (darunter auch Alfons Ulrich) erhoben am 10. Juni 2008 beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz eine gemeinsame Stimmrechtsbeschwerde und verlangten die Aufhebung der Abstimmungen über das KER und das WR. Sie beanstandeten, dass die Stimmbürger über die Reglementsfassungen nicht hinreichend im Klaren waren und die bedeutenden Auswirkungen der Neuberechnung der Anschlussgebühren nicht hätten abschätzen können.
 
Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde am 29. Oktober 2008 ab.
 
F.
 
Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts haben Anton Andermatt und die weitern 33 Personen beim Bundesgericht am 2. Januar 2009 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne der Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 82 lit. c BGG erhoben. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und der Abstimmung vom 1. Juni 2008 über die beiden Reglemente. In Anbetracht der Reglementsfassungen und der Auffassung des Bezirksrates über die Berechnung der Anschlussgebühren bemängeln sie unzutreffende und unvollständige Information der Stimmbürger vor der Volksabstimmung.
 
Der Bezirksrat beantragt die Abweisung der Beschwerde, das Verwaltungsgericht, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführer halten in ihrer Replik an ihren Anträgen fest.
 
G.
 
Mit Verfügung vom 2. Februar 2009 ist der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die von den Beschwerdeführern erhobene Stimmrechtsbeschwerde ist im Grundsatz zulässig. Die Beschwerdeführer sind nach Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde legitimiert. Die Beschwerde ist gemäss Art. 100 Abs. 1 BGG rechtzeitig erhoben. Der Antrag um Aufhebung des angefochtenen Entscheides und der Abstimmung vom 1. Juni 2008 ist zulässig (BGE 129 I 185 E. 1.2 S. 188).
 
Gleichwohl wird zu prüfen sein, ob die Stimmrechtsbeschwerde das geeignete Mittel ist, um die Einwendungen der Beschwerdeführer vom Bundesgericht prüfen zu lassen.
 
2.
 
Der Bezirksgemeinde vom 23. April 2008 und den Stimmberechtigten anlässlich der Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 lagen Versionen der beiden Reglemente vor, welche hinsichtlich der Anschlussgebühren die massgebliche Kubatur nicht identisch umschrieben. Im KER hiess es: "pro m³ effektiv umbautes, nutzbares Gebäudevolumen (SIA 504 416)", im WR: "pro m³ effektiv umbautes Gebäudevolumen (SIA 504 416)." Der Leiter der Bezirksgemeindeversammlung hielt fest, dass in beiden Reglementen dasselbe gemeint sei, "diese Ergänzung im Reglement vorgenommen (werde), aufgrund des ursprünglichen Willens". Den Stimmberechtigten ist diese Ergänzung im Hinblick auf die Volksabstimmung nicht mitgeteilt worden.
 
Das Verwaltungsgericht hat dieses Vorgehen unter dem Gesichtswinkel der Abstimmungsfreiheit gebilligt. Es hat ausgeführt, dass die Stimmberechtigten über die Ergänzung mit dem Wort "nutzbar" hinreichend informiert worden seien. Wie es sich damit unter dem Gesichtswinkel von Art. 34 Abs. 2 BV sowie den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens verhält, kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben. Denn die Beschwerdeführer richten ihre Kritik nicht auf diesen Punkt; sie bemängeln nicht, dass die beiden Reglemente einander angeglichen worden sind und die Fassungen der beiden fraglichen Normen nunmehr denselben Begriff der massgeblichen Kubatur aufweisen.
 
3.
 
Die Beschwerdeführer beanstanden, dass der in den Reglementen verwendete Kubaturbegriff nicht klar sei und dass darunter im Lichte der angegebenen SIA-Norm Unterschiedliches verstanden werden könne. In den behördlichen Erläuterungen sei die Rede davon, dass die Grössenordnung der KER-Anschlussgebühren im Vergleich zum bisher praktizierten Verfahren praktisch unverändert bleibe (S. 25) und die neuen m3-Preise für die WR-Anschlussgebühren den bisher angewandten Grundlagen entsprächen und durchschnittlich leicht tiefer lägen als bisher (S. 32). Die Auslegung durch den Bezirksrat führe nunmehr zu massiven Erhöhungen der Anschlussgebühren, welche nicht beabsichtigt gewesen seien. Die Stimmberechtigten seien darüber nicht ins Bild gesetzt worden. Darin erblicken die Beschwerdeführer eine - wohl unbeabsichtigte - Irreführung der Stimmbürger, die vor dem Hintergrund der Abstimmungsfreiheit nach Art. 34 Abs. 2 BV zur Aufhebung der Volksabstimmung führen müsse.
 
Die Beschwerdeführer verkennen die Tragweite ihrer Beanstandungen. Entgegen ihrer Auffassung sind ihre Rügen unter dem Gesichtswinkel der Garantie der politischen Rechte nicht von Bedeutung.
 
Die Stimmbürger haben Reglementsfassungen zugestimmt, welche - in der nunmehr zugrundezulegenden Fassung - die Formulierung "pro m³ effektiv umbautes, nutzbares Gebäudevolumen (SIA 504 416)" enthält. Entgegen dem ersten Anschein erweisen sich die Formulierung und der Verweis auf die SIA-Normen im Hinblick auf die Anwendung als uneindeutig und wenig klar, wie die Beschwerdeführer aufzeigen. Darin ist nichts Aussergewöhnliches zu erblicken. Der Gesetzgeber erlässt oftmals - bewusst oder unbewusst - unbestimmte Normen. Wie alle gesetzlichen Bestimmungen bedürfen unbestimmte Normen der Auslegung. Bei der Anwendung ist ihr Sinn unter Berücksichtigung der anerkannten Auslegungsmethoden zu ermitteln. Das entsprechende Auslegungsergebnis kann dann auf dem Rechtsmittelweg (vorfrageweise) überprüft werden. Insoweit kann im Umstand, dass der Volksabstimmung unterliegende Regelungen wenig klare und auslegungsbedürftige Begriffe aufweisen, keine Verletzung der politischen Rechte erblickt werden.
 
Das vorliegende Verfahren zeigt denn auch, dass es nicht die in den Reglementen enthaltenen unklaren Begriffe sind, die Stein des Anstosses bilden. Ebenso wenig die behördlichen Erläuterungen dazu, welche die neuen Berechnungskriterien in untechnischer Weise umschreiben und zum Ausdruck bringen, dass die Höhe der Anschlussgebühren im grossen Ganzen im bisherigen Rahmen verbleiben sollten. Es ist vielmehr eine erst nach der Volksabstimmung bekannt gewordene Auskunft des Bezirksrates, welche Anlass zum verwaltungsgerichtlichen und zum vorliegenden Verfahren gab (vgl. Beschwerde vom 10. Juni 2008 S. 3 Ziff. 3). Der Bezirksrat gab bekannt, dass in beiden Reglementen derselbe Begriff verwendet werde. Er hielt fest, dass das Nettogebäudevolumen gemäss SIA gelte; es würde ein Vorschlag unterbreitet, wie dieses Nettogebäudevolumen berechnet werde.
 
Diese Erklärung des Bezirksrates ist es nun, welche die Beschwerdeführer beanstanden. Sie halten - aufgrund ihrer eigenen Berechnungen - fest, dass die Anwendung dieses Kriteriums zu teils massiv höheren Anschlussgebühren führen werde, und schliessen daraus, dass diese Höhe der Anschlussgebühren mit den behördlichen Informationen im Vorfeld der Volksabstimmung im Widerspruch stehe. Demnach seien die Stimmberechtigten durch die amtlichen Erläuterungen irregeführt und in ihrem Anspruch nach Ar. 34 Abs. 1 BV verletzt worden.
 
Die Erklärung des Bezirksrates stellt eine blosse Absichtserklärung ohne Auswirkung auf die politischen Rechte dar. Wie die beiden Reglemente in der Praxis auszulegen sind, wird erst in konkreten Einzelfällen zu entscheiden sein. Es ist, wie das Verwaltungsgericht in der Vernehmlassung festhält, noch offen, wie sich die Verwaltungspraxis entwickeln und wie das Verwaltungsgericht Verwaltungsentscheidungen überprüfen wird. Eine konkrete Prüfung der Auslegung der Kubaturbegriffe hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren ausdrücklich abgelehnt; daran ändert der Umstand nichts, dass es die Sichtweise des Bezirksrates nicht von vornherein verwarf (E. 5.2). Es wird also Sache der Verwaltungsbehörden und des Verwaltungsgerichts sein, den Begriff der massgeblichen Kubatur zu konkretisieren und unter Beachtung der verschiedenen Korrekturmöglichkeiten (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts E. 5.2) anzuwenden. In diesem Rahmen kann den Absichten des Reglementgebers sowie den behördlichen Erläuterungen im Vorfeld der Volksabstimmung Rechnung getragen werden.
 
Demnach erweist sich die Rüge der Verletzung der politischen Rechte als unbegründet.
 
4.
 
Die Beschwerde ist daher abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen. Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Bezirksgemeinde Einsiedeln und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. Juli 2009
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
Aemisegger Steinmann
 
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