VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1C_498/2008  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1C_498/2008 vom 09.07.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1C_498/2008
 
Urteil vom 9. Juli 2009
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Reeb, Raselli, Fonjallaz, Eusebio,
 
Gerichtsschreiberin Schoder.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller,
 
gegen
 
Kanton Zürich, vertreten durch die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Kantonale Opferhilfestelle, Postfach, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Opferhilfe,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 3. September 2008 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich,
 
II. Kammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ reichte am 30. Juli 2008 bei der Opferhilfestelle des Kantons Zürich zwei Gesuche um opferhilferechtliche Genugtuung ein. Zur Begründung führte er aus, von einem Mann namens A.________ in den Jahren 1985 bis 1991 sexuell missbraucht und sexuell genötigt (Gesuch um opferhilferechtliche Genugtuung in der Höhe von CHF 300'000.--) sowie von einer unbekannten Person B.________, einer Gruppe von unbekannten Personen und einer weiteren unbekannten Person zwischen dem 26. April 1982 und dem 29. März 1985 mindestens zweimal vergewaltigt, sexuell missbraucht und sexuell genötigt worden zu sein (Gesuch um opferhilferechtliche Genugtuung in der Höhe von CHF 350'000.--).
 
Die Kantonale Opferhilfestelle lehnte es am 7. August 2008 ab, auf die Gesuche einzutreten, da die mutmasslichen Straftaten vor dem Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes am 1. Januar 1993 begangen worden seien und im Übrigen der Genugtuungsanspruch verwirkt sei.
 
Mit Urteil vom 3. September 2008 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die von X.________ gegen den Nichteintretensentscheid erhobene Beschwerde ab. Dabei schützte es die Begründung der Opferhilfestelle, wonach der behauptete Genugtuungsanspruch vom zeitlichen Geltungsbereich des Opferhilfegesetzes nicht erfasst sei.
 
B.
 
X.________ hat gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt er, es sei festzustellen, dass das Opferhilfegesetz anwendbar sei. Die Opferhilfestelle sei anzuweisen, auf das Gesuch (recte: die Gesuche) vom 30. Juli 2008 einzutreten und den geltend gemachten Genugtuungsanspruch (recte: die geltend gemachten Genugtuungsansprüche) zu prüfen. Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor Bundesgericht.
 
C.
 
Das Sozialversicherungsgericht hat auf Stellungnahme verzichtet. Die Kantonale Opferhilfestelle und das Bundesamt für Justiz als beschwerdeberechtigte Bundesverwaltungsbehörde schliessen auf Beschwerdeabweisung. Der Beschwerdeführer liess sich unter Aufrechterhaltung der Anträge nochmals vernehmen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Das angefochtene Urteil des Sozialversicherungsgerichts betrifft die Abweisung einer Beschwerde gegen einen Nichteintretensentscheid auf ein Gesuch um Leistungen aufgrund des Opferhilfegesetzes des Bundes, d.h. eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit im Sinne von Art. 82 lit. a BGG. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Urteil des Bundesgerichts 1C_45/2007 vom 30. November 2007 E. 2, nicht publ. in: BGE 134 II 33).
 
2.
 
Am 1. Januar 2009 ist das neue Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5) in Kraft getreten. Nach dessen Übergangsbestimmung gilt das bisherige Recht für Ansprüche auf Entschädigung oder Genugtuung für Straftaten, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verübt worden sind, wobei für Ansprüche aus Straftaten, die weniger als zwei Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verübt worden sind, die Fristen nach Art. 25 gelten (Art. 48 lit. a OHG).
 
Im vorliegenden Fall gibt der Beschwerdeführer an, im Zeitraum von 1982 bis 1991 Opfer von sexuellen Übergriffen geworden zu sein. Er sei sich der psychischen Spätfolgen der Delikte erst aufgrund einer Beziehung zu einer Frau und im Zuge der psychiatrischen Betreuung in den Jahren 2007 und 2008 bewusst geworden resp. erst im Jahr 2008 habe sich der tatbestandsmässige Erfolg der Straftaten eingestellt. Der genannte Zeitraum, angefangen beim strafrechtlichen Verhalten bis zur Realisierung der Folgeschäden, liegt vollumfänglich vor dem Inkrafttreten des neuen OHG am 1. Januar 2009. Zur Beurteilung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten opferhilferechtlichen Genugtuungsansprüche ist demzufolge das alte Opferhilfegesetz vom 4. Oktober 1991 in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (aOHG) heranzuziehen.
 
Das Opferhilfegesetz vom 4. Oktober 1991 trat am 1. Januar 1993 in Kraft. Die Verordnung vom 18. November 1992 über die Hilfe an Opfer von Straftaten in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (aOHV) enthält dazu in Art. 12 eine Übergangsbestimmung. Nach Abs. 3 gelten die Bestimmungen über die Entschädigung und die Genugtuung (Art. 11-17 aOHG) für Straftaten, die nach Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes, d.h. nach dem 1. Januar 1993, begangen wurden.
 
3.
 
3.1 Wegen der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist zunächst die Rüge der Verletzung dieses Anspruchs zu prüfen. Der Beschwerdeführer beanstandet, das Sozialversicherungsgericht habe sich nicht mit den Langzeitfolgen sexueller Übergriffe und der in diesem Zusammenhang entwickelten Bundesgerichtspraxis zum Geltungsbereich des Opferhilfegesetzes (Urteil 1C_73/2008 vom 1. Oktober 2008, publ. in BGE 134 II 308) befasst. Dies stelle eine Verletzung der Begründungspflicht dar.
 
3.2 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242, mit Hinweisen). Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).
 
3.3 Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unbegründet. Zum einen behauptet der Beschwerdeführer nicht, es sei ihm nicht möglich gewesen, die Beschwerde in materieller Hinsicht zu begründen. Zum andern hatte die Vorinstanz in ihrem vom 3. September 2008 datierenden Urteil keine Veranlassung, sich mit dem am 1. Oktober 2008 gefällten Bundesgerichtsurteil 1C_73/2008 (in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichts veröffentlicht am 28. Januar 2009) auseinanderzusetzen. Das Sozialversicherungsgericht hat sich mit der entscheidenden Rechtsfrage des zeitlichen Geltungsbereichs des Opferhilfegesetzes, wenn auch knapp, befasst. Sie hat die vom Beschwerdeführer thematisierten strafbaren Handlungen unter dem Gesichtspunkt der sexuellen Nötigung, nicht aber auch der Körperverletzung erörtert. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer die Frage der strafrechtlichen Qualifizierung der psychischen Spätschäden der an ihm verübten Delikte gegen die sexuelle Integrität als Körperverletzung erst in der Replik vor Bundesgericht aufgeworfen hat. Das Recht wird zwar von Amtes wegen angewendet, jedoch ist das Gericht nicht gehalten, nach jedem möglichen Rechtsargument zu forschen. Es stellt im Übrigen auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, wenn das Gericht eine sich stellende Rechtsfrage allenfalls übersah und sich deshalb dazu nicht äusserte.
 
4.
 
4.1 Gemäss dem angefochtenen Urteil ereignete sich der anspruchsbegründende Sachverhalt ausserhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des Opferhilfegesetzes. Das Sozialversicherungsgericht erwog, dass nach dem Wortlaut von Art. 12 aOHV nur der Anspruch auf Hilfe der Beratungsstellen vom Zeitpunkt der Begehung der Straftat unabhängig sei (Abs. 1), während die Bestimmungen über den Schutz und die Rechte des Opfers im Strafverfahren (Art. 5-10 aOHG) sowie diejenigen über die Entschädigung und die Genugtuung (Art. 11-17 aOHG) nur unter der Voraussetzung zur Anwendung kämen, dass die Verfahrenshandlungen bzw. die Straftat nach dem Inkrafttreten des OHG, also nach dem 1. Januar 1993, erfolgten (Art. 12 Abs. 2 und 3 aOHV). Infolge der "absolut zu verstehenden Bestimmung von Art. 12 Abs. 3 aOHV" gelte dies selbst für Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität, deren Folgen sich meist erst Jahre später im Erwachsenenalter zeigten.
 
Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Die Straftaten, auf welche der Beschwerdeführer den opferhilferechtlichen Genugtuungsanspruch abstütze, hätten sich im Zeitraum von 1982 bis 1991 und somit vor dem Inkrafttreten des OHG am 1. Januar 1993 ereignet. Demzufolge stehe dem Beschwerdeführer ein opferhilferechtlicher Genugtuungsanspruch nicht zu.
 
4.2 Dagegen macht der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 134 II 308) geltend, bezüglich des zeitlichen Geltungsbereichs des Opferhilfegesetzes könne nicht allein auf den Zeitpunkt der Begehung der Delikte gegen die sexuelle Integrität im Sinne des StGB abgestellt, sondern es müssten auch die Spätfolgen dieser Delikte berücksichtigt werden. Der opferhilferechtliche Anspruch auf Genugtuung hänge nicht allein vom Zeitpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens ab, sondern auch vom Zeitpunkt, in dem sich allfällige psychische Folgen der vor Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes begangenen Straftaten gegen die sexuelle Integrität bemerkbar machten resp. sich der tatbestandsmässige Erfolg einstelle, zumal die sexuellen Übergriffe gegen ihn nicht nur Straftatbestände zum Schutz der sexuellen Integrität erfüllen würden, sondern auch jene der Körperverletzungsdelikte im Sinne von Art. 122/123 StGB, da seine psychische Gesundheit geschädigt worden sei. Er, der Beschwerdeführer, sei sich der psychischen Spätfolgen der an ihm verübten Übergriffe in der Kindheit erst aufgrund einer Beziehung mit einer Frau und im Zuge der psychiatrischen Betreuung in den Jahren 2007 und 2008 bewusst worden.
 
4.3 Die Kantonale Opferhilfestelle ist der Ansicht, dass die vom Beschwerdeführer zitierte Rechtsprechung auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übernommen werden könne. Bei den Delikten gegen die sexuelle Integrität handle es sich in der Regel um Tätigkeitsdelikte, bei denen der Straftatbestand bereits mit der Vornahme der Tathandlung erfüllt sei. Anders als bei Erfolgsdelikten, bei denen das tatbestandsmässige Verhalten und der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs zeitlich auseinanderfallen könnten, sei bei Tätigkeitsdelikten der Zeitpunkt der Vornahme der tatbestandsmässigen Handlung deshalb identisch mit dem Zeitpunkt der Begehung der Straftat. Spätfolgen eines Delikts könnten sodann - unabhängig davon, ob es sich um ein Erfolgs- oder um ein Tätigkeitsdelikt handle - immer und auch erst lange Zeit nach Erfüllung des Straftatbestandes auftreten. Das OHG knüpfe sowohl für den Geltungsbereich als auch für den Beginn der Verwirkungsfrist an die Straftat und nicht an das Auftreten von nicht zum Straftatbestand gehörenden Spätfolgen eines Delikts an.
 
4.4 Das Bundesamt für Justiz vertritt den Standpunkt, dass bei sexuellen Übergriffen - im Unterschied zu den Asbestfällen - sofort erkennbar sei, dass möglicherweise eine Straftat in Betracht falle. Tätigkeitsdelikte wie Vergewaltigung und sexueller Missbrauch würden sich deshalb grundlegend vom in BGE 134 II 308 beurteilten Delikt der fahrlässigen Körperverletzung durch Asbestexposition unterscheiden, welches dadurch gekennzeichnet sei, dass sich erst Jahrzehnte nach einem Handeln oder Unterlassen die Frage stelle, ob ein strafbares Verhalten vorliege. Werde dagegen das Vorliegen eines Sexualdelikts von der Opferhilfebehörde bejaht, sei zugleich der aus der Sicht der Opferhilfe erforderliche "Erfolg" gegeben, da die betroffene Person durch die Straftat in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sei. Die betroffene Person gelte als Opfer.
 
Für die Frage, wann die hier behaupteten Sexualdelikte verübt bzw. begangen worden seien, sei nicht entscheidend, wann der Beschwerdeführer erkannt habe, welche Folgen die Straftaten auf seine körperliche, psychische und sexuelle Gesundheit gehabt hätten. Entscheidend sei vielmehr, wann der objektive und, soweit feststellbar, der subjektive Tatbestand der in Frage stehenden Delikte erfüllt worden sei.
 
5.
 
5.1 Das Bundesgericht hatte in BGE 134 II 308 E. 5 zu entscheiden, in welchem Zeitpunkt ein Erfolgsdelikt (fahrlässige Körperverletzung durch Asbestexposition) als "begangen" im Sinne des Opferhilfegesetzes zu gelten hat, wenn das tatbestandsmässige Verhalten vor Inkrafttreten des OHG erfolgte, der strafrechtlich relevante Erfolg (Ausbruch der Krebskrankheit) hingegen erst nach dessen Inkrafttreten eintrat. Unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien und des Regelungszwecks des OHG beurteilte es diese Rechtsfrage aus opferbezogener (im Gegensatz zur täterbezogenen) Perspektive. Das Bundesgericht knüpfte zunächst an seine Rechtsprechung zum Begriff der Straftat im Sinne des Opferhilfegesetzes an, welcher die Verwirklichung des objektiven und des subjektiven Straftatbestandes voraussetzt. Zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB) gehört einerseits sorgfaltswidriges Verhalten und anderseits der Eintritt des Taterfolgs (Körperverletzung). Fahrlässigkeit allein ohne Erfolgseintritt stellt keine Straftat nach Art. 125 StGB dar. Daraus schloss das Bundesgericht, dass keine Ansprüche auf opferhilferechtliche Entschädigung und Genugtuung entstehen können, solange der strafrechtlich relevante Erfolg des fahrlässigen Verhaltens nicht eingetreten ist.
 
Weiter erwog das Bundesgericht, dass unter Berücksichtigung der Zielsetzung des OHG - die Gewährleistung der gesetzlich vorgesehenen Hilfe - Art. 12 Abs. 3 aOHV in dem Sinne ausgelegt werden muss, dass der in dieser Vorschrift verwendete Begriff der "Begehung" einer Straftat (anders als im täterbezogenen Strafrecht) nicht bloss auf das fahrlässige Verhalten als Ursache des Erfolgseintritts abstellt, sondern auch der strafrechtlich relevante Erfolg des Fahrlässigkeitsdelikts vorliegen muss, welcher in der Realisierung der objektiven Tatbestandsmerkmale besteht. Für den zeitlichen Geltungsbereich der Art. 11-17 aOHG ist somit nicht allein das sorgfaltswidrige Verhalten massgeblich. Entscheidend ist vielmehr der Eintritt des strafrechtlich und aus Opfersicht relevanten Erfolgs solchen Verhaltens.
 
5.2 Zur Diskussion stehen vorliegend Straftaten gegen die sexuelle Integrität, nämlich sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB) und sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB). Der objektive Tatbestand von Art. 187 StGB ist erfüllt, wenn der Täter mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt, es zu einer solchen Handlung verleitet oder es in eine sexuelle Handlung einbezieht (vgl. dazu Günter Stratenwerth/Wolfgang Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch - Handkommentar, 2. Aufl. 2009, N. 5 ff. zu Art. 187 StGB), während Art. 189 StGB die Abnötigung einer beischlafsähnlichen oder anderen sexuellen Handlung verlangt, namentlich indem der Täter das Opfer bedroht, Gewalt anwendet, es unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht (vgl. Stratenwerth/Wohlers, a.a.O., N. 2 ff. zu Art. 189 StGB). Die Tatbestandsmässigkeit und damit die Strafbarkeit von Handlungen dieser Delikte hängt nicht vom Eintreten psychischer bzw. psychosomatischer Spätfolgen beim Opfer ab.
 
5.3 Nach der Darstellung des Beschwerdeführers trugen sich die sexuellen Übergriffe auf ihn vor dem 1. Januar 1993 zu. Seinen Angaben zufolge müssen die objektiven Straftatbestände von Art. 187 und 189 StGB demnach vor diesem Zeitpunkt erfüllt worden sein. Der behauptete strafbare Vorgang liegt damit ausserhalb des zeitlichen Geltungsbereichs von Art. 11-17 aOHG.
 
6.
 
6.1 Der Beschwerdeführer macht aber auch geltend, die gegen ihn verübten Straftaten würden nicht nur Straftatbestände gegen die sexuelle Integrität darstellen, sondern seien auch als Körperverletzungsdelikte zu qualifizieren. In den Akten befindet sich ein vom 1. Juni 2008 datierendes psychiatrisches Privatgutachten, das über den psychischen Zustand des Beschwerdeführers (mittelgradige bis schwere depressive Episode, bei anamnesistisch mittelgradiger depressiver Episode mit somatischem Syndrom; Depersonalisations- und Derealisationserleben; selbstunsichere Persönlichkeit; Probleme in Verbindung mit der Berufstätigkeit; vorbestehende Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung [ADHS] seit der Kindheit) Auskunft gibt und bescheinigt, dass eine Arbeitsunfähigkeit zu 100 % besteht. Der Beschwerdeführer macht geltend, die erlebten sexuellen Übergriffe seien für die psychischen Beschwerden ursächlich.
 
6.2 Wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt, wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt, wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft (Art. 122 StGB). Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 123 Ziff. 1 StGB). Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, und der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat an einem Wehrlosen oder an einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 StGB).
 
Der Begriff der schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB stellt einen auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Unter Gebrechlichkeit (Abs. 2) wird ein Zustand dauernden Krankseins oder anderer dauernder Beeinträchtigungen der Gesundheit verstanden (Andreas A. Roth/Anne Berkemeier, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 2. Aufl. 2007, N. 15 zu Art. 122 StGB; Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch - Kurzkommentar, 2. Aufl. 2005, N. 7 zu Art. 122 StGB). Mit der Generalklausel (Abs. 3) werden Fälle erfasst, welche den unter Abs. 2 beispielhaft aufgezählten Beeinträchtigungen hinsichtlich ihrer Qualität und ihrer Auswirkungen ähnlich sind (Roth/Berkemeier, a.a.O., N. 19 zu Art. 122 StGB; Trechsel, a.a.O., N. 9 zu Art. 122 StGB). Soweit schwerwiegende und andauernde krankhafte psychische Störungen durch Handlungen gegen die sexuelle Integrität verursacht oder gesteigert werden, ist eine Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB gegeben.
 
In der Rechtslehre wird die Auffassung vertreten, der Tatbestand der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) konsumiere leichte Körperverletzungen und Tätlichkeiten nach Art. 123, Art. 125 Abs. 1 und Art. 126 StGB. Zu einem schweren Körperverletzungsdelikt (Art. 122, Art. 125 Abs. 2 StGB) bestehe hingegen echte Konkurrenz (vgl. Philipp Maier, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 2. Aufl. 2007, N. 55 zu Art. 189 StGB, mit zahlreichen Hinweisen). In einem unpublizierten Urteil 6S.710/1999 vom 1. Dezember 1999 (E. 4a) übernahm das Bundesgericht diese Rechtsauffassung. Es begründete dies mit der Verschiedenartigkeit der geschützten Rechtsgüter. Während es beim Straftatbestand der sexuellen Nötigung um den Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts geht, schützen die Art. 122 und Art. 125 Abs. 2 StGB die körperliche und geistige Unversehrtheit. Dabei ist unerheblich, ob es um eine Verletzung der körperlichen oder der psychischen Gesundheit geht, da beides von Art. 122 StGB gleichermassen erfasst wird.
 
Unter der Voraussetzung, dass im vorliegenden Fall die ärztlich diagnostizierten psychischen Leiden des Beschwerdeführers effektiv schwerwiegender Natur sind und durch die sexuellen Übergriffe verursacht oder zumindest mitverursacht wurden, ist nicht auszuschliessen, dass neben den Delikten gegen die sexuelle Integrität auch das Delikt der schweren Körperverletzung erfüllt worden ist.
 
6.3 Nach den Angaben des Beschwerdeführers sollen sich die Straftaten im Zeitraum von 1982 bis 1991 zugetragen haben. Der Beschwerdeführer war damals zwischen 11 und 18 Jahre alt. Dem bei den Akten liegenden ärztlichen Bericht ist einzig zu entnehmen, dass es sich beim diagnostizierten ADHS um eine vorbestandene Gesundheitsstörung handelt. Zum Zeitpunkt des Eintritts der anderen psychischen Störungen enthält der Bericht keine Angaben. Aufgrund der Aktenlage kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die psychischen resp. die psychosomatischen Störungen, deren Beginn (im Gegensatz etwa zu einer Infektion oder zu einer Krebskrankheit) ohnehin kaum präzise feststellbar ist, in ihrem vollen Ausmass erst nach Inkrafttreten des OHG aufgetreten sind. Dafür sprechen die Symptome im Sexualleben des Beschwerdeführers, die aufgetretene Arbeitsunfähigkeit und das Bedürfnis nach psychiatrischer Betreuung. In diesem Fall wäre der zeitliche Anwendungsbereich von Art. 11-17 aOHG, da der Taterfolg - gleich wie in BGE 134 II 308 - erst nach 1993 eintrat, zu bejahen. Der Zeitpunkt des Erfolgseintritts, d.h. des Auftretens der gesundheitlichen Störungen, muss abgeklärt werden.
 
6.4 Art. 16 Abs. 3 aOHG verlangt, dass das Opfer die Gesuche um Entschädigung und Genugtuung innert zwei Jahren nach der Straftat bei der Behörde einreicht; andernfalls verwirkt es seine Ansprüche. Nach BGE 126 II 348 E. 6 und 7 kann dem Opfer diese Verwirkungsfrist aber nicht entgegengehalten werden, wenn die Schadensfolgen (beispielsweise die Infizierung mit dem HI-Virus) erst einige Zeit nach dem strafbaren Verhalten erkennbar werden und das Opfer alles Zumutbare unternommen hat, um seine Opferrechte wahrzunehmen.
 
Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer, sich erst im Laufe der psychiatrischen Betreuung bewusst geworden zu sein, dass die erlebten Straftaten zu psychischen Folgeschäden führten. Ob dies zutrifft oder ob es dem Beschwerdeführer bereits früher möglich gewesen wäre, die psychischen Störungen wahrzunehmen und seine Opferrechte auszuüben, ist ebenfalls abzuklären.
 
6.5 Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: Das Sozialversicherungsgericht hat Bundesrecht verletzt, indem es den zeitlichen Anwendungsbereich von Art. 11-17 aOHG verneinte, ohne geprüft zu haben, ob infolge der psychischen Folgeschäden der Tatbestand der schweren Körperverletzung erfüllt sein könnte und, sofern dies zutrifft, ob die psychischen Störungen erst nach dem 1. Januar 1993 aufgetreten sind.
 
Die Frage der Anwendbarkeit von Art. 11-17 aOHG kann nicht beantwortet werden, bevor nicht feststeht, ob die vom Beschwerdeführer geklagten psychischen und psychosomatischen Leiden auf die behaupteten (und zu verifizierenden) sexuellen Übergriffe zurückzuführen sind oder zumindest verstärkt wurden und - bejahendenfalls - in welchem Zeitpunkt diese Leiden in Erscheinung getreten sind und vom Beschwerdeführer erkannt werden konnten. Die Sache ist zur Abklärung dieser Umstände an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
7.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen, das angefochtene Urteil des Sozialversicherungsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Im Bereich des Verfahrensrechts gilt der Grundsatz, dass das Rechtsmittelverfahren nach dem bisherigen Recht weitergeführt wird (Urteil des Bundesgerichts vom 30. September 1997 E. 3c, in: Pra 1998 Nr. 20 S. 145; Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl. 1998, Rz. 79; Alfred Kölz, Intertemporales Verwaltungsrecht, in: ZSR 102/1983 II S. 222 f.). Vorliegende Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde mit Eingabe vom 27. Oktober 2008 (Datum Poststempel), somit vor dem Inkrafttreten des neuen OHG am 1. Januar 2009 beim Bundesgericht hängig gemacht. Demnach kommen die Verfahrensbestimmungen des alten OHG, d.h. Art. 16 aOHG auf das Verfahren zur Anwendung. Nach der Rechtsprechung zu Art. 16 Abs. 1 aOHG ist das Verfahren vor Bundesgericht kostenlos (BGE 122 II 211 E. 4b S. 218 f.).
 
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren. Diesem Antrag kann entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das angefochtene Urteil vom 3. September 2008 des Sozialversicherungsgerichts aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtsverbeiständung bewilligt, Rechtsanwalt Oskar Müller als unentgeltlicher Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von CHF 1'500.-- entschädigt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Kanton Zürich und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, II. Kammer, sowie dem Bundesamt für Justiz, Direktionsbereich Öffentliches Recht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, vom 9. Juli 2009
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Féraud Schoder
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).