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Informationen zum Dokument  BGer 9C_701/2008  Materielle Begründung
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BGer 9C_701/2008 vom 20.04.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_701/2008
 
Urteil vom 20. April 2009
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler,
 
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiberin Amstutz.
 
Parteien
 
santésuisse - Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, 4500 Solothurn,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Gemperli,
 
gegen
 
Zentrum S.________AG in Gründung, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Ruth Bommer.
 
Gegenstand
 
Krankenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 11. Juni 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Schreiben vom 6. August 2007 erkundigte sich Dr. med. A.________ im Namen der zu gründenden Zentrum S.________ AG bei der santésuisse, welche Angaben und Unterlagen benötigt würden, um dieser AG eine eigene Zahlstellenregister-Nummer (nachfolgend: ZSR-Nummer) zuteilen zu können. Am 8. August 2007 teilte santésuisse Dr. med. A.________ mit, dass die Direktion entschieden habe, rückwirkend ab 1. Januar 2006 keine neuen ZSR-Nummern mehr für Gruppenpraxen unter der Rechtsform einer AG oder GmbH zu erteilen. Alle Ärzte der Zentrum S.________ AG müssten über ihre eigene ZSR-Nummer und EAN-Nummer abrechnen. Am 31. Oktober 2007 erhob die Zentrum S.________ AG in Gründung beim Schiedsgericht nach Art. 89 KVG des Kantons Thurgau Klage mit dem Antrag, die santésuisse sei anzuweisen, der Klägerin eine ZSR-Nummer zuzuweisen. Das Schiedsgericht hiess die Klage mit Urteil vom 11. Juni 2008 gut und wies santésuisse an, der Zentrum S.________ AG in Gründung, bestehend aus 10 namentlich aufgeführten Ärztinnen und Ärzten, nach Eintrag der AG im Handelsregister eine ZSR-Nummer zuzuteilen.
 
B.
 
Santésuisse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das Verwaltungsgericht und die Zentrum S.________ AG in Gründung beantragen Abweisung der Beschwerde. Mit Verfügung vom 16. Oktober 2008 erteilte der Instruktionsrichter des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung. Am 12. Dezember 2008 führte der Instruktionsrichter des Bundesgerichts mit den Parteien und einer Vertretung des Bundesamtes für Gesundheit eine Instruktionsverhandlung durch, anlässlich derer weitere Beweiseingaben angeordnet wurden. Nach deren Eingang erhielten die Beteiligten die Gelegenheit, sich dazu und abschliessend zum Verfahren zu äussern.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft eine Arztpraxis in X.________ zu führen, bei welcher sie als Arbeitgeberin die Ärztinnen und Ärzte anstellt. Dabei sollen auch Assistenzärzte angestellt werden, welche die gemäss Art. 36 KVG geforderte Weiterbildung noch nicht erfüllt haben, aber vom Kanton eine Bewilligung zur Ausübung einer unselbständigen ärztlichen Tätigkeit erhalten haben und unter der Aufsicht eines selbständigen Arztes arbeiten, der die Voraussetzungen nach Art. 36 KVG erfüllt. Streitig ist, ob die Beschwerdegegnerin Anspruch auf Zuteilung einer ZSR-Nummer hat oder ob den einzelnen in der AG tätigen Ärzten je eine eigene Nummer zugeteilt werden soll.
 
2.
 
Die ZSR-Nummer ist nicht gesetzlich vorgesehen oder geregelt. Das KVG schreibt jedoch vor, dass nur Leistungserbringer, welche die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen dürfen (Art. 35 Abs. 1 KVG). Die Krankenversicherer sind deshalb verpflichtet zu überprüfen, ob die Leistungserbringer in diesem Sinne zugelassen sind. Da das KVG jedoch kein formelles Zulassungsverfahren für die einzelnen Leistungserbringer kennt, führt santésuisse als Branchenverband der Krankenversicherer ein Zahlstellenregister (ZSR-Register). Auf Gesuch hin erteilt sie einem Leistungserbringer gegen einmalige Gebühr die sogenannte ZSR-Nummer, sofern er die nach Gesetz, Verordnung, Gerichts- und Verwaltungspraxis (einschliesslich der Empfehlungen und Weisungen der Aufsichtsbehörde) erforderlichen Voraussetzungen der Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erfüllt. Der Zweck der ZSR-Nummer liegt vor allem in der erleichterten Abrechnung zwischen Leistungserbringer und Versicherer. So darf der einzelne Versicherer grundsätzlich davon ausgehen, dass der über eine ZSR-Nummer verfügende Rechnungssteller die Voraussetzungen der Zulassung als Leistungserbringer zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erfüllt. Das System der Zahlstellenregister-Nummern entlastet damit den Versicherer von der aufwändigen Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen im Einzelfall - sie wird in der Praxis nur noch bei Anhaltspunkten für Fehlerhaftigkeiten durchgeführt - und ermöglicht ihm aufgrund sofortiger Identifizierung des Leistungserbringers und dessen Bankadresse eine effiziente Abwicklung des Zahlungsverkehrs (BGE 132 V 303 E. 4.3.2 S. 305 f.). Die Mitglieder des Kassenverbandes haben damit ihre gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung der Voraussetzungen der Zulassung eines Leistungserbringers zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aus praktischen Gründen weitestgehend an den Verband delegiert. Dieser beurteilt materiell-rechtlich die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen, sodass mit der Nummernvergabe deren Erfüllung zumindest vermutet werden kann und die Kasse nur noch bei ersichtlichen Ungereimtheiten im Einzelfall eine eigene Zulassungsprüfung vornehmen muss. Santésuisse nimmt damit - wenn auch mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage (theoretisch) nicht abschliessend - eine den Versicherern kraft öffentlichen Rechts obliegende Pflicht wahr bzw. übt in der Sache eine öffentlich-rechtliche, spezifisch sozialversicherungsrechtliche Funktion aus (BGE 132 V 303 E. 4.4.2 S. 307 f.).
 
3.
 
3.1 Die Vorinstanz hat den Anspruch der Beschwerdegegnerin auf eine eigene Nummer hauptsächlich auf Art. 15 Abs. 4 des (am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen) Regionalen Anschlussvertrags (AV) zum nationalen Rahmenvertrag TARMED (RV [vom 5. Juni 2002]) zwischen santésuisse und den Ärztegesellschaften der Kantone St. Gallen, Thurgau, beider Appenzell, Schaffhausen und Glarus gestützt, ferner auf den gleichlautenden Art. 9 Abs. 4 RV. Sodann seien gemäss Art. 2 lit. b Satz 2 RV die Leistungserbringer im Sinne von Einrichtungen gemäss Art. 36a KVG den selbständigen Ärzten gleichgestellt. Des Weiteren habe santésuisse am 20. März 2002 und 20. Mai 2003 gegenüber dem Zentrum S.________ bestätigt, dass Gruppenpraxen unter Geltung des RV unabhängig von der Rechtsform unter einer ZSR-Nummer abrechnen könnten.
 
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den AV falsch ausgelegt. Nach dem wirklichen Willen der vertragsschliessenden Parteien enthalte der Vertrag nicht einen Anspruch auf Zuweisung einer ZSR-Nummer an eine Gruppenpraxis.
 
3.3 Art. 15 AV lautet, praktisch gleichlautend wie Art. 9 RV, wie folgt:
 
"Art. 15 Anstellung von Aerzten und Zusammenarbeit in der Rechtsform einer juristischen Person oder einer Kommandit-/Kollektivgesellschaft (Art. 9 RV)
 
1 Die Anstellung von Aerzten unter der Verantwortung und Aufsicht eines anstellenden Arztes ist zulässig.
 
2 Die anzustellenden Aerzte müssen santésuisse, der FMH und der zuständigen KAeG vor Antritt der Stelle gemeldet werden. Im Zeitpunkt der Anstellung müssen für den anzustellenden Arzt die Voraussetzungen gemäss Art. 36 KVG und Art. 38 KVV erfüllt sein.
 
3 Eine Zusammenarbeit in der Rechtsform einer juristischen Person (AG, GmbH, Genossenschaft, Verein etc.), Kommanditgesellschaft und Kollektivgesellschaft ist möglich.
 
4 Sind mehrere Aerzte unter einer einzigen Reg.-Nr. tätig, haften sie im Rahmen dieses Vertrages gegenüber den Krankenversicherern bei vertragswidrigem Verhalten solidarisch.
 
5 Die erbrachten Leistungen müssen den einzelnen Aerzten mittels EAN-Nummer so zugeordnet werden können, dass aus der Rechnung der Arzt ersichtlich ist, der die Leistungen hauptverantwortlich erbringt.
 
6 Die Anstellung von Aerzten bzw. die Zusammenarbeit in der Rechtsform einer juristischen Person oder einer Kommandit-/Kollektivgesellschaft richtet sich im übrigen nach der kantonalen Gesetzgebung und den Vereinbarungen zwischen Ärzten und Versicherern auf überkantonaler, kantonaler oder regionaler Ebene."
 
3.4 Art. 15 Abs. 4 AV setzt offensichtlich voraus, dass gemeinsame Nummern für mehrere Ärzte grundsätzlich möglich sind, doch ergibt sich jedenfalls aus seinem Wortlaut nicht, dass in jedem Fall oder unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf eine solche gemeinsame Nummer besteht. Da santésuisse mit der Zuteilung von ZSR-Nummern eine öffentlich-rechtliche Aufgabe wahrnimmt (vorne E. 2), kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass es in ihrer Privatautonomie stünde, nach Belieben mehreren Ärzten eine gemeinsame Nummer zuzuteilen oder nicht.
 
3.5 Nach Wortlaut und Systematik von Art. 15 AV werden in diesem Artikel verschiedene Arten von nicht in Einzelpraxen tätigen Ärzten (nebst den in Art. 14 AV bzw. Art. 8 RV erwähnten Praxisassistenten und Stellvertretern) genannt: erstens diejenigen Ärzte, die als Arbeitnehmer eines selbständig erwerbenden Arztes angestellt sind (Abs. 1 und 2), zweitens diejenigen, die in der Rechtsform einer juristischen Person zusammenarbeiten und alsdann rechtlich nicht selbständig erwerbend, sondern Arbeitnehmer dieser juristischen Person sind, und drittens diejenigen, die in der Rechtsform einer Kommandit- oder Kollektivgesellschaft zusammenarbeiten (Abs. 3). Abs. 4, der eine solidarische Haftung vorsieht, ist in diesem Zusammenhang wenig klar: Im Falle eines angestellten Arztes (sei es eines anderen Arztes, sei es einer juristischen Person) haftet der Arbeitgeber, nicht der angestellte Arzt; ob durch den AV, der nicht durch die einzelnen Ärzte, sondern durch die Ärzteverbände abgeschlossen ist, daran etwas geändert werden könnte, erscheint fraglich. Sind mehrere Ärzte in der Form einer Kollektivgesellschaft tätig, so haften sie im Rahmen von Art. 568 OR ohnehin solidarisch, auch ohne dass dies im AV geregelt wäre. Es ist somit zweifelhaft, ob Abs. 4 ohne weiteres auf alle der drei Kategorien gemäss Abs. 1-3 anwendbar ist. Denkbar wäre schliesslich auch, dass Abs. 4 zusätzlich zu den in Abs. 1-3 Genannten eine weitere Gruppe anvisiert, nämlich diejenigen Ärzte, die eine Praxisgemeinschaft unter gemeinsamer Nummer bilden, ohne im Gesellschafter- oder Angestelltenverhältnis zu stehen.
 
3.6 Insgesamt sind Wortlaut und Systematik des Vertrags unklar. Der effektive Wille der Vertragsparteien, der für die Auslegung in erster Linie massgebend ist (Art. 18 Abs. 1 OR), ist unter den Parteien umstritten. Mangels eines übereinstimmenden tatsächlichen Willens müssten allfällige Unklarheiten und Lücken nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt oder gefüllt werden, das heisst so, wie die Parteien dies vernünftigerweise geregelt hätten, wenn sie die Unklarheit oder Lücke erkannt hätten (Art. 2 Abs. 2 OR; BGE 133 III 675 E. 3.3 S. 681). Diese Grundsätze der Vertragsauslegung gelten auch, wenn man angesichts der öffentlichen Funktion der ZSR-Nummer (vorne E. 2) den AV als öffentlich-rechtlichen Vertrag betrachtet, wobei hier zusätzlich in Zweifelsfällen zu vermuten ist, dass die Behörden und Privaten, welche öffentliche Funktionen wahrnehmen, keine Vereinbarung treffen wollten, die mit den von ihnen zu wahrenden öffentlichen Interessen im Widerspruch steht, und dass auch der Vertragspartner sich hierüber Rechenschaft gibt (BGE 122 I 328 E. 4e S. 335; ZBl 90/1989 S. 83, A.188/1987 E. 3a; Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 233 Rz. 1103). So oder anders darf der Vertrag nicht dem Gesetz widersprechen und ist er daher im Zweifelsfalle gesetzeskonform auszulegen. Im Hinblick auf die im Folgenden darzulegende gesetzeskonforme Auslegung erübrigen sich weitere Abklärungen zum effektiven Willen der Vertragsparteien.
 
4.
 
4.1 Wie dargelegt (E. 2), bezweckt die ZSR-Nummer die Vereinfachung der Abrechnung zwischen Leistungserbringern und Versicherern, indem santésuisse in Vertretung der Versicherer die Zulassungsvoraussetzungen überprüft. Die gesetzlichen Bestimmungen knüpfen sowohl für die Zulassungsvoraussetzungen (Art. 35 ff. KVG) als auch für die Rechnungsstellung und Tarifierung (Art. 42 ff. KVG) sowie die Wirtschaftlichkeitskontrolle und Qualitätssicherung (Art. 56 ff. KVG) an den Begriff des Leistungserbringers an. Um die ihr zugedachte Funktion wahrnehmen zu können, muss daher auch die ZSR-Nummer dem Leistungserbringer als solchem zugeteilt werden.
 
4.2 Die einzelnen Kategorien von Leistungserbringern werden in Art. 35 Abs. 2 KVG abschliessend genannt (BGE 133 V 613 E. 6.2 S. 621; 126 V 330 E. 1c S. 333; GEBHARD Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, S. 631 Rz. 711) und in den folgenden Artikeln näher geregelt. Leistungserbringer sind u.a. "Ärzte und Ärztinnen" (Art. 35 Abs. 2 lit. a und Art. 36 KVG) sowie "Einrichtungen, die der ambulanten Krankenpflege durch Ärzte und Ärztinnen dienen" (Art. 35 Abs. 2 lit. n und Art. 36a KVG). Diese letztere Kategorie wurde durch Gesetzesänderung vom 24. März 2000, in Kraft seit 1. Januar 2001 (AS 2000 2305), eingeführt. Der Grund dieser Gesetzesrevision bestand darin, dass vorher eine Rechtsunsicherheit geherrscht hatte darüber, ob Ärzte in der Form einer juristischen Person praktizieren dürfen. Traditionell arbeiteten die Ärzte als Einzelunternehmer, obwohl keine gesetzliche Vorschrift die Freiheit der Rechtsformenwahl (Art. 27 BV; Urteil 2P.142/2004 vom 12. Januar 2005 E. 4.2) einschränkte. Gemeinschaftspraxen waren meistens in der Form der einfachen Gesellschaft organisiert (Eduard Eicher, Die Gruppenpraxis in der Schweiz, Schweizerische Ärztezeitung 73/1992 S. 375 ff., 377; Heinrich Honsell [Hrsg.], Handbuch des Arztrechts, 1994, S. 229 f.). Seit den 1990er Jahren entstanden HMO-Praxen, die teilweise als Aktiengesellschaften organisiert waren (Carolina Meli, Horizontale und vertikale Konzentrationsprozesse bei den Leistungserbringern in Gesundheitssystemen, Lizentiatsarbeit Bern 2001, S. 79 ff.; http://www.iop.unibe.ch/lehre/praemierteLiz.asp [besucht am 15. April 2009]). Dabei bestand Unsicherheit, ob die Ärzte in einer HMO-Klinik eine gemeinsame Sammelnummer oder ob jeder einzelne Arzt eine einzelne Nummer zugeteilt erhalten solle (Kuhn/Rusca/Stettler, Rechtsfragen der Arztpraxis, in: Kuhn/Poledna [Hrsg.], Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2007, S. 265 ff., 275). Die Gesetzesänderung sollte aufgrund der Entwicklungen im Bereich der besonderen Versicherungsformen und der entsprechend vielfältigen Institutionen zwecks Vermeidung von Rechtsunsicherheiten eine explizite Grundlage schaffen, so dass bei Ärzten, die aufgrund eines vertraglichen Angestelltenverhältnisses in einer HMO oder in einem Zentrum der ambulanten Versorgung tätig sind, die Selbständigkeit nicht zwingend vorausgesetzt wird (Botschaft vom 21. September 1998 betreffend den Bundesbeschluss über die Bundesbeiträge in der Krankenversicherung und die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung, BBl 1999 I 793 ff., 839; Kuhn/Rusca/Stettler, a.a.O., S. 275 f.; BGE 133 V 613 E. 5.2.1 S. 617 f.). Seither bilden die Einrichtungen im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. n bzw. Art. 36a KVG, welche angestellte Ärzte beschäftigen, eine eigene Kategorie von Leistungserbringern neben den selbständig erwerbenden Ärzten im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. a bzw. Art. 36 KVG (BGE 133 V 613 E. 6.2 S. 621 f.).
 
4.3 Auslöser für die neue Regelung waren offenbar hauptsächlich HMO-Praxen. Der klare Wortlaut des Gesetzes ist indessen nicht auf solche Praxen beschränkt. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, welche eine Abweichung von diesem Wortlaut nahelegen würden. Art. 36a KVG gilt daher auch für juristische Personen, welche Ärzte anstellen, ohne dem HMO-Modell zu folgen (ebenso Berger/Poledna, Öffentliches Gesundheitsrecht, 2002, S. 260 f.).
 
4.4 Üben die einzelnen Ärzte ihre Tätigkeit als Arbeitnehmer der juristischen Person aus, so sind Leistungserbringer im Sinne des KVG nicht die Ärzte, sondern es ist die juristische Person, welche eine Einrichtung im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. n bzw. Art. 36a KVG ist. Da die ZSR-Nummer an den Begriff des Leistungserbringers anknüpft (vorne E. 4.1), muss daher nach der Systematik des Gesetzes diese Nummer der Einrichtung als solcher zugeteilt werden (ebenso Kuhn/Rusca/Stettler, a.a.O., S. 280). Denkbar ist zwar auch eine Praxisorganisation, wonach die juristische Person nur die Infrastruktur oder gewisse andere Dienstleistungen für mehrere Ärzte zur Verfügung stellt, diese aber ihre Tätigkeit als Einzelunternehmer ausüben und bloss die Dienstleistungen von der Gesellschaft beziehen. In einem solchen Fall wären weiterhin die einzelnen Ärzte als Leistungserbringer zu betrachten. Es ist Sache der beteiligten Ärzte, ihre Praxisorganisation und deren Rechtsform festzulegen. Stellt - wie vorliegend die Beschwerdegegnerin - eine Aktiengesellschaft das Gesuch um eine eigene gemeinsame ZSR-Nummer, so ist davon auszugehen, dass sie selber als Leistungserbringerin auftreten will. Sie hat demnach Anspruch auf Zuteilung einer gemeinsamen Nummer.
 
4.5 Die Beschwerdeführerin wendet ein, dass mit einer gemeinsamen Nummer die Kontrolle der Verrechnungsberechtigung nicht mehr möglich wäre.
 
4.5.1 Einrichtungen, die der ambulanten Krankenpflege dienen, sind gemäss Art. 36a KVG nur zugelassen, wenn die dort tätigen Ärzte und Ärztinnen die Voraussetzungen nach Art. 36 KVG erfüllen. Es ist selbstverständlich, dass die Einhaltung dieser Voraussetzung überprüft werden und überprüfbar sein muss.
 
4.5.2 Art. 15 Abs. 2 AV sieht ausdrücklich vor, dass die anzustellenden Ärzte u.a. an santésuisse vor Antritt der Stelle gemeldet werden müssen, und dass im Zeitpunkt der Anstellung für den anzustellenden Arzt die Voraussetzungen gemäss Art. 36 KVG und Art. 38 KVV erfüllt sein müssen. Es versteht sich, dass diese Meldepflicht nicht nur dann gilt, wenn ein Arzt als Einzelunternehmer einen anderen Arzt anstellt, sondern auch dann, wenn die Anstellung durch eine juristische Person wie z.B. die Beschwerdegegnerin erfolgt. Damit wird die Beschwerdeführerin in die Lage versetzt, die Einhaltung der Voraussetzungen zu überprüfen. Zwar kann damit theoretisch nicht ausgeschlossen werden, dass in der juristischen Person trotzdem ein Arzt beschäftigt wird, der die Voraussetzungen nach Art. 36 KVG nicht erfüllt. Dies kann aber so oder anders auch bei selbständig tätigen Ärzten nicht ausgeschlossen werden und ist daher kein ausschlaggebender Grund, um die ZSR-Nummer nicht der juristischen Person zuzuteilen.
 
4.6 Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, dass die Zuteilung einer gemeinsamen ZSR-Nummer an die juristische Person die Durchführung der Wirtschaftlichkeitskontrolle vereitle.
 
4.6.1 Die zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abgerechneten Leistungen müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein (Art. 32 Abs. 1 KVG). Die Leistungserbringer haben sich in ihren Leistungen auf das Mass zu beschränken, das im Interesse der Versicherten liegt und für den Behandlungszweck erforderlich ist (Art. 56 Abs. 1 KVG). Zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit kann rechtsprechungsgemäss sowohl die statistische Methode (Durchschnittskostenvergleich) als auch die analytische Methode (Einzelfallprüfung) - oder eine Kombination beider Methoden - zur Anwendung gelangen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 6/06 vom 9. Oktober 2006 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 133 V 37). Die statistische Methode beruht auf Statistiken, welche die Versicherer aufgrund der in Rechnung gestellten Vergütungen erstellen (Art. 76 lit. b KVV). Dabei werden die Durchschnittskosten für die einzelnen medizinischen Fachgebiete gesondert erhoben (Eugster, a.a.O., S. 662). Zur Erstellung dieser Statistik dient bisher die ZSR-Nummer: Die einzelnen in Rechnung gestellten Leistungen werden dem Inhaber der auf der betreffenden Abrechnung vermerkten ZSR-Nummer zugerechnet. Liegen bei einem Leistungserbringer die Durchschnittskosten pro Patient bzw. Behandlungsfall deutlich über dem Durchschnitt seiner Fachgebietsgruppe, ohne dass sich dies mit Praxisbesonderheiten begründen lässt, so können die Versicherer die zu Unrecht bezahlten Vergütungen zurückfordern (Art. 56 Abs. 2 KVG; BGE 119 V 448 E. 4b S. 453 f.).
 
4.6.2 Sollte sich die Wirtschaftlichkeitskontrolle mit der vermehrten Zuteilung von Sammel-ZSR-Nummern an Gruppenpraxen nicht mehr effektiv bewerkstelligen lassen, ist es nach den Erwägungen der Vorinstanz Sache der heutigen Beschwerdeführerin, ein entsprechendes Kontrollsystem einzuführen; diese habe eingeräumt, dass die Wirtschaftlichkeitskontrolle auch anders als mit den ZSR-Nummern möglich sei. Die Beschwerdeführerin rügt letztere Feststellung als offensichtlich unrichtig; sie habe nur zugestanden, dass theoretisch eine neue Codierung ins Abrechnungssystem eingeführt werden könnte; dies würde aber einen enormen Aufwand bedingen. Zudem sei die Benützung der ZSR-Nummer für die Abrechnung im Tarmed-Rahmenvertrag festgelegt, und das Zustandekommen einer Vertragsänderung wäre ungewiss.
 
4.6.3 Die Gründung einer juristischen Person darf nicht dazu führen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitskontrolle unter-laufen wird. Auch kann entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin nicht gesagt werden, die ZSR-Nummer sei für die Durchführung dieser Kontrolle ohnehin ungeeignet. Vielmehr stellt die Rechtsprechung auf die auf dieser Grundlage erhobenen Durchschnittskostenvergleiche ab.
 
4.6.4 Hat die juristische Person als solche eine einheitliche ZSR-Nummer und rechnet sie alle Leistungen über diese ab, können die Leistungen in der Statistik nicht mehr den einzelnen Ärzten zugerechnet werden, wenn auf die ZSR-Abrechnungen abgestellt wird. Eine individuelle Zurechnung ist in diesem Fall aber auch nicht erforderlich: Ist die Einrichtung im Sinne von Art. 36a KVG bzw. die juristische Person, welche eine solche Einrichtung betreibt, als Leistungserbringerin zu betrachten (vorne E. 4.4), so ist konsequenterweise auch die juristische Person und nicht der einzelne darin tätige Arzt allenfalls nach Art. 56 Abs. 2 KVG rückerstattungspflichtig. Zu diesem Zweck genügt es, dass die Abrechnung und die Datenerfassung für die juristische Person gesamthaft erfolgt. Da die massgebenden Durchschnittskosten nicht pro Arzt, sondern pro Patient (bzw. pro Behandlungsfall) massgebend sind, kann grundsätzlich auch bei einer Gruppenpraxis mit mehreren Ärzten ein solcher Kostenvergleich durchgeführt werden, indem die Kosten der gesamten Gruppenpraxis in Relation zu der Gesamtzahl der darin behandelten Patienten gesetzt wird. Analoges gilt für die Leistungen der angestellten Praxisassistenten, die nach Art. 14 Abs. 5 AV unter der Verantwortung des ZSR-Nummern-Inhabers handeln. Fliessen diese Leistungen bisher in die Durchschnittskosten des anstellenden Arztes ein, so fliessen bei der Beschwerdegegnerin die Leistungen sämtlicher von ihr angestellten Praxisassistenten in die Durchschnittskosten der juristischen Person ein. Erschwert wird der Kostenvergleich freilich dann, wenn in der Gruppenpraxis Ärzte verschiedener Fachrichtungen tätig sind. Auch dann bleibt jedoch die juristische Person als solche Leistungserbringerin und ist sie für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots verantwortlich. Für die Berechnung der Durchschnittskosten scheint es durchaus möglich, einen gewichteten Durchschnitt entsprechend der Anzahl der in der Gruppenpraxis tätigen Vertreter der einzelnen Fachrichtungen zu errechnen. Voraussetzung für ein derartiges Abrechnungsmodell ist selbstverständlich, dass die Beschwerdegegnerin eine einheitliche und transparente Abrechnungspraxis verfolgt. Hat sie sich entschieden, als juristische Person unter einer gemeinsamen ZSR-Nummer tätig zu sein (vorne E. 4.4), so muss sie dies konsequent so handhaben und kann nicht nach Belieben einzelne Leistungen über allfällige individuelle Nummern der einzelnen Ärzte abrechnen, weil so eine zuverlässige Wirtschaftlichkeitskontrolle verunmöglicht würde.
 
4.6.5 Es ist im vorliegenden Verfahren nicht nötig, die Methode der Wirtschaftlichkeitskontrolle bei Einrichtungen im Sinne von Art. 36a KVG abschliessend festzulegen. Die auf der ZSR-Statistik beruhende Methode ist zwar von der Rechtsprechung anerkannt, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben. Auch andere geeignete Erfassungsmethoden können rechtskonform sein. Sollte die Beschwerdeführerin zum Schluss kommen, dass die vorne in E. 4.6.4 skizzierte Vorgehensweise nicht gangbar ist, steht es ihr frei, andere Methoden zu entwickeln oder mit der Beschwerdegegnerin zu vereinbaren. Denkbar sind auch unterschiedliche Abrechnungsmodelle für verschiedene Kategorien von Versicherten, wie die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Praxis in anderen Einrichtungen ausführt. Sie macht freilich geltend, nach den massgebenden Verträgen (RV/AV) müssten die Leistungserbringer nebst den ZSR-Nummern nur die EAN-Nummer mitteilen, welche für die Wirtschaftlichkeitskontrolle nicht tauglich sei. Auch wenn die geltenden Verträge (RV und AV) in Bezug auf Arztpraxen in der Form der juristischen Personen lückenhaft oder unklar sein mögen (vorne E. 3.6), kann dies aber kein Hindernis sein für die sich aus dem gesetzlichen System ergebende Zuteilung einer gesamthaften ZSR-Nummer an Einrichtungen im Sinne von Art. 36a KVG: Nach Art. 56 Abs. 5 KVG sehen die Leistungserbringer und Versicherer in den Tarifverträgen Massnahmen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Leistungen vor. Die in den Verträgen geregelte Pflicht, die Leistungen über die ZSR-Nummer abzurechnen, ist eine solche Massnahme. Sollte sich erweisen, dass in Bezug auf die Einrichtungen nach Art. 36a KVG diese Daten tatsächlich für eine Wirtschaftlichkeitskontrolle nicht genügen, sind gegebenenfalls die Verträge in Bezug auf die Abrechnungsmodalitäten dieser Leistungserbringer-Kategorie zu ergänzen; die Leistungserbringer sind aufgrund von Art. 56 Abs. 5 KVG verpflichtet, zu solchen Regelungen Hand zu bieten.
 
4.7 Die Beschwerde ist damit unbegründet. Für die von der Beschwerdegegnerin beantragten weiteren Beweismassnahmen besteht bei diesem Ausgang kein Anlass.
 
5.
 
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt keine Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat jedoch der obsiegenden Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 20. April 2009
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Meyer Amstutz
 
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