VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer C 117/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer C 117/2004 vom 12.11.2004
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 117/04
 
Urteil vom 12. November 2004
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Hadorn
 
Parteien
 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Brunngasse 6, 8400 Winterthur, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
H.________, 1970, Beschwerdegegner
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 10. Juni 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 3. Juni 2003 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich den Anspruch von H.________ (geb. 1970) auf Arbeitslosenentschädigung ab 14. August 2002 und forderte bereits ausgerichtete Leistungen im Betrag von Fr. 35'846.85 zurück. Diese Verfügung bestätigte die Kasse mit Einspracheentscheid vom 4. September 2003.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 10. Juni 2004 vollumfänglich gut.
 
C.
 
Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. Eventuell sei der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 3. Juni 2003 zu verneinen.
 
H.________ und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzliche Bestimmung zum Ausschluss arbeitgeberähnlicher Personen vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG) sowie die Rechtsprechung zur analogen Anwendung dieser Vorschrift auf arbeitgeberähnliche Personen, welche Arbeitslosenentschädigung beantragen (BGE 123 V 236 Erw. 7), richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
2.
 
Streitig und zu prüfen sind der Anspruch des Versicherten auf Arbeitslosenentschädigung ab 14. August 2002 und die Rückforderung von Fr. 35'846.85.
 
2.1 Unbestrittenermassen hat der Beschwerdegegner Ende April 2002 seine bisherige Anstellung aus eigener Initiative gekündigt, um eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dazu hatte er bereits am 4. April 2002 die Firma I.________ GmbH gegründet. Dort ist er bis zum heutigen Tag als Gesellschafter und Geschäftsführer mit Einzelunterschrift, somit in arbeitgeberähnlicher Stellung, im Handelsregister eingetragen geblieben. Er gab indessen an, die Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit sei angesichts der wirtschaftlichen Lage nicht realisierbar gewesen. Deshalb erhob er Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 14. August 2002. Die Arbeitslosenkasse verneinte diesen Anspruch mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 236 Erw. 7. So lange der Versicherte nicht definitiv aus seiner GmbH ausgeschieden sei, könne ihm keine Arbeitslosenentschädigung ausgerichtet werden. Dementsprechend seien die ihm ab 14. August 2002 ausgerichteten Taggelder zurückzufordern.
 
2.2 Die Vorinstanz erwog, der vorliegende Fall sei nicht mit dem in BGE 123 V 234 beschriebenen vergleichbar. Der Beschwerdegegner sei ursprünglich Arbeitnehmer in einer Drittfirma gewesen. Die I.________ GmbH habe er gegründet, um selbstständig erwerbstätig zu werden. Auf Grund der schwierigen Wirtschaftslage habe er diese Arbeit indessen gar nicht aufgenommen, sondern sich wieder nach einer Anstellung umgesehen. Unter solchen Umständen könne dem Versicherten kein Rechtsmissbrauch vorgehalten werden. Er habe sich nicht wie im genannten Urteil aus der eigenen Firma entlassen, um dank der arbeitgeberähnlichen Stellung dennoch weiterhin den Geschäftsverlauf zu beeinflussen. Vielmehr sei er aus einer Drittfirma ausgeschieden, in welcher er keinerlei arbeitgeberähnliche Befugnisse besessen habe.
 
2.3 Hiegegen wendet die Beschwerdeführerin ein, der Versicherte sei trotz der nicht umgesetzten Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit immer noch in arbeitgeberähnlicher Stellung im Handelsregister eingetragen. Es sei nicht einzusehen, weshalb er sich nicht habe löschen lassen, wenn er angeblich auf die selbstständige Tätigkeit verzichten wolle. Ausserdem sei es nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, die bei Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit üblichen, anfänglichen finanziellen Engpässe zu überbrücken.
 
2.4 Den Ausführungen der Arbeitslosenkasse ist beizupflichten. Es ist einerseits nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, dafür einzustehen, dass sich bei Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zunächst keine grossen Einnahmen erzielen lassen (ARV 2002 S. 56 Erw. 2; 2000 Nr. 5 S. 26 Erw. 2a). Solche typischen Risiken sind nicht durch die Arbeitslosenentschädigung abgedeckt. Indem der Versicherte seine frühere Anstellung aufgab, um sich selbstständig zu machen, nahm er in Kauf, dass er mit diesem Vorhaben scheitern oder zumindest anfänglich nur wenig Umsatz erzielen werde. Andererseits hat der Beschwerdegegner seine arbeitgeberähnliche Stellung bis heute beibehalten. Damit hätte er kraft Gesetzes ohnehin keine Kurzarbeitsentschädigung beziehen können. Selbst wenn seine Firma im Moment inaktiv geblieben zu sein scheint (100 %-ige Kurzarbeit), liess er sich die Möglichkeit offen, sich bei Gelegenheit doch dort anzustellen. Ebenso war denkbar, dass er Arbeitslosenentschädigung bezogen und daneben gleichzeitig seine noch nicht rentable Firma aufgebaut hätte. Dies wäre einer Umgehung der Vorschriften über die Kurzarbeitsentschädigung gleich gekommen. Denn die hiezu ergangene Rechtsprechung will nicht nur dem ausgewiesenen Missbrauch als solchem begegnen, sondern bereits dem Risiko eines solchen, welches der Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung an arbeitgeberähnliche Personen inhärent ist (Urteil F. vom 14. April 2003, C 92/02). Daran vermag die Tatsache nichts zu ändern, dass der Versicherte bis Ende April 2002 noch in einer Arbeitnehmerstellung tätig gewesen ist und dort die entsprechenden Beiträge an die Arbeitslosenversicherung entrichtet hat.
 
3.
 
Nach dem Gesagten hat der Beschwerdeführer die ihm ausgerichteten Leistungen im Umfang von Fr. 35'846.85 zu Unrecht bezogen. Auch die übrigen Voraussetzungen der Rückforderung (BGE 129 V 110 Erw. 1.1) sind erfüllt, geht es doch um einen erheblichen Betrag, der in offensichtlich unrichtiger Weise ausgerichtet worden ist. Über den Erlass dieser Rückforderung wird die zuständige Behörde noch zu befinden haben, wie im Einspracheentscheid bereits ausgeführt wurde.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Juni 2004 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Zürich, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 12. November 2004
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
i.V.
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).