VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1P.360/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1P.360/2004 vom 25.08.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.360/2004 /gij
 
Urteil vom 25. August 2004
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Ersatzrichter Rohner,
 
Gerichtsschreiberin Schoder.
 
Parteien
 
B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Gunhilt Kersten,
 
gegen
 
Bezirksamt Aarau, Amthaus, Laurenzenvorstadt 12, 5000 Aarau,
 
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, Obere Vorstadt 38,
 
5000 Aarau.
 
Gegenstand
 
Art. 9 Abs. 1, 29 Abs. 2 und 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Abweisung eines Beweisergänzungsantrags),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 13. Mai 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
D.________, war am 10. September 1997 durch eine andere Person an der rechten Schulter verletzt worden. Sie macht geltend, dass Dr. B.________ als SUVA-Kreisarzt am 3. Oktober 1997 anlässlich einer Untersuchung die bestehende Verletzung des Schultergelenks in einer Weise verschlimmert habe, die Operationen notwendig gemacht habe und einen Dauerschaden erwarten lasse. Aufgrund eines vom Untersuchungsrichter eingeholten, am 9. Mai 2002 erstatteten Gutachtens von Prof. Dr. H.________ stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau das Verfahren mit Verfügung vom 18. September 2002 ein. Das Obergericht hob auf Beschwerde der Anzeigerin die Einstellungsverfügung am 27. November 2002 auf und wies die Staatsanwaltschaft an, durch Ergänzungsfragen zum bestehenden Gutachten abzuklären, ob Dr. B.________ anlässlich der Untersuchung am 3. Oktober 1997 einen Beitrag an die Körperverletzung von D.________ geleistet hatte. Nachdem der Experte am 8. Dezember 2003 ein Ergänzungsgutachten erstattet und dieses am 21. Januar 2004 vervollständigt hatte, beantragte Dr. B.________ mit Schreiben vom 5. April 2004 verschiedene Beweisergänzungen, namentlich die Einvernahme eines Zeugen und die Einholung eines zweiten Gutachtens.
 
B.
 
Der Bezirksamtmann-Stellvertreter von Aarau wies den Antrag auf Zeugeneinvernahme sowie den Antrag auf Einholung eines zweiten Gutachtens mit Verfügung vom 7. April 2004 ab. Er begründete diese Verfügung nicht, fügte ihr aber bei, er werde die Akten mit einem Schlussbericht und dem Antrag auf Anklageerhebung beim Gericht der Staatsanwaltschaft überweisen.
 
C.
 
Mit Eingabe vom 28. April 2004 focht Dr. B.________ diese Verfügung beim Obergericht des Kantons Aargau (Beschwerdekammer in Strafsachen) an und hielt insbesondere am Antrag auf Einvernahme des erwähnten Zeugen sowie auf Anordnung eines zweiten Gutachtens fest.
 
Das Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, trat mit Entscheid vom 13. Mai 2004 auf die Beschwerde nicht ein.
 
D.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 24. Juni 2004 wegen Verletzung der Art. 29 und 30 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK beantragt Dr. B.________, den Entscheid des Obergerichts vom 13. Mai 2004 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
 
E.
 
Das Bezirksamt Aarau lässt sich - ohne ausdrücklichen Antrag - mit Eingabe vom 5. Juli 2004 zur Beschwerde vernehmen, soweit damit eine Verletzung der Begründungspflicht gerügt wird. Das Obergericht des Kantons Aargau verzichtet mit Schreiben vom 6. Juli 2004 auf Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Anfechtungsobjekt ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, mit dem das Obergericht das Eintreten auf eine die Beweiserhebung im Untersuchungsverfahren betreffende Verfügung des Bezirksamtmann-Stellvertreters von Aarau verweigert. Diese dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Verfügung ist ein selbständig eröffneter Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG. Er betrifft weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG, sondern stellt einen "anderen" Zwischenentscheid gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung dar, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann.
 
2.
 
2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, damit ein Zwischenentscheid gemäss Art. 87 Abs. 2 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht. Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (BGE 126 I 97 E. 1b S. 100; 117 Ia 396 E. 1 S. 398, je mit Hinweisen). Dabei ist es nicht nötig, dass sich der Nachteil schon im kantonalen Verfahren durch einen günstigen Endentscheid beheben lässt. Es genügt, wenn er in einem anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann (BGE 126 I 97 E.1b S. 100 f.; 117 Ia 251 E. 1b S. 254, je mit Hinweisen).
 
2.2 Der Beschwerdeführer erachtet das Gutachten von Prof. Dr. H.________ als krass mangelhaft und macht geltend, dass die Ablehnung des Beweisantrages auf Zweitbegutachtung im Untersuchungsverfahren dazu führe, dass wesentliche Elemente der notwendigen Ermittlung des Prozessstoffes in das Hauptverfahren verlagert würden. Nach Aargauer Strafprozessrecht könne das Gericht auch dann, wenn gewichtige Teile der Untersuchung neu vorzunehmen seien, die Sache nach Anklageerhebung nur unter hier nicht gegebenen Voraussetzungen an die Untersuchungsbehörde zurückweisen. Da vorliegend das entscheidende Beweismittel - das Gutachten - nicht brauchbar sei, entfalle praktisch das ganze Untersuchungsergebnis. Indem das urteilende Gericht die Untersuchung weitgehend zu wiederholen haben werde und somit in untersuchungsrichterlicher Funktion werde fungieren müssen, sei es in seinem Entscheid über den Ausgang des Strafverfahrens nicht mehr frei. Dies verstosse gegen Art. 30 Abs. 1 BV und bedeute einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil.
 
2.3 Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil liegt nicht vor. Dem urteilenden Gericht ist nach der Praxis zu Art. 30 Abs. 1 BV, die derjenigen zu Art. 58 Abs. 1 aBV entspricht, nicht verboten, selber Beweise abzunehmen (vgl. BGE 115 Ia 217 E. 6 S. 223, mit Hinweisen). Das Gesetz des Kantons Aargau vom 11. November 1958 über die Strafrechtspflege (Strafprozessordnung, StPO) räumt eine entsprechende Kompetenz sowohl dem Präsidenten des urteilenden Gerichts (§ 151 StPO) als auch dem Gericht selber ein (§ 156 StPO). Selbst wenn aber aus Art. 30 Abs. 1 BV und der verfassungskonform ausgelegten kantonalen Gesetzgebung abzuleiten wäre, dass die Funktionen der Untersuchungsbehörde und des urteilenden Gerichts nicht dergestalt vermischt werden dürfen, dass das urteilende Gericht wesentliche Untersuchungshandlungen selber durchführt, könnte ein solcher Mangel - wenn er denn vorläge, was offen bleiben kann - nach wie vor mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen das letztinstanzliche kantonale Urteil geltend gemacht und behoben werden.
 
2.4 Mangels eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Dies gilt sowohl bezüglich der vorstehend dargelegten Hauptfrage wie auch bezüglich der Rüge der Gehörsverweigerung infolge Abweisung des Antrages auf Zweitbegutachtung sowie bezüglich der Frage, ob das Gutachten krasse Mängel aufweise, so dass nicht ohne Willkür darauf abgestellt und die Anklage allein darauf gestützt werden könne. Da der angefochtene Entscheid für den Beschwerdeführer keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt, ist auch die Frage der - auch vom Obergericht als verletzt angesehenen - Begründungspflicht obsolet.
 
3.
 
Auf die Beschwerde ist demgemäss nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Aarau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. August 2004
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).